Offener Brief an den NDR

25.06.2007
M. Mustafa Sahin / Freier Journalist

Lieber NDR,
mit Erstauen und Wut habe ich auf Ihrer Internetseite http://www1.ndr.de/nachrichten/g8/demorostock62.html einen Artikel unter dem Titel „Chemische Flüssigkeiten gegen Polizisten?“ gelesen. Ich möchte fragen, ob Sie glauben, dass ein Fragezeichen hinter einem Titel den NDR von der Realität, der Wahrheit und dem Pressekodex befreit? Wenn Sie meinen, dass diese „Bild-Taktik“ Ihnen erlaubt längsbekannte Manipulationen zu verbreiten, irren Sie sich.
Ich war auch in der Zeit in Rostock und habe im Auftrag vom WDR und BBC die G8 Proteste im Vorort selbst beobachtet. Sicherlich gab es unter den Demonstranten auch krawallgeile und abendteuerlustige Leute, gewaltbereite Menschen, die die den Beamten im Bürgerkrieg-Uniformen ein mal „auf die Fresse hauen“ wollten und aber es waren auch auch Provokateure unter den Demonstranten (das hat ja die Polizei später selbst zugegeben), die wahrscheinlich die ersten Steine auf die Polizisten geworfen haben. Und lassen Sie mich annehmen, dass es unter den Demonstranten auch Leute gab, die die G8 Proteste kriminalisieren wollten.

Doch ich habe das Gefühl, auch die Polizei wollte diese Krawallen. Dafür sprechen viele Indizien. Beispielweise, die Polizei verbreitete direkt nach den Krawallen in Rostock eine falsche Meldungen; es seien über 400 Beamten verletzt usw... usf... und insgesamt wären über 1000 Verletzte, einige Dutzend davon schwer. Nach dem Motto: „Bürger! Geht nicht auf die G8 Demonstrationen. Da kann euch was passieren. Das ist eine
Angelegenheit zwischen der Polizei und der gewaltbereiten linken Chaoten.“

Es hieß sogar die Polizei sei von den als Clown bekleideten Demonstranten mit einer unbekannten Flüssigkeit angegriffen worden. Diese gezielte Lüge haben auch Sie verwendet und das tun Sie peinlicherweise immer noch. Obwohl das schnell klar war, dass es sich dabei um keine unbekannte Flüssigkeit sondern um H2O handelt. Also schlicht und einfach: Wasser. Die mehrere Polizisten, die angeblich wegen dieser unbekannten Flüssigkeit mit schmerzhaften Hautreizungen medizinisch behandelt werden müssten, haben vielleicht diese wegen den schlechten Zuständen bei ihren Unterkünften zu sich gezogen. Aber bestimmt nicht wegen Wasser.

Ich glaube, die Polizei war mit dieser neuen Art der Demonstranten überfordert, wusste nicht wie sie mit diesen Clowns umgehen sollte und darum brauchte sie eine Vorwand, um auch auf die Köpfe dieser buntbekleideten Leuten zu hauen. Denn Clowns durften „vermummt“ da rumlaufen und sich über die Hüter und Vertreter des Staates lustig machen. Die Clowns hatten in Rostock die Narrenfreiheit und durften sich einiges erlauben, die sich ein „Nullachtfünfzehn-Demonstrant“" nicht einmal träumen durfte.

Also, kriminalisieren und das Recht haben sie zu schlagen. Denn ohne Grund konnte ja die Polizei solche lustige Frauen und Männer nicht so einfach zusammenschlagen.Ich wäre nicht überrascht, wenn es bald ein Gesetz gäbe, das Clown-Outfits auf den Demonstrationen verbieten würde.

Es gibt noch einiges auf Ihrer Internetseite, die man kritisieren könnte, und die auf gezielt Lügen der Polizei basieren. (Sowie fast alles, was Sie unter dem Untertitel „Schwarzer Block tritt erneut in Erscheinung“ schreiben). Aber ich will hier nicht alles ansprechen. Nur, kurz zusammengefasst: Es ist fast alles falsch, was Sie in ihrem Artikel schreiben und diese falsche Informationen sind sogar veraltet. Es ist eine Schande, dass in Deutschland. die Polizei bewusste, gezielte und falsche Meldungen in Umlauf bringt. So was kenne ich nur aus der Türkei und dachte; hier, in diesem demokratischen Land passiert so was (eher) nicht.

Ich finde es peinlich, dass nicht nur die sensationsgeile, kommerzielle Sender diese Lügen gern angenommen und ohne nachgeprüft zu haben verwendet haben, sondern auch die öffentlich-rechtlichen Sender (unter anderem auch Sie). Und zwar nur aus einem Grund: Geilheit auf Sensationen. Hurrrrraaaa... 1000 Leute verletzt..... unter denