Die Inszenierung eines finalen Ereignisses

Wolf W. - 21.6.2007

Die Bilder von der Auftaktkundgebung der G-8-GegnerInnen in Rostock am 2.6.2007 gingen um die Welt. Was ist dort genau passiert? Was wurde dort inszeniert? Was wurde verhindert, was wurde verpasst?
Die Inszenierung eines finalen Ereignisses – Die Reinkarnation des ›Schwarzen Blockes‹
Der berüchtigte ›schwarze Block‹ führte am vorvergangenen Samstag einen Schlag gegen die Polizei, der das Land erschütterte wie seit den großen Demos der 80er-Jahre nicht mehr.
Der ›schwarze Block‹. Wer dazugehört, wer befiehlt – Hat der Geheimdienst versagt? Focus Nr. 24 vom 11.6.2007

Die Bilder von der Auftaktkundgebung der G-8-GegnerInnen in Rostock am 2.6.2007 gingen um die Welt. Den ZuschauerInnen durfte dabei Angst und Bange werden - vor der »neuen Qualität der Gewalt« (FAZ), die wahlweise von Autonomen, Schwarzvermummten, Hooligans, Gewalttätern, summa summarum vom »Schwarzen Block« ausgeübt wurde. Die Botschaft dieses Medien-Splatters namens »G-8-Schlacht« war schlicht: Nicht das größte Polizeiaufgebot seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, nicht das totale Demonstrationsverbot rund um Heiligendamm, nicht die Militarisierung eines politischen Konfliktes stellen eine Gefahr für Demokratie und Grundrechte dar, sondern ein ›wehrloser‹ Staat, der fast vor dem »Schwarzen Block« kapituliert hätte…

Vorgeschichte
Bereits im Vorfeld des G-8-Gipfels in Heiligendamm zeigte der deutsche Sicherheitsstaat einiges von dem, was er sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren an Gewalt- und Rechtsmitteln zugelegt hatte. Es reichte von groß angelegten Razzien zur Aufdeckung von Strukturen radikaler Gipfelgegner im Vorfeld bis zu Drohungen mit Präventivhaft, von der Umwandlung einer Demonstration gegen das Asien-Europa/ASEM-Treffen im Hamburg am 28.5.2007 in ein mobiles Gefangenenlager bis hin zum Einsatz der Bundeswehr, getarnt als ›Amtshilfe‹, im Inneren. Jeden Tag wurde eine neue Sicherheitslücke entdeckt und mit neuen Maßnahmen geschlossen. Es kamen rote, grüne, blaue, gelbe, allesamt demokratiefreie Zonen vor und hinter dem Sicherheitszaun hinzu. Als die von der Polizei erzwungenen ›Geruchsproben‹ von Festgenommenen Stasi-Geruch verbreiteten, reichte es selbst hartgesottenen Rechtspolitikern. Vom ehemaligen Innenminister Baum, über Ex-Verfassungsrichter Hirsch bis hin zu Heiner Geißler regte sich lauer Protest. Sie warnten vor einem substanziellen Demokratieverlust. Plötzlich kamen wieder Basiserkenntnisse über einen demokratischen Rechtsstaat zum Vorschein: Eine Demonstration, die von den Adressaten nicht gehört, nicht gesehen wird, ist eine Farce. Ein Auflagenregime, das die Herrschenden gegen jeden Protest immunisiert, schützt nicht das demokratische Verfassungsideal, sondern zerstört es…. Die Große Koalition der Hardliner geriet in Erklärungsnöte, in die Defensive – aus der sie heraus wollte.

Bündniskonsens für die Großdemonstration am 2.6.2007
Das Bündnis, das die Großdemonstration tragen sollte, reichte von Attac, Gewerkschaftsgliederungen, NGO-Organisationen bis Interventionistische Linke, Dissent und Block G-8. Trotz unterschiedlicher politischer Zielsetzungen bestand Einigkeit darin, dass die Auftaktveranstaltung keinen konfrontativen, sondern demonstrativen Charakter haben sollte. Sie sollte groß und breit sein, um mit dieser Masse und dieser Gemeinsamkeit den politischen Raum frei zu machen, für Blockaden und andere Aktionsformen, die die Behinderung des G-8-Gipfels zum Ziel hatten. Die Auftaktveranstaltung in Rostock sollte die Gemeinsamkeit unterschiedlicher politischer Spektren demonstrieren – die Tage danach sollten in ihrer Verschiedenheit den G-8-Gipfel delegitimieren, belagern, umzingeln. Blockaden, Alternativgipfel, Konzerte, Demonstrationen, Kunstaktionen, unterschiedliche Beteiligungen und Widerstandsformen sollten nicht in Konkurrenz zueinander, sondern in ihrer Summe verstanden werden.

