Pink, schwarz, piratisch: Eine Bestandsaufnahme von Rostock

Nach dem Flaschen schmeißen an den Barrikaden zurück auf den Webseiten der ketzerischen Linken
Alex Foti

Pink, schwarz, piratisch: Eine Bestandsaufnahme von Rostock

Rostock: Neubeginn der europäischen Anti-Globalisierungs-Bewegung

Seit Genua hat es keinen Gegengipfel mehr gegeben, der so viele Hoffnungen auf die Erneuerung der ketzerischen Linken weckte, der antikapitalistische Energien in Europa und darüber hinaus derart neu entfachte. Auch wenn der G8 nur mehr ein zerstrittener Club ist, der relativ machtlos ist, so gespalten er ist in der Frage des Klimawandels zwischen Europa und den USA, so geschwächt durch den unzeitgemäßen Ausschluß von China und Indien aus der Clique der ökonomischen Mächte - nach dem relativen Niedergang der Mobilisierungskraft der Bewegung in Folge der neokonservativen Invasion des Irak, wie der überall hervorgebrachten fundamentalistischen und repressiven Entgegnungen darauf hat Rostock-Heiligendamm 2007 den globalen Protesten gegen die kapitalistische Globalisierung neuen Auftrieb gegeben.

Die Gründe dafür sind teils konjunktureller, teils struktureller Art: Seit 2001 war Rostock der erste im kontinentalen Europa abgehaltene Gipfel, man könnte sagen in einem der beiden Herzen der globalen Linken (das andere schlägt freilich in Lateinamerika). Der Gipfel wurde vom Kernstaat von Euroland, deren konservative Kanzlerin zugleich über die G8 und die EU präsidierte, im früheren kommunistischen Ostteil Deutschlands organisiert, damit zum ersten Mal im neuen Setting des Nach-Kalte-Kriegs Europa, wo sich die Geschichte in den letzten beiden Jahrzehnten unglaublich beschleunigt hat, ganz anders als in Westeuropa, wo überalterte Strukturen und rückwärtsgewandte Tendenzen noch immer den Ton der politischen Debatte angeben.

Darüber hinaus war Rostock mit den schockierenden Pogromen von Neonazis auf AsylbewerberInnen 1992 zum negativen Symbol für die fremdenfeindliche und nationalistische Welle geworden, die quer durch Europa ging. Das ist es nicht länger. Die Rostocker Proteste vom 2.-4.Juni haben die Hansestadt zum Symbol des antikapitalistischen Widerstands gemacht.

Auch markiert Rostock nach Jahren einer relativen Dominanz der Diskurse und Praxen der Bewegungen Südeuropas (vor allem eine Italiens, Spaniens, Frankreichs) eine Verschiebung hin zu den Bewegungen Nord- und Osteuropas, die den dynamischen Erschütterungslinien, die von den Zentren der gegenwärtigen europäischen Politik ausgehen, mehr entsprechen.

Schließlich markiert Rostock eine möglicherweise unumkehrbaren Riß zwischen der Generation, die auf den Barrikaden von Prag, Göteborg, Genua, Paris, Barcelona und Kopenhagen groß geworden ist und
der eher respektablen Seite der Anti-Globalisierungs-Bewegung, wie der offiziellen sozialkommunistischen Linken und NGOs wie ATTAC und Greenpeace: Der Geist von Rostock ist nicht der Geist von Porto Alegre.

Im frühen Mai wurden alle Block G8 Convergence Center, sowie die Wohnungen von AktivistInnen in Berlin und Hamburg vom BKA mit dem schändlichen Vorwurf durchsucht, die Beschuldigten seien Teil einer terroristischen Vereinigung, die sich die Verhinderung des G8 Gipfels zum ZIel gemacht hat. Hinter dieser vulgären Hexenjagd stand der christ-demokratische Innenmnister Wolfgang Schäuble, der von AktivistInnen daraufhin prompt in Stasi 2.0 umbenannt wurde.

Aber die deutsche Bewegung ließ sich nicht einschüchtern, und Rote und Grüne protestierten im Parlament gegen die von der Regierung Merkel betriebene Aussetzung des Rechtsstaats. Tatsächlich erwies sich die repressive Strategie der Prävention als Eigentor, da es die Entschlossenheit der AktivistInnen in der BRD und überall in Europa verdoppelte, sich komme was da wolle nach Rostock und Heiligendamm aufzumachen. In den Tagen vor der Großdemonstration in Rostock am 2.Juni veröffentlichte das Organ der Post-68er-Generation taz eine Grafik der an den Protesten gegen den G8, den Aktionen und Blockaden teilnehmenden Kräften.

Linke Gruppen wurden entlang zweier Achsen klassifiziert: reformistisch/radikal auf der einen und vertikal/horizontal auf der anderen. Nun, ich behaupte, dass nur die Kombination radikal-horizontal den Geist von Rostock verkörpert (tatsächlich, den Geist von Seattle), da dies die Gruppen waren, die die Camps organisierten, der Polizei widerstanden, mutige Aktionen machten und die Blockaden von Heiligendamm bemannten und befrauten.

