„Blockierer spielen Katz und Maus mit Polizei…"

aus SWING 06/2007:

"…Mit einer so genannten Fünf-Finger-Strategie gelang es gestern G8-Kritikern, die Sicherheitsmaßnahmen der Polizei auszuhebeln“ (Ostsee-Zeitung vom 7.6.07)

„Wer ist die Katz, wer die Maus?“ lautete die Titelzeile der letzten Swing zwei Wochen vor dem G8. Wer hätte gedacht, dass die Ostseezeitung so klar die Antwort gibt? Und es war wahrlich sensationell, welche Szenen sich am Vormittag des 6. Juni in Wäldern und auf Wiesen rund um Heiligendamm abspielten.

Tausende waren Mittwochfrühmorgens in den Camps aus den Schlafsäcken gekrochen, um das vielfach geübte Block-G8-Konzept in die Tat umzusetzen: bewegen, blockieren, bleiben! Wie bunte Heerscharen einer Bauernrevolution tauchten die DemonstrantInnen auf Hügeln auf und zogen als endlose Reihen durch die Felder. Die bisherige Übermacht der Polizei verblasste, ihre Schlägertrupps waren im weiten Gelände „naturgemäß“ (so der Polizeichef später) ohne Chance. Zwar wurde noch Verstärkung mit einem gespenstischen Hubschraubereinsatz eingeflogen, doch der mehrfache Durchbruch durch die Polizeiketten gelang trotz einigen Wasserwerfer-, Gasgranaten- und Prügeleinsätzen schneller als erwartet. Selten hat mensch derart überforderte bis verzweifelte PolizistInnen gesehen. Am frühen Mittwoch Nachmittag bereits musste Kavala, die Polizeieinsatzleitung, eingestehen, dass alle Landwege zum Tagungsort Heiligendamm blockiert seien. Und das blieb weitgehend so, zwei Tage und zwei Nächte, bis Freitag Nachmittag, bis zum Gipfelende. Allein das westliche Zugangstor wurde einige Male freigeräumt bzw. mit Wasserwerfern freigespritzt, blieb aber auch dauerhaft umlagert und konnte nur selten genutzt werden. Alles in allem ein unglaublicher Erfolg, mit dem in den kühnsten Träumen niemand rechnen konnte.

„So sehen Sieger aus – Sha-La-La-La …“ – der Sing-Sang der Fußballfans wurde denn auch zur beliebten Blockade- und Demo-Melodie. Denn per Polizeiverfügung und durch Gerichtsurteile waren schließlich in den Tagen zuvor alle Demonstrationen in der Nähe des Zauns gänzlich verboten worden. Nun fand am Ende der angekündigte aber untersagte „Sternmarsch von innen“ statt, als sich am Freitagmittag in Bad Doberan die TeilnehmerInnen von zwei Blockadepunkten aus zu einer gemeinsamen Abschluss-Demo vereinigten und den „Triumpf der G8-Gegner“ (Hamburger Morgenpost) feierten.

Die Massenblockaden des 6. Juni waren sicherlich der Höhepunkt einer Aktionswoche, die mit einer beeindruckenden Grossdemo am 2.6. begonnen hatte und mit nochmals spektakulären Boots- und Ballon-Aktionen von Greenpeace endeten.

Eine genauere Aufarbeitung und Debatte über den Verlauf der Woche steht allerdings noch aus, insbesondere zur Einschätzung der Riots am 2.6. in Rostock. Militanz zur falschen Zeit am falschen Ort und kontraproduktive Vorlage für eine von oben und Medien vorbereitete „Gewaltkampagne“? Oder (zumindest nachträglich betrachtet) der „knallige Auftakt“, um ein Maximum an medialer Aufmerksamkeit zu erreichen? (siehe „Interview“-Artikel in dieser Ausgabe).

