Interview mit einem Rechtsanwalt

junge Welt 3. August 2007

»Unhaltbar und skandalös«

»Militante Gruppe«: Verteidigung sieht in Terrorismusvorwurf gegen vier Berliner ein Konstrukt. Ein Gespräch mit Sven Lindemann

Interview: Peter Steiniger

Sven Lindemann ist Anwalt und gehört zum Verteidigerteam der einer Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« bezichtigten Berliner Florian L., Oliver R., Axel H., Andrej H.

Frage: Der Bundesgerichtshof hat am Mittwoch Haftbefehle gegen vier Berliner erlassen, drei davon wegen eines versuchten Brandanschlags auf Bundeswehrfahrzeuge in Brandenburg. Wie beurteilen Sie das von der Bundesanwaltschaft eingeleitete Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a?

Antwort: Dieser Paragraph an sich ist schon hochgradig spekulativ. Seine Anwendung ist nicht gedeckt: Es hat eine versuchte Brandstiftung gegeben, Tatbekennungen dazu gibt es nicht. Das reicht schlichtweg nicht aus. Dahinter müßte eine Vereinigung stehen, die gewisse Ziele hat und auf Dauer angelegt ist.

Frage:Räumen die Beschuldigten eine Beteiligung an der versuchten Brandstiftung ein, oder äußern sie sich zu ihren Motiven?

Antwort:Nach Aktenlage kann man von einem gewissen Tatverdacht ausgehen. Es hat gegenüber den Behörden keinerlei Einlassungen zur Sache gegeben, von keinem der Beschuldigten. Nach dem Haftbefehl soll sich der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« (mg) aus dem dort dargestellten Anschlagsversuch, der nächtlichen Tatzeit und der Tatausführung mittels Brandsatz ergeben. Es ist absurd. Auf das Anschlagsziel Bundeswehr hat danach angeblich die mg ein Monopol.

Frage:Wie kam das Bundeskriminalamt dazu, die Beschuldigten zu observieren?

Antwort:Überspitzt gesagt, Pol Pot lebt: Wer schreiben kann und sich zu bestimmten Themen äußert, scheint schon mal dringend verdächtig zu sein. Und die sogenannte Militante Gruppe schreibt ja viel. Die sollen sich beispielsweise zum Thema Stadtentwicklung geäußert haben. Nun hat auch unter den Beschuldigten jemand mit dem Thema zu tun. Solche Übereinstimmungen in Beiträgen haben ausgereicht, um Leute im Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a als Beschuldigte zu führen und den ganzen Apparat der Überwachung auf sie anzusetzen.

Frage:Die Strafverfolger führen zwei konspirative Treffen zwischen einem der drei in Brandenburg und einem in Berlin Festgenommenen an. Zitate der Beschuldigten in Publikationen wurden zusammengetragen, zurückreichend bis 1998. Das alles wurde sicher nicht über Nacht gesammelt …

Antwort:Nein, sicher nicht. Es handelt sich um die in 129a-Verfahren üblichen Nachfragen der Ermittlungsbehörden.

Frage:Man kann also davon ausgehen, daß die Observation dieser Leute schon länger andauert?

Antwort:Ja, sie hatten gewisse Leute wohl schon länger im Visier.

Frage:Die Beschuldigten wurden wie Staatsverbrecher mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe transportiert.

Antwort:Das ist völlig unverhältnismäßig, reine Propaganda und Abschreckung. Auch in 129a-Verfahren sind die Leute ganz normal mit dem Auto nach Karlsruhe gebracht worden. Das jetzt ist ein Rückgriff auf Zeiten der 50er, 70er und 80er Jahre. Gerade ist uns ein Trennscheiben-Beschluß zugegangen. Das heißt, wir dürfen unsere Mandanten nur durch die Trennscheibe sehen. Das ist alles völlig unhaltbar und skandalös.

Frage:Das Bundeskriminalamt zeichnet seit Jahren ein Bedrohungsszenario, in welchem der mg eine wichtige Rolle zukommt. Warum wurde der angebliche Fahndungserfolg erst am Donnerstag öffentlich gemacht?

Antwort:Ein Interpretation wäre, daß sie sich selbst nicht sicher waren, ob ihr Konstrukt vor dem Bundesgerichtshof bestehen würde. Im Unterschied zu Bundesanwaltschaft und BKA sage ich allerdings, das ist eine Möglichkeit und nicht die einzige Möglichkeit.

Frage:Wie kritisch hat der Bundesgerichtshof die Argumentation der Anklagebehörden geprüft?

Antwort:In den Fällen der drei Beschuldigten, denen eine unmittelbare Verwicklung vorgeworfen wird, in meinen Augen überhaupt nicht. Das war absolut unkritisch. Bei der vierten Person, der keine direkte Beteiligung an der Tatausführung vorgeworfen wird, wurde zumindest der Eindruck erweckt, daß da eine kritische Prüfung stattfindet.

Frage:Worauf zielt nun die Strategie der Verteidigung?

Antwort:Wenn wir hier über versuchte Brandstiftung sprechen würden, wäre die Staatsanwaltschaft Potsdam zuständig und die Beschuldigten wären sofort draußen. Doch die war offensichtlich niemals involviert. Erst einmal brauchen wir die Akten. Wir haben bisher nur sehr rudimentäre Aktenauszüge bekommen. Das Ziel ist ganz klar: So schnell wie möglich die Freiheit der Mandanten zu erreichen und daß der 129er-Vorwurf fallengelassen wird. Er ist haltlos, ein Skandal und der einzige Grund, warum Bundesanwaltschaft und BKA zuständig sind.