Eine Antwort auf die Texte...

Eine Antwort auf die Texte "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer" von one of us, und "Ein Sage von zwei Siegen?" von Tadzio Mueller und Kriss Sol
bojan r. - slovenia

Beide Briefe sind mehr als wertvolle kritische Einschätzung über die Aktionen von Radikalen. Ich stimme mit der Beobachtung von Tadzio Mueller und Kriss Sol überein, dass Radikale manchmal ein bißchen zu sehr dazu neigen, sich selbst zu beglückwünschen, sich auf sich selbst zu beziehen, überraschend 'un-radikal' zu sein. Was kann man vom AntiG8 in Rostock lernen? Es sieht danach, dass die gegen Globalisierung gerichtete Idee mit ihrem antagonistischen (Tadzio Mueller und Kriss Sol) und radikalen Potential an Boden verliert. Statt dessen könnte eine neue anti-systemische Vision Gestalt annehmen. Das Problem wurde von Tadzio Mueller und Kriss Sol exzellent dargestellt - der Antagonismus des Kapitals (Arbeit) spaltet sich auf, löst sich auf und wird zersetzt [disintegrates, Anm.d.Ü.]. Es sieht danach aus, dass eine neue Struktur sozialer Konflikte entsteht, die nach einer unterschiedlichen Strategie der Revolte verlangt. Der Versuch, dialektische Prozesse zu erzeugen und zu reproduzieren, indem man sich mit der Polizei schlägt und die Auto Unbekannter anzündet, scheint mir ein klein wenig zu leidenschaftlich zu sein. Die Straßenschlacht ist keine Therapie für diejenigen, die vom System verletzt wurden. Oder wenn, warum benutzt man dann nicht die gleiche Taktik, wenn man nicht in einer anonymen Gruppe ist, sondern vereinzelt zu Hause, an der Uni, auf der Arbeit. Die Straßenschlacht ist auch wichtig als eine Drohung, eine Möglichkeit. Das wurde in Rostock wieder einmal bewiesen. Auch könnte die G8 Demo gezeigt haben, dass die G8 (oder IWF-Weltbank, WTO Treffen, NATO) als solche, sich als Symbole der Eliten, tatsächlich ein ungeeigneter Fokus für radikale Aktionen sind. Die gegen die Globalisierung gerichtete Strategie ist sehr tricky. Für GlobalisierungsgegnerInnen ist das Problem irgendwo da draußen. Dabei ist das eigentliche Problem vielmehr - Wie organisieren wir uns und wie können sich die verschiedenen Bewegungen praktisch aufeinander beziehen, damit unser kollektives Handeln gestärkt wird?

Die KapitalistInnen wollen die Welt auch verbessern. Aber sie machen es auch für ihren Profit - sie globalisieren sich und werden individuell wie kollektiv stärker. AntiG8 Demos scheinen nur Kosten zu verursachen, Energie aus den Bewegungen abzuziehen und sie zu zerstreuen. Am Tag danach hat man Kopfschmerzen und ist ein wenig frustriert. Wie können wir protestieren und zugleich unmittelbare als auch langfristige Ziele erreichen? Wenn uns das nicht gelingt, haben wir das Spiel bereits verloren, nur dass wir es noch nicht wissen.

Globalisierung ist eine der Manifestationen des Kernproblems. Anti-kapitalistisch, anti-globalistisch, anti-elitistisch, anti-nationalistisch, usw. all das sind verschiedene Gesichter der Opposition gegen ein und dasselbe - die totale Kontrolle, die das System und die Regime errichten und die darin resultiert, dass die Möglichkeiten zu leben, über die Menschen verfügen können, weiter beschnitten werden. Mir scheint es, dass der Kern des Problems nicht allein im Kapitalismus, noch weniger in der Globalisierung des Kapitals zu suchen ist als in der undemokratischen Natur von Herrschaft.

Aber das Problem liegt nicht darin, dass das System nicht gut funktioniert und wir es korrigieren müssten, oder umorientieren, oder verbessern. Ich denke, besser nicht! Das System funktioniert perfekt - es hat sich verselbstständigt und ist zum sich selbst erhaltenden Verwaltungsroboter geworden, daraf programmiert gegen die Menschen zu kämpfen und die Eliten zu verteidigen und die Herrschaft. Das System hat es hervorragend gelernt Themen zu übernehmen, die von radikalen Gruppen über Jahrzehnte vertreten wurden (Klimawandel, Armut in Afrika, Verschuldung der armen Länder). Aber wir können sehen, dass solche Übernahmen immer zur fortgesetzten Marginalisierung anti-systemischer Gruppen geführt haben. Es ist offensichtlich, dass diese Taktik (das Regime zu kritisieren und Veränderungen zu fordern) perfekt arbeitet gegen die Radikalen. Was wurde mit der Entlassung des Präsidenten der Weltbank erreicht - vertraut irgendwer der Weltbank jetzt mehr?

Mein Vorschlag für die weitere Diskussion wäre es, den Schwerpunkt der gegen das System gerichteten Bewegung, der anti-systemischen Bewegung, auf die Verwaltung der Macht zu legen (Demokratie), nicht (hauptsächlich) auf die Verwaltung der Reichtümer (Kapitalismus, Globalisierung). Der Grund für diese Reihenfolge liegt darin, dass Demokratie zur Organisierung unserer Gesellschaften grundsätzlich wichtiger ist als der Kapitalismus. Kapitalismus und Globalisierung können unter Kontrolle gebracht werden (und werden derzeit in der Tat von den Eliten kontrolliert) aber es ist unmöglich auf demokratische Weise die Tyrannei zu kontrollieren.

Zwei anti-systemische Strategien sind grundlegend: Die negristische Multitude, die das System von innen zerrüttet, und die autonome Option, die von außerhalb der Herrschaftssysteme operiert. Die beiden Taktiken underscheiden sich sehr, und es ist nicht wirklich eine Einigung darüber zu erwarten, welche der beiden effektiver ist. Tatsächlich ist das auch nicht wichtig, da beide anti-systemische Ziele verfolgen. Wie dem auch sei, legen Einschätzungen nach Rostock nahe, dass die negristischen Taktiken zunehmend frustrierende Bedingungen für die gesamte anti-systemische Bewegung produzieren: Sie verlangen einen enoemen Input (organisatorisch, Massen zusammen bringen) wobei der Einfluss auf G8 wie auf zukünftige anti-systemische Aktionen unklar ist. Ich versuche wirklich nicht VerfechterInnen der Multitude dazu zu überreden ihren Ansatz zu ändern, nur dazu die Strategie zu erkennen, die beansprucht das System von außen zu bekämpfen, von autonomen Zonen aus. Ein System kann nie zu einem Nicht-System werden, es hat nur eine Möglichkeit zum Kompromis parat (wenn es dazu gezwungen wird) - das ist der Rückzug. Das bedeuted, dass jede konzession tatsächlich den anti-systemischen Raum erweitert.

Sicher, eine Frage bleibt bestehen - wie gehen wir mit der Macht um, wie üben wir sie aus? Autonome würden versuchen die Frage umzudrehen: Wie handhaben wir die Anti-Macht, die uns in die Lage versetzt, uns der Macht zu widersetzen? Wie organisieren wir fruchtbares kollektives wie individuelles Leben, das nicht durch das System kontrolliert und dominiert wird. Deshalb brauchen Autonome und Radikale dauerhafte autonome Zonen als Orte, die
'nicht im System' sind. Zonen sollten als unabhängige Einheiten innerhalb eines Nationalstaates funktionieren, aber zugleich auch als unabhängige Zonen in einem europäischen Netz autonomer Zonen. Dieser doppelte Character autonomer Zonen könnte zu einer fruchtbaren politischen Strategie Europäischer Autonomer führen (eutopia). Mit der Anerkennung der dauerhaften autonomen Zonen durch die Regime ändert sich der soziale Konflikt. Autonome weigern sich soziale Marginalisierung zu akzeptieren und möchten eigene Zentren der Allgemeinheit [commonalty] konstituieren. Eliten und Zonen erkennen sich gegenseitig an als parallele und potentiell legitime Regime der Handhabe von Kräfteverhältnissen. Das wäre keine Beziehung zwischen Zentrum (die Elite) und Peripherie (die Ausgeschlossenen), sondern eine Beziehung zwischen zwei ko-existierenden, aber auch sich radikal gegenüber stehenden Zentren der Macht. Dies befähigt die Autonomen radikal zu bleiben.

bojan.radej [at] siol.net

(prekärer politischer Ökonom, unabhängiger Forscher, Publizist und Aktivist (agonist/xenos), der in Slovenien lebt)