Demonstrationsverlauf
Der Demonstrationsverlauf, vom Hauptbahnhof zum Rostocker Hafen verlief weitgehend nach Plan. Auf der ganze Strecke gab es exakt zwei Ereignisse, die sich über die Absprache hinwegsetzten bzw. von ihr nichts wissen wollten: Es wurden am Rand der Demonstrationsroute die Scheiben der Ostseesparkasse eingeworfen und Steine auf das Radisson-Hotel geworfen – ohne Sachschaden anzurichten . Der überwiegende Teil der Demonstration füllte bereits den Stadthafen, als ein Polizeifahrzeug, in unmittelbarer Nähe der Demonstrationsroute, mit Steinen beworfen wurde. Dieser Vorfall wurde in der Pressemitteilung Nr. 71 vom selbigen Tag auch für alles Folgende verantwortlich gemacht: »Am Stadthafen eskalierte die Lage. Aus dem ›Schwarzen Block‹ heraus griffen militante Autonome massiv Polizeibeamte in ihrem Dienstfahrzeug an. Das Fahrzeug wurde schwer beschädigt, die Beamten konnten sich dem Angriff entziehen, wurden dabei aber erheblich verletzt.« Selbst wenn man annimmt, dieses Polizeifahrzeug sei grundlos angegriffen worden, ist der behauptete Zusammenhang zwischen dem demolierten Polizeifahrzeug und dem Polizeiüberfall auf die Kundgebung haltlos.

  • 1. Wer zumindest Distanz gegenüber Polizeiberichten bewahrt, sollte andere, eigenmächtige also anlassunabhängige Intensionen der Polizeiführung nicht ausschließen.
  • 2. Selbst wenn man annimmt, der Angriff der Polizei auf alle KundgebungsteilnehmerInnen habe ursächlich mit dem Vorfall etwas zu tun, sollte man Handlungs- und Ermessensspielräume der Polizeiführung nicht ausblenden, sondern miteinbeziehen.
  • 3. Die Einsatzschwelle der Polizei hängt in aller Regel nicht vom Delikt (schon gar nicht von der Schwere eines Deliktes), sondern von machtpolitischen Erwägungen ab.
  • 4. Nicht die Demonstranten, die das Polizeiauto attackiert hatten, sind für den Polizeiüberfall auf dem Kundgebungsplatz verantwortlich, sondern die Polizeiführung, die dafür die Befehle erteilt hatte.

Der Polizeiüberfall auf alle KundgebungsteilnehmerInnen am 2.6.2007 folgte politischen Erwägungen, die sich die ›Gefahrenlage‹, vor der sie seit Monaten warnten, selbst schufen. Das Ziel der Polizeiführung an diesem Tag war eindeutig: Mit dem Einsatzbefehl, mit mehreren Hundertschaften auf den Kundgebungsplatz vorzudringen, sollte eine Auseinandersetzung am Rande ins Zentrum geprügelt werden. Man darf darüber mäßig spekulieren, ob die Polizeiführung davon ausging, dass 50.000 Menschen die Flucht ergreifen, wenn 300 Polizeibeamte den Kundgebungsplatz stürmen – oder ob es Kalkül war, Bilder von bedrängten und überforderten Polizeibeamten zu produzieren. Tatsächlich blieben, nach kurzer Panik, Tausende von KundgebungsteilnehmerInnen stehen. Dabei stieß die Polizei nicht auf den ominösen ›Schwarzen Block‹, sondern auf einen vielfarbige Mischung von Menschen, die am Anfang i.w. mit erhobenen Händen und Rufen ›Keine Gewalt, keine Gewalt‹, den Polizeiangriff zum Stoppen brachten. Bis zu diesem Zeitpunkt ging es darum, einen Angriff der Polizei abzuwehren. Es war alles andere als die Lust am Krawall, die diese erste Stunde bestimmte, sondern das überall zu spürende Gefühl, nicht mehr alles mit sich machen zu lassen. Um das zu verstehen und zu verteidigen, muss man kein Militanter sein. Es reicht, das neue Attac-Mitglied, den Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler – vor- und umsichtig - beim Wort zu nehmen: »Wenn mich einer anfasst, dann schlage ich zurück - und wenn es ein Polizist ist, dann schlage ich zurück. Wenn ich demonstriere, dann übe ich ein Grundrecht aus, dann lasse ich mich nicht anfassen, von niemandem.« (Sat 1 vom 4.6.2007)

Die scheinbar ziellos agierenden Hundertschaften wurden aufgehalten, gelegentlich auch zurückgedrängt. All dies passierte ohne Anweisung, ohne Hierarchie. Die wenigen, die die Ansagen von der Bühne verstanden, blieben ratlos bis wütend zurück. Sprecher des Bündnisses erklärten zwar, dass man mit der Polizei verhandle und dass diese zugesichert habe, sich zurückzuziehen. Tatsächlich wurden zusätzliche Hundertschaften und Sondereinsatzkommandos auf den Platz gejagt. Diese gaben den bedrängten Hundertschaften nicht die Gelegenheit, sich zurückzuziehen. Ihre Aufgabe bestand darin, stoßtruppartig in die Kundgebung vorzudringen, so lange auf Menschen einzuprügeln, bis sich genug Menschen fanden, auch diese Sondereinsatzkommandos zurückzudrängen. Erst ab diesem Zeitpunkt formierten sich Gruppen, die diese Auseinandersetzungen (mehr) gewohnt sind, die dieser Eskalation standhielten.

Die Polit-Splatterproduzenten
»Auf einmal war um uns herum alles schwarz.«
Der ›schwarze Block‹. Wer dazugehört, wer befiehlt – Hat der Geheimdienst versagt? Focus Nr. 24 vom 11.6.2007
Die Meinungsvielfalt der TV-Medien war einhellig, die Schnitttechnik identisch: Man nimmt das Bild eines brennenden Autos, schneidet sofort dahinter die Bilder von Vermummten, die Steine werfen, montiert diese mit Bildern von Sondereinsatzkommandos, die unentwegt in Deckung gehen müssen und lässt dazwischen einen lieben Polizeibeamten laufen, der mit seinem ganzen Körper ein verängstigtes Kind schützt und - für uns alle - aus der Gefahrenzone bringt. Zeit, Kontext und Ort spielen dabei nicht die geringste Rolle. Daneben erzählt man, das Muster der beschriebenen Polizeiversion mit dem Faktor XXL multipliziert, die Geschichte von 200 Polizisten, die beim Verlassen der Einsatzfahrzeuge von etwa 1.000 Militanten überrannt wurden, um ihr Leben bangten, von ihrem Einsatzleiter die Ordner bekamen, sich zur Küste durchzuschlagen, wo sie glückendlich von Seenotrettungskreuzer und Booten in Sicherheit gebracht wurden . Obwohl es an diesem Tag für alles Bilder und Videos gibt – für diese aufgeblasene Geschichte fehlt einfach beides – was auch völlig egal ist.
Auch knallige Headlines waren schnell gefunden. Die BILD-Zeitung vom 3.6.2007 präsentierte eine »G-8-Schlacht«, für die sie per Collagetechnik alles zusammenbrachte, was jenseits ihrer extremistischen Mitte zusammengehört: Auf der Titelseite sieht man links einen Vermummten mit einem Stein in der Hand (»Linksradikale jagen Polizisten«) und rechts Neonazis mit einer NPD-Flagge in Berlin (»Nazis am Brandenburger Tor«) – eine Bilderbuchversion der Totalitarismus-Theorie, in der der demokratische Staat von links und rechts angegriffen wird und so seine Mitte findet. Die Faz konstatierte eine »neue Qualität der Gewalt« , Spiegel-online schrieb sich in eine »Orgie der Gewalt« und für die Neue Zürcher Zeitung blieb nicht mehr (viel) übrig, als von »Verwüstung« zu reden.
Eine »G-8-Schlacht« ohne gewaltige Opfer fällt selbst dem dümmsten Konsumenten auf, vor allem dann, wenn der Ausgang der Schlacht auf Messers Schneide stand: »Insgesamt seien 433 Beamte verletzt worden, davon 30 schwer, teilte die Einsatzleitung der Polizei mit.« Je nach Zeitung wuchs die Zahl der Schwerverletzten auf bis zu 41. Dazu zählten auch zwei Berliner Polizisten, die nach Zeitungsberichten niedergestochen wurden. Bereits drei Tage später verschwanden die schwerverletzten Polizeibeamten spurlos: »Wie ein Polizeisprecher erklärte, befand sich am Dienstag (6.6.2007) noch ein Polizeibeamter in stationärer Behandlung. Ein weiterer, der kurzzeitig stationär hatte behandelt werden müssen, war bereits am Vortag entlassen worden. Bis auf diese beiden war kein einziger Polizist in ein Krankenhaus eingeliefert worden.« Auch im Zwischenbericht des Innenministers Lorenz Caffier vom 13.6.2007 verwandelten sich die »Schwerverletzten« auf wundersame Weise in 43 »vorübergehend dienstunfähige« Beamte.
Auch die »Verwüstungen« und »Orgien der Gewalt« fanden mehr im Kopf der Riot-Berichterstatter statt, als auf den Strassen in Rostock: »Drei PKW wurden angezündet«, erklärte der Polizeisprecher dazu auf Nachfrage. Auch die brutalen, heimtückischen Säure-Attentate aus den scharfen Waffen der Clown-Army auf wehrlose Polizeibeamte lösten sich ein paar Tage später – in aller publizistischen Stille – in Seifenblasen bzw. Seifenlauge auf. Trotz all dieser gravierenden Richtigstellungen und Rücknahmen, hatten die Riot-Produzenten ihr Ziel längst erreicht: Im Gedächtnis der Zuschauer hatte sich etwas eingebrannt, was sich jedem Dementi, jeder Richtigstellung entzieht. Das wusste auch der Polizeisprecher Claassen, der keine Hemmungen hatte, das Gegenteil einzuräumen, nachdem das zuvor Behauptete nicht mehr zu halten war: »Was ich gestern gesagt habe, war gestern zutreffend. Was ich heute sage, ist heute zutreffend.«

Die Reaktion des Rostock-Bündnisses
Selbstverständlich sind die Möglichkeiten eines Bündnisses beschränkt, auf diesen Krieg der Bilder adäquat Einfluss zu nehmen. Dass die Wirklichkeit in der Hand der Beteiligten liegt, deren Ausdeutung und Nachbelichtung jedoch in der Hand des embedded Journalismus, sollte jedoch den Erfahrenen innerhalb des Bündnisses nicht entgangen sein. Anstatt die Pressekonferenz noch am selben Abend abzuhalten, verschob man sie auf den folgenden Tag. Zeit genug, um Kron-Zeugen aus den Reihen des Bündnisses zu suchen, die die Version eines marodierenden Schwarzen Blockes stützten.
»Wir wollen euch nicht mehr sehen!«, erklärte Attac-Sprecher Peter Wahl am Sonntag im Fernsehsender nt-v in Richtung Autonome. Bei dem »schwarzen Block« handele es sich »um eine Gruppe von Personen, die mit der Absicht, Krawall zu machen, angereist ist.«
Monty Schädel, Anmelder der Rostock-Demonstration und Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft verglich am Sonntag abend in einem ZDF-Interview die Ereignisse vom Vortag mit den Pogromen 1992 in Rostock-Lichtenhagen vor einem Flüchtlingsheim.
Werner Rätz, der zum linken Flügel im Attac-Koordinierungskreis zählt und Mitglied in der Interventionistischen Linke/IL ist, komplettierte die Kronzeugenliste. Er entschuldigte sich »bei den Rostocker Bürgern für die Eskalation…(und) präzisierte (dabei), wie seine Organisation in den kommenden Tagen mit mutmaßlichen Militanten umzugehen gedenke: ›Wenn einer ankommt, mit Kapuze und Palästinensertuch vor dem Gesicht, dann sagen wir dem, er ist unerwünscht.‹ Nachdem auch der linke Flügel innerhalb Attac wegknickte, meldete sich Peter Wahl mit einer allerletzten Attacke zu Wort: »Wir werden in Zukunft nur noch Demonstrationen mit der klaren Ansage machen, dass alle, die sich nicht klipp und klar von Gewalt distanzieren, nicht zu uns gehören. Wir müssen gegenüber Gewalttätern eine ähnlich harte Haltung einnehmen wie gegenüber Neonazis: Wir wollen euch nicht bei uns.«
Mit dieser Gleichsetzung brachte sich der Attac-Sprecher auf die Höhe rechter Totalitarismus-Theorien und machte sich zum Bündnispartner jener, die sich in Heiligendamm zum G-8-Gipfel trafen.

Das Konzept der Polizeiführung geht auf
Wie bedeutungslos das Erlebte vor Ort ist, wie mächtig und prägend die Informationshoheit derer, die diese »G-8-Schlacht« inszenierten und für Millionen von Menschen ins (rechte) Bild setzten, verdeutlicht einmal mehr die Berichterstattung über Rostock. Daran wird eine schwache Linke auf absehbare Zeit nichts ändern können. Politisch schwerwiegend war jedoch der Umstand, dass ein Teil des Bündnisses die Polizei- und Medienversion beglaubigte und dieser politische Authentizität verlieh. Fortan galt, dass ein paar Hundert bis Tausend Gewaltbereite Zehntausend friedliche Gipfelgegner in Misskredit und um ihr berechtigtes Anliegen brachten. Fortan durfte sich die Polizei als Beschützer des friedlichen Protestes gerieren und sozusagen im Auftrag der Veranstalter hart und konsequent gegen »Gewalttäter« vorgehen. Was einzelne Sprecher des Bündnisses nicht mehr sehen, nicht mehr haben wollten, überließ man der Polizei. Die absurde Behauptung, in Rostock habe die Polizei ein Deeskalationskonzept gefahren, das der ›Schwarze Block‹ brutal ausnutzte, diente als Blind Card gegenüber allen, die nicht friedlich (genug) aussahen. Willkürliche Ingewahrsamnahmen, demütigende Vor-Kontrollen, angedrohte Räumungen von Camps, die Beschlagnahmung des indymedia-Radio-Busses und de facto Demonstrationsverbote prägten die folgenden Tage rund um Rostock.
Doch nicht nur die politische Spaltung des Bündnisses vor Ort gelang. Um einiges nachhaltiger konnte die ins Wanken geratene Legitimation des staatlichen Sicherheits- und Gewaltapparats reanimiert werden. Verfassungsfeinde in Staatsuniformen drängelten sich sogleich auf der rechts-außen Spur und überboten sich gegenseitig mit paramilitärischen Vorschlägen - von Gummigeschossen bis hin zum Einsatz der GSG-9. Die Medien- und Politikerhatz auf alle, die den Weg für polizeiliche Generalvollmachten nicht freimachen, feierte auch juristische Siege. Die Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht bestätigten so gut wie alle polizeilichen Verfügungen: Demonstrationsverbot am Zaun, Vier-Kilometer-Verbotszone vor dem Zaun, Demonstrationsverbot rund um den Flughafen Rostock-Laage, Verbot eines Sternmarsches. Was danach noch erlaubt war, hatte Zirkuscharakter.
So paradox es klingen mag: In Rostock am 2.6.2007 bestand die Möglichkeit, ein wesentliches Merkmal radikaler (Bündnis-)Politik, weder Masse ohne Entschiedenheit, noch Entschiedenheit ohne Masse zu sein, umzusetzen. Es gab genug Möglichkeiten, die Gegenwehr auf dem Kundgebungsort gegen den Polizeiüberfall gemeinsam, verantwortlich zu organisieren - anstatt alles der Eigendynamik zu überlassen, die selten einem politischen Ziel, in aller Regel situativen Umständen folgt und erliegt.
In Rostock hätte die Möglichkeit bestanden, die Interpretation der Ereignisse weder der Hofberichterstattung der Medien noch Attac-Sprechern zu überlassen. Das wäre die Voraussetzung dafür gewesen, genau so eindeutig zu sagen, dass jede Scheibe, die eingeworfen, jeder Polizeiwagen, der angegriffen wird, aus dem Schutz einer Demonstration heraus, die in ihrer Mehrheit diese Aktionsform für diesen Tag ausgeschlossen hatte, keinem militanten, sondern einem instrumentellen Selbstverständnis folgt.
Keine dieser Möglichkeiten wurden genutzt.

Wolf W. - 21.6.2007