PAULA erklärt sich

indymedia 20.09.2007

Zu den Gipfelprotesten in Heiligendamm gibt es mittlerweile eine Reihe an Nachbereitungstexten mit zum Teil diskussionswürdigen Ansätzen. Ein Text, auf den bereits einige gewartet hatten, ist noch nicht verbreitet, er ging zwischenzeitlich unter. Deswegen soll er an dieser Stelle erstmalig ins Netz gestellt werden und so möglichst viele erreichen und zur Auswertung beitragen.

PAULA erklärt sich

Mit diesem Papier wollen wir einen Teil unserer Nachbereitung und Selbstkritik öffentlich machen. PAULA, das überregionale Plenum für einen dezentralen Aktions- und Blockaderaum rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm, war ein heterogener, temporärer Zusammenschluss von Gruppen und Einzelpersonen. Aus diesem Grund nehmen wir im Folgenden vorwiegend eine Bewertung des dezentralen Blockadekonzepts vor und liefern keine gemeinsame Stellungnahme zu den G8-Gipfel Protesten im Allgemeinen. Das ist eine Diskussion, die wir an anderer Stelle in unserem Alltag und in unseren Gruppen führen.

Die Idee und die Hoffnung

Die Idee zu PAULA entstand vor dem Hintergrund jahrelanger Erfah- rungen aus den Protesten gegen die Castortransporte im Wendland sowie den defensiven Gipfelblockaden 2006 in Gleneagles. In Ergän- zung zu dem Massenblockadekonzept von Block G8, aber auch wegen unserer Kritik an dessen begrenzten Aktionsrahmen, wollten wir versuchen, das Gipfeltreffen 2007 mit einem Ring aus dezentralen Blockaden auf den Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm massiv zu
behindern.
Wir wollten die „gipfelspezifische“ Situation, mit sehr vielen Menschen vor Ort zu sein, nutzen, um an verschiedenen infrastrukturellen Punkten den Ablauf des Gipfels effektiv zu stören und damit unsere unmissverständliche Ablehnung gegen das Treffen und die neoliberale Politik zum Ausdruck zu bringen. Um eine unkontrol- lierbare Situation zu schaffen, waren vor allem mehrere Material- blockaden mit bereits vorhandenem und eigens dafür deponierten
Materialien angedacht. Die Dezentralität sollte uns ein möglichst
unberechenbares und flexibles Agieren ermöglichen.

Bestandteil des Konzepts war, dass sich erstens noch weitere Zusammenhänge von den PAULA-Aufrufen inspirieren lassen und dezentrale Blockaden vorbereiten und zweitens viele Aktivist_innen während der Gipfeltage mitmachen würden. Wir versuchten damit auch, aus den klandestinen kleinen Kreisen herauszukommen und die Tür zur Massenmilitanz zu öffnen.
Es wurde an einer Informationsstruktur gearbeitet, die den Gruppen den Austausch über Ort und Zeitpunkt der anstehenden Aktionen ermöglichen und eine kurzfristige Einbindung von anderen Gruppen, insbesondere der Internationals gewährleisten sollte.

Die Umstände und wir

Kurz vor den und vor allem während der Aktionstage wurden uns unsere Schwächen und Grenzen bewusst. Das Ergebnis war desillusionierend. Wir haben nur von wenigen Aktionen erfahren, die wir einer dezen- tralen Blockadeidee zuordnen können (vergleicht http://www.gipfelsoli.org/rcms_repos/maps/action.html).
Einige der zum Teil sorgfältig vorbereiteten dezentralen Aktionen konnten nicht umgesetzt werden.
Das lag zum Teil daran, dass die Cops Infos über geplante Aktionen erhalten hatten, oder an fehlenden Aktivist_innen, die wider unseren Erwartungen dem Zaun sehr nahe kamen und damit unseren Materiallagern fern blieben. Andernorts kollidierten der anvisierte Blockadepunkt und das Materiallager mit anderen Aktionen, so dass die Punkte aufgrund der verursachten (und erfreulichen) Verkehrs- lahmlegung nicht rechzeitig erreicht werden konnten. Neben diesen
äußeren Gegebenheiten ist ein gewisses Scheitern jedoch auch dem eigenem Unvermögen zuzuschreiben, unter den gegebenen repressiven Verhältnissen handlungsfähig zu bleiben. Bereits in der Vorbereitung wurde der Fokus stärker auf die konkrete Vorbereitung der einzelnen Aktionen gelegt und weniger auf eine wirksame Mobilisierung für die Aktionsidee. Die mit der Organisierung halbklandestiner Aktions- formen verbundene Schwierigkeit der öffentlichen Werbung und der Gewährleistung einer Ansprechparkeit wurde für uns während der
Gipfeltage zu einem noch größeren Hindernis. Während wir in der Vorbereitung z.T. auf befreundete Genoss_innen aus anderen Bündnissen bauen konnten, die das dezentrale Blockadekonzept hier und da zur Sprache brachten, versagten wir während der Protesttage darin, offensiv und selbstbewusst für die vorbereiteten Aktionen zu werben. Mögliche Repression befürchtend, hielten wir uns so sehr im
Hintergrund, dass es für jene, die mit unserem Konzept csympathi- sierten, kaum Anknüpfungspunkte gab.

Damit ist uns bewusst geworden, dass die Vermittlung der Aktionen in der Vorbereitung gründlicher einbezogen und überlegt werden muss. Statt wohl klingender Aufrufe, hätten wir mit einer konkreten Erörterung des Konzepts, wie eine Teilnahme möglich ist, welche räumliche Orientierung besteht (z.B. Zugangsstraßen und günstige Angriffspunkte) und in welcher personellen Größenordnung die Aktionen gedacht werden, vermutlich mehr Leute angesprochen.
Während der Protesttage wäre für ein offensives Propagieren unserer Pläne und Analysen die Einberufung eines autonomen Plenums oder zumindest die stärkere Präsenz auf den Camp-Plena bzw. auf dem zu spät stattfindenden, von den Internationals einberufenen autonomen Plenum am Mittwoch auf dem Camp in Reddelich nötig gewesen.

Eine andere, nicht unwesentliche Ursache für unsere faktische „Abwesenheit“ sehen wir in der personellen Überlastung durch die Einbindung in die Protest-Strukturen, die insgesamt betrachtet maßgeblich von Leuten aus dem autonomen Spektrum gestellt wurden. Diese füllten die Lücken in der Infrastruktur und trugen somit paradoxerweise zum Gelingen anderer Konzepte bei, während sie sich um die eigenen nicht genug kümmern konnten.

Schlussendlich müssen wir feststellen, dass auch wenn die Hoffnung zuletzt sterben sollte, ein Hoffen darauf, dass sich viele andere Gruppen durch einen unverbindlichen Aufruf zur Vorbereitung eigener Aktionen animieren lassen, derzeit nicht realistisch ist.
PAULA war ein Versuch. Das Resultat spiegelt nicht nur die organisatorischen Grenzen und Schwächen, sondern auch die fehlende Bereitschaft in der linksradikalen Szene wieder, sich durch Eigen- initative an derartigen Konzepten zu beteiligen. Wenn aufgrund mangelnder Vorbereitung oder verbreiteter Konsumhaltung selbst- organisierte und auch militante Protestformen auf der Strecke bleiben, empfinden wir das als ein schlechtes Zeichen für die
Entschlossenheit in der linksradikalen Szene.

Die andere Art des „friendly fire“

Wir hatten uns im Zuge der Diskussionen um mögliche Aktions- und Blockadeformen während des G8-Gipfels bewusst gegen eine Teilnahme am Konzept Block G8 (BG8) entschieden, weil uns manch versprühter Geist der Regulierung, das Anliegen den Handlungsspielraum bei diesem Konzept auf ein „kontrolliertes Maß“ festzulegen und die Betonung des zivilen Ungehorsams unter Ausschluss weitergehender
Aktionsform missfielen.

Wir fanden die Idee einer Massenblockade von BG8 prinzipiell gut. Den Weg der Umsetzung hingegen fanden wir falsch, weil wir in der klaren Festlegung gewünschter und ungewünschter Verhaltensweisen nicht nur das Anliegen sahen, möglichst vielen, unerfahreneren AktivistInnen einen Aktionsrahmen anzubieten, sondern auch die implizierte Übernahme des kriminalisierenden Blickes auf
militante Widerstandsformen. Damit wurde von einigen in BG8 eine Polarisierung zwischen vertretbaren, im Sinne von vermittelbaren, und unvertretbaren Aktionsformen aufgemacht, die auch von den linksradikaleren BG8-Bündnisgruppen nicht korrigiert werden konnte.

Zwei Tage vor den Blockaden führten Vertreter von BG8, sowie ein Anmelder des antimiltaristischen Aktionstages in Rostock-Laage Gespräche mit den Cops um ihren Aktionsspielraum auszuhandeln. Hintergrund für diese Entscheidung von BG8 soll u.a. gewesen sein, dass aufgrund der Ereignisse am Samstag ein zu geringer Handlungs- spielraum erwartet wurde. Durch die Offenlegung des eigenen
Aktionsrahmens erhoffte mensch sich einen deeskalierenden Bullen- einsatz bzw. die Möglichkeit einen harten, unverhältnismäßigeren Bulleneinsatz besser kritisieren und delegitimieren zu können. Solche Gespräche sehen wir bei Aktionen des zivilen Ungehorsams, bei denen die Regelverletzung erklärtes Ziel ist, als politischen Fehler an, zumal die darin selbst auferlegten Beschränkungen gegenüber den Aktivist_innen von BG8 vor Ort auch in einigen Fällen durchgesetzt wurden. Unsere Einschätzung bestätigte sich bereits am Mittwoch, als die Schergen die Blockade-Taktik neutralisieren konnten. In dieser Situation gelang es BG8 nicht, den Ramen zu sprengen und ein neues Fass, bzw den Zaun aufzumachen.

Unser Verhältnis zur Kampagne Block G8 lässt sich jedoch nicht nur über die genannte Kritik beschreiben. Wir haben die beiden Blockadekonzepte immer als gegenseitige Ergänzung gesehen und uns dafür mit Teilen des Bündnisses sehr gut koordiniert. Wir haben uns über die Bereitschaft von Tausenden von Menschen gefreut, die sich für ein Blockieren im Rahmen von BG8 entschieden hatten und wir haben von der Kampagne BG8 gelernt, was die Vermittlung klarer
Aktionsangebote bedeutet. Letztendlich haben sich nicht wenige aus unserem Umfeld der Massennblockade mangels eigener Alternativen angeschlossen.

Klar ist, dass mensch mit der Propagierung von militanten Aktions- konzepten in einem Widerspruch zur legitimierten Ordnung und der mehrheitlichen Meinung steht. Es bleibt eine der größten Herausforderungen, diesen Widerspruch in der politischen Praxis auszuhalten und auch öffentlich vertreten zu können. Der
emanzipatorische Charakter einzelner Aktionen und politischer Kampagnen ist mit Sicherheit nicht an dem Grad ausgeübter Militanz zu messen, aber eben an einem unversöhnlichem Antagonismus zur bestehenden Ordnung. In der Frage nach dem Verhältnis zu Aktionen des unkontrollierbaren Regelbruchs steckt zugleich die Frage nach dem Verhältnis zur staatlichen, zur rechtssetzenden und
rechtserhaltenden Gewalt.

Solidarische Kritik ist für die Weiterentwicklung militanter Aktionskonzepte erwünscht und notwendig. Aber es sollte doch bei jeglichen Äußerungen zu anderen Aktionsformen und Aktivitst_innen Klarheit darüber bestehen, wo die eigentliche Konfliktlinie im Kampf um gesellschaftliche Veränderung verläuft.
Vorauseilende Ausgrenzung, Denunziation und Gedanken über eine Auslieferung von GenossInnen an die Bullen sind fern eines jeglichen solidarischen Verhaltens.
Und wie schnell wird aus einem „Schlagt uns nicht!“ ein „Schlagt nicht uns!“.

Die Auflösung und die Zukunft

Wir waren PAULA. Es hat sich gezeigt, dass das Konzept von PAULA Schwächen hatte und sowohl in der Planung als auch in der Umsetzung an einigen Stellen zu ergänzen ist. Dennoch halten wir grundsätzlich das Konzept von dezentrale Blockaden für sinnvoll, sei es bei Großereignissen wie Gipfeltreffen oder bei Castortransporten und Naziaufmärschen.

Wir bleiben dabei, dass unberechenbare Widerstandsformen notwendig sind. Eine logische Konsequenz unserer Gesellschaftsanalyse ist auch eine militante Praxis in der linksradikalen Szene und die Bestre- bung, die gemeinsame Bereitschaft für derartige Aktionsformen aufrecht zu erhalten.

Mögen die angeführten Kritikpunkte zukünftigen Zusammenschlüssen bei der Planung von subversiven Aktionen hilfreich sein.

Solidarische Grüße an die mit §129a belästigten Gennoss_innen!

PAULA
(überregionales Plenum - antiautoritär - unversönlich - libertär -
autonom)