»Wir sorgen für Unruhe bei den Behörden«

Junge Welt v. 9.2.07

Die Proteste gegen den G-8-Gipfel im Juni in Heiligendamm sind das zentrale Thema der Linken. Die Choreographie steht schon.

Ein Gespräch mit Lotta Kemper

Interview: Ralf Wurzbacher

Lotta Kemper ist in einer autonomen Gruppe und im Dissent-Netzwerk organisiert. Sie reist zur Zeit fast jedes Wochenende auf Vorbereitungstreffen zu den G-8-Protesten.

Wie ist der Stand der Mobilisierung zu den Protesten gegen den im Juni anstehenden G-8-Gipfel in Heiligendamm?

Quer durch die Linke ist der G-8-Gipfel das zentrale Thema. Von kleinen lokalen Gruppen bis zu bundesweiten Zusammenschlüssen wird geplant und diskutiert. Die grobe Choreographie der Proteste steht. Sie reicht von einer Großdemonstration am Wochenende vor Gipfelbeginn über Camps mit 20000 Menschen, Kulturveranstaltungen bis zu vielfältigen Blockaden während des Gipfels selbst. Wenn die acht mächtigsten Staatschefs nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, wird auch der Widerstand dort sein. Wir werden protestieren gegen deren verlogene, neoliberale Politik und gegen Programme, die fatale – weil tödliche – Auswirkungen auf die gesamte restliche Welt haben.

Welche Gruppen der linken Szene gehören zu den treibenden Kräften?

Es gibt verschiedene bundesweite Bündnisse und Netzwerke, in denen sich Gruppen und Einzelpersonen zusammengeschlossen haben. Diese reichen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) über die DGB-Jugend bis zur radikalen Linken. Dazu gehören beispielsweise die Interventionistische Linke, das eher autonom-undogmatische dissent-Netzwerk oder das »Anti-G-8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive«. Zu den zahlreichen Vorbereitungstreffen kommen Vertreter aus allen Gruppen zusammen.

Die Verfassungsschutzabteilung des Berliner Senats will im linken Spektrum widerstreitende Vorstellungen hinsichtlich »Zielrichtung und Ausgestaltung der Protestformen« ausgemacht haben. Trifft die Beobachtung zu?

Natürlich gibt es inhaltliche und ganz praktische Meinungsverschiedenheiten über das gemeinsame Vorgehen innerhalb der Linken, und das ist auch gut so. Die Breite in der Vorbereitung bringt selbstverständlich auch unterschiedliche Aktionsideen auf den Tisch. Schon früh hat man jedoch Einigkeit darüber erzielt, daß alle Protestformen ihren Platz haben müssen und daß es keine Distanzierungen geben wird. Erst die Vielfalt macht den Protest stark. Aber wir alle stimmen überein, daß dem herrschenden System der G8 Einhalt geboten werden muß, und dies wollen wir in den Tagen von Heiligendamm auf der Straße deutlich werden zu lassen.

Welches Ausmaß hat die Repression gegen die Gipfelgegner mittlerweile angenommen?

In Bayern gab es zahlreiche Hausdurchsuchungen wegen eines Aufrufs zur Blockade des Flughafens Rostock-Laage. Auf diesem auch militärisch genutzten Flughafen werden am 5. Juni die Gipfelteilnehmer ankommen. Sie werden mitten im Protest landen, wir wollen die Zufahrt des Flughafens blockieren. Ein Aufruf zur Blockade ist jedoch keine Straftat. Nach ersten einstweiligen Verfügungen bayerischer Gerichte mußte die Polizei beschlagnahmte Computer und Flugblätter wieder herausgeben.
Die Repression zeigt uns, daß wir an den richtigen Stellen ansetzen und jetzt schon für Unruhe bei den Behörden sorgen. Das freut uns. Auf jeden Fall werden wir uns nicht in die Defensive drängen lassen und an unseren Planungen festhalten.

In Hamburg kam es in jüngerer Zeit zu kleineren Anschlägen auf Besitztümer von politischen und wirtschaftlichen Repräsentanten, was die meisten Medien zu immer neuen Tiraden gegen eine »Hamburger Stadtguerilla« hinreißt.

Ach, so ein Unsinn. Militante Anschläge haben nichts mit Guerilla zu tun. Neu ist vielleicht, daß sie sich inhaltlich verstärkt auf den G-8-Gipfel beziehen. Die Anschläge erreichen aber tatsächlich eine große Medienöffentlichkeit und haben damit auch mobilisierenden Charakter. Der Farbbeutelanschlag auf das Kempinski-Hotel in Heiligendamm beispielsweise kam bei vielen Aktivisten sehr gut an. Und mal ehrlich: Was sind 1900 Euro Reinigungskosten gegen fast sechs Millionen Kinder, die jedes Jahr aufgrund der Politik der G-8-Staaten an Hunger und Unterernährung sterben? Solange die G8 Millionen Menschen durch Verweigern von Nahrung, durch Ausschluß des Zugangs zu Bildung und Gesundheit und durch den Diebstahl der Rohstoffe in diesen Ländern ermorden, werden Menschen auch mit Farbeiern oder eingeschlagenen Fensterscheiben darauf aufmerksam machen.