Ostseebad Heiligendamm

"Das Theater hier muss ich nich haben"
VON MANUELA PFOHL

Grand Hotel Heiligendamm, Kaffeezeit. Dezente Musik, edles Interieur, vornehme Gäste. "Noch einen Cognac, der Herr?" Draußen scheint die Sonne, blaugrün schlagen die Wellen der Ostsee an den Strand. Ein paar Spaziergänger laufen mit gebückten Rücken über den Sand, Glückssteine suchen. "Gott, geht' uns gut", sagt der Herr im Café, lehnt sich in seinen Sessel zurück und schließt für einen Augenblick die Augen. "Verweile doch, du bist so schön."

Noch können Urlauber die stille Gediegenheit des Fünf-Sterne-Hotels an der mecklenburgischen Küste genießen. In ein paar Monaten ist es mit der Beschaulichkeit in den sechs klassizistischen Gebäuden vorbei. "Am 29. Mai um 12 Uhr werden die letzten Gäste verabschiedet", sagt Hotelsprecherin Frauke Müller.

Ab 13 Uhr hat die Bundesregierung reserviert, das gesamte Haus, vom Keller bis zum Dach. Vom 6. bis 8. Juni spielt sich im Grand Hotel der Weltwirtschaftsgipfel der acht führenden Industrienationen ab. Ein Mega-Ereignis mit Massenansturm für das kleine Seebad. Immerhin rücken neben Politikern und deren Gefolge auch schätzungsweise rund 16 000 Sicherheitskräfte, 5000 Journalisten und bis zu 100 000 Gipfelgegner an.

Attac übt schon mal bei einem"Kletterkurs" für den Gipfel

"Also ich sag Ihnen was, ich fahr in der Zeit zu meiner Tochter runter nach Sachsen. Das Theater hier muss ich nich haben", erklärt eine Frau, die im benachbarten Bad Doberan wohnt. "Ham Sie gehört, was die vorhaben? Meine Freundin, die wohnt in Heiligendamm, da sindse schon aufm Grundstück gewesen, ham den ganzen Garten zerlatscht, Fotos gemacht und gesagt, se muss melden, wenn demnächst jemand ums Küchenfenster schleicht, den se nich kennt." Ganz normale Vorsorgemaßnahmen, sagt die Polizei und wird nicht müde, bei Einwohnerversammlungen die Problematik rund um die Sicherheit der internationalen Politiker zu betonen. Da gebe es Standards, die müssten einfach eingehalten werden, auch wenn damit für die Leute vor Ort Einschränkungen verbunden seien.

Der Zaun, der die sogenannte Bannmeile rund um Heiligendamm weiträumig markiert, ist so eine. Zwölf Kilometer lang soll er sein und 2,50 Meter hoch, um militanten Gipfelgegnern den Zutritt zur zweiten Sicherheitszone zu verwehren. Am 15. Januar ist hinter der Düne von Heiligendamm mit dem Bau begonnen worden. Noch am selben Tag haben Gipfelgegner ein Transparent an das graue Stahlgitter gehängt. "Kapitalismus einzäunen" stand drauf. Ein Sprecher des Rostocker Bündnisses gegen den Gipfel erklärte, mit dem Bollwerk werde eine "demokratiefeindliche Zone in Heiligendamm" geschaffen. Und Aktivisten des globalisierungskritischen Netzwerks Attac übten in Hannover schon mal bei einem "Kletterkurs", wie man mit einem solchen Hindernis umgeht.

Die Diskussionen um das Ungetüm aus Stahl, Beton und Stacheldraht vereint Gipfelgegner und brave Staatsbürger. Zum G8 sollen die 280 Ortsansässigen sowie Grundstückseigentümer, Postboten, Lieferanten und angemeldete Besucher nur noch über zwei Kontrollstellen Zutritt zum Gebiet innerhalb des Zaunes haben. "Unmöglich, wir sind doch keine Gefangenen", schimpfen die einen, und die anderen fürchten, dass die Polizei mit all den Daten, die sie von den Heiligendammern und ihren "Kontaktpersonen" bekommt, Schindluder treiben könnte.