Doch das bleibt sicher nur eine der aufgeworfenen Fragen. In der letzten Swing war stark für PAULA geworben worden, ein flexibles und dezentrales Konzept, das nicht zuletzt auf Materialblockaden in der weiteren Region rund um Heiligendamm setzte. Denn angesichts eines polizeilich-militärischen Überaufgebotes konnte kaum damit gerechnet werden, dass sich Massenblockaden, wenn sie denn überhaupt in die Nähe des Zaunes gelangen, allzu lange halten würden. Und nicht zufällig war „Plan B“ frühzeitig in aller Munde: zurück nach Hamburg oder Berlin, wenn die Polizeigewalt nur noch erdrückend wirkt. Unterschätzt wurde - offensichtlich von allen Seiten – die anhaltende Gesamtmobilisierung. Dass 15.000 GipfelgegnerInnen oder mehr über das Auftaktwochenende hinaus in der Region bleiben, war kaum vorstellbar. Und noch weniger, dass sich über 10.000 an gemeinsamen direkten Aktionen beteiligen würden. Hier wurde jedenfalls „Masse zu Klasse“ und kombiniert mit einer klugen Vorbereitung der nun schon legendären Fünf-Finger-Strategie konnten die zentralen Blockadepunkte erreicht und besetzt werden. Es kam dann zwar im Laufe der Tage auch zu einigen wenigen Materialblockaden, die aber allenfalls rund um den „umkämpfteren“ Zugang im Westen mehr als rein symbolische Bedeutung erlangten. Eine offene Frage ist, ob und wie viele Gruppen sich noch dezentral vorbereitet hatten und schließlich ihre geplanten Aktionen abgeblasen haben, weil über die zentralen Blockadepunkte schon alles dicht war. Wahrscheinlich wäre dieses Potential aber relativ begrenzt geblieben, der organisatorische Anspruch (auf Kleingruppenvorbereitungen!) scheint zu hoch angesichts einer zersplitterten bis individualisierten Linken. Das offene Konzept von Block-G8 war in dieser Situation offensichtlich das richtige und attraktive Angebot, sich auch in losen Zusammenhängen noch in letzter Minute einzuklinken und bei direkten Aktionen mitzumachen. Und hat dann in beschriebener Dynamik entscheidend zum so wichtigen kollektiven Erfolgserlebnis beigetragen!

Doch die berechtigte Euphorie dieser Tage darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der gesamten Protest-Choreographie eine riesige Kluft zwischen Vorbereitungsstruktur und (Massen -) Beteiligung bestand – und wohl auch nachbereitend bzw. perspektivisch weiter besteht. Sehr kleine und zum Teil überforderte Gruppen und Einzelpersonen haben einen oft zähen Planungsprozess getragen, am Schluss sind ganz viele gekommen. Beispiel Migrationsaktionstag am Montag, 4.6.: Schon morgens um 8 Uhr (!) versammeln sich rund 2000 Leute zur Belagerung der Ausländerbehörde, danach sind einige hundert zum Protest vor einem Lidl-Markt und zwischen 2 und 3000 Menschen zur Gedenkkundgebung in Rostock-Lichtenhagen (wo 1992 tagelange Pogrome stattgefunden hatten). Zur „Migrationsdemo“ am Nachmittag kommen dann nach Angaben der Behörden und Medien sogar bis zu 10.000 TeilnehmerInnen, was diese – nach dem Auftakt am 2.6. – zur zweitgrößten Mobilisierung der Aktionswoche macht. Mit einem Viertel der Zahlen, allenfalls der Hälfte war gerechnet worde, zudem sich an der Vorbereitung des Aktionstages nur einige wenige antirassistische Gruppen aktiv beteiligt hatten.

Und für Block-G8 gilt ähnliches. Die Vorbereitungstreffen waren zum Teil mäßig besucht, und noch wenige Tage vor Beginn der Blockaden war offen, ob genug AktivistInnen für Blockaden an zwei Punkten (oder besser nur an einem) zusammenkommen würden.

Wie sich nun – und das gilt für alle Netzwerke – dieser tolle Gesamtmobilisierungserfolg in eine kontinuierlichere inhaltliche wie praktische Perspektive übersetzen ließe, bleibt jedenfalls ein Rätsel. Und wahrscheinlich muss sich die „organisierende Linke“ damit zufrieden geben, dass sich überhaupt wieder einmal ein Mobilisierungspotential auf diesem Niveau gezeigt hat, auch wenn daraus zunächst keine unmittelbare Stärkung ihrer Strukturen und Projekte erfolgt…

Auch wenn sie entsprechend dünne bleiben, an einzelnen Fäden der Mobilisierung weiterzuspinnen, sollte nicht unversucht bleiben. „Globale soziale Rechte“ war bereits Ende Februar in Frankfurt ein Tagesthema, in Rostock gab es dazu einen weiteren Workshop und der (auszugestaltende!) Vorschlag steht im Raum, nun eine Veranstaltungstour unter diesem Titel in Gang zu bringen: eben als spektrenübergreifende Klammer, um sowohl Gemeinsamkeiten wie Widersprüche in der „Bewegung der Bewegungen“ vertiefend und mit praktischer Perspektive diskutierbar zu machen. Und daran könnte auch regional, also auf Rhein-Main bezogen, wieder angeknüpft werden, wenn der G8-Protest nicht schon bald zu einer zwar schönen aber fernen Erinnerung gerinnen soll…