Tatsächlich enthielt jener Teil der Grafik die beiden Netzwerke, die das Rückgrad der G8 Proteste bildeten: die Interventionistische Linke, die autonome und antifaschistische Kraft, Motor des pinken Kartells "Make Capitalism History" (g8-2007.de), und die Anarchoglobalist@s von Dissent (dissentnetzwerk.de), dem einzigen - ob es euch gefällt oder nicht - wirklichen Ausdruck eines Transnationalismus von unten der heute in der globalen Bewegung gegen neoliberale Globalisierung und neokonservativen Militarismus existiert.

Nach den Krawllen des 2.Juni am Hafen von Rostock, ausgelöst vom mehrfachen Einfallen der Polizei, die offensichtilich mit dem friedlichen Verlauf der Demo unzufrieden war, verurteilte ATTAC die Autonomen (oder den Schwarzen Block, wie sie im Rest der Welt heißen), die Steine auf Robocops und Pinochet-style Wasserwerfer geworfen hatten. Die Interventionistische Linke aber weigerte sich standhaft dies zu tun, obwohl sie ATTAC-Mitglieder und Leute, die der linken Partei nahestehen in ihren Reihen hat. Unter der linksgeneigten Presse war es einzig die Junge Welt, die die Aktionen derjenigen nicht stigmatisierte, die in Italien die Noglobal Generation genannt wird.

Am 4.Juni titelte die die Taz kurzsichtig "Nie wieder Rostock!", womit sie im Grunde alle DemonstrantInnen unter 40 exkommunizierte. Nicht nur dass der Schwarze Block groß war an diesem Tag (mehr als 5000 Leute gemischten Geschlechts und Nationalität: ein schwarzes Meer am baltischen) und am Kopf der Demo ging, sondern nahezu alle DemonstrantInnen, die sich auf der sandigen Fläche nahe der Move against G8 Bühne befanden unterstützten materiell und moralisch den grimmigen Widerstand (der Himmel trug Wolken aus Steinen und Flaschen), den die schwarz gekeideten Protestierenden leisteten, und der die Riotcops mehrfach zum Rückzug zwang. Als nach einigen Stunden Straßenschlacht mehr als ein Dutzend Wasserwerfer eingesetzt wurden und wir mit dem Rücken zum Wasser komplett eingekreist waren, schoben sich die Lautsprecher-Trucks von Antifa und Interventionistischer Linker zwischen Polizei und DemonstrantInnen. Es folgte ein stilles, angespanntes Innehalten.

Dann begann Bob Marley von den Soundsystems zu dröhnen und die Protestierenden tanzten auf den gepanzerten Fahrzeugen, was die erschöpften Riotcops völlig orientierungslos machte: Nach Stunden chaotischer Auseinandersetzungen kam die Schlacht von Rostock schließlich an ihr Ende. Viele Jungs mit schwarzen Kapuzies, Sonnenbrillen und Baseball-Mützen kehrten mit rosa Blumen im Haar ins Camp zurück und viele der Mädchen hatten ihre Haare knallig Pink gefärbt.

Was ich damit sagen will ist, dass der gewaltsame Widerstand nur ein Element im Ökosystem des Protestes ist, das sich in Rostock entfaltete. Schwarzer Widerstand und pinke Blockaden gingen Hand in Hand, und pinke Clowns wurden von schwarzen AnarchistInnen verteidigt, wenn die Polizei bei den Aktionen und Demos zu hart zur Sache ging. Pink und Black ergänzen sich, sind komplementär, und schließen sich nicht aus, wie viele, und ich selbst auch, in den vergangenen Jahren gedacht hatten. Darüber hinaus ist der schwarze Pullover zu einem universellen Symbol antikapitalistischer Selbst-Identifikation geworden, selbst bei Leuten, die nie eine Flasche werfen würden: es bedeutet einfach, dass du auf der Seite stehst von Ungdomshuset, Mehringhof, Rote Flora, Köpi und anderen Knotenpunkten im Netz europäischer besetzter sozialer Zentren, die gegenwärtig von Räumung und Verfolgung bedroht sind. Die urbane Rebellion breitet sich in vielen europäischen Städten aus, da es das weitverbreitete Gefühl gibt, dass der ganze anarcho-punk, radikal-autonome, und pink-queer way of life ausradiert werden könnte, wenn es uns nicht gelingt gegen polizeiliche Repression und die ihr zugehörigen Kräfte bürgerlicher und klerikaler Respektspersonen massiven Widerstand zu entwickeln.

Pink, schwarz, piratisch: eine experimentelle Chromatographie [Farblehre]

Das Kaleidoskop der Emotionen und Inspirationen die in Rostock herumschwirrten, auf den Demos, Aktionen, Camps, Medien- und Kunstzentren, läßt sich nicht einfach beschreiben. Es war ein manischer Rausch, eine unglaubliche Darbietung radikaler Stärke und post-nationaler Solidarität.

