Ins Schwarze getroffen – Eine erste Bilanz der G8-Proteste

2007-07-26
einige aus dem Anti-G8-Bündnis Köln:

Mehrere Großdemonstrationen, eine zweitägige Blockade der Zufahrtswege zum Gipfel und eine Umzingelung des Zauns um Heiligendamm, viele andere Aktionen und intensive politische Lernprozesse in den drei Anti-Gipfelcamps stahlen den acht RepräsentantInnen der kapitalistischen Welt ihre aufgeblasene Gipfelshow.

Selbst für die unkritischsten JournalistInnen war es schwer, den offiziellen Teil des Gipfels als Erfolg zu verkaufen. Ergebnis des G8-Treffens war eine Neuauflage von zwei Jahre alten lauen Absichtserklärungen für mehr Entwicklungshilfe und für mehr AIDS-Hilfe. Sie wurden bereits 2005 in Gleneagles abgegeben und blieben folgenlos. »Ernsthaft prüfen« wollen die G8, ob bis zum Jahr 2050 (!) die Treibhausgase vielleicht um die Hälfte reduziert werden sollten. An die Versprechungen, mit denen sich die G8 als Retterin der Welt und barmherzige Samariter darzustellen versuchten, wurden keinerlei Verpflichtungen geknüpft. »Merkels Charmeoffensive« – wie der Express am 8. Juni titelte – bestand aus ein paar Seifenblasen und Abwiegeleien. Die selbst ernannte Weltregierung macht weiter wie bisher – mit der Steigerung der CO2-Konzentration und forcierter Klimazerstörung als Begleiterscheinung der kapitalistischen Produktionsweise, der Verarmung in abgehängten Regionen Afrikas und anderswo.

Ernster sind die in Heiligendamm formulierten Erklärungen zu nehmen, in denen neue Kriege angekündigt werden. Falls die Regierungen der ins Fadenkreuz genommenen Länder nicht parieren, z. B. die des Sudan, werden Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats angedroht. Der Ölreichtum des Landes soll schließlich in die EU fließen, statt – wie derzeit – die Weltmarktoffensive der VR China zu befeuern. Weitere Drohungen wurden in Richtung Iran, Kosovo, Nordkorea und Afghanistan ausgesprochen.
Auch die Hochschulpolitik taucht in den Deklarationen auf: »Wirtschaft und Wissenschaft« sollen eine »dynamische Wechselbeziehung« eingehen, die von »marktorientiertem Unternehmergeist geprägt« sein soll (Gipfelerklärung »Wachstum und Verantwortung in der Wirtschaft« vom 7. Juni 2007, S. 16).

Die Ergebnisse des 100 Millionen Euro teuren Gipfels waren das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden, und so lag die mediale Hauptaufmerksamkeit auf den Gegenaktionen vom 1. bis 8. Juni 2007. Den Prolog der Protesttage bildete die internationale Großdemonstration am Samstag, den 2. Juni mit über 80.000 TeilnehmerInnen. Es gab eine Reihe von thematischen Demoblöcken, u. a. auch zwei große antikapitalistische Blöcke mit 6.000 und 2.000 TeilnehmerInnen. Aus Köln nahmen schätzungsweise 800 bis 1000 Leute an der Demonstration teil, von denen viele vor Ort blieben und später in die Protestcamps zogen. Diejenigen, die mit einem ATTAC-Sonderzug nach Rostock gekommen waren, erfuhren übrigens erst hinterher, dass ATTAC zugestimmt hatte, zwei ZivilpolizistInnen zum unauffälligen Durchsieben der DemonstrantInnen durch die Waggons zu schicken (www.attac.de/ aktuell/presse/presse_ausgabe.php?1d=715)

Bei der Demonstration in Rostock ging es u. a. um Forderungen nach Schuldenstreichungen, offene Grenzen und Beendigung von Militärinterventionen durch NATO, USA und EU. In einem breit verteilten Flugblatt hieß es: »Der Kapitalismus ist bereit, die Welt kaputt zu machen. Mit seinen Profiten häuft das Kapital Leichenberge an. Die Ärmsten trifft es immer zuerst. Während Menschen in durch die Klimakatastrophe ausgetrockneten Regionen verhungern, verdursten und am Mangel an sauberem Wasser sterben, ertrinken andere in tödlichen Wasserfluten wie 2005 in New Orleans. Immer mehr fruchtbare Ackerböden werden durch Erosion, Versteppung und Wüstenbildung vernichtet. Drei Viertel der Menschheit lebt in Armut und Elend. Obwohl weltweit mehr als genug Nahrung für alle Menschen produziert werden kann, verhungert in jeder Sekunde auf der Welt ein Mensch.
Der G8-Gipfel ist eine Kampfansage an alle Menschen, die sich wehren und wehren wollen. Er verschanzt sich in Festungen aus Stahl und NATO-Stacheldraht vor denen, deren Leben er versaut. Deshalb sind diese Gipfel geeignete Anlässe für unseren Protest und Widerstand. Unsere Aufgabe ist es, den Protest auf die Straße zu tragen – mit allen notwendigen und angemessenen Mitteln.« (»Wir kämpfen gegen den Terror an der Ostsee«; www.oekologische-linke.de).

Der Demonstration voraus gegangen waren eine wochenlange Hetze durch Innenministerium und Bundesstaatsanwaltschaft, bundesweite Hausdurchsuchungen am 9. Mai 2007, massive Polizeipräsenz bei warm-up-Aktionen von GipfelgegnerInnen, der Geruchsproben-Schnüffel-Angriff, die Schließung der Grenzen für anreisende Gipfel-ProtestteilnehmerInnen und das Aussortieren kritischer JournalistInnen bei der Zulassung für den Gipfel. Die Polizeirazzien sind alle ohne Ermittlungserfolge geblieben. Um im Nachhinein diese staatlichen Repressionen zu legitimieren war zu erwarten gewesen, dass es auf der Rostocker Demonstration zu Polizeiübergriffen kommen würde.. Die Attacken von Sondereinsatzkommandos auf TeilnehmerInnen der antikapitalistischen Blöcke am Rostocker Stadthafen, am Ende der Demonstration, wurden aber überraschend deutlich zurückgeschlagen. Die Polizei geriet in die Defensive, was von ATTAC bis TAZ zu hitzigen Distanzierungserklärungen führte.

In den Tagen nach den gewalttätigen Polizeiangriffen gegen die Demonstration schlugen sich die selbst ernannten Sprecher der Anti-G8-Proteste auf die Seite der Polizei und der hetzenden Medien. Peter Wahl (ATTAC und Verantwortlicher des Begleitgipfels der NGOs) sagte in Richtung der antikapitalistischen Blöcke: »Wir wollen euch nicht sehen, wir wollen euch nicht dabei haben.« Stefan Wirner (Jungle World) bediente in der Springer-Zeitung Die Welt am 5. Juni die gängigen Klischees: »Die Autonomen waren von Anfang an auf Gewalt aus«. Tim Laumeyer und Werner Rätz (Interventionistische Linke), entschuldigen sich bei den Rostocker BürgerInnen. Rätz legte im Stil eines Polizeieinsatzleiters nach: »Wenn einer kommt mit Kapuze und Palästinensertuch vor dem Gesicht, dann sagen wir dem, er ist unerwünscht« (junge Welt, 5. Juni 2007). Bereits unmittelbar nach der Demonstration hatte Monty Schädel (Anmelder der Demonstration und ehemaliges Landtagsmitglied der PDS) in einem Interview mit dem ZDF Nazis und Linke gleichgesetzt: »... das waren gerade diese Bilder, die wir gerade als Rostocker Bündnis vermeiden wollten, die Wiederholung von solchen Bildern die wir 1992 schon in Rostock bei dem Überfall auf das Asylbewerberheim hatten, wieder hier in Rostock haben, ist ein großer Misserfolg, ist das was wir nicht wollten ...« (ZDF, G8-Spezial, 3. Juni 2007 http://de.indymedia.org/2007/06/184705.shtml). »Man werde« – so Schädel weiter – »künftig mit der Polizei enger kooperieren und mutmaßliche Rechtsbrecher bei den Behörden denunzieren«.
Einer der MitinitiatorInnen des Antikapitalistischen Blocks, Michael Kronawitter erklärte hingegen in der jungen Welt vom 5. Juni dazu: »Man soll doch nicht so tun, als sei in Deutschland alles Friede – Freude – Eierkuchen«. Kriegseinsätze und Sozialabbau seien alltägliche Gewalt. »Militanz heißt, nicht auch noch die andere Wange hinzuhalten, sondern auch mal zurück zu schlagen«.
Die Straßenkämpfe im Rostocker Hafen brachten den Gipfel jedenfalls in die weltweite Presse und sorgten für gesteigerte Aufmerksamkeit für die folgenden Aktionen und für einen weiteren Mobilisierungsschub in die Camps rund um Heiligendamm.

Gleichzeitig begann die Polizei damit, Greiftrupps loszuschicken, um Menschen mit 'falschem' Dresscode in und um Rostock herum festzunehmen, zu überfallen und in die Käfige der Gefangenensammelstellen zu verfrachten. In der Presse kursierten frei erfundene Zahlen angeblich verletzter PolizistInnen und andere frei erfundene und absurde Lügen wie z. B. die von den Clowns, die angeblich eine ätzende Flüssigkeit aus ihren Wasserpistolen auf PolizistInnen versprühen würden. Oder, dass der »Schwarze Block« mit Kartoffeln werfen würde, die mit Stahlnägeln und Rasierklingen gespickt seien.
Es wurde auch der Versuch gemacht, die Militarisierung der Innenpolitik weiter zu treiben. Die Bundeswehr setzte Tornados und Spürpanzer zur Beobachtung des Geschehens in den Camps ein; Bundeswehrhubschrauber wurden für den Transport von Polizeieinheiten benutzt. Kampfhubschrauber und Kampfboote waren im Einsatz. Diese nicht durch die Verfassung gedeckten Einsätze werden ebenso noch ein politisches und juristisches Nachspiel haben, wie die großflächigen Demonstrationsverbote und die Käfighaltung von GipfelgegnerInnen in Gefangenensammelstellen.

Weder die Rebel Clowns Army – natürlich mit vielen Menschen aus Köln –, noch alle anderen ließen sich dadurch einschüchtern. Die folgenden Aktionstage vom 3. bis 5. Juni zu den Themen »Agrarpolitik und Ernährung«, »Flucht und Migration« und »Militarisierung, Krieg und Folter« liefen weiter, mit täglichen Demonstrationen mit 3000 bis 10.000 TeilnehmerInnen.

Immer mehr GipfelgegnerInnen zog es in die Camps; viele KölnerInnen hatten im Camp Reddelich Quartier in einem »Barrio« (einer Art Stadtteil) bezogen. Von dort aus konnte mensch sich unmittelbar daran beteiligen, die 40 Quadratkilometer große Demonstrationsverbotszone rund um den Zaun um Heiligendamm zu durchbrechen. Am Abend des 6. Juni, während des ersten Gipfeltages, lagerten um die 10.000 Leute an den Toren, umzingelten den Zaun – der ein paar Dellen abbekam – und belagerten die Festung derer, die ansonsten überall Mauern, Zäune und Festungen errichten, um Flüchtlinge oder arme Bevölkerungsschichten auszusperren. Der Tagungsort war fast zwei Tage lang – von Mittwoch Nachmittag bis Freitag Vormittag – auf dem Landweg nicht mehr erreichbar. Delegationen und Presse kamen nur teilweise ans Ziel. Die G8-Staatsführer mussten sich zu einem Galaessen in einem Schloss 50 km von Heiligendamm entfernt mit Bundeswehrhubschraubern ausfliegen lassen.

Wie oft kommt es in diesem Land vor, dass Zehntausende auf Mahnungen, Einschüchterungen, Demonstrationsverbote, martialische Auftritte von Polizei und Bundeswehr nichts geben und einfach ihren politischen Protest ausdrücken – wo und wie sie sich das vorgenommen hatten? Dieser gemeinsame Schritt Tausender über die im Alltag akzeptierte Grenze des von der Polizei unmittelbar Erlaubten öffnet eine erfrischende Aussicht auf die zukünftige Entwicklung der Kämpfe gegen die vielen kapitalistischen Zumutungen, seien es Studiengebühren, Lohnkürzungen oder Militarisierung.
Mit dabei waren Hunderte KölnerInnen aus der Universität und der Stadt. Diese große lokale Resonanz ist auch ein Erfolg der langfristigen Arbeit der Kölner Anti-G8-Aktiven, in der Stadt u. a. des Anti-G8-Bündnisses und an der Universität der Alternativen Liste bzw. von GeBlockt. Der AStA der Uni – Unabhängige und LUSt – hatte das Thema vollkommen ignoriert. Die »konstruktive Opposition« Linke Liste hatte u. a. im StudentInnenparlament (SP) gegen eine Beteiligung an den Gipfelprotesten gehetzt. Während Zehntausende in Rostock und rund um Heiligendamm demonstrierten, saßen diese ParlamentarierInnen im SP und berieten Satzungsänderungen.

Die Gipfelproteste in der BRD waren unerwartet kraftvoll und solidarisch. Für viele brachten die Aktionstage an der Ostsee das erste Mal die Erfahrung, dem 'System' Grenzen gesetzt und das Kalkül der Repression und Einschüchterung durchbrochen zu haben. Daraus lassen sich Lehren ziehen für kommende Auseinandersetzungen und ein Bewusstsein der eigenen Stärke festhalten: Selbst 17.800 PolizistInnen, hetzende Medien und autoritäre »Chefs« können eine soziale Bewegung nicht aufhalten, wenn sie klug und organisiert und entschlossen handelt.

Die massenhaften Proteste schafften es, den G8 weitere Legitimation wegzunehmen. Der Druck führte dazu, dass die nächsten Gipfel sich noch weiter isolieren wollen: Im übernächsten Jahr wollen sich die G8 auf der kleinen Insel Maddalena vor Sardinien treffen.

einige aus dem Anti-G8-Bündnis Köln