"Was wir machen, muss sich ausdrücken in dem, was wir tun"

I) Prolog:

Der folgende Text ist das Ergebnis unserer Diskussionen nach dem G8-Vorbereitungstreffen im Berliner Mehringhof im Januar diesen Jahres. Wir haben uns mit den dort von verschiedenen Gruppen vorgestellten Papieren beschäftigt (zu finden im Internet auf http://www.gipfelsoli.org/Inhalt+Theorie.html), über eigene Vorschläge diskutiert usw. Eigentlich wollten wir unseren Debattenbeitrag dann spätestens zum Leipziger Treffen mitbringen - na ja, wir sind bestimmt nicht die einzige Gruppe, die zum Texte produzieren manchmal etwas länger braucht. Wir schicken das Ding jetzt hiermit ohne erneute Aktualisierung weg, wohl wissend, dass seit Januar ein paar Wochen ins Land gegangen sind und freuen uns auf Reaktionen aus der Jetzt-Zeit.

II) Der Text

Die Wogen schlugen hoch auf dem bisher zweiten bundesweiten Vorbereitungstreffen gegen die G8-Gipfel in Petersburg und Heiligendamm, das manche als linksradikale Vorbereitung, manche als dissent!-Spektrum bezeichnen. Vor allem am 7./8. Januar in Berlin prallten die Ansichten heftig aufeinander: Sind das überhaupt "linksradikale" Vorbereitungstreffen? Ist das gewollt? Wie halten wir es mit den 'hallmarks' des Peoples Global Action (PGA)- Netzwerks(1), den Begriffen Imperialismus, Internationalismus usw. usw. Knallt das ganze Ding demnächst auseinander? Wo wir auch hingucken, verdammt viele Fragen sind ungeklärt oder äußerst umstritten.
Wir wollen als eine autonome Gruppe unsere eigenen zum Teil auch recht lebhaften und kontroversen Diskussionen dazu öffentlich machen, da wir uns weiterhin genau diesem Thema widmen und ein bisschen von unserer Leidenschaft gegen die zum Teil aufgekommene Resignation setzen wollen. Wir sehen immer noch Chance, durch unsere Vernetzung - wobei wir uns hier in erster Linie auf Heiligendamm 2007 beziehen - auf mehreren Ebenen was zu gewinnen (Teil 1). Außerdem stellen wir am Ende ein paar konkrete inhaltliche und organisatorische Vorschläge zur Diskussion (Teil 2) und freuen uns auf hoffentlich viele Reaktionen.

Teil 1 oder: Was wir gewinnen können:

Mit möglichst vielen, möglichst gut vorbereiteten, organisierten und motivierten AktivistInnen lässt sich vor, in und um Heiligendamm herum einiges reißen - womit keine bestimmten Aktionsformen festgeschrieben sein sollen.

Egal, ob Gruppen vor allem das Ziel vertreten, die eigenen Inhalte attraktiv und überzeugend auf die Straße zu tragen, MitstreiterInnen zu gewinnen, viele bestehende Zusammenhänge zu vernetzen, linke Strukturen in McPomm zu stärken, globale und lokale Aktivitäten zusammen zu bringen, phantasievolle und/oder militante Aktionen hinzukriegen, Internationalismus praktisch zu machen, nach den Gipfelaktionstagen mehr zu sein als vorher oder einfach mal wieder das Gefühl von Stärke auf Großdemos o.ä. zu erleben - weder Kleingruppen noch Einzelpersonen können all das alleine rocken. Eine frühzeitige möglichst bundesweite und internationale Vorbereitungs- und Vernetzungsstruktur ist uns bei dem Versuch, die Treffen in Heiligendamm nicht glatt und ungestört über die Bühne gehen zu lassen, viel wert.
Das von der Berliner Gruppe six hills(2) betonte Anliegen, Kritik zu verbreitern, halten wir in Bezug auf die Ziele der Mobilisierung für zu defensiv. Auch wenn uns das Ziel "Gipfel verhindern" bei gegenwärtigen Kräfteverhältnissen eine etwas zu markige Pose zu sein scheint, halten wir Begrifflichkeiten wie "stören", "blockieren", "aufmischen" und "präsent bzw. unberechenbar sein" für schon passender. Um politisch deutlich zu machen, dass wir den Kapitalismus mit all seinen Institutionen für nicht reformierbar halten, halten wir auch den Ausdruck "Gipfel angreifen" durchaus für brauchbar. Dies würden wir tatsächlich gerne erreichen, auch wenn es nicht nur um die bösen 8 geht, die in Wirklichkeit ja auch viel mehr sind...
Zum jetzigen Zeitpunkt würden wir vor den Parolen allerdings gerne die Inhalte und Ziele unserer Mobilisierung näher bestimmen bzw. diskutieren.

Aber auch unsere Organisationsform ist für uns nicht nur Mittel zum Zweck, so mühsam sie sich bisher auf einigen der großen Plena auch darstellte.