Zwölfeinhalb Millionen Euro kostet der Zaun inklusive Sicherheitssystemen wie Bewegungsmeldern und Kameratechnik. "Rechnet euch bloß mal aus, wie viele Schulen man dafür sanieren könnte", hatte ein Protestler bei einer Bürgerversammlung in Bad Doberan gewettert. Die meisten der anwesenden Einwohner haben geklatscht. "Und wir solln den Scheiß auch noch bezahlen", hatte ein älterer Herr gerufen und damit ausgesprochen, worum es eigentlich geht: Um das Geld, das keiner hat und das doch per Nachtragshaushalt aus der Landeskasse für das Prestigeprojekt G8 gezaubert werden soll.

Als im Dezember 2004 bekannt wurde, dass der Gipfel in Heiligendamm tagen wird, waren nicht nur die mecklenburg-vorpommerschen Landespolitiker aus dem Häuschen. Auch die Landeskinder hatten sich aufgeschlossen gezeigt, sahen sie doch endlich den Silberstreif am Horizont. Immerhin versprach die Ehre, in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt zu werden, auch noch einen ganz hübschen Nebeneffekt. Endlich würden rund um den Austragungsort der Konferenz Straßen erneuert, Bauprojekte verwirklicht und Investitionsversprechen eingelöst werden. Schließlich könne man ja nicht wie das Armenhaus der Bundesrepublik aussehen, wenn so wichtige Leute ins Land kommen, hieß es allenthalben. "Das gibt jede Menge Jobs", versicherte Staatskanzlei-Chef Reinhard Meyer damals und hob vor allem die Aufträge für die Baubranche und das Beherbergungs- und Gastronomiegewerbe hervor. Der Landestourismusverband hoffte auf einen international wirkenden Imagegewinn und die Landesregierung freute sich auf all die Fördergelder, die man sonst nie bekommen würde.

Von der Begeisterung der Bürger ist nichts übriggeblieben

Inzwischen hat sich die Euphorie gelegt. Zwar wurde tatsächlich manche Altlast entsorgt und mehr als eine Straße in der Gegend gebaut. Aber am künftigen Austragungsort selbst sieht es weniger aufgeräumt aus. 1996 hatte die Kölner Fundus-Gruppe das insgesamt 500 Hektar umfassende Anwesen rund um das Grand Hotel erworben. Mit dem Geld, das Anleger in den Fundus-Fonds 34 investierten und mit Hilfe von mehr als 50 Millionen Euro Fördergeldern, die der Bund, das Land und die Europäische Kommission zuschossen, ließ Fundus-Chef Anno August Jagdfeld das Grand Hotel-Ensemble aufwendig sanieren.

Eigentlich hätten auch die als "Perlenkette" berühmt gewordenen sieben klassizistischen Villen, die direkt am Strand in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hotel stehen, längst wieder im alten Glanz erstrahlen sollen. Doch bislang konnte Fundus noch nicht genügend Interessenten für den Kauf der 150 Jahre alten einstigen Bade- und Logierhäuser gewinnen. Immerhin werden die Renovierungskosten auf rund 70 Millionen Euro taxiert. Und so geht von dem Ensemble mit seinen abblätternden Fassaden ein morbider Charme aus. Wind pfeift durchs morsche Gebälk, Gras wächst auf den einst herrschaftlichen Terrassen und junge Poeten leben sich an den blinden Fensterscheiben aus. "Ole ist doof" steht an einem.

"Ein Schandfleck. Was sollen denn die Staats- und Regierungschefs denken, wenn sie zum Gipfel nach Heiligendamm kommen?", fragen sich Lokalpatrioten und Landespolitiker gleichermaßen. Als der Chef der Industrie- und Handelskammer des Landes im vergangenen Jahr den Vorschlag machte, jeder G8-Staat könne ja eine Villa kaufen, lag ein Hoffnungsschimmer über Heiligendamm. Doch die diplomatischen Vertretungen lehnten die Idee mehrheitlich mit dem größten Bedauern und dem Hinweis auf knappe Kassen ab.

