Offener Brief an die Interventionistische Linke (IL)

"Sieg oder Konsens!"

Vor über einem Jahr tratet Ihr an, mit viel Elan und großen Visionen. In der ersten G8-Xtra ist von der Bewegung der Bewegungen die Rede, und dass die gesellschaftliche Alternative erprobt werden solle. Das ginge nur als gesamte außerparlamentarische, emanzipatorische Bewegung. Demnach solle die Abschottung der "Spektren" und Einzelkämpfe überwunden werden. Unterschiedliche Vorstellungen, Themen und Praxen gelte es in Kommunikation zu bringen.
Wir stimmen mit Eurer Perspektive überein, durch Bündnisse linke Interventionsfähigkeit zu stärken, gesellschaftliche Wahrnehmbarkeit (wieder)zuerlangen und der vermeintlichen Alternativlosigkeit des globalen Herrschaftsgefüges eine entschiedene, hörbare Kritik entgegenzusetzen. Wie Ihr glauben wir, an die Stelle linker Zersplitterung sollte die produktive und geduldige Auseinandersetzung treten.
Um dies zu ermöglichen und eine Klammer zu spannen, in der Linke verschiedener Strömungen Platz haben, hattet ihr euch was überlegt. Von vier Grundsätzen war 2005 beim ersten dissent!-Treffen in Hamburg noch die Rede. Nach dem Erfurter Sozialforum 2005 habt ihr sie in eurem Aufruf (1) schriftlich formuliert:

1. "Eine klare und offensive Abgrenzung gegenüber rechtspopulistischen und rechten Kräften."
2. "Ein solidarischer, verlässlicher Umgang miteinander, der verbindliche Absprachen erlaubt."
3. "Die eindeutige Delegitimierung der G-8."
4. "Die gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Aktions- und Widerstandsformen."

Wir sind nach Eurer Ankündigung davon ausgegangen, dass Ihr diese Grundsätze als ebensolche und nicht als unverbindlichen Appell verstanden wissen wollt. Und dass sie insbesondere Auseinandersetzungsgrundlage mit dem ‚nicht ganz so radikalen' Bewegungs(um)feld sein sollen. Umso überraschter waren wir, im März 2006, auf der 1. Rostocker Aktionskonferenz, kein solches Auseinandersetzungsangebot vorgefunden zu haben. Dass sich dies rächen und über kurz oder lang zur Aushöhlung führen musste, wurde bereits bei den Nervereien um die damalige Pressekonferenz deutlich, die unter Ausschluss der anwesenden Öffentlichkeit angesetzt wurde, und auf der ein Attacvertreter der Presse bereits "friedliche Proteste" versprach. dissent! war bei dieser PK, obwohl stark präsent und im Vorfeld aktiv, nicht vorgesehen. Dies hat sich ja, trotz vormaliger Kritik, auf der zweiten Konferenz in abgewandelter Form wiederholt. Wir haben danach kein Wort des Widerspruchs Eurerseits vernommen und halten nunmehr eine erneute, etwas grundsätzlichere Intervention für erforderlich.
Während Grundsatz 1. weitestgehend unstrittig sein dürfte, gibt es die anderen Basispunkte betreffend keine befriedigende Praxis und keine konkreten Einigungen:

2. "Ein solidarischer, verlässlicher Umgang miteinander, der verbindliche Absprachen erlaubt."
Hier gab es immer wieder Schwierigkeiten, wie z.B. bei der Besetzung von Podien, ob beim ESF in Athen oder bei der Rostock-Konferenz. Planung und Durchführung von Presseterminen, wie bereits erwähnt, bestätigen dies nur. Dies betrifft Euch als Adressaten umso mehr, als in der IL Leute von attac vertreten sind (was wir begrüßen), die leider eine entsprechende Hinterzimmer-Politik nicht nur einfädeln, sondern bei Kritik auch noch verteidigen. Eine Auseinandersetzung wird an diesem Punkt erschwert, entweder wird sie weggedrückt oder die elementarsten Gepflogenheiten der Kommunikation und des solidarischen Umgangs werden verlassen (wie bei Beschimpfungen in Rostock II geschehen). Zweck dieser Politik speziell von einigen Attacvertretern scheint immer wieder die Verhinderung eines "zu linkslastigen" Bildes in der Öffentlichkeit zu sein. Sei es dissent oder wahlweise die Wasg, die rausgehalten werden, zu links soll sich die Mobilisierung nicht zeigen. An diesen Punkten fällt die Entscheidung dann gern mal gegen den solidarischen Umgang aus, diese Wahl garniert ein Attacvertreter mit den Worten: Sieg oder Konsens! (vor der Pressekonferenz zur 2. Aktionskonferenz, angesprochen auf die Frage ob er auch die Differenzen der Aktionskonferenz referieren würde ).

3. "Die eindeutige Delegitimierung der G8"
Wir sehen nicht, wo dieser Grundsatz ernsthaft ins Spiel gebracht wurde. Einzelne NGOs wollen und werden Forderungen direkt an die G8 richten und würden auch den Katzentisch der G8 sofort nehmen, um sich der Illusion direkter Einflussnahme bei einem Gespräch mit den Mächtigen hinzugeben, wie in St Petersburg zu sehen. Die Vereinnahmung wäre damit perfekt: Wie in Gleneagles, von der Linken bis zu Blair und Merkel gegen Hunger? Wer diese Heuchelei nicht mittragen will, muss deutlicher widersprechen.

4. "Die gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Aktions- und Widerstandsformen."
Hier scheiden sich die Geister völlig: Immer wieder ist im Koordinationskreis in Hannover und auf den Rostock-Konferenzen zu hören, dass wir alle und unsere Bewegung "gewaltfrei" seien. Bei der Pressekonferenz Rostock II erklärte ein Attacvertreter: „Wir haben einen demokratisch organisierten Vorbereitungsprozess; alle Akteure, Organisationen, Gruppen, die in diesem Prozess drin sind, haben klipp und klar erklärt: von ihnen wird keine Gewalt ausgehen.“ (2) Dies wird wohlgemerkt nicht für die eigene politische Praxis formuliert, sondern als Reglement der gesamten Bewegung übergestülpt. Damit werden bereits weit im Vorfeld Protest- und Widerstandsformen, die sich nicht vorauseilend der Staatsgewalt unterwerfen, ebenso Blockaden und direkte Aktionen delegitimiert. Wir sehen nicht, wo die IL dem im Bündnisprozess entgegen tritt, obwohl Ihr praktischerseits ja an der Vorbereitung von Blockarden beteiligt seid. In der G8-Xtra sprecht ihr euch dafür aus, "für konfrontative Aktionsformen wie z.B. sozialen Ungehorsam zu werben."(3) Dieses Postulat steht dann im Gegensatz zum Schweigen im Bündnisprozess.

In Eurem neusten Kampagnenaufruf zeichnet Ihr folgendes Zukunftsbild: "Die Delegitimierung der G8 ist keine Forderung mehr, sie ist das, was auf den Straßen, an den Sperrzäunen und in den Debatten der Camps und des Gegengipfels geschieht..." Und das breite Bündnis betreffend: "Ihr gemeinsames Auftreten, ihr politischer Wille, sich gerade in ihrer Verschiedenheit nicht voneinander trennen zu lassen, ließ die mediale Desinformation ebenso ins Leere laufen wie die polizeiliche Repression." (4) Ein hübsches Szenario. Aber wenn ihr euch nicht traut, dies auch im Bündnisprozess zu vertreten und dort, wo dem deutlich entgegengearbeitet wird, zu widersprechen, ist dies bestenfalls Lyrik. Schlimmstenfalls wird es sogar zur verbalradikal aufgeladenen Einladung an den staatstragenden Protest, die Umsetzung ebendieses Szenarios durch Abgrenzung und Anbiederung zu gefährden: "Ist ja eh nicht so ernst gemeint..."
Um ein Missverständnis zu vermeiden: Wir gehen nicht davon aus, in einem breiten Bündnis einen Konsens über alle Aktionsformen zu erzielen und irgendwelche Abgrenzungen zu verhindern. Aber die Debatte nicht zu führen hat bereits jetzt zur Folge, die Schwelle dahin zu verschieben, wo sie Staat und Kapital nützen, nicht uns. Die jüngste staatliche Forderung, sich doch bitteschön von Anschlägen auf Kleinwagen von Politikergattinnen zu distanzieren, wird Euch und uns möglicherweise rascher Gelegenheit geben, Solidarität einzufordern.
Wir finden demnach angebracht, dass Ihr Euch für Eure Grundsätze konkreter einsetzt. Ein offener Bündnisprozess kann nur gelingen, wenn auch die präzise Schärfe nicht gescheut wird.

Für eine dynamische, solidarische Debatte!

-six hills berlin-

(1) "Aufruf zu gemeinsamen Aktionen gegen den G-8-Gipfel 2007 in
Heiligendamm: Diskutieren, Protestieren, Umzingeln, Blockieren"
(2) Pressekonferenz Rostock II: http://video.indymedia.org/en/2006/12/637.shtml
(3) "Zwischenstand einer andauernden Diskussion - Für eine Linke, die dazwischen geht" G8-Xtra 01
(4) "Make Capitalism History oder: die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel ausweiten, Aufruf der Interventionistischen Linken gegen den G8-Gipfel 2007" von Dez.2006
(Aufrufe unter www.g8-2007.de, www.libertad.de, www.gipfelsoli.org)