Aktivismus und Trauma

Über die emotionalen Folgen von Polizei (und anderer) Brutalität - und wie wir da wieder rauskommen
Die Verfassung, in der wir uns nach Erfahrungen von Brutalität (sei es direkt oder indirekt) befinden können, wird von PsychologInnen und Co. als "Post-traumatischer Stress" (PTS) bezeichnet. Sie teilen die Reaktionen in drei verschiedene Bereiche ein.

Zeichen von Post-Traumatischem Stress:
Wieder-Erleben des Erlebten:
Alpträume, Flashbacks, intrusive (immer wiederkehrende) Erinnerungen, das Gefühl, dass das Erlebte einen nicht mehr los lösst, etc.

Vermeidungsverhalten/Verdrängungsverhalten:
Erinnerungsverlust, erhöhter Alkohol/Drogenkonsum, Selbst- isolierung, Vermeidung von allem, was mit dem Erlebten zu tun hat oder einen daran erinnert, Distanz zu dem Geschehenen aufbauen, etc.

Erhöhte Erregung:
Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Gefühlsausbrüche, Wutausbrüche, Angst, Panik, Konzentrationsschwierigkeiten, Schreckhaftigkeit, etc.

Dies sind häufige Reaktionen auf extreme Erfahrungen. Viele Menschen haben dies erlebt - und überlebt.

Um eine Besserung zu erreichen, helfen vor allem 2 Ansätze:

1.Sich für längere Zeit an einem Platz aufhalten, an dem du dich sicher fühlst, Ruhe hast und dich mit Menschen umgeben, denen du vertraust.

*2.Die Erfahrung verarbeiten. Das Erlebte in Worte fassen, auch wenn es wieder und wieder erzählt wird, oder die Emotionen auf andere Weise ausdrücken.

Für ca. 70% der Menschen verschwinden die Symptome nach ungefähr 4-6 Wochen. Bleiben sie bestehen, wird diese Verfassung als PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) bezeichnet und ist so ernst, dass sachverständige Hilfe erforderlich ist. (Dies kann auch hilfreich sein, wenn die Symptome schon vorher das Leben stark erschweren.) Es besteht die Möglichkeit, dass PTBS erst Monate oder sogar Jahre nach der Erfahrung auftritt. PTBS ist sozusagen eine Verarbeitungsstörung, d.h. die Erfahrung kannn nicht verarbeitet werden. Verschiedene Therapieformen können helfen. Ziel ist es, das Trauma in das Leben zu integrieren, es kann nicht ungeschehen gemacht werden und es hat die Person verändert.
Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf ein Trauma und in unterschiedlicher Intensität.

Mögliche Reaktionen nach einem Trauma
Nicht in der Lage sein, aufreibende Bilder und Erinnerungen beiseite zu legen, Flashbacks (das Gefühl wieder in der erlebten Situation zu sein), Alpträume

Depressionen, keine Freude am Leben haben , sich allein/verlassen fühlen

Sich taub, abgeschaltet fühlen

Sich zurückziehen, soziale Aktivitäten fallen lassen, sich isolieren

erhöhter Alkohol / Drogenkonsum zwecks Selbstmedikation

Veränderung von Ess / Schlaf-Gewohnheiten, auch von sexuellen Gewohnheiten

Magenschmerzen, Übelkeit, Muskelspannung, Druck

Furcht, Ängstlichkeit, übertriebene Wachsamkeit, Panikattacken, Phobien, Unruhe

Schuldgefühle, Scham, Selbstbeschuldigung, Bedauern

Unfähigkeit wie gewohnt zu "funktionieren", Pläne zu machen, Entscheidungen zu treffen

Reizbarkeit, Ärger, Gefühlsausbrüche, unkontrolliertes Weinen, innerer Schmerz

Selbstmordgedanken, Gefühl, dass das Leben keinen Wert/Sinn hat. Infragestellen von politischem Engagement und zwischenmenschlichen Beziehungen.
* Möglicherweise Hochkommen von Erinnerungen an vorhergehende Trauma

kein Gefühl für Zukunft haben; nicht daran glauben, dass diese Phase jemals vorbei gehen wird
Was du für dich selbst tun kannst:

Deine Reaktionen sind normal und es gibt Hilfe!

