Ökonomie und Politik autonomer Wissens/Macht

Einige Gedanken zu Politik und Ökonomie autonomer Wissens/Macht in Folge ländlicher Debatten - für den Wortschatz des Black Block und die Internationalen Brigaden am Vorabend militanter Taktiken im Herbst 2007! - Übersetzung eines Artikels auf indymedia germany vom 29.08.2007

Die komplexen Maschinen dekonstruieren, um sie auf unkonventionelle Art wieder zusammenzusetzen...

Die Politik des Potentiellen
Wenn wir durch die Städte laufen, angeschlossen an die Verteilungs-Netzwerke der Welt, wechseln wir von einem Image zum nächsten, von Lidl zu Gucci, zu Whiskas, zur Guggenheim oder Bertelsmann Stiftung, zu McDonalds. Jedesmal aktivieren wir Felder möglicher Bezugnahmen, möglicher Kommunikation und möglicher Sinneswahrnehmungen, äquivalent und austauschbar. Im Angebot der Weltsupermarktkultur werden Waren-Möglichkeiten aus Wünschen und Bedürfnissen geboren, die Werbung und Medien heraufbeschwören. Realisiert werden können sie nur durch das Geld, das wir zur Verfügung haben, durch unsere Arbeit und unseren Kredit bei der Bank. Die Reichsten haben gute Chancen darauf, dass es ihnen gut gehen wird, denn sie haben die Kohle dafür. Sie können ihre eigenen Waren-Möglichkeiten schaffen, und sie allen anderen aufnötigen. Aus dieser Gleichung formiert sich ein komplexes Gebilde, das Wahrheit, Geld, Technologie und Macht an sich bindet, und die Dir erlaubt, an Deiner eigenen Indoktrination und Unterwerfung zu arbeiten. Foucault spricht von "Regimen der Wahrheit", womit er die sich selbst-verfestigenden Kreisläufe bezeichnet, in denen sich die Unterwerfung der Individuen und die Herstellung subjektivierender Wahrheiten wechselseitig verstärken.

Verschiedene Arten von Autonomie ragen aus diesem Kontext hervor. Sie offenbaren sich in der wachsenden Kraft diffuser Intellektualität, diffuser Kreativität und diffusen Widerstandes, ausgeübt von Individuen und Kollektiven die Lebensformen schaffen (expressive, diätische, leidenschaftliche, städtische), die Formen sozialen und zivilen Ungehorsams ins Spiel bringen, die ihre Fähigkeiten entwickeln und aus dem Verborgenen Bedeutung hervorbringen, autonom und kritisch. Diese Manifestationen autonomer Wissens/Macht provozieren eine Krise des Monopols der produktiven Organisationen der Konsumgesellschaft auf den Zugang zu Möglichkeiten. Anders als die auf Unterwerfung gerichteten Wahrheits-Regime handeln autonome Wissensformen durch Resonanzen, intensivieren die Potentiale des Seins und dekonstruieren die komplexen Maschinen, die einpoligen Totalitäten, die unsere Umwelt konstituieren: technologische und ökonomische Macht, bürokratische, kulturelle und sexuelle Macht. Das Lebewesen, das autonomes Wissen und Macht ins Spiel bringt ist ein potentielles Lebewesen. Er oder sie ist nicht einfach da, eingefroren in einer Rolle oder darauf trainiert eine bestimmte, normalisierte Möglichkeit zu suchen oder zu wünschen, oder zwischen solchen Möglichkeiten zu wählen. Ihre Möglichkeiten sind keine Waren-Möglichkeiten, kontrolliert und rationalisiert vom kapitalistischen System, sondern reale Chancen, mögliche Bestimmungen, ins Spiel gebracht von der Aktivität des Seins.

die komplexen Maschinen dekonstruieren, um sie auf unkonventionelle Art wieder zusammenzusetzen...

Autonomes Wissen dekolonisiert die Möglichkeiten, eröffnet Existenz und Potential des Seins durch horizontalen Austausch von Wissen und Erfahrung: italienische HackerInnenlabore in der Domäne der Informatik; Netzwerke wechselseitigen Austauschs von Wissen; Amateurpraktiken der Biotechnologie (das Critical Art Ensemble, eine KünstlerInnengruppe aus den USA); der Kampf um Zugang zum außerathmosphärischen Raum (Assoziation autonomer AstronautInnen); Video nah am zuhause (der KünstlerInnengruppe PTTL aus Brüssel); Kämpfe für gemeinsame Organisierung und Management der Umwelt (Wasser im Fall vom Semepa, einer Gruppe lokaler EinwohnerInnen aus Cochabamba, Bolivien); Kämpfe für die Nutzung von Netzwerken, wie im Falle von Seattle Wireless (USA); Kämpfe um Land, wie im Falle von Sem Terra, der Bewegung landloser Bäuerinnen und Bauern in Brasilien; Kämpfe um städtische Räume, wie im Fall der HausbesetzerInnenbewegung in Frankreich; über das Zirkulieren von Menschen, wie im Fall von kein mensch ist illegal (eine aus der BRD stammende soziale Bewegung) usw...

Autonomes Wissen kann aus der Analyse der Art und Weise gewonnen werden, wie die komplexen Maschinen funktionieren. Programme oder Betreibersysteme dekonstruieren, um sie auf unkonventionelle Art wieder zusammenzusetzen ist genau, was HackerInnen oder die Bewegung für freie Software tun. Die italienischen HackerInnenlabore schaffen eine Ökonomie, indem sie ihr Wissen über Elekronik und Informatik allen interesierten Leuten zur Verfügung stellen. Sie sind kein Serviceunternehmen. Sie sind Organisationen, die Fähigkeiten in mehr oder weniger informeller Weise zusammenbringen. Sie bieten verschiedene Arten der Expertise an und geben ihr Wissen und know-how kostenfrei weiter.
Die Dekonstruktion komplexer Maschinen und ihre "dekolonisierte" Rekonstruktion kann mit allen möglichen Objekten durchgeführt werden, nicht nur mit computerisierten. In gleicher Weise, wie Du ein Programm dekonstruieren kannst, kannst Du auch das interne Funktionieren einer Regierung oder einer Verwaltung, einer Firma, einer Industrie- oder Finanzgruppe dekonstruieren. Auf der Basis solch einer Dekonstruktion, die die operativen Prinzipien einer gegebenen Verwaltung präzise identifiziert - all die Verbindungen und Netzwerke zwischen Verwaltungen, Lobbygruppen, Geschäften usw. - können Aktions- und Interventionsmodi für diese Firmen definiert werden. Aber um eine Maschine dekonstruieren zu können, brauchst Du zunächst Zugang dazu und musst ihre Funktionsweise verstehen, in anderen Worten: Du brauchst Zugang zu den Informationen, die sie konstituieren. Doch wissenschaftliche und technische Informationen sind ebenso wie organisatorische nur in sehr begrenztem Maße zugänglich. Der Wunsch nach dem Dekonstruieren der komplexen Maschinen wird daher verdoppelt durch die Forderung nach freiem Zugang zu Wissen und dessen freier Zirkulation. Kolloqien und informelle Treffen weisen ein Copyright auf beide Formen von Wissen zurück: Auf das mit hohen Produktionskosten verbundene Wissen ebenso wie auf das durch künstliche Verknappung teuer gehaltene; sie weisen die Monopole und Privilegien zurück, die Bürokratien oder kommerzielle Kräfte in Form intellektueller Eigentumsrechte beanspruchen oder durch Geheimhaltung realisieren.
Die Bedeutung der Kommunikationsmedien (Handies, Computer, Internet, Radio, Fernsehen, Funkgeräte, Kopiermaschinen...) für das Zustandekommen und Aufrechterhalten sozialer Bewegungen und autonomer Lebensformen ist allgemein bekannt. Die Nutzung dieser Medien - und speziell des Internets und der damit verbundenen Computertechnologien - erfordert spezifische Formen autonomen Wissens, das von Kollektiven, Kooperativen Netzwerken und Individuen hergestellt und verbreitet wird: Netzwerke zur Produktion alternativer Information, Webzines (indymedia, nettime), Infoshops (Malocka in Dijon, Infoshop La Torre in Rom, oder allgemein: www.infoshop.org), Fanzines, autonomes Fernsehen (Free Speech TV, deep dish and paper tiger tv in Amerika, Télé Bocal in Paris, Community Access TV in Amsterdam), Verlage (l`éclat in Nimes, b_books in Berlin, ak press in den USA/UK, Autonomedia in den USA, Encyclopédie des Nuisances, l´ésprit frappeur, liber raison d´agir in Paris...), Radios (kpfa in Berkeley, Radio Popolare in Mailand), Hacking (Electrohippies in Großbritannien, electronic disturbance theatre (edt) in den USA), Anonymisierungsprogramme (Freedom, geschaffen von Zeri Knowledge), Systeme, die auf offenem Quellcode basieren (Linux Network, free software foundation), Gruppen, die Musik frei zuganglich machen (gnutella, morpheus, napster, bevor sie von der deutschen Bertelsmann Gruppe gekauft wurde, MACOS: Musicians against copyrighting of samples), Verschlüsselung (cryptography.org), Hosts autonomer Internet Seiten (www.enc.org, www.sindomino.net in Spanien, samizdat.net in Frankreich), HackerInnentreffen (z.B. Oktober 2000 in Barcelona) und allgemeiner Netzwerke, die vielfältige Formen von Wissen zum Ausdruck bringen, und im allgemeinen auch Lebensformen rüberbringen (earth first!, Zapatistas/ezln, squatnet) [Fußnote 1], besetzte Häuser (die Okupa Bewegung und die besetzten sozialen Zentren (CSO) in Spanien als soziale Projekte in einem Land ohne Sozialwohnungsvergabe und Minimaleinkommen), sowie verschiedenen Aktionsformen, wie sie in Italien oder Frankreich durchgeführt werden: Kostenloser Transport, Selbstbedienungsaktionen (kostenfreie Aneignung von grundlegenden Konsumgütern in Supermärkten).

Die Erfindungen militanter Formen autonomer Wissen/Macht können diskursiv sein [Fußnote 2], in der Hauptsache aber sind sie praktisch und "greifbar": Expressives Wissen (bringt das Selbst und die Beziehungen zu anderen ins Spiel), Stadtwissen (Vertrautheit mit Örtlichkeiten und Zeitlichkeiten der Stadt), Organisierungswissen (Bezugsgruppen in Seattle), taktisches Wissen (Verständnis der Schwellen symbolischer Gewalt, z.B. bei den Tute Bianche während des Gegengipfels), menschliches Wissen.
Diese Formen vorrübergehender Aktion können nach und nach eine dauerhaftere Form annehmen: So wurden während des Aktionstages am 17.November in Italien viele leerstehende Räume besetzt [Fußnote 3], was die Möglichkeit eröffnete, sie für eine mehr oder weniger lange Zeit in soziale Zentren oder besetzte Häuser umzuwandeln. Während dieser Begegnungen und Momente der Kooperation können die Aktionen beständigere Formen annehmen, Kampagnen oder Besetzungen werden organisiert: Wie die Bewegung der GesundheitsarbeierInnen in Frankreich, die mit zeitweiligen Demonstrationen begann, um sich danach dauerhaft im öffentlichen Raum festzusetzen. Das gleiche gilt für die AfrikanerInnen, die zum Überleben eine Zeltdorf auf einem öffentlichen Platz in Vincennes, Frankreich, errichteten, oder die Entwicklung, die die Bewegung der Sans-Papiers mit der Besetzung erst der Saint-Bernard, dann der Saint-Ambroise Kirche in Paris nahm (nach Jahrzehnten des "Vergessens" in der öffentlichen Meinung). Solche langandauernden Besetzungen, die über den vorrübergehenden Charakter von Demonstrationen und Aktionen hinausgehen, bedürfen spezieller Wissensformen und Fähigkeiten, wie die Besetzung eines Bezirkes von Madrid durch streikende Telefonica ArbeiterInnen vor kurzem verdeutlichte: Die Installierung von Lebens-Möglichkeiten im städtischen Raum durch illegale Anschlüsse an die Strom-, Wasser- und Abwassersysteme.
So lange das eingangs von der sozialen Bewegung thematisierte Problem nicht gelöst wird, neigen vorübergehende Aktionen potentiell dazu, sich zu verstetigen (abhängig von Energie, Willenskraft und Hartnäckigkeit der AkteurInnen, sowie der Passivität der öffentlichen Ämter).
Aber ihre Dauerhaftigkeit hat einen anderen Ursprung: Bestimmte soziale Bewegungen sind direkt an aufgezwungene Lebensformen geknüpft (keine Papiere zu haben), oder an gewählte Lebensformen (Via Campesina, Confédération Paysanne, Sem Terra Bewegung, HausbesetzerInnen oder soziale Zentren). Diese Bewegungen sind nicht einfach von ökonomischem Niedergang verursacht oder an Kampagnen gebunden, die via regulärer symbolischer Aktionen Einfluß auf die öffentliche Meinung nehmen möchten, sondern entspringen vielmehr einer Philosophie des Daseins, einer Interpretation kultureller, politischer oder ökonomischer Dominanzen durch die Mehrheit, oder einem generellen Protest gegen den Kapitalismus oder den Staat. Solche Formen sich symbolisch konstituierender Aktionen, die öffentliche oder mediale Räume besetzen, können von anderen Aktionsformen unterschieden werden, die als Modus ihres Erscheinens und ihrer Organisierung die Unsichtbarkeit wählen. Diese anderen Formen ziehen es vor nicht aufzutauchen, im Geheimen zu handeln oder sich komplett vom System abzukoppeln. Auszug, Entkopplung, Austritt, Löschung, Unsichtbarkeit, und Verschwinden wird von herrenlosen Leuten ausgeführt, von nicht qualifizierten Individuen, die dem Magnetismus des planetarischen Supermarktes entflohen sind, die einzigartige Wissensformen entwickeln, ihre eigenen Formen, "abnormale" Wege die Wirklichkeit zu begreifen und zu repräsentieren, "abnormale" Kapazitäten und Fähigkeiten von Beziehungen und Kommunikation. Diese herrenlosen Leute - die absichtlich desertieren - antworten nicht länger auf die Anforderungen an Partizipation, an der Produktion von Bedeutung (tatsächlich an der Produktion von Kritik), die von den ökonomischen, medialen und bürokratischen Mächten gestellt werden. Sie üben ihre Macht als AutorInnen in einem Modus aus, in dem "es nicht darauf ankommt, wer spricht", im Modus der anonymen AutorIn oder der unqualifizierten Singularität, mit der Macht der Multitude. In diesem Sinne bricht die AutorIn - die sich selbst ent-individualisiert und auf den kollektiven Grund rückbezieht, dessen Stimme und Erfahrung sie ist - mit der Formlosigkeit und Unbestimmtheit einer verschwindenden Spur: die AutorIn manifestiert sich als eine Kraft. Sie ist der Ort, an dem wir uns selbst erfinden, mit jeder Tradition brechen, mit jeder Souveränität, jedem Territorium, jedem Erbe, ein endloser aufständischer Prozess, der sich selbst nur im Modus des Werdens, der Transformation begreift.

Ökonomie und Politik autonomer Wissens/Macht
In Westeuropa haben zahlreiche informelle oder militante Organisierungen (z.B. besetzte Häuser in Frankreich) und zahlreiche Kollektive, die autonome Wissens/Machtformen produzieren Abkommen mit örtlichen Regierungen unterschrieben, verkaufen ihre Dienste ohne Profit zu erwirtschaften, oder nehmen öffentliche Gelder an. Aber bestimmte militante Organisierungen verweigern das Unterschreiben von Verträgen. Zusammen mit anderen besetzten Häusern und sozialen Zentren, Workshops der Wahrheitsproduktion und Kollektiven, die autonomes Wissen hervorbringen verweigern sie es Geld anzunehmen und verkaufen weder Güter noch Dienstleistungen. Diese Formen entkoppelten autonomer Wissens/Macht haben keinen legalen Status: Sie passen nicht in Verbands- oder Konzernformate. Für gewöhnlich gehen sie von isolierten Individuen oder informellen Kollektiven aus, deren materielle, humane oder finanzielle Mittel nichts mit Marktprinzipien oder Umverteilung zu tun haben.
Wir können daher unterscheiden zwischen einer solidarischen Ökonomie die autonome Wissens/Macht beinhaltet auf der einen Seite - der sogenante "dritte Sektor", der immer mehr oder weniger in die generelle Dynamik des Kapitalismus integriert ist (Jean-Louis Laville von Crida charakterisiert die solidarische Ökonomie als Ausdruck zwischen kommerzieller Ökonomie und der nicht-kommerziellen, nicht über Geld vermittelten Ökonomie) - und der "unsichtbaren" Ökonomie autonomer Wissens/Macht auf der anderen Seite.
Die solidarische Ökonomie charakterisiert häufig die informelle Ökonomie, wie sie in Studien über Vietnam, Indonesien und afrikanische Länder beschrieben wurde. Auch wenn sie auf Reziprozität, d.h. auf Gegenseitigkeit basieren, finden sich diese informellen Ökonomien dort, wo die heimische Ökonomie und die nicht-monetäre, kooperative Ökonomie des Marktes zusammenfließen (Der People´s Credit Fund, ein vietnamesisches Netzwerk von 971 Kooperativen mit über 700 000 Mitgliedern; das Nyesegiso Netzwerk in Mali mit über 70 000 Mitgliedern, das als Gruppe von 46 Dorffonds, Spar- und Kreditkooperativen die Entwicklung kleiner Geschäfte und Betriebe ermuntert; oder Kuapoo Kokoo im Senegal, eine Verbindung von dörflichen Kornkammern, Samenbanken, kollektiven Marketingsystemen, Organisationen von HandwerkerInnen, der Multi-Activity Peasants Gewerkschaft, auf Rotation beruhenden Verleih- und Kreditassoziationen, Spar-und-Verleih Kooperativen sowie dörflichen Spar-und-Verleih Fonds, Programmen von Gesundheitsversicherungen auf Gegenseitigkeit und Nachbarschaftsorganisationen; oder das Cofac Netzwerk in Uruguay - Cooperativa Financiera de Ahorro y Crédito - das 200 000 Mitglieder aus 35 Kooperativen zusammenbringt; oder die People´s Economic Organisation oep in Chile, bestehend aus Gesundheitskooperativen, Volksküchen und Gemeinschaftsgärten, Kooperativen zum Hausbau, und Kreditsysteme auf Solidarbasis wie die Grameen Bank).

Die "unsichtbare" Ökonomie der autonomen Wissens/Macht kann folgendermaßen charakterisiert werden:
1.) Eine Ökonomie der Reziprozität, der Wechselseitigkeit, ohne die leiseste Absicht kommerzielle Aktivitäten zu entwickeln, in Abhängigkeit öffentlicher Distribution zu geraten oder sich den Kriterien dieser Verteilung unterzuordnen, aber ebenso nicht mit der Absicht, auf die häusliche Sphäre begrenzt zu bleiben;
2.) Eine Ökonomie freien Austausches, z.B. ohne Zugehörigkeitskriterien, ohne Katalog, der die Teilnehmenden nach Status in Mitglieder, Freiwillige oder Beschäftigte sortiert, anonyme, nicht qualifizierte AutorInnen, kein copyright (MACOS Netzwerk, negativland)...Diese Ökonomie könnte, wenn sie in komplexer Weise entwickelt würde, folgende Form annehmen (www.slip.net/~knabb): Bestimmte grundlegende Güter und Dienstleistungen wären ohne jede Buchhaltung für alle frei erhältlich. Andere wären ebenfalls frei zu bekommen, allerdings nur in begrenzten, rationierten Mengen. Wiederum andere, als "Luxusgüter" klassifizierte Dinge würde es im Austausch gegen "schmelzende Kredite" geben, z.B. gegen Kredite, die zu einem bestimmten Termin auslaufen, um eine exzessive Akkumulation zu einzuschränken [Fußnote 4].

Die Trennlinie zwischen sichtbarer und unsichtbarer autonomer Wissens/Macht findet einen weiteren Ausdruck in der Unterscheidung zwischen einer Politik der Repräsentation (ob ausgehandelt oder auf kooperativer Basis konstituiert) und einer Politik, die zugleich bilderstürmerisch und frei von Repräsentation ist (radikale Demokratie oder direkte Demokratie). Noch grundsätzlicher gefasst trennt sich an dieser Linie eine juristische Analyse von Macht (Legimitität, Legalisierung) von einer produktiven Analyse von Macht [Fußnote 5].
"Sichtbare" Formen autonomer Wissens/Macht begeben sich in Kämpfe für Legitimität und Legalisierung, oder arbeiten in Kooperation mit öffentlichen Ämtern. Sie stützen sich auf eine verfassungsgemäße, transzendentale und anthropologische Definition von Bedeutung. Kämpfe um Legitimität und Legalisierung sind nur eine systemische Strategie (unter anderen) zur Reduktion von Komplexität, die zur Reproduktion des Systems unerläßlich ist. Die Existenz solch eines Gesellschafts-Systems wird gewährleistet durch die statistische Austauschbarkeit der Individuen, gestützt durch die Manipulation der kollektiven Vorstellung, sowie durch die technischen Normalisierung auf dem Feld der Subjektbildung. "Sukzessive betreten die Subjekte die inneren Funktionsräume des Systems, jedoch nur durch die Seitentüren, wodurch das System nicht nur die ihm eigene Systematik bewahrt (welche gewissermaßen unabhängig ist vom menschlichen Bewußtsein), sondern auch seine eigene Existenz beweist, die unabhängig ist vom ein oder anderen Subjekt" (Michel Foucault, dits et éctrits II, Gallimard, p.424) [Fußnote 6].
Die Bewegungen, Wissensformen und autonomen Organisierungen, die auf einer produktiven Analyse der Macht aufbauen, erwachsen aus dem Verlust der Zentralität des Menschen (dem Verlust transzendentaler Subjektivität oder Intersubjektivität), aus dem Ende jeglicher Transzendenz, aus dem Verlust der Bedeutung der politischen Anthropologie, aus der systemischen (und statistischen) Austauschbarkeit der Individuen in der Kontrollgesellschaft, und aus der Vorherrschaft der Effizienz über die Legitimität. Diese Bewegungen, Wissensformen und Organisierungen suchen eine Öffnung des Möglichen durch die Multiplikation der Konflikte: Sie schaffen Eventualität und Komplexität, vermehren die "Probleme" (Mögichkeiten) statt zu versuchen, sie zu lösen oder zu integrieren.
Im produktiven Verständnis von Macht sind Werkzeuge keine Objekte, und Personen keine Subjekte. Die autonomen Formen der Wissens/Macht eröffnen die Welt in ihrer Vielfältigkeit und Potentialität. Sie verlassen das System, indem sie es de-codieren, das heisst, indem sie es in alle Richtungen überschreiten und überfluten, sich der Institutionalisierung verweigern, es vorziehen in Bewegung zu existieren, provisorisch zu bleiben und zu verschwinden, wenn die Energie, auf die sie sich gründet zu schwinden beginnt. Die Formen autonomer Wissens/Macht sind situativ und ohne jedes Modell, z.B. ohne jede mögliche Richtung und ohne jedes "gelobte Land", ohne jeden spekulativen Diskurs, der darüber verfügt, wie die Welt sein sollte, ohne jede allgemeine Organisation. "Die traditionelle Logik politischen Engagements, die die AktivistIn oder BürgerIn [von den Freimaurern bis zu den Gläubigen] zu einem Anhängsel der "Großen Aufgabe" machte, tendiert dazu von einer neuen Figur der AktivistIn abgelöst zu werden, verstanden als eine Individualität, die sich in verschiedene, mobile Netzwerke einklinkt, die für begrenzte zeitliche Perioden auf oft informelle Weise exisitieren. Diese Figur gipfelte [in Frankreich] in der Bewegung gegen das Debré-Gesetz [eine Reihe von Immigrationsgesetzen], wo wir Zeuge der Verbreitung individueller Initiativen wurden, die sich in Netzwerken artikulierten, die auf persönlicher Nähe gründeten. Indem sie jegliche Form der Delegation von Macht und Zentralismus von sich weist, in der Tat jegliche Kooptation, sucht die Figur der AktivistIn 'von a bis z' HerrIn ihrer Worte und Taten zu bleiben. Auch wenn der öffentliche Raum nicht a priori zurückgewiesen wird (man denke nur an die äußerst spektakuläre Nutzbarmachung der Medien durch die sozialen Bewegungen), so wird dieser Raum immer weniger zur rationalen Diskussion genutzt." (Olivier Blondeau, "Die kollektive Intelligenz im Dienste der sozialen Bewegungen") Die AktivistIn-ForscherIn verweigert sich der Logik, wonach eine Elite-Gruppe eine Philosophie und eine politische Strategie ausarbeitet, aus der in Folge eine Mobilisierung in und um die Organisation herum erwachsen soll.
In vielen dieser Formen autonomer Wissens/Macht werden die AktivistInnen selbst zu Medien. In diesem Zusammenhang werden Klassenkämpfe zu Sprachkämpfen. Die AktivistIn "stellt Informationen bereit und initiiert Aktionen, sie ist zugleich Knoten und Relais des Netzwerkes" (Olivier Blondeau). Eine AktivistIn-ForscherIn, für die Wissen ein elementarer Bestandteil des Kampfes ist.

Potentielle Politik
In einer Gesellschaft der Kommunikation und Information hängen Macht und Reichtum von der Kontrolle der Kreisläufe von Produktion und Distribution von Daten ab, und vom Zugang zu Informationsschätzen und Informationsflüssen (wissenschaftliche, technische, kulturelle, mediale Informationen). Dieser Zugang wird von jenen gehalten, die wissen wie sie Wahrheit von Verstellung trennen, die verstehen was möglich ist und wie, die dazu in der Lage vor anderen zu verheimlichen was sie wissen. Macht ist die Macht der Geheimhaltung, aber auch das Vermögen, den menschlichen Geist zu manipulieren, die Affekte, die Überzeugungen, die Wahrnehmungen, und die Hoffnungen der Menschen, das Vermögen, die Potentiale menschlichen und nicht-menschlichen Lebens zu domestizieren.
Haben Formen autonomer Wissens/Macht im derzeitigen verallgemeinerten Kriegszustand - der dazu neigt, überschüssige Wesen in großem Ausmaß physisch zu vernichten, während demokratische Prozesse sich verflüchtigen und verschwinden - haben in dieser Situation Formen autonomer Wissens/Macht noch immer die Chance das gammelnde Gewebe des öffentlichen Lebens mittels Kämpfen um Legitimität und Legalisierung wieder aufzubauen? Oder sollten sie das Unsichtbare nicht mit dem Unsichtbaren bekämpfen, in anderen Worten, entschlüpfen, sich abkoppeln, desertieren, und auf diese Weise überall unterhalb des kapitalistischen Gebäudes Tunnel auszuhöhlen?

[Fußnote 1]
Die Nutzung von Cyberpropaganda durch die ezln war derart effektiv, dass spontan Seiten geschaffen wurden, um die Texte der ZapatistInnen zu verbreiten. Laut Henri Favre verkörpert die ezln "den ersten post-kommunistischen Aufstand des 21.Jahrhunderts. ("mexique: le révélateur chiapanèque," problèmes d'amérique latine 25, la documentation française, 1997, pp. 4-5). Aber auch über Cyberpropaganda hinaus ermöglichte das Internet die massenhafte Verbreitung von Nachrichten in Echtzeit, ohne auf die den etablierten Mächten ungeordneten Medien zurückgreifen zu müssen, und ermöglichte so die Organisierung von Demonstrationen überall auf der Welt (und nicht einfach von Cyberdemonstrationen) zur Unterstützung der ZapatistInnen. Tatsächlich erlaubte es das Internet früh im Jahr 1997 Proteste an 29 mexikanischen Konsulaten in den Vereinigten Staaten zu organisieren. In den Städten, in denen wir keine VertreterInnen hatten, die zu den Konsulaten gehen konnten, kontaktierten uns lokale Organisationen übers Internet und boten ihre Hilfe an" (Guillermo Glenn, zitiert in Gregory Destouche, Menace sur Internet: des Groupes Subversifs et Terroristes sur le Net, Michalon, 1999, p. 32).

[Fußnote 2]
Die diskursiven Formen autonomer Wissens/Macht tauchen bemerkenwerterweise in politischen Diskursen auf, in der Rhetorik der Traktate, Reden und Publikationen von AktivistInnen und Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und politischen RepräsentantInnen. Tatsächlich bildet der Diskurs das Fundament von Politik im allgemeinen Verständnis des Wortes. Daher erfindet jede politische Bewegung im Verlauf ihrer Geschichte ihre eigene Sprache, ihre eigenen Felder von Referenz und Rhetorik, sowie ihre eigene Lesart der Ideologiegeschichte. Zunächst ist es notwendig, die Identität der Bewegung zu begründen, sodann kann diese Identität manchmal (oder sogar wiederholt, wie unter AnarchistInnen oder SituationistInnen) einer trennenden Logik Auftrieb geben, die Meinungsverschiedenheiten mehren, und dazu führen, dass enorme Mengen an Energie darauf verwendet werden, sich gegenseitig zu bekämpfen und zu neutralisieren, statt gemeinsam zu handeln. Dabei geht es darum zu unterscheiden, welche Bewegungen, Haltungen und Diskurse authentisch anarchistische sind, und welche nicht. Um dies zu tun wird Bezug auf die Geschichte der Bewegung genommen. Diese Geschichte dient auch dazu bestimmte Strategien zu verankern: Daher entwickelte die Revolutionäre Libertäre Organisation im Unterschied zur Anarchistischen Föderation in Frankreich mit ihrer "synthetischen" Organisierung (bestrebt alle anarchistischen Strömungen zusammenzubringen, auch auf das Risiko eines Gemischtwarenladens hin), eine Organisierung auf Grundlage einer sogenannten "Plattform", in Anlehnung an die organisatorische Plattform der russischen AnarchistInnen im Exil, nach der Revolution von 1917. Die Libertäre Revolutionäre Organisation ist eine der Zweige der Anarchistischen Revolutionären Organisation, die sich in Frankreich nach dem Kongress von Orléans 1976 in zwei Tendenzen spaltete. Der zweite Zweig wurde zur Libertären Alternative, die im Unterschied zu früheren Formationen darauf zielt, eine politische Partei zu entwickeln.
Bestimmte politische Bezeichnungen sind mit situativen politischen Taktiken verbunden, nehmen schrittweise eine Bedeutung an, die sich von der Anfänglichen unterscheidet. Dies ist dem Wort "libertär" der Fall, das eigentlich erfunden worden war, um ein französisches Gesetz zu umgehen, das den Verkauf und die Verbreitung von Publikationen mit dem Namen "Anarchie" oder "anarchistisch" verbot. Gleichermaßen sind die Begriffe Kommunismus und Sozialismus mit einer bestimmten Geschichte aufgeladen.

[Fußnote 3]
Das Datum des 17. November 2001 in Italien - der Erste Tag Zivilen Ungehorsams gegen den Krieg - kann das Ausmaß dieser Kreativität illustrieren: In Venedig entschied sich die Demo zum britischen Konsulat zu ziehen, das eine Salve mit roter Farbe gefüllter Eier empfing. In Turin wurden Statuen, die an den Krieg erinnerten, mit Papier und Karton verhüllt. In Genua besetzten die Ungehorsamen den Bauplatz eines künftigen Mega-Shopping-Centers, um gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums zu protestieren. In Gorizia (einer Stadt, die von der slovenischen Grenze in zwei Teile zerschnitten wird) zog eine Demo durch beide Teile der Stadt, und unterstützte damit eine Initiative des "No-Border-Social-Forum". In Mailand blockierten hunderte DemonstrantInnen den Zugang zu einer Zweigstelle [??], um deren Beteiligung an der Finanzierung des Krieges in Afghanistan anzuprangern. In Rom setzten hunderte Leute freien Eintritt zu einer Ausstellungshalle durch. Draußen proklamierte ein riesiges Transparent: "Wissen, eine globale öffentliche Dienstleistung. Freier Zugang. Einkommen für alle!" In Cosenza wurden symbolisch militärische Ziele angegriffen. In Reggio Emilia gruben mehr als 300 Leute eine Pipeline aus, die Gas und Energie zu mehreren Militärbasen der Nato transportiert. Mehrere Kasernen in Mailand erhielten blutige italienische Flaggen. In Padua wurden die Kasernen mit zahlreichen Rauchbomben und Feuerwerksraketen angegriffen. In Marghere (Venedig) wurden mehrere Kilo giftigen Schlamms im Eingangsbereich der Handelskammer hinterlassen. In Genua wurde ein gigantischer Tisch mit biologischen Nahrungsmitteln vor McDonalds aufgebaut, auf dem ausführliche Informationen über multinationale Konzerne ausgelegt wurden, usw.
Verschiedene Formen legaler und illegaler Aktion: Das französische Strafgesetzbuch unterscheidet zwei Formen legaler politischer Aktion (das Recht auf Meinungsäußerung in verbaler, mündlicher oder schriftlicher Form, aber auch in der physischen und symbolischen Form der öffentlichen Demonstration) und drei Formen illegaler politischer Aktionen (sich in einem Mob zu versammeln [entspricht Landfriedensbruch], Aufstand und Terrorismus). Was die politische Aktion betrifft, so lässt das französische Strafgesetzbuch ein mögliches Schlupfloch der Interpretation einer Demonstration (die legal ist sofern sie angekündigt wird - laut gesetzlicher Verfügung vom 23.Oktober 1935, indirekt anerkannt durch Artikel 431-1 des neuen Strafgesetzbuchs) als Versammeln in einem Mob (was nach Artikel 104 bis 108 verboten ist), oder gar als Aufstand (was mit Haft und Strafen von 1.5 bis 5 Millionen Francs bestraft wird). Eine Demonstration kann daher - auch wenn sie gemäß des Gesetzes vom 23.Oktober 1935 legal ist - in rechtlichen Begriffen schnell zur Versammlung in einem Mob oder einem Aufstand werden (was beides illegal ist und schwer bestraft wird), wenn es zur Errichtung von Barrikaden oder einer Besetzung von Gebäuden durch Tricks oder Gewalt kommt...Die außerparlamentarische Aktion der legalen Massendemonstration ist daher der spontanen Handhabung derer unterworfen, die sie praktizieren, mit der Einschränkung möglicher Bestrafung in Folge dieser strafrechtlichen Vorkehrungen.
Lock-ons (das Anketten an Zäune, die ein Gebäude umgeben, oder an einen Operationstisch) und Hungerstreiks sind spezifische Formen der Demonstration. Andere Formen beinhalten das "Die-In", wobei die AktivistInnen regungslos auf dem Boden liegen, als hätte sie eine Katastrophe niedergestreckt.
Als Modus politischer Aktion oder Proteste ist der Hungerstreik schon alt. Wenn wir Georges Duby Glauben schenken wollen, tauchte er zum ersten Mal im Fasten von Frauen auf, die im Mittelalter gewaltsam verheiratet worden waren. Im 20.Jahrhundert wurde der Hungerstreik häufig dem weiblichen Aktivismus zugeschrieben, oder dem "hysterischen" Aktivismus. Im Kontrast zur Welt der wirklichen Gewalt und der wirklichen Politik wurde der Hungerstreik als "kleinbürgerliche Methode kommunistischer Kreise und linksradikaler leninistischer Kreise in den frühen 70ern" denunziert (Johanna Siméant, "Grèves de la Faim en France," Sociétés Contemporaines 31, l'Harmattan, July 1998, p. 76). Die Form des Hungerstreiks wurde in den 70er, 80er und 90er Jahre von Sans-Papiers breit eingesetzt, und wird derzeit unter anderem von Gefangenen in der Türkei praktiziert.

[Fußnote 4]
Freier Zugang zu Ernährung und Wohnen, die Befriedigung von Grundbedürfnissen, ist
zweifelsohne der erste Schritt in Richtung einer Befreiung von jeglicher Unterwerfung. Aber wenn diese Befreiung um den Preis der Abhängigkeit oder Unterordnung unter eine dominante Partei erreicht wird, so werden ihre Kosten (das Band der Unterordnung) lediglich von monetären auf psychologische verschoben.
Die Befreiung von Unterwerfung kommt daher vor dem freien Zugang. Nur Lebewesen, die von der Unterwerfung unter eine andere Partei (aber auch unter sich selbst) befreit sind, sind in der Lage, Dinge auf freie Art zu nutzen. Der Domestizierung oder Unterwerfung zu entfliehen (der Verschiebung der Kosten vom monetären auf das psychologische, oder behavoristische Register), muss sich eine Gesellschaft des freien Zugangs der Last der Souveränität entledigen, und sich selbst als potentielle wahrnehmen. Bedingung bereits des Erscheinens einer potentiellen Gesellschaft ist das Verschwinden der souveränen AutorIn, die beschreibt, besitzt oder gibt.
Es muss unterschieden werden zwischen dem Geschenk und freiem Zugang. Die im souveränen Stil Gebende schafft vielleicht eine Schuld, eine Abhängigkeit oder einen Zustand der Unterwerfung bei der empfangenden Person. Freier Zugang ist eine anonyme oder nicht qualifizierte Art etwas allen zur Verfügung zu stellen, ohne jeden Vertrag: Freier Zugang ist ohne Absicht und ohne Erwartung. Dennoch kann er Unterwerfung verursachen oder verschiedene Formen von Abhängigkeiten schaffen (die freie und anonyme Verteilung von Ecstasy ermöglicht es, das Produkt kennenzulernen, es zu benutzen und möglicherweise regelmäßig zu nehmen). Konzerne, die vorhaben eine neue Anwendung oder eine neue Ware oder Dienstleistung zu vermarkten, müssen den Wunsch oder das Bedürfnis nach dem Gebrauch dieser neuen Ware oder Dienstleistung hervorrufen: Zu diesem Zweck investieren sie in die Verteilung von Proben, die die NutzerInnen zu deren Gebrauch erziehen, ihre Loyalität gewinnen sollen. Marketing nutzt die "freie" Verteilung von Gütern, um eine Abhängigkeit zu schaffen, oder eine neue Gewohnheit zu installieren, ein neues Bedürfnis, neue Anwendungen...
Mensch sollte unterscheiden zwischen freiem Zugang mit AutorIn und freiem Zugang ohne AutorIn, Marketing und kommerzielle Projekte sind an Ersterem beteiligt. Freier Zugang ohne AutorIn kann anonymer oder nicht qualifizierter Zugang genannt werden. (a) Im anonymen freien Zugang sind die Individuen austauschbar. Die Zirkulation von Gütern und Dienstleistungen wird nicht von einer Person zur anderen ausgeführt. Es gibt keine SenderInnen oder EmpfängerInnen. Anonyme Information z.B. ist ein Aggregat, ein gemeinsamer Schatz, ein Gut, dass jeder und jede sich nehmen kann, denn es ist für alle zugänglich. Sein Prinzip ist weder das Teilen, noch die Informationsgemeinschaft - der Austausch von Information zwischen Leuten, die sich kennen - sondern stattdessen die nackte Tatsache der Verfügbarkeit, ohne jede Erwartung, etwas zurückzubekommen, und indifferent gegenüber der EmpfängerIn. Anonyme Information wird einfach von irgendwem produziert, verteilt, gesammelt oder aufgegriffen. Wenn es Treffen zwischen SenderIn und EmpfängerIn gibt, dann sind diese kurz und einmalig, ohne Identität oder Erkennen, ohne Anteil oder Projekt. Die Information taucht in temporären Verbindungen auf und stiftet zufällige und provisorische Gruppierungen von SenderInnen und EmpfängerInnen, macht Souveränität und verfestigte Macht in mobilen Kontexten unmöglich. (b) Im nicht qualifizierten freien Zugang sind die Individuen nicht austauschbar: Sie sind wer auch immer und was auch immer, aber sie sind sie selbst, vollkommen singulär. Sie sind konkrete SenderInnen und konkrete, verkörperte EmpfängerInnen. Gruppen entstehen durch intensive Affinität, und sind nicht statistisch oder zufällig. Die nicht qualifizierte AutorIn bricht mit der Abwesenheit von Qualität in der Anonymität: Sie manifestiert sich als eine Kraft.

[Fußnote 5]
Ebenso wie mensch zwischen der "unsichtbaren" Ökonomie autonomer Wissens/Macht und der solidarischen Ökonomie unterscheiden kann - über Märkte, Nicht-Märkte und nicht-monetären Ökonomien sprechen kann (ob öffentlich oder nicht) - so können in autonomen Bewegungen auch Formen des Wissens und der Organisierung unterschieden werden, die es akzeptieren oder nicht akzeptieren, mit den öffentlichen Ämtern "zusammenzuarbeiten", oder wenigstens politische Repräsentation herzustellen. Diese Diskussion kam 1998 in den sozialen Zentren in Italien auf: "Einerseits waren die Tute Bianche und die sozialen Zentren der Mailänder Charta (September 1988) zunehmend an einem institutionellen sozialdemokratischen Rahmen beteiligt, auf der anderen Seite gab es soziale Zentren und besetzte Häuser (in Mestre, Padua, Turin...) und Experiente sozialer und gewerkschaftlicher Selbstorganisierung, die ihre Referenzpunkte in der "Autonomie der Klasse" oder den bunt gescheckten Expressionen des Anarchismus hatten, von HausbesetzerInnen bis zur Italienischen Anarchistischen Föderation" (cf. Sandra k, "Faux-Semblants sans Fard en Combinaisons Blanches," französische Übersetzung eines Textes von Umanità Nova, einer Wochenzeitung der Italienischen Anarchistischen Föderation).
Zweiteren, die jede Vermittlung mit den Institutionen ablehnen, wurde von ersteren beschuldigt einer nostalgischen Klassenidentität anzuhängen oder gar reaktionäre Linke zu sein. Ersteren wurden angelastet SozialdemokratInnen zu sein, die mit der Forderung nach universellen Rechten (insbesondere eines Grundeinkommens) eine "konfliktive Reform des Wohlfahrtsstaates" anstrebten, womit sie sich sowohl vom Klassenkampf als auch von der kommunistischen Subversion verabschiedeten. Die unterschiedlichen Positionen gehen bis in die 1970er Jahre zurück, als die italienische Gruppe Potere Operai von AnarchistInnen als die "großen Vereiner der organisierten Autonomie" beschrieben wurden, die das Konzept der Autonomie an sich bürokratisiert hätten (neg/azione, 1976). Die Tute Bianche wollen "einen sozialen Prozess der Transformation schaffen, durch die das 'Netzwerk der Netzwerke' zu einem magnetischen Pol wird, der die Bildung anderer sozialer Netzwerke anregt" (Luca Casarini). Nach der Repression in Genua aber stellte der gleiche Luca Casarini, der eine der treibenden Kräfte des Genoa Social Forum (GSF) gewesen war, in Anbetracht der imperialen Logik der Weltregierung fest, dass das Experiment der Tute Bianche "jetzt inadäquat scheint, um das uns gegenübertretende imperiale System zu konfrontieren, in dem Politik die Fortsetzung des Krieges ist, und nicht umgekehrt." (Interview with Luca Casarini von Benedetto Vecchi, II Manifesto, 23. August 2001). In diesem neuen Kontext beschwört Casarini den Übergang vom zivilen Ungehorsam zum sozialen Ungehorsam. Letzterer wurden in Italien bereits bei den Demonstrationen am 17. November 2001 symbolisch durchgeführt (Erster Tag Sozialen Ungehorsams gegen den Krieg), in deren Verlauf Laboratorien und Kammern des Sozialen Ungehorsams, oder kommunale Regierungen der Zivilgesellschaft, in kollektiv besetzten Räumen etabliert wurden.

[Fußnote 6]
Ein Blick in diesem Zusammenhang auf das Manifest des Unabomber: "Nehmen wir an, das System überlebt die Krise der nächsten paar Jahrzehnte. Zu dieser Zeit wird es die grundlegenden Probleme mit, denen es konfrontiert ist, gelöst oder zumindest unter Kontrolle gebracht haben müssen, speziell das Problem der "Sozialisierung" der Menschen, d.h. die Leute ausreichend gefügig zu machen, damit ihr Verhalten das System nicht länger bedroht. Wenn das erreicht ist, scheint es keine weiteren Hindernisse mehr für den Einsatz von Technologie zu geben, und sie wird aller Voraussicht nach zu ihrem logischen Schluß voranschreiten, der totalen Kontrolle über alles auf der Erde, den Menschen und alle wichtigen Organismen eingeschlossen. Das System mag eine einheitliche, monolithische Organisation werden oder es wird mehr oder weniger fragmentiert sein, und aus einer Anzahl von Organisationen bestehen, die in einer Beziehung koexistieren, die sowohl Elemente der Kooperation als auch der Konkurrenz enthält - gerade wie heute die Regierung, die Konzerne, und eine Anzahl anderer großer Organisationen sowohl kooperieren als auch in Konkurrenz zueinander stehen. Menschliche Freiheit wird weitgehend verschwunden sein, denn Individuen und kleine Gruppen werden den großen Organisationen ohnmächtig gegenüber stehen, die bewaffnet sind mit Supertechnologie und einem Arsenal fortgeschrittener psychologischer und biologischer Werkzeuge zur Manipulation menschlicher Wesen, neben Instrumenten der Überwachung und physischen Gewalt. Nur eine kleine Zahl von Menschen wird überhaupt wirklich Macht haben, und auch diese werden voraussichtlich nur über eine sehr eingeschränkte Freiheit verfügen, denn auch ihr Verhalten wird reguliert werden - genau wie heute die PolitikerInnen und Konzernvorstände ihre Machtpositionen nur so lange halten können, als ihr Verhalten sich in bestimmten, ziemlich engen Grenzen bewegt." Paragraf 163.