Davon kann Mecklenburg-Vorpommern auch ein Lied singen. Seit Jahren reicht es im Land nicht hinten und nicht vorn. Hohe Arbeitslosigkeit, stetige Abwanderung von jungen Fachkräften, geringe Wirtschaftskraft und steigende Sozialausgaben machen dem Land schwer zu schaffen. Als im November 2006 die jüngsten Schätzungen zu den vermutlichen Sicherheitskosten für den G8-Gipfel bekannt wurden, kommentierte ein Mitarbeiter des Finanzministeriums das mit knappen Worten: "Dann sind wir pleite und können den Laden dicht machen." Bis zu 100 Millionen Euro werden allein für die Sicherheit der Gipfelteilnehmer veranschlagt.

Seit Monaten streitet Mecklenburg-Vorpommern mit dem Bund darüber, wer wie viel bezahlen soll. Schließlich hatten die Schweriner ursprünglich nur zehn Millionen Euro für die Veranstaltung eingeplant und im Übrigen darauf vertraut, dass der Bund die "finanzielle Verantwortung zu einem Großteil übernimmt." Doch auch der Bund hat eine klamme Haushaltskasse. Im Übrigen sei Mecklenburg-Vorpommern doch selber schuld, dass die Kosten explodiert seien, hieß es hinter vorgehaltener Hand aus Berlin. Schließlich habe die PDS, die bis zur Landtagswahl im vergangenen Herbst Koalitionspartner in der rot-roten Landesregierung war, einiges unternommen, um die Gipfelproteste hoffähig machen. Mehr als einmal hätten Abgeordnete und auch der Landesvorsitzende der Linkspartei erklärt, dass man im Juni an der Seite der G8-Gegner stehen werde. Mehr Gegner, mehr Polizisten, höhere Kosten.

"Durchhalten", heißt die Parole trotz explodierender Kosten

"Dann lasst uns den Gipfel einfach absagen, soll doch Hamburg oder sonst wer den ganzen Krempel übernehmen", maulten Kritiker im Frühjahr 2006 in den Lokalzeitungen. Als auch noch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei einer Konferenz mit einiger Häme in die selbe Kerbe schlug und Baden-Württemberg sich daraufhin unter dem Gelächter der anderen Innenminister dazu bereit erklärte, den Gipfel zu übernehmen, dachte der eine oder andere Regierungsvertreter in Mecklenburg-Vorpommern wenigstens für einen kurzen Moment heimlich darüber nach, es genau so zu machen. Die offizielle Parole heißt aber ganz klar: "Durchhalten".

Die Gäste im Grand Hotel bekommen von den Stürmen um ihr Urlaubsdomizil wenig mit. Abgeschirmt von Zaunbau und Villenstreit, Politikerschelte und Anwohnerprotesten sollen die Urlauber genießen, was die Luxusunterkunft zu bieten hat. Kempinski als Betreiber des Hauses achtet sorgsam darauf, dass das Rundumwohlfühlprogramm für die Besucher keine Wünsche offen lässt. Gerade weil die Zahl der Gäste seit langem nicht dem entspricht, was Fundus angestrebt hatte und von Wirtschaftlichkeit in der Belegungsstatistik keine Rede sein kann. Da kommt es höchst ungelegen, dass ausgerechnet so kurz vorm Gipfel öffentlich bekannt wird, dass die Hypo-Vereinsbank einen 15 Millionen-Euro-Kredit für den Hoteleigner Fundus nicht verlängern will. Dass der Hoteldirektor ganz plötzlich seinen Hut genommen hat und Gerüchte laut werden, das Projekt Heiligendamm werde nach dem G8 ohnehin aufgegeben. "Wer weiß, ob wir jemals wieder hier her kommen", seufzt der Herr im Café, trinkt den letzten Schluck seines Cognacs, legt einen Geldschein auf den Tisch und geht. Wer weiß, was hier wird. Die Frage hört man in letzter öfter in der "weißen Stadt am Meer".