Sofort nach einer traumatischen Erfahrung: Geh an einen Ort, an dem du dich sicher fühlst und lass zu, dass sich jemand/frau um dich kümmert

Bewegung baut Stress ab. Spazieren oder laufen ist zur Beruhigung besser als Sich-hinsetzen zu, baut Adrenalin ab.

Versuche dich nicht zu isolieren. Wende dich an deine Freunde und sag, du brauchst Hilfe (auch wenn es schwer fällt)

Nimm dir Zeit zu heilen, sei geduldig mit dir und verurteile dich nicht für deine Verfassung. Innere Wunden brauchen ebenso Zeit und Ruhe um zu heilen wie äussere.

Fühle dich nicht schlecht, wenn andere damit besser fertig zu werden scheinen als du. Menschen sind unterschiedlich und es ist kein Zeichen von Schwäche, nach einer Verletzung Schmerzen zu haben.

Sei dir im Klaren darüber, dass das Geschehene nicht deine Schuld ist, die Schuld liegt bei den TäterInnen.

Familie und Freunde wissen oft nicht, wie mit deiner Verfassung umzugehen. Sprich Sie an, wenn du ihr Verhalten nicht als hilfreich empfindest, sag, was du brauchst.

Häufig kommen Gedanken hoch wie "Ich habe kein Recht mich so schlecht zu fühlen, andere sind viel schlimmer dran. Das, was mir passiert ist, ist ja nichts im Vergleich zu (...)." Das ist Blödsinn. Du hast Schlimmes durchlitten und hast das Recht dich so zu fühlen, wie du dich fühlst. Hast du das erstmal akzeptierst, geht's auch schneller wieder weg.

Verdrängen wirkt sich auf lange Sicht negativ aus und schränkt dich ein.

Bachblüten können emotional helfen. Baldrian hilft bei Schlafproblemen. Massagen und heisse Bäder sind immer gut. Alkohol/Drogen wirken sich eher negativ aus.

Lerne mehr darüber, wie Trauma funktioniert. Je mehr du verstehst, desto einfacher ist es für dich, deine Reaktionen als normale "Symptome" zu begreifen.
Wie du deine Freundin / deinen Freund unterstützen kannst:

Warte nicht, bis du um Hilfe gefragt wirst, sondern sei einfach für sie/ihn da. Gibt nicht auf, auch wenn du vielleicht das Gefühl hast vor einer Mauser zu stehen. oder wenn es dir schwierig erscheint.

Die Tage direkt nach der Erfahrung sind essentiell zum Reden, danach wird oft schon wieder "zugemacht".

Vielleicht fühlst du dich unsicher und weisst nicht, wie du dich verhalten sollst. Informiere dich über Trauma, um besser verstehen zu können. Einfach "normal" sein, ohne zu bemitleiden und ohne aufdringlich zu sein, kann viel helfen. Bemüh dich gleichzeitig den Reaktionen gegenüber tolerant zu sein. Das Wichtigste ist, dass deine Freundin/Freund sich in deiner Gegenwart wohl und sicher fühlt.

Traumatisierte Menschen isolieren sich häufig und haben Schwierigkeiten, um Hilfe zu bitten. Sie wollen kein Mitleid, sondern Verständnis, keine aufgedrängte Hilfe, sondern Einfühlungsvermögen.

Vergiss nicht, dass Menschen nach traumatischen Erlebnissen anfangs oft ok erscheinen und die Reaktionen erst später auftreten.

Sei eine gute Zuhörerin /Zuhörer. Vermeide es, zu bald, zu lange und zu viel zu reden.

Bemüh dich darum, dass deine Freundin/Freund das Erlebte chronologisch erzählt, mit allem, was dazugehört, auch Gefühle, Sinneseindrücke, Gedanken...

Versuch wirklich nachzufühlen, wie es deiner Freundin /Freund ergangen ist, versuch dich hineinzufühlen, wie es ihr/ihm jetzt geht.

Oft tendieren wir dazu Rat zu geben, anstatt wirklich zuzuhören.

Traumatisierte Menschen empfinden oft die Erledigung selbst kleiner Aufgaben als sehr schwer. Kochen, Abnehmen von Verantwortlichkeiten, etc. können einen grossen Unterschied machen, aber achte darauf ihre Selbstbestimmung nicht einzuschränken.

Gereiztheit und Undankbarkeit/Unnahbarkeit sind "Symptome", die sehr häufig vorkommen. Nimm es nicht persönlich und mach deine Unterstützung nicht davon abhängig.

