Interview: "Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm wird es Krawall geben"

Die Welt 23. Januar 2007

Der neue Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Ehrhart Körting, über Bewegungen in der linksextremistischen Szene und die Vernetzung der Sicherheits-Behörden.

Von Daniel Sturm

DIE WELT: Herr Senator, sind Sie eigentlich froh, als neuer Vorsitzender der Innenministerkonferenz mit Wolfgang Schäuble zusammenzuarbeiten? Oder würden Sie lieber mit dessen Vorgänger Otto Schily zu tun haben?

Ehrhart Körting: Ich arbeite gern mit jedem Bundesinnenminister, der die Kooperation mit seinen Länderkollegen sucht. Das hätte ich mir mit Otto Schily vorstellen können, aber mit Wolfgang Schäuble habe ich auch überhaupt keine Probleme.

WELT: Mit welchen Themen werden Sie sich in diesem Jahr befassen?

Körting: Die Schwerpunkte liegen in der Bekämpfung des Terrorismus, etwa im Rahmen einer funktionierenden Anti-Terror-Datei und einer besseren Vernetzung der Sicherheitsbehörden in Europa. Daneben geht es natürlich immer auch um die Bekämpfung und Verhinderung von Kriminalität. Darüber hinaus müssen wir uns den Herausforderungen durch die neuen Medien stellen, denken Sie an Kinderpornografie im Internet oder sogenannte Killerspiele. Ich will außerdem die Finanzquellen extremistischer Parteien besser als bislang ausleuchten.

WELT: Stichwort Bekämpfung des Terrorismus: Suggeriert die Politik nicht, mit immer neuen Gesetzen für jeden Fall der Fälle gerüstet zu sein?

Körting: Wir sind alle nüchtern genug, um zu wissen, dass auch das detaillierteste Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus nicht ausschließt, dass Ihnen potenzielle Täter durch die Lappen gehen. Kein Innenminister dieser Republik sagt: Ich garantiere, dass es keinen terroristischen Anschlag in der Bundesrepublik Deutschland geben wird. Wer das behauptet, könnte ebenso prophezeien, es werde keinen Mord oder keinen Totschlag mehr geben. Wir wollen aber jede Möglichkeit nutzen, bereits im Vorfeld Informationen zu erhalten und einem Anschlag vorzubeugen. Unsere Arbeit soll sich dabei nicht auf die von Polizei und Verfassungsschutz beschränken. Wir müssen auch mit den Migrantenvertretern sprechen und sie mit auf die gemeinsame Reise unserer Bundesrepublik Deutschland nehmen. Das geschieht bundesweit im Rahmen der Islamkonferenz und in Berlin mit dem Islamforum.

WELT: Dieser Dialog wird eine Säule der Innenpolitik?

Körting: Es ist wie mit dem Thema Kriminalität: Ebenso wie wir verhindern wollen, dass Menschen kriminell werden, müssen wir uns mit der Frage befassen: Was können wir dagegen tun, dass Menschen sich von terroristischen Ideen angezogen fühlen?

WELT: Wieso kritisieren Sie den Vorstoß Schäubles für ein Luftsicherheitsgesetz, auf dessen Basis im Extremfall ein Passagierflugzeug abgeschossen werden könnte?

Körting: Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gesagt: Die Tötung von Unbeteiligten ist mit der Menschenwürde und dem Recht auf Leben nicht vereinbar. Das entspricht auch meiner Überzeugung. Für derartige Situationen gibt es den übergesetzlichen Notstand. Es geht also um den Fall, dass Sie sehenden Auges den Tod von Menschen in Kauf nehmen, um andere Menschenleben zu retten. Wie immer die Entscheidung, die man treffen muss, auch ausfällt: Man macht sich in jedem Fall irgendwie schuldig. Das ist eine solch schicksalhafte Situation, die aus meiner Sicht nicht mit einem einfachen Gesetz auflösbar ist. Mit meinem moralischen Anspruch ist es unvereinbar, in ein Gesetz zu schreiben, wann unschuldige Menschen getötet werden dürfen.

WELT: Schon jetzt werden Vorbereitungen zum Schutz des G-8-Gipfels im Juni in Heiligendamm getroffen. Mehr als 10 000 Polizisten sollen hier im Einsatz sein. Wie groß schätzen Sie die Gefahr durch linksextremistische Organisationen ein?

Körting: Wir sind in der glücklichen Situation, dass dieser Gipfel nicht inmitten einer Großstadt stattfindet. Ich erwarte hier aber auch keine terroristischen Anschläge. Innerhalb des linksextremistischen Spektrums wird es jedoch Menschen geben, die mit dem Ziel anreisen, Krawall zu machen, vielleicht auch Gewalttaten gegen Polizeibeamte zu verüben. Da ähnelt diese Szene der der Hooligans. Diese Gefahr sehen wir. Sie wird sich auch nicht nur auf Mecklenburg-Vorpommern beschränken, sondern über Deutschland hinausgehen. Dessen sind sich alle Beteiligten bewusst. Deshalb sorgen Länder und Bund gemeinsam für die Sicherheit, auch für die der friedlichen Demonstranten.

WELT: Gibt es eine größere Gefährdung als bei der Fußball-Weltmeisterschaft?

Körting: Die Wahrscheinlichkeit, dass die beschriebene Szene dort auftritt, ist größer als die von Hooliganismus während der WM. Bei dem G-8-Gipfel rechne ich daher mit Auseinandersetzungen mindestens in dieser Größenordnung.

WELT: Sie und Ihre Amtskollegen haben im vorigen Jahr eine Bleiberechtsregelung für geduldete Ausländer beschlossen. In Berlin haben von 8800 Geduldeten gerade einmal 800 einen Antrag gestellt. Enttäuscht Sie dieses geringe Interesse an dem Angebot?

Körting: Nein, das entspricht ungefähr unseren Erwartungen. Von den 8800 Geduldeten erfüllen viele gar nicht die Anforderung, sechs Jahre lang hier zu sein und selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die Anzahl der in Betracht kommenden Antragsteller reduziert sich also auf geschätzt etwa 2000. Demnach hat fast jeder Zweite einen solchen Antrag gestellt.

WELT: Sie wollen die Finanzquellen der NPD stärker unter die Lupe nehmen. Wie soll das gelingen?

Körting: Wir müssen die Zahlungen an die NPD genauer als bislang kontrollieren. Ich will ebenso klären, wie wir mit erkennbar verfassungswidrigen Stiftungen umgehen. Es kann nicht sein, dass der Staat solche Stiftungen - etwa der DVU - auch noch mit Steuergeldern fördert.

WELT: Mit dem Thema NPD-Verbot haben Sie noch nicht abgeschlossen, oder?

Körting: Die Mehrheit der Innenminister will das Verbot nicht angehen. Ich vertrete da eine Mindermeinung. Artikel 21 des Grundgesetzes legt nahe, eine verfassungswidrig agierende Partei, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beeinträchtigt, zu verbieten. Das schließt die politische Auseinandersetzung natürlich nicht aus. Ich meine aber: Wenn eine Partei verfassungswidrig ist, dann ist ein Verbot die logische Konsequenz.

Mit Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD), Vorsitzender der Innenministerkonferenz, sprach Daniel Friedrich Sturm