Zum Ende dieses Essays möchte ich noch was zu den symbolischen Aspekten der politischen Ikonographie [Bilderlehre] und Vexillologie [Lehre von den Feldzeichen], die meiner Ansicht nach auf künftige Entwicklungen in den Manifestationen politischen Dissenses der europäischen radikalisierten Jugend hinweisen. Ungeachtet der massiven Präsens des antifaschistischen Rot&Schwarz und der antiimperialistischen roten Gruppen waren die innovativsten Ausdrucksformen, die in Rostock zu sehen waren pink, schwarz und piratisch.

Pink war überall in Rostock präsent, im feministischen, queer, und absolut ketzerischen Sinn des Wortes. Make Capitalism History hatte als Symbol einen rosa Stern, und bei den Aktionen am Bombodrom (einer Militärbasis) kamen eine pink-schwarze Antifa-Fahne und pinke Pyramiden zum Einsatz. Auf der 2.Juni Demo bekam das von FelS organisierte Euromayday-Kontingent von Superhelden gegen Prekarisierung mit seinen Ballon-Schildern viel Applaus, die Überflüssigen, jenes cross-metropolitane AktivistInnen-Netzwerk gegen soziale Gegenreformen trugen ein großes pinkes Transparent auf dem zu lesen zu war: "Prekarisieren wir die G8 - Flexifight gegen die neue Weltordnung!"

Auf der Demo am 4.Juni zur Verteidigung der Rechte von MigrantInnen, für Abschiebestop und die Schließung von Abschiebeknästen und Lagern wurde eine pinke Fahne mit schwarzem Stern geschwungen, die Leute in den ersten Reihen trugen ein großes pinkes Transparent mit der Aufschrift "Kein Sex mit Nazis!"

Die fantastischen Aktionen der Clown Army (pink&tarnfarben-grün, Kasperfahne) und die pinken Sambabands (silberner Totenkopf mit zwei gekreuzten Schwertern auf pinker Fahne) waren die offensichtlichsten Ausdrucksformen dieser politischen Tendenz, die enorme Fortschritte durchlebt hat seit der Pink Block um 2000 in London und Prag entstanden war, und sich seitdem überall im kulturell aufmüpfigen Europa ausgebreitet hat. Das Queer Barrio in Reddelich warb mit einem Poster mit rosa Häschen, ein weiteres Beispiel für das pinke Erblühen in Rostock-Heiligendamm waren die Pink Rabbits, die für das Alarmsystem auf dem Camp in Rostock zuständig waren, sollten Bullen dort auflaufen.

PiratInnen und Piraterie waren extrem beliebt bei Kids und Youngsters, waren ein weiteres prägendes farbiges Feature der Proteste in Rostock. Während die Piraten der Karibik die Kassen der Kinos füllen, treibt die Pirate Bay Hollywood mit ihrem kostenlosen p2p Tauschservice in den Bankrott. Piraterie handelt traditionell von der Herausforderung staatlicher Souveränität (dazu auch Marcus Redikker und Hakim Bey) und dem Aufbau post-souveräner Formen der Selbst-Regierung auf Basis von horizontaler Vernetzung und Kanaken-Kameraderie: Tortuga als erste moderne autonome Zone. Der Form treu wehte die Totenkopffahne auf vielen Zelten und bei allen Aktionen, oftmals entweder pink auf schwarz oder schwarz auf pink. Und St.Pauli Fußballfans aus Hamburg brachen mit ihren schwarzen Totenkopf-Pullies in Massen über Rostock herein, um bei der Schlacht dabei zu sein.

In Rostock haben wir verstanden, dass wir mit der Aufgabe eine antikapitalistische Opposition in Europa aufzubauen allein gelassen wurden; dass die radikalisierten und prekarisierten Paarundzwanziger und Paarunddreißiger aus allen Städten des Kontinents, aus dem Osten und dem Westen, die volle Wucht des Angriffs des sicherheitswahnsinnigen Europa tragen müssen, das von Merkel, Sarkozy, dem EU-Parlament und den Eliten der Wirtschaft in Stellung gebracht wird.

Aber die Geschichte der Zukunft ist noch nicht geschrieben und unsere pink-schwarze-Piratenfahne flattert höher und höher im Wind, während die blasser und blasser werdenden roten und grünen Farben der mittelalterlichen europäischen Linken in der Bedeutungslosigkeit versinken, weil sie so ängstlich und kleinmütig sind. Die Bewegung hat es geschafft die Einschüchterungen der Polizei zurückzuschlagen. Sie ging weiter und blockierte den Gipfel. And diesem Punkt sieht es so aus, als wären wir die einzige Hoffnung die da ist gegen das undemokratische System der vereinigten Märkte und der koordinierten Polizeikontrollenbeherrschungslenkung [policing], die die europäischen Eliten für uns bereithalten:

"A, Anti, Anticapitalista: no border, no nation, stop deportation, no nation, no border, fight law and order!"

[...keine grenzen, keine Nationen, hört mit den Abschiebungen auf, keine Nationen, keine Grenzen, bekämpft die scheiss-paranoide Angstmacher-Abknall-Politik von Schäuble]

[http://transform.eipcp.net/correspondence/1182944688]