Zu sagen "Jetzt müsstest du aber langsam mal darüber hinwegsein, nimm dein Leben in die Hand", erreicht meistens nur, dass traumatisierte Menschen sich unverstanden fühlen und Distanz einnehmen.

Bohren, d.h. krampfhaft versuchen die Person dazu zu bringen über etwas zu reden, worüber sie nicht reden will, bewirkt Rückzug und Distanzierung.

Durch einen Mangel an Unterstützung können die Reaktionen verstärkt werden, was als sogenannte "sekundäre Traumatisierung" bezeichnet wird. -Dass von TäterInnen keine gute Behandlung zu erwarten ist, ist klar, aber wenn du hinterher das Gefühl hast, deine FreundInnen sind nicht für dich da, bricht die ganze Welt zusammen.- Achte darauf, dass deine Freundin/Freund sich nicht allein gelassen fühlt.

Auch für dich gilt - diese Zeit kann sehr schwer sein, aber sie geht vorbei. Pass auf dich auf und sei gut zu dir. Rede mit jemandem/frau darüber, wie es DIR geht.
Was ihr als Gruppe tun könnt:

Nehmt euch Zeit, um darüber zu reden, was passiert ist. Es ist üblich, in einer Runde allen die dabei waren, Raum zu geben um zu erzählen, wo sie waren, was sie gemacht haben, welche Sinneseindrücke sie hatten (sehen/hören etc) und was sie dabei gefühlt/gedacht haben (wenn sie darüber reden möchten). So kann das Gehirn die Geschichte im Kopf vervollständigen und besser verstehen.

Forschungen haben ergeben, dass ein derartiges Debriefing in den Tagen nach dem Erlebnis viel zur Verarbeitung beiträgt und das Risiko von PTBS vermindert.

Gute Therapeuten können helfen. Mit einem gebrochenen Bein gehst du ja auch zum Arzt. Trauma ist nichts anderes als psyhcologische Wunden. Ihr könnt bei der Suche behilflich sein. Der/die TherapeutIn muss aber Erfahrung mit Trauma-Arbeit haben, sonst bringt es nicht viel.

Vergesst nicht: Nicht nur verwundete Menschen brauchen Unterstützung und auch UnterstützerInnen brauchen eine Schulter zum Anlehnen.

Hintergrund für Trauma:
Hintergrund für diese Reaktionen ist der Versuch des Gehirns wieder Kontrolle zu gewinnen. Unser Leben baut darauf auf, dass wir Einfluss darauf haben, was mit uns passiert. Wird uns dieser Einfluss genommen, wenn wir ohnmächtig der Gewalt ausgeliefert sind, entsteht traumatischer Stress. Wenn wir hinterher beispielsweise nicht schlafen können, so ist das darauf begründet, dass der Körper nicht die Kontrolle verlieren will. Selbstmedikation mit Alkohol will erreichen, dass die eigene Verfassung nicht wahrgenommen wird. Sogar die Selbstvorwürfe, die das Gehirn dir einredet, um dir Kontrolle vorzuspiegeln, folgen diesem Muster, wenn es sagt: "Hättest du dich anders verhalten, wär das nicht passiert". Das heisst, dass du dich beim nächsten Mal anders verhalten würdest, das nicht noch einmal passieren kann und du somit sicher bist. Fakt ist jedoch, dass die Kontrolle über unser Leben bedingt ist, aber unser gesamtes Handeln und Tun darauf aufgebaut ist, denn nur so können wir uns schützen, bzw. uns sicher fühlen.



Wieder-Erleben des Erlebten:
Alpträume, Flashbacks, intrusive (immer wiederkehrende) Erinnerungen, das Gefühl, dass das Erlebte einen nicht mehr los lösst, etc.


Vermeidungsverhalten/ Verdrängungsverhalten:
Erinnerungsverlust, erhöhter Alkohol/Drogenkonsum, Selbst- isolierung, Vermeidung von allem, was mit dem Erlebten zu tun hat oder einen daran erinnert, Distanz zu dem Geschehenen aufbauen, etc.


Erhöhte Erregung:
Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Gefühlsausbrüche, Wutausbrüche, Angst, Panik, Konzentrationsschwierigkeiten, Schreckhaftigkeit, etc.