G-8-Gipfel wirft Licht und Schatten voraus - Während Politiker den Werbeeffekt betonen, fürchten die Einheimischen ausgesperrt

Hamburger Abendblatt 30. Januar 2007
Von Hanna-Lotte Mikuteit

Heiligendamm - Aus der Hotelbar hat man den besten Blick: Auf der linken Seite die blau-raue Winter-See, getaucht in das, was die Einheimischen das Heiligendamm-Licht nennen, weil es das Wasser, den Strand und die weißen Fassaden auf besondere Weise leuchten lässt. Schaut man aus dem rechten Fenster, drischt da ein Abrissbagger mit wuchtiger Beharrlichkeit auf die klassizistischen Wände der Villa Perle ein. Zar Nikolaus I. logierte hier einst, jetzt muss das 1854 gebaute Landhaus in direkter Nachbarschaft zum G-8-Tagungsort weichen. Es sei der beste Platz für die Pressetribüne, heißt es. Danach soll der denkmalgeschützte Bau wieder aufgebaut werden.

"Das ist ja wie Disneyland", sagt ein Spaziergänger fassungslos. Auch Lilly Pieper aus Münster ist entsetzt über den Abriss. "Das machen die bestimmt, damit die Prominenz im Grandhotel besser aufs Meer gucken kann", sagt die Rentnerin. Um das schmähliche Ende der Villa Perle ist heftiger Streit entbrannt. Während der Eigentümer, die Kölner Fundus-Gruppe, unterstützt von der obersten Denkmalschützerin des Landes, ihn mit "nicht mehr zu haltender maroder Bausubstanz" rechtfertigt, nennen die örtlichen Experten den Eingriff in die einzigartige Heiligendammer Perlenkette "eine Katastrophe". Auf jeden Fall ist er ein Zeichen: Die Vorbereitungen für den Weltwirtschaftsgipfel sind angelaufen - lokale Verwaltung und Bürger haben immer weniger zu sagen.

Vier Monate sind es noch, bis das spektakuläre Großereignis in dem kleinen Ostseebad anfängt. "Bislang fühle ich mich persönlich noch nicht betroffen", sagt Pensionswirt Thomas Friedemann (39). Der monströse Sicherheitszaun, dessen Bau am westlichen Ende des 300-Einwohner-Ortes begonnen hat, sei weit weg. "Wir hier haben keine Beschränkungen." Noch nicht. Schon Tage vor dem Gipfelstart am 6. Juni darf Dampflok Molli, Heiligendamms wichtigstes Nahverkehrsmittel, nicht mehr fahren, man wird Kontrollstellen passieren müssen, um nach Hause zu kommen, viele Wege werden gesperrt. "Ich glaube, man kann sich noch nicht ausmalen, wie es dann ist", sagt eine Ferienhaus-Vermieterin besorgt.

Der Bad Doberaner Bürgermeister Hartmut Polzin (SPD) bemüht sich um Optimismus: Er hofft auf den Werbeeffekt für die ganze Region. Zudem habe der bevorstehende Gipfel dafür gesorgt, dass diverse Straßen erneuert worden seien - für immerhin fünf Millionen Euro. "Das sind schon Segnungen", so der Stadtchef. Von Belastungen durch die Sicherheitsvorkehrungen will er auch gar nicht sprechen. "Es geht um temporäre Absperrungen." Und damit schließlich auch um die Sicherheit aller vor Ort.

Schon jetzt hat ein Polizeiwagen gegenüber dem Grandhotel Posten bezogen, andere patrouillieren im Ort und vor allem an dem umstrittenen Sicherheitszaun - rund um die Uhr. Um den Jahreswechsel hatten Unbekannte einen Farbbeutel-Anschlag auf das Hotel verübt. Ein erstes Zeichen für das, was Heiligendamm erwarten könnte.

"Seitdem ist alles ruhig", sagt Frauke Müller, PR-Managerin im Grand Hotel Kempinski. In dem Nobelhotel mit 260 Mitarbeitern sieht man dem Gipfel gelassen entgegen. "Schließlich hatten wir mit dem Bush-Besuch schon eine Art Generalprobe", so Müller. Wie der genaue Ablauf der Tage, in denen die Welt nach Heiligendamm blickt, sein wird, werde in den nächsten Wochen abgestimmt. Sicher ist nur: Das 450-Betten-Haus ist vom 29. Mai bis voraussichtlich 12. Mai komplett für die Öffentlichkeit geschlossen. Spätestens dann sollen auch äußerer und innerer Sicherheitsring sowie alle weiteren Maßnahmen aufgehoben sein.

Oder auch nicht. "Wir befürchten, dass man die Sicherheitsbedürfnisse für den Gipfel nutzt, um den schleichenden Prozess der Ausgrenzung der Bevölkerung in Heiligendamm zu beschleunigen", sagt Heike Ohde von der Bürgerinitiative für Öffentlichkeit in Heiligendamm. Seit fast vier Jahren kämpft die Architektin, die sich ausdrücklich nicht als Gipfel-Gegnerin versteht, zusammen mit einer Handvoll Mitstreiter um den Erhalt des Denkmals und des öffentlichen Wegenetzes. In Heiligendamm bestimme inzwischen Allein-Investor Fundus, was passiere, so die Kritik. "Das zeigt auch der Abriss der Villa Perle." Zwei weitere Villen stünden noch auf der Abbruchliste.