Natürlich ist es leichter gesagt, ganz viele Leute, Zusammenhänge, Gruppen und Einzelpersonen aus unterschiedlichen Spektren, Arbeitsbereichen und Ländern zusammenbringen zu wollen, als in der konkreten Situation auch nur eine gleiche oder ähnliche Sprache, geschweige denn Arbeitsweise zu finden. Die recht wilden Auseinandersetzungen z.B. um die Handzeichen oder Entscheidungsverfahren kamen und kommen unseres Erachtens nach nicht von ungefähr. Sie zeigen jedenfalls, dass wir in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen aktiv sind und uns zum Teil darin so zuhause fühlen, dass andere Umgangsweisen schnell als wahlweise absurd, albern, dominant oder unnötig empfunden und abgetan werden.
Ein bisschen weniger Beißreflex würde uns da wohl allen ganz gut tun, genau so ein bisschen Nachdenken darüber, woher die verschiedenen Verhaltensweisen kommen(3). Nur weil mensch einer Verfahrensweise das Etikett "basisdemokratisch" verpasst, garantiert dies noch keinen tatsächlich egalitären Umgang(4). Wer rhetorisch besonders versiert ist, kann sich auch oder gerade mittels Redelisten eine vergleichsweise dominante Stellung in Diskussionen "herbeireden". Genau so wenig hilfreich oder gar emanzipatorisch ist aber auch ein Beharren auf das althergebrachte "das war schon immer so", in dem sich der (selten genug die) Lauteste durchsetzt. Wer sich allein dann, wenn er/sie andere Zustimmung "wedeln" sieht, oder wahlweise beim ersten Zwischenruf aufregt, dem/der wünschen wir für die Zukunft einen etwas entspannteren Umgang mit Großgruppendiskussionen.
Auch wenn zwischen den streitenden Fraktionen eindeutig auch inhaltliche Differenzen ausgetragen wurden, spielten sich doch einige wenig hilfreiche Vereinfachungen ab, wie z.B. "Anti-Imps" gegen wahlweise "Hippies", "Studies", "JUKS-Leute" etc. - das halten wir für ausgemachten Blödsinn. Weder produziert das StudentInnendasein automatisch das Bevorzugen einer moderierten Redeliste, noch möchten wir die z.B. in unserer Gruppe vorhandenen antiimperialistischen Einstellungen automatisch kurzschließen mit der Pose des "wer-am-lautesten-schreit-setzt-sich-durch".
Zudem würden wir voneinander erwarten, dass sich auch in unserer Organisierung unsere Ansprüche und Inhalte, z.B. was den Kampf gegen Sexismus angeht, praktisch und nicht nur auf der Bewusstseinsebene niederschlagen. Wir wollen nicht, dass sich im schlechtesten Fall wieder vor allem die Frauen für die Gruppendynamik, soziale Konflikte, Übersetzung etc. verantwortlich fühlen und die Männer sich um Computerkram, allgemein technische Ausrüstung und erste Reihen auf Demos kümmern.

Als weiteren Gewinn einer großen, auch linksradikalen Vernetzung zu G8 sehen wir die Chance auf gute inhaltliche Debatten oder auch Streits darum, was linksradikale Positionen eigentlich heutzutage sind.

Auf dem Treffen in Berlin wurde in den Diskussionen der Inhalte-AG der Versuch unternommen, auch kontroverse Meinungen auszutauschen und sich darin gegenseitig ernst zu nehmen, ohne dauernd mit den üblichen Verflachungen zu arbeiten. Ohne Schaum vor dem Mund konnte hier in einer konstruktiven Atmosphäre diskutiert werden, was wir uns in ähnlicher Form für weitere Treffen, Arbeitsgruppen etc. und insbesondere für das Camp 06 im August diesen Jahres wünschen und auf vielfache Beteiligung hoffen. Allerdings war auch hier der Redeanteil von Männern extrem hoch und weniger Platzhirschgehabe ist auch hier dringend nötig.

Wir wollen uns hier mit ein paar bisher von Gruppen formulierten Thesen auseinandersetzen und darüber hinausgehend einige Debatten aufgreifen, die wir für wichtig halten und unsere Positionen dazu darstellen.
Auch aus unserer Sicht gibt es innerhalb der radikalen Linken viel unschöne Geschichtsvergessenheit in dem Sinne, dass Begriffe wie Internationalismus oder (Anti-)imperialismus vorschnell für unnötig oder gar falsch erklärt werden. Wir teilen den z.B. vom Gegeninformationsbüro GIB formulierten Eindruck, dass es häufig aus einer arroganten oder elitär verstandenen akademischen und im schlimmsten Fall bewegungsfernen antideutschen Perspektive heraus abgelehnt oder angegriffen wird, sich auf soziale Kämpfe früher oder anderswo zu beziehen. Obwohl uns das nervt, halten wir es aber auch nicht für besonders pfiffig, den Begriff "Befreiung" und das Kämpfen darum so zu generalisieren, wie es beispielsweise das GIB in seinem Text "Kapital Macht Krieg"(5) tut. Gegen Besatzung zu kämpfen kann natürlich die Verhältnisse zum Tanzen bringen, aber wenn dahinter reaktionäre Ansichten und Gesellschaftsvorstellungen stehen, ist ein solcher Kampf einfach nichts, worauf wir uns positiv beziehen können und wollen. Wer meint, dies bedeute zwangsläufig, Besatzerregime oder -politik gut zu heißen, hat einen ziemlich engen Blick auf politische bzw. gesellschaftliche Verhältnisse, in denen es nur gut und böse zu geben hat(6). Wir halten wahrlich nichts von dem Gerede, mensch könne kein oben und unten mehr benennen und von "den Herrschenden" zu sprechen sei eine unlautere Personalisierung. Aber wir wünschen uns als Ausgangspunkt solcher Debatten doch, dass gesellschaftliche Verhältnisse als etwas komplexeres wahrgenommen werden, als es in manch plumper Solidaritätsforderung erscheint(7).

Es gab und gibt unserer Ansicht nach leider viel zu oft gerade in Kampfsituationen das Verschieben von scheinbar nach- oder untergeordneten Kämpfen auf später (also oft auf nie) und das Sich-Durchsetzen derjenigen autoritären Positionen, die mit dem Verweis auf die Schärfe der (historischen) Situation blinden Gehorsam einfordern. Es scheint uns den einen oder anderen Streit wert, wo vertikale Strukturen anfangen und wofür sie da sein sollen.

Das Thema, mit wem kämpfen wir oder auf wen beziehen wir uns positiv, bedarf noch einiger Auseinandersetzung.

