Burn Berlinale, burn!

Telepolis 17.Febraur 2007

Globalisierungsgegner auf der 57. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals

Die Berlinale wird für Aktivisten im Zuge der Debatte um Urheberrechte immer mehr zu dem, was Davos und G-8-Gipfel-Treffen für Globalisierungsgegner sind: Ein Schauplatz des Protests. In Anlehnung an “Burn Hollywood, burn!” lautet die Devise “Burn Berlinale, burn!”. Eine in zunehmenden Maße sichtbarer werdende Gruppe von Berlinale-Gegnern sehnt sich den Untergang des Celluloid-Olymps herbei und preist das Internet als herrschaftsloses Distributionsmittel. Auch wenn sich die winkeligen Gassen am Potsdamer Platz noch nicht in Schlachtstätten verwandelt haben, auf denen Polizei und Demonstranten aneinandergeraten – ein leises, dissonantes Rauschen hat sich über das bunte Treiben der 57. Berlinale gelegt. Ob Besucher, geschweige denn Berliner, die die Berlinale nicht besuchen, etwas davon mitbekommen, ist eine andere Frage. Doch er ist da. Unter uns. Der Globalisierungsgegner alias Urheberrechts-Aktivist ist aus der Festivallandschaft vermutlich nicht mehr wegzudenken.

Er tritt nicht vermummt und steinewerfend auf, man begegnet ihm weder allein, noch in der Masse. Vielmehr lässt er Medien für sich sprechen. Poster etwa sind in der ganzen Stadt zu finden, die auf den ersten Blick aus dem Berlinale-Designlabor entsprungen scheinen. “Raubkopie” in fettgedruckten Buchstaben, dann etwas kleiner: All the bad and bons of Films / Berlinale like Remake Free / In L’Internet Again and Again! Darunter die url: www.copiepirate.com. Eine Anti-Piraterie-Werbung der Berlinale? Schlechtes Englisch lassen auf etwas anderes schließen. Der Veranstalter würde so nicht auftreten, selbst wenn es darum ginge, seine Feinde zu denunzieren. Nein, hier muss es sich um eine Selbstparodie handeln. Doch auch der Besuch der Website bringt keine endgültige Gewissheit. Hier ist wieder alles im Berlinale-Stil gehalten. Und die Inhalte bestehen aus Berlinale-Filmen, die sich jeder kostenlos anschauen darf:

Sehen Sie die Premieren der Internationalen Filmfestspiele Berlin kostenlos im l’Internet! Die Piratenkopien der Regisseurin Irene Revolte enthalten alles, das internationales Kino enthält! In nur einem Tag von der Presseaufführung, sie drehen im Ort in Super8, die an das Laboratorium entwickeln und für ihn in publiziert für jeden im Internet. Schätzen Sie den legalen oder illegalen Downloads! Jeden Tag neu die ganzen schlechten und und guten der Filme von Berlinale als Remake oder kostenlos frei im Internet!

Das Ganze kommt als Super-8-Blog daher. Täglich ein bis zwei “Mitschnitte” – YouTube für Lowtech-Romantiker. Doch statt tatsächlicher Mitschnitte, besteht das Material offensichtlich aus selbstgedrehtem Zeugs, das mehr oder weniger darum bemüht ist, den Originalen nachzueifern. Für “2 Days in Paris” reicht ein unrasierter Darsteller mit blonder Perücke, um die Hauptdarstellerin zu ersetzen und wer sich durch die ganzen Clips clickt, stellt fest, dass auch das Personal dieses Piratenschiffs aus nicht mehr als dem Kapitän zu bestehen scheint – ein Geisterschiff aus den Untiefen der digitalen Karibik. Selbst für den Eröffnungsfilm reichen Perücke und Selbstermächtigung: Edith Piaf im Transvestitenlook und ein paar Kommentare des spürbar angetrunkenen Kapitäns, um den Anblick nachvollziehbar zu machen:

Wenn die Wuerfel Marcel der Schrauben mit den Flugzeugen teilen, bricht er fast das Herz an Edith und hat seinen Schmerz mit dem Alkohol und den Suchtmitteln versucht.
Eine neue Generation von Zuschauern

Ganz anders der Auftritt der Initiative Private Cinema (1). Auf Plakatdruck wurde verzichtet. Auch gibt es keine Website, stattdessen eine Verlautbarung, die via Email im Internet kursiert:

Zur Berlinale haben wir, was die Clubs, die uns damals am besten gefielen, zur Love Parade hatten, nämlich: geschlossen.

Mit diesen Worten beginnt ein Text, der die Anliegen der Urheberrechtsaktivisten zum Gegenstand macht. Hier wird quasi die Theorie und die argumentative Arbeit nachgetragen, die man bei www.copiepirate.com vergeblich sucht. Hier wird auch kein Zweifel daran gelassen, auf welcher Seite man steht. Keine selbstironischen Hacks im No-Logo-Stil, kein postmodernes Spiel der Zeichen. Hier wird Tacheles geredet, wenn auch sehr verklausuliert. Manifestartig nehmen Schachtelsätze die Bewerbung des Berlinale-Bonbons “Berlin Alexanderplatz Remastered” (2) auseinander, um nach einer Adrenalin-diffundierenden Kritik des Verwertungssystems den Besuch der Vorstellung im Internet anzubieten: einen Download namens “Berlin Alexanderplatz Redistributed” (3).

Nicht ohne Begründung schlagen die namenlosen Kinopiraten vor, den Besuch vor Ort zu boykottieren. Auch dafür gibt es Argumente: Das Kino sei von einer Gemeinschaft all jener, die sich für Bilder interessieren, “zu einer Lobby geworden, die deren Betrachtung um jeden Preis zu verhindern versucht, zu einem Laden, der in Feierlaune nur noch gerät, wenn sich das Verrecken seiner besten Leute jährt, zu einer Firma, die fünfundzwanzig solcher Jahrestage braucht, um fünfzehneinhalb Stunden Film von sechzehn auf fünfunddreißig Millimeter zu kopieren und ins Kino zu bringen.”

Eine neue Generation von Zuschauern wolle sich das nicht gefallen lassen, sie setzte ihr Interesse an Bildern gegen eine Klasse durch, “die in Verhandlungen und Diskussionen um die Nutzung und Neuauswertung von Stoff- und Produzentenrechten so hoffnungslos verstrickt ist, dass sie nicht einmal merkt, dass ihr die Kontrolle über das Kino längst unwiederbringlich abhandengekommen ist”. Und zwar mit den Mitteln eben jener modernsten Digitaltechnik.

Dass es auch anders geht, zeigt Reik Kirchhof. Er hat mit seinem IPD-Projekt (4) eine intellectual property depesche zur Berlinale herausgegeben: Nachrichten und Hintergründe rund um das geistige Eigentum. Seine Broschüren liegen immerhin auch in den Wartehallen der Berlinale-Kinos herum und dürften somit Menschen in die Hände fallen, denen die anderen Aktionen entgehen werden, weil sie ihren Blick nur auf eines gerichtet haben: die Leinwand. Und die Tür, die zwischen ihnen und dem Lichtbild steht.

Krystian Woznicki