Was genau bedeutet es denn, Solidarität einzufordern mit beispielsweise den Kämpfen in "Palästina/Israel, Irak, Kolumbien, Nepal, Kurdistan, Baskenland" (vgl. GIB: Kapital Macht Krieg)? Entstehen daraus praktische Folgen für unser Handeln, und wenn ja, welche? Oder bleibt es bei der bloßen Parole? Im Vergleich zu früher scheint es uns auf diesem Feld gerade zu wenig Praxis zu geben. Es gibt heute immer noch Soligruppen, viele Zeitungsprojekte, ein paar Solipartys und Reise-grüppchen hie und da. Auch die häufig recht starken und international vernetzten Proteste gegen Gipfeltreffen etc. sind unserer Meinung nach Ausdruck einer Veränderung in diesem Bereich. Wir denken, hier müssten wir ansetzen und diese bestehenden Initiativen ausbauen, um wieder zu mehr Praxis zu gelangen. Gerade weil es uns nötig erscheint, eine internationale Perspektive zu stärken, ist uns daran gelegen, ein paar Kriterien für Solidarität oder, viel besser, für Zusammenarbeit klarer zu kriegen. Daher zunächst die Frage nach mehr Genauigkeit: welche kämpfenden Gruppen sollen denn z.B. im Irak gemeint sein? Bezieht doch mal Position! Wir können weder mit den Aufständischen aus dem Umfeld der unter Saddam Hussein an der Macht gewesenen Baath-Partei, noch mit den Al-Sarkawi -nahen Kräften irgend etwas anfangen, ganz im Gegenteil. Wir hätten genau bei diesem Thema gerne mal Namen oder Beispiele gehört/gelesen, um endlich mal wieder eingehender zu diskutieren. So finden wir es beispielsweise lohnenswert, sich mit den Positionen der nicht religiösen, also säkular orientierten irakischen Frauenorganisation OWFI (Organisation der Freiheit von Frauen im Irak) mehr auseinander zu setzen, die sich sowohl gegen den Krieg der USA, gegen die Besatzung, aber auch gegen fundamentalistische Widerstandsgruppen ausspricht. Ist es auch eine "privilegierte deutsche linke Ghetto-Debatte" (GIB, "Kapital Macht Krieg"), sich die Unterschiede zwischen anarchistischen HausbesetzerInnen etwa in Iru?ea, den Straßenkämpfen (kale borroka) der militanten Jugendlichen und den häufig autoritären ETA-Strukturen genauer anzusehen? Wie gesagt, bitte hier mal etwas Butter bei die Fische! Es sind doch eher die Projektionen und Darstellungen der Herrschenden und der Repressionsorgane, all diese Gruppen in einen undurchschaubaren SympathisantInnensumpf zu werfen, um alle für alles verantwortlich machen zu können!
Auch eine - vielleicht nicht so gemeinte - unkritische Solidarität mit den Kämpfen in Palästina erscheint bestenfalls als plakative Parole, um in Abgrenzung zu anderen zu treten. Zur Klärung der komplexen Verhältnisse vor Ort trägt sie nicht bei. In der Inhalte-AG auf dem bundesweiten Treffen in Berlin wurde der Aussage nicht widersprochen, dass mensch sich sehr genau die Verhältnisse in den einzelnen Ländern anschauen müsse, was auch den Blick auf die jeweils kämpfenden Gruppen beinhaltet. Der Rechtsruck in der palästinensischen Bevölkerung ist für uns kein Grund, auch nur ein Pünktchen der Kritik an der israelischen Besatzungspolitik zurück zu nehmen. Aber wir müssen deshalb keinesfalls mit der Hamas, dem Islamic Dshihad oder der Fatah solidarisch sein. Es gibt dagegen durchaus andere Gruppen, wie etwa die queere Black Laundry Gruppe, die palästinensische Lesbenorganisation Ashoa oder die anarchists against the wall, die beispielsweise auch grenzübergreifend agieren und uns allein deshalb relativ nahe stehen. Es ist für uns generell ein spannender Punkt, sich mit Kämpfen zu beschäftigen, die nicht in erster Linie aus einer nationalstaatlichen Perspektive heraus entstehen, sondern sich z.B. an sozialen Konfliktfeldern entzünden, wie etwa seit Anfang des Jahres die Streiks der säkular orientierten Busfahrergewerkschaft Vahed im Iran. Zum Schluss hätten wir von GIB und Co gerne noch gewusst, warum in ihrer Aufzählung die Kämpfe in Mexico nicht vorkommen!

Uns ist sehr daran gelegen, in unseren Anti-G8-Positionen und Aufrufen in Bezug auf Internationalismus und Antiimperialismus konkreter und identifizierbarer zu werden.

Die Phase der "strategischen Verbündeten" oder das alte Spiel "der-Feind-meines-Feindes-ist-mein-Freund" ist für uns definitiv vorbei, bzw. hat für viele auch noch nie Gültigkeit gehabt. An diesem Punkt ist viel mehr Genauigkeit nötig und einfache Parolen klären nichts. Die allgemeine Forderung "Solidarität mit den Kämpfen in xy" bleibt verdammt zahnlos, provoziert keine Auseinandersetzung über reaktionäre versus emanzipatorische Kämpfe. Diese Debatte wollen wir aber führen, um linksradikale Positionen klarer zu kriegen und zu äußern, weshalb wir hier ein paar unserer diskutierten Kriterien vorstellen.

- Auch wenn die meisten Kämpfe, riots und sozialen Bewegungen häufig ein Hauptanliegen haben - ein Beharren auf scheinbaren Hauptwidersprüchen ist für uns weit weg von emanzipatorischen und linksradikalen Positionen, weil dadurch andere Herrschaftsmechanismen schlicht ignoriert werden. Als solidarisch begreifen wir uns nur mit denjenigen, die sich ebenfalls auf Diskussionsprozesse darüber einlassen. Um Bewusstsein über verschiedene und zum Teil komplexe Unterdrückungsformen zu entwickeln, muss unserer Ansicht nach auch niemand AkademikerIn sein oder unsere gewohnten Begriffe verwen-den. Mit einem auf Diskussionsbereitschaft aufgebauten Ansatz kommen wir - gerade in internationaler Perspektive - mit Sicherheit weiter als mit einem festgeschriebenen Kodex.

- Für uns stellt eine klare Bezugnahme auf Kämpfe von unten einen wichtigen Punkt dar. Als Beispiel kann mensch etwa gerade in Argentinien wunderbar sehen, wie schnell ehemals emanzipatorische Bewegungen wie einige piqueteros und Stadtteilgruppen durch den Einsatz staatlicher Sozialpläne (eine Art erkämpftes Arbeitslosengeld) aufgekauft und integriert wurden - also mit Methoden, die dem bisher üblichen Klientelismus stark ähneln und darüber hinaus Wut und Auflehnung in kontrollierbare, bürokratische Bahnen kanalisieren. Für die übrigen, die versuchen, von dieser Staatskohle und damit politisch unabhängig zu bleiben, ist die Situation um so härter geworden, diese sind aber diejenigen Gruppen/Menschen, mit denen wir uns vor allem verbunden fühlen(8). Auch den Hype, der hier in der linken/linksradikalen Szene teilweise um Venezuela gemacht wird, können wir so nicht teilen. Auch wenn es dort einen viel größeren Unterschied zu vorher macht, wer nun in der Regierung sitzt, als ein Wechsel im hiesigen Parteienspektrum - wenn AkteurInnen sozialer Bewegungen (was Chavez ja noch nicht mal ist...) an die Regierung kommen, halten wir Skepsis für durchaus angebrachter als Jubel(9).
- Ein weiteres Kriterium ist die Ablehnung von reaktionär orientierten Gesellschaftsvorstellungen, die (fundamental) auf Religion beruhen, bzw. Religion zum Ausgangspunkt ihrer Ideen und Kämpfe machen(10). Christliche FundamentalistInnen stehen für uns ebenso auf der anderen Seite wie diejenigen, die sich für islamische GotteskriegerInnen halten - dabei ist der Streit darüber, ob hier etwa die Bibel oder der Koran falsch verstanden wurde, für uns nicht Gegenstand linksradikaler Debatten. Damit wollen wir uns nicht von solchen SozialrevolutionärInnen distanzieren, deren Überzeugungen auf religiösen Motiven aufbauen. Es bleibt für uns aber entscheidend, solche reaktionären Praxen und Theorien zu bekämpfen, die sich gegen alle diejenigen richten, die aus ihrer Sicht nicht oder anders 'glauben' wollen.
Teil 2 - Vorschläge für Aktionstage während des G8-Gipfels in Heiligendamm

Um jetzt nochmal konkreter zu werden: die Auseinandersetzung mit den bisher veröffentlichten Papieren und die Diskussionen auf den bundesweiten Treffen sowie in unserer Gruppe brachten uns dazu, ein paar Vorschläge für drei Aktionstage in Heiligendamm zu machen. Wir haben den Eindruck, es könnten sich drei große Themenkomplexe herauskristallisieren, die in den bisherigen Debatten häufig auftauchten bzw. von mehreren Gruppen / AktivistInnen / Strömungen stark gemacht wurden. Das ist Ausdruck unserer bisherigen Einschätzung, keinesfalls ein endgültiger Stand und zudem könnte alles bestimmt noch viel besser ausformuliert werden:

Krieg und Imperialismus
Migration
internationalistisch gegen Kapitalismus

Zu diesen drei großen Bereichen gibt es offensichtlich aktive Gruppen und Zusammenhänge, die dazu bereits arbeiten oder Vorschläge dazu gemacht haben - auch wir haben dazu einige Ideen:

Beim Thema Krieg und Imperialismus bietet es sich doch hervorragend an, zu einem Aktionstag am nahe Heiligendamm gelegenen Flugplatz Rostock-Laage aufzurufen. Laage ist Fliegerhorst des Jagdgeschwader 73 "Steinhoff"(11) und hat damit sowohl für die Bundeswehr als auch für NATO-Kräfte Bedeutung. Er spielt zudem eine zentrale Rolle als Startbahn für Eurofighter, die ab Sommer 2006 auf dem Bombodrom-Gelände nahe Wittstock den kombinierten Einsatz von Luft- und Bodentruppen üben wollen, was nicht wenige in der Region seit Jahren zu verhindern suchen. Gerade die Verbindung dieser für die Modernisierung der weltweiten NATO-Kriegsführung bedeutsamen militärischen Infrastruktur mit einer lokalen Protestbewegung gegen das Bombodrom verheißt die Möglichkeit, dass an einem solchen Aktionstag viel mehr als nur ein paar tausend Linksradikale mobilisierbar sind. Der Flugplatz liegt direkt an der Autobahn Berlin-Rostock und stellt sich somit als ein ideales Aktionsterrain dar. Daneben ist vorstellbar, dass zum G8-Gipfel dieser Flughafen einen Teil der benötigten Infrastruktur darstellt und einige Gipfelschweine dort auch einschweben werden.
Wir meinen deshalb, ein Aktionstag in Laage eignet sich ganz großartig, um nicht nur Kriege ganz im allgemeinen zu kritisieren, sondern konkrete Infrastruktur sichtbar und angreifbar zu machen. Inhaltlich wären wir hier noch gefordert, die eher schleichende Militarisierung des Alltags zu thematisieren, wobei eine Schwierigkeit darin besteht, zwischen Ideologien, Testballons und tatsächlich realisierter Militarisierung zu unterscheiden. Da ist manch ein Punkt noch ganz schön unausgereift. So war es in unseren Diskussionen relativ unstrittig, dass der Plan, die Akzeptanz für die Bundeswehr an der Flut-, Schnee- oder nun eben Vogelgrippefront herzustellen, leider viel zu gut aufgeht. Ebenfalls einig waren wir uns darüber, dass die Einsätze von Polizei und Militär nicht erst seit der CDU-Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr während der Fussball-WM ineinander über gehen. Weit hitziger und geradezu schwierig gestaltete sich das Ringen um eine Einschätzung der Rolle, die Frauen in dieser Entwicklung spielen. Gibt es eine Art rundumerneuerte Frauen-zurück-an-den-Herd-Ideologie? Oder darf die starke Mutter von heute neben anderen Doppelbelastungen auch Waffen tragen? Oder dann doch nur den Versorgungspanzer fahren?

Zum Bereich Migration existiert bereits eine AG und wir gehen davon aus, dass von dort aus sowohl inhaltliche Schwerpunkte als auch praktische Aktionsvorschläge gemacht werden. Wir möchten uns an dieser Stelle kritisch mit einigen Punkten auseinander setzen, die von dort agierenden Gruppen, z.B. der glocal group Hanau vertreten werden. Diese Kritik verstehen wir ausdrücklich im Rahmen einer nicht zuletzt strategischen Diskussion, auf welche Weise wir uns als Linke im noch immer reichen Norden zu MigrantInnen ins Verhältnis setzen, wieviel wir uns von einer gemeinsamen Organisierung unter diesem doch so häufig erzwungenen Label versprechen. Wir kritisieren den Blick der HanauerInnen auf Migrierende, die politischen Konzepte, die sie aus ihren Einschätzungen ableiten - die wie auch immer gearteten Wirklichkeiten der MigrantInnen selbst stehen dabei nur insofern zur Debatte, um der aus unserer Sicht zu widerspruchsfrei geratenen Sichtweise der HanauerInnen zu widersprechen. Für unsere grundsätzliche Solidarität ist diese Diskussion zunächst einmal weitgehend irrelevant. Wir teilen die Gegnerschaft der glocals zu Grenzregime und kapitalistischem Menschenhandel und sind grundsätzlich erst einmal mit allen solidarisch, die diesem Scheiß ausgesetzt sind. Dieser Zugang kann im schlechten Falle, wie von ihnen kritisiert, dazu führen, MigrantInnen in einer Opferrolle festzuschreiben, was klassischerweise zu einem bevormundenden Umgang führt und die Grenzen zwischen �ihnen' und �uns' weiter zementiert. Ein Zugang aus der Ablehnung des Bestehenden heraus kann aber ebenso gut Ausdruck der Weigerung sein, die Leute auf ihr MigrantInnensein stärker festzunageln, als es die Erfordernisse der Abwehr von Diskriminierung und Ausbeutung nötig machen. Und damit dann genau die Festschreibung auf die MigrantInnenrolle aufzuweichen. Dabei ist uns die Schwierigkeit bewusst, dass auch eine solche Begegnung auf Augenhöhe immer die Erfahrungen der Leute würdigen muss; antirassistische Politik somit auf absehbare Zeit gezwungen bleibt, die Sonderstellung von MigrantInnen anzuerkennen, die sie doch gleichzeitig überwinden will.

Wir halten es für irreführend, wenn in Bezug auf Migration als Phänomen Form und Inhalt gleich gesetzt werden, nach dem Motto "viel illegal = viel gut". Eine illegale Organisierung von Flüchtlingen und Aneignungsprozesse werden augenscheinlich positiv gesehen. Auch hier findet für uns - ähnlich wie bei internationaler Solidarität mit kämpfenden Gruppen, s.o. - ein zu undifferenziertes Abfahren auf "die Flüchtlinge" statt. Nur wenig thematisiert wird z.B. die Tatsache, wer überhaupt die Chance hat, hier in den Metropolen anzukommen. Dies sind in allererster Linie junge gesunde Männer. Alleinstehende Frauen mit Kindern haben noch mal viel weniger Chancen, sich auf die lange, teure und teilweise sehr gefährliche Reise zu begeben. Schon allein, weil die Familien in den Herkunftsländern ihr weniges Geld natürlich dem zur Verfügung stellen, von dem sie sich am ehesten einen Geldtransfer aus den Metropolen erwarten. Diese durch die Verhältnisse erzwungene survival-of-the-fittest-Logik wird dann schön geredet, wenn Migranten (in diesem Sinne hier ohne großes I) als "Pioniere einer Globalisierung von unten"(12) bezeichnet werden. Dagegen ist ein emanzipatorischer Prozess manchmal vielleicht sogar eher bei den 'daheim' gebliebenen Frauen festzustellen, insofern, als der 'Herr im Hause' nicht mehr da ist und viele Frauen dadurch eine viel selbständigere Stellung und Freiheiten gewinnen und sich diese nicht mehr nehmen lassen.
Es kommt doch darauf an, wer sich zu welchem Zweck organisiert; Frauenhandel und Zwangsprostitution ist natürlich auch illegal und wird nicht gerade selten von Menschen ohne deutschen Pass betrieben - dass daran nichts emanzipatorisches ist, versteht sich von selbst. Schlepperstrukturen sind mal solidarisch und okay, aber eben teilweise auch übel und menschenverachtend - auch hier sollten wir in der Lage sein, differenziertere Einschätzungen zu formulieren.

Es wird auch des öfteren eine Art Kollektiv der MigrantInnen erfunden, das so natürlich nicht existiert(13). Die MigrantIn ist nicht deshalb revolutionär, weil sie diesen Status hat, sondern, wenn sie die herrschenden Macht- und Gesellschaftsverhältnisse radikal ablehnt und bekämpfen will - was für uns und alle anderen auch gilt(14). Etwas vereinfacht gesagt: Natürlich begrüßen wir die Ankunft von MigrantInnen, die hier lediglich ihren berechtigten Anspruch am weltweiten Reichtum erstreiten wollen. Und wollen trotzdem nichts mit denen zu tun haben, die die miesen kapitalistischen Spielregeln gerne und ohne Rücksicht auf Verluste anwenden.
Wir schlagen daher vor, eine negative Perspektive gegen Grenzregime und Abschiebemaschinerie einzunehmen, aber uns nicht positiv auf das zu beziehen, was diese Scheiße aus den Menschen (in dem Fall Flüchtlingen) macht. Betonen sollten wir statt dessen Gemeinsamkeiten im realpolitischen Kampf um die Verbesserung von Lebensbedingungen im Hier und Jetzt, denn "Alles für alle" wird sonst zur reaktionären Parole. Das Recht auf ein schönes Leben verträgt sich natürlich nicht mit Grenzregimen, Abschiebung und Lohnklau bei Illegalisierten. Im Gegensatz zum Zugang der Hanauer glocals denken wir, dass es nötig ist, uns klar gegen Ausgrenzungen zu positionieren, statt erzwungene (wenngleich real erfahrene) (Migrations)Identitäten von uns aus positiv zu besetzen. Dies können maximal die Leute selbst als subversiven Akt probieren.
Wir sehen auch nicht, dass Migration an sich eine Bedrohung für das kapitalistische System ist, die als "eine soziale Bewegung [...] das durch Grenzen konstruierte Ausbeutungsgefälle angreift und herausfordert"(15). Der Nutzen, den das Kapital durch Migration und Illegalisierung von Tausenden hat, wird in diesem Papier auch nicht ansatzweise thematisiert. Schlimmer noch als Jugendliche, StudentInnen oder Ein-Euro-JobberInnen, die zu Billiglöhnen arbeiten, werden MigrantInnen aufgrund ihrer Verhältnisse zu LohndrückerInnen gemacht, gezwungen, die miesesten Jobs für die miesesten Löhne anzunehmen. Sie können sich eben nicht alle auf ALG II oder ähnliche staatliche Transferleistungen zurückziehen, solange ihr Status so ist, wie er ist. Dies sieht das Kapital gerne und es ist keinesfalls eine Bedrohung, sondern eine Voraussetzung für das Erwirtschaften von Extraprofiten durch verschärfte Ausbeutung.

Gerade hier ergibt sich eine Perspektive für gemeinsame Kämpfe auf eben gleicher Augenhöhe. Auch in den Metropolen scheint es nicht mehr notwendig zu sein, halbwegs erträgliche Lebensverhältnisse für die überwiegende Mehrheit der hier Wohnenden zu garantieren. Wagenburgen, Häuser, Wohnprojekte werden schikaniert und vertrieben, SozialhilfeempfängerInnen durch Hartz 4 in sinnlose und repressive Bewerbungsschleifen und 1�-Jobs gepresst. Das heißt in der Konsequenz, dass kein Überleben jenseits der neoliberalen (Selbst-) Zurichtung erwünscht ist: "Fördern und Fordern", um die Loyalität zum Wahnsinn nicht zu gefährden. In dem Moment, wo die Suche nach Alternativen zum Ämter- und (Lohn-) Arbeitswahnsinn dringender und für eine breitere Schicht aktueller wird, werden diese Alternativen verstärkt unter Druck gesetzt oder abgeschafft. Der Arbeitsterror verschärft sich seit Jahren auch in den Metropolen und lässt seine Schleier auch dort fallen. Working poor, Prekarisierung und De-Regulierung läuten das Ende der historisch bedingten Ausnahme (in Deutschland "Sozialstaat" genannt) von der kapitalistischen Normalität ein. Für uns gilt es deutlich zu machen, dass diese Veränderungen in den Metropolen (auf einem anderen Niveau) genauso Auswirkungen der veränderten Weltordnung und Kapitalstrategien sind, wie die Maquiladoras und die High-Tech-Sweatshops in China. Nur, dass die kapitalistische Realität im Trikont schon immer brutaler aussah als in Westeuropa oder den Vereinigten Staaten. Doch unterschiedliche Ausgangslagen und Lebensrealitäten der Betroffenen bedeuten nicht gleich unterschiedliche Ziele. Gerade zu diversen Gipfelmobilisierungen war in den letzen Jahren schon mitzuerleben, dass die Exekutive der Kapitalverwertung (G8, WTO, IWF, Uniformen usw.) auf weltweiten Widerstand stößt, ob von Menschen aus Chiapas, indischen Bäuerinnen und Bauern oder Erwerbslosen-Initiativen westlicher Länder. Diesen transnationalen und emanzipatorischen Widerstand, als dessen Teil wir uns verstehen, gilt es auszubauen und zu verstärken!

Als letzter Punkt und Lieblingsthema stellt sich uns die Frage, wie sich das Thema Krieg und Imperialismus noch um eine internationalistische antikapitalistische Perspektive erweitern läßt. Dort, wo die NATO-Panzer rollen, mögen die Widersprüche am verschärftesten sein, aber sie sind das letzte Mittel in diesem Spiel. Vorher kommen die Konzerne, die internationalen Agenturen, die BeraterInnen, die EntwicklungshelferInnen, WissenschaftlerInnen, die die vorhandenen Ölvorkommen oder Bio-diversität zum Zwecke der Vermarktung erforschen etc. - auch diese Aktivitäten können gut entlarvt und gegebenfalls angegriffen werden! Erst im nächsten Schritt kommen militärische Hilfe, Unterstützung bei der Ausbildung von Polizeieinheiten, low intensity wars usw. zum Einsatz. Wie sagt es doch der neoliberale Kolumnist der New York Times und Buchautor, Thomas Friedman: "Die verborgene Hand des Marktes wird niemals ohne eine verborgene Faust funktionieren. McDonald's kann ohne McDonell-Douglas(16) nicht gedeihen. Und die verborgene Faust, welche dafür sorgt, dass die Welt sicher ist und die Technologien aus Silicon Valley florieren können, heißt US-Army, Air Force, Navy und Marine Corps." Wir fügen hinzu: schnelle Eingreiftruppen und Task Forces der EU, Bundeswehr sowie internationale Organisationen wie der IWF mit seinen erzwungenen Strukturanpassungsprogrammen, die Weltbank und auch nationale Institutionen wie die GTZ in Deutschland, die beispielsweise die Wasserprivatisierungen in Cochabamba/Bolivien mit voran getrieben hat - und nicht zuletzt natürlich die G8.
Jüngstes Beispiel für diese Art Kollaboration von Scheckbuch und Knarre ist die Mine Lueshe im Ostkongo. Zuerst durch Privatfirmen betrieben(17), kaufte sich die Bundesregierung 1994 höchstpersönlich in die Mine ein. Ihre Mitspracherechte nutzte sie aus außenpolitischen Erwägungen, den Verkauf der Mine zu verhindern. Die Sicherheit der Mine wurde gegen Schutzgelder von der Rebellengruppe RCD gewährleistet. Diese operiert genauso wie die deutsche Diplomatie vom benachbarten Ruanda aus, einer ehemaligen deutschen Kolonie. Der mit diesen Geldern finanzierte Bürgerkriegs muss nun als Legitimation für eine deutsch-europäische Militärintervention herhalten.

Solange arm gemachte Länder mittels ihrer reich gemachten Regierungen die ökonomische Durchdringung durch die transnationalen Konzerne zulassen (bzw. dazu durch den IWF oder andere, z.T. auch bilaterale Abkommen gezwungen werden) und Milliarden von $ oder � in die Kassen derselben transferieren, muss kein Panzer rollen und kein Bomber aufsteigen. Ganz vorne mit dabei sind eben nicht nur Regierungen und internationale Organisationen, sondern Konzerne, Multis und solche, die es gerne werden wollen.
Für uns scheint das (immer noch) ein Punkt zu sein, an dem praktischer Internationalismus ansetzen kann und sollte. Wir halten es nicht für überholt, den Konzern Coke hier dafür anzugreifen, dass er in Kolumbien Gewerkschafter umlegen lässt. Ein Bezug auf bereits existierende Kämpfe mit emanzipatorischen Inhalten kann nur helfen und diese verbreitern: in Italien kam es im Vorfeld der Olympiade zu mehr als 40 Störaktionen gegen den Hauptsponsor der Spiele. In den USA boykottieren mittlerweile mehr als 20 Universitäten Coke-Produkte. Der Konzern ist auch ein Player im globalen Spiel der Wasserprivatisierung. In San Cristobal/Chiapas und anderswo wird den Privathaushalten das Wasser abgedreht, wenn die Coke-Abfüllbetriebe Wasserbedarf haben. Wir wollen hier nicht eine konkrete Kampagne (die gibt es ja auch schon!) gegen Coke vorschlagen, sondern dafür streiten, uns ganz konkret mehr auf transnationale Konzerne zu konzentrieren und diese anzugreifen, wo es nur geht. Was unter unerträglichen Arbeitsbedingungen vor allem von Frauen in den maquiladoras Mittelamerikas und den Freihandelszonen Chinas hergestellt wird, wird vielfach hier geplant und hier verkauft (vor allem wird hier daran verdient) - und die Verhältnisse sind somit auch hier angreifbar!
Wir wissen nicht, ob die Nationalstaaten an Einfluss verlieren oder nicht, obwohl wir heftig und intensiv darüber diskutiert haben. Und falls ja, ob zugunsten von Konzernen oder supranationalen Veranstaltungen. Für beides gibt es gute Argumente: Einzelne Großkonzerne werden immer einflussreicher und größer und internationale Abkommen verpflichten Staaten, bestimmte (neoliberale) Standards einzuführen und sprechen ihnen somit ihre Souveränität ab. Auf der anderen Seite werden auch die internationalen Abkommen von Staaten geschlossen und gerade die Bereiche Legitimation der Marktwirtschaft und Repression gegen ihre Gegner sind immer noch eine eindeutige Domäne der Nationalstaaten. Und global gesehen waren viele Staaten (vor allem auf der Südhalbkugel) noch nie besonders stark. Vielleicht ist das im einzelnen aber auch gar nicht so wichtig, da das eine (die Multis) nur mit dem anderen (dem bürgerlichen Staat) gedacht werden kann und umgekehrt. Und darüber hinaus aus unserer Sicht natürlich eh alles zur Disposition steht.

Wichtig wird es an dem Punkt, wenn wir überlegen: was sollen denn unsere Aktionsfelder sein?

Wir sollten - nicht nur im Hinblick auf Sommer 2007 - versuchen, Punkte zu finden, an denen sich Kämpfe und Widerstände bündeln und vernetzbar sind. So findet der Kampf gegen Wasserprivatisierung sowohl in den reichen Metropolenländern als auch im Trikont statt(18). Er hat damit etwas tendenziell Verbindendes, wobei die Kämpfe hier leider bei weitem nicht so offensiv wie etwa in Cochabamba/Bolivien sind, wo nicht nur eine Rücknahme der Privatisierung erreicht werden konnte, sondern auch eine demokratische Kontrolle eingefordert und ausprobiert wurde. Wir dürfen eben auch hier nicht die Unterschiede verwischen und nivellieren. Im Trikont ist der Kampf um ungehinderten Zugang zu Wasser häufig ein Kampf um Leben und Tod, hier in den Metropolen sind wir vorerst nur über die steigende Wasserrechnung unmittelbar betroffen (und abstrakt von der Gewinnmaximierungslogik, dass die transnationalen Konzerne versuchen, möglichst jeden Bereich des öffentlichen Lebens zu kommerzialisieren und daraus Profit zu schlagen).

Privatisierung von bisher freien (oder öffentlichen) Gütern geschieht in Ländern des Trikonts wie hier - genauso unterliegen auch hier Arbeitsbedingungen und Sozialpolitik immer mehr Einschnitten und Angriffen, wenn auch noch nicht so tödlich wie anderswo. Die beste internationale Solidarität ist nicht die moralisch begründete, die nur auf die Verhältnisse woanders schielt und diese unerträglich finden mag, während es hier ganz passabel ist, sondern die Verbindung von Lebensbedingungen und Widerstand hier und dort. Beim Thema Wasserprivati-sierung kommt hinzu, dass die Gegner dieselben sind: Suez, RWE, Veolia (früher Vivendi) und Coke nehmen im Trikont den Tod von Tausenden zur Steigerung ihrer Profitraten in Kauf, und hier zwingen sie uns über die Erhöhung der Wasserrechnung, entweder mehr zu arbeiten oder den berühmten Gürtel noch enger zu schnallen.
Der Kampf gegen genveränderte oder patentierte Lebensmittel bringt hier zumindest einige VerbraucherInnen und BäuerInnen zusammen, im Irak beispielsweise gilt für die BäuerInnen momentan eine vom Zivilverwalter Paul Bremer erlassene Richtlinie, wonach nur noch US-patentiertes Saatgut verwendet werden darf. Eine Wiederaussaat aus Teilen der letzten Ernte ist unter Strafe gestellt, die Saatgutrechte gehen über auf den Agrobusinesskonzern Monsanto, der im Irak eine Monopolstellung innehat. In McPomm wird es im Sommer 2007 Genfelder geben - sie können dort (und natürlich nicht nur dort) ein Aktionsfeld im wahrsten Sinne des Wortes sein.

Der Orte und Anlässe gibt es unserer Ansicht nach mehr als genug - legen wir los!
autopool, Berlin, Frühjahr 2006

Endnoten:

1 Die Eckpunkte stehen auf http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/de/pgainfos/hallmde.htm
2 im Text "Dissent - dem globalen Kapitalismus entgegentreten. Thesen zur linksradikalen G8-Mobilisierung 2007" Gruppe Six Hills, Berlin, Nov. 2005, siehe http://www.gipfelsoli.org/Heiligendamm/sixhills_november2005.html
3 In der Hinsicht fanden wir einige berlinweite Nachtreffen ganz produktiv. Dort wurde sich darüber ausgetauscht, wie sich bspw. gute und schlechte Erfahrungen aus früheren Vollversammlungen im Mehringhof heute auswirken, oder warum viele es z.B. im Hinblick auf internationale Treffen für unabdingbar halten, mehr Zeichensprache zu benutzen
4 Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass viele schon sehr schlechte Erfahrungen mit scheinbar neutralen, basisdemokratischen Moderationen gemacht haben, z.B. im Anti-Castor-Widerstand, wo bestimmte (häufig militantere) Positionen tatsächlich wegmoderiert worden sind. Auch beim Anti-G8-Widerstand in Gleneagles wurden diejenigen Meinungen quasi totmoderiert, die sich dafür aussprachen, trotz der Anschläge in London an den Demos festzuhalten. All solche Erfahrungen erklären andererseits nicht manche Überreaktion auf den bundesweiten Treffen, die davon ausging, immer aus Prinzip und absichtlich übersehen worden zu sein.
5 "Kapital Macht Krieg - die Beherrschung verlieren!"(http://gipfelsoli.org/Inhalt+Theorie/Kapital_Macht_%20Krieg.html)
6 Wir halten es zudem für eine durchaus haltbare Position, gegen den Krieg im Irak aktiv zu werden, ohne uns positiv auf "den irakischen Widerstand" zu beziehen. Praktisch heißt das nicht, wie vom GIB gern und schnell kurzgeschlossen wird, dass wir im Zweifelsfall nicht solidarisch sind, sondern dass es uns von vorne herein ein eigenes Anliegen ist, gegen den Irakkrieg etwas zu machen - erst daraus ergibt sich die Perspektive, sich positiv, negativ oder kritisch auf den dortigen Widerstand zu beziehen.
7 Auch wenn es uns freut, dass auch Öl-Multis (Bsp. Shell in Nigeria) angreifbar sind, haben wir das Bedürfnis, genauer zu wissen, wer da kämpft und wie solidarisch wir damit sein können. Gerade an solchen Punkten, wo es um Besitz, Verteilung und Abhängigkeiten von Rohstoffen und natürlichen Ressourcen geht, sehen wir aber Potenziale und sogar die Notwendigkeit, unsere Positionen zu schärfen. Dabei schielen viele von uns bestimmt mit mehr Bewunderung oder Interesse auf diejenigen KämpferInnen, die mit der Waffe in der Hand spektakuläre Aktionen begehen, als auf beispielsweise Frauen, die sich in Argentinien leer stehende Häuser nehmen, Volksküchen organisieren und in besetzten Fabriken und der Landlosenbewegung teilweise die Mehrheit bilden. Dem Thema Ressourcen im weiteren Sinne und Grundbedürfnissen, z.B. der Agrarfrage, wie Bremen sie aufgeworfen hat, sollten wir uns gerade als internationales und aktuelles Thema viel stärker als bisher stellen.
8 Zur Situation in Argentinien, auf die wir uns hier beziehen, siehe den Artikel " Erkämpfte Ordnung, verordnete Kämpfe | Argentiniens soziale Bewegungen zwischen Selbstorganisation und Klientelismus" von Birte Gold in der iz3w Nr. 289, November 2005 (http://www.iz3w.org/iz3w/Ausgaben/289/LP_s13.html). Ziemlich treffend zur Situation der sozialen Bewegungen unter mehr oder weniger linken Regierungen in Lateinamerika formuliert auch das argentinische AktivistInnen/KünstlerInnen-Kollektiv colectivo situaciones: "Die neoliberalen Lebensbedingungen, die durch den Zusammenbruch der vormaligen (wohlfahrts)staatlichen Strukturen und Entwicklungsmodelle entstanden waren, existieren unverändert weiter, nur der neoliberale Diskurs der neunziger Jahre ist verschwunden" in der Jungle World Nr. 9 vom 1.März 2006 (http://www.jungle-world.com/seiten/2006/09/7289.php)
9 Dass auch bei Chavez z.B. Antikolonialismus nur leeres Gerede ist, zeigt das Beispiel vom 12.Oktober 2004, dem Tag des indigenen Widerstandes: AktivistInnen aus Basisorganisationen hatten eine fette Kolumbusstatue niedergerissen, woraufhin Chavez diese öffentlich als Straftäter und Verräter bezeichnete - kurz zuvor hatte er eine flammende Rede gegen Kolonialismus gehalten...
10 Hierzu müssten auch noch genauere Diskussionen und Definitionen her, etwa in Bezug auf religiöse Gesellschafts- oder Naturvorstellungen und Ideen in z.B. Indigena-Bewegungen oder auch was eurozentristischen Naturwissenschaftsglauben angeht.
11 Wie könnte es anders sein, der Namensgeber Johannes Steinhoff (1913-1994) war mehrfach ausgezeichneter Pilot der nationalsozialistischen Luftwaffe und später ganz vorne mit dabei beim Aufbau der Luftstreitkräfte der Bundeswehr, sowie hohes Tier in der NATO.
12 z.B. in dem Papier: "Aneignung - Migration - Prekarisierung eine 3-D-Kampagne in Hanau" (http://www.metzgerstrasse-hanau.org/3d/text.html)
13 Zudem fallen unter den Begriff "MigrantInnen", wie er meistens in der linken Szene verwendet wird, meistens nur diejenigen, die vor Verfolgung, Krieg, Armut etc. flüchten - diese stellen aber nur einen Teil derjenigen dar, die aus verschiedensten Gründen und unterschiedlichsten sozialen Lagen heraus migrieren. Auch hier wäre ein genauerer Begriff erforderlich.
14 Die alltägliche Erfahrung von Unterdrückung und Ausbeutung entlang rassistischer und/oder sexistischer Schemata muss zwar anerkannt werden, sagt aber noch nichts darüber aus, welche persönlichen Konsequenzen aus dieser aufgezwungenen Sensibilisierung gezogen werden. Insofern bleibt das Dilemma als Herausforderung bestehen, Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus etc. gleichzeitig anzuerkennen und überwinden zu wollen.
15 im selben Papier aus Hanau
16 Bis zur 1997 erfolgten Übernahme durch Boeing US-amerikanischer Rüstungskonzern, der vor allem Militärflugzeuge herstellen ließ
17 Abnehmer ist unter anderem die deutsche Firma H.C. Starck, Goslar, eine Tochterfirma der BAYER AG. Die Mine liefert Rohstoffe für Düsenmotore und Raketenteile.
18 Wir benutzen weiterhin die Begriffe "Trikont" und "Metropolen", obwohl sich auch hier erhebliche Veränderungen ereignet haben. Die zwar kleinen aber fast überall vorhandenen Zonen des Reichtums in vielen trikontinentalen Ländern verdeutlichen die Notwendigkeit von Differenzierung und auch neuen Einordnungen einhergehend mit der Benutzung neuer Begriffe.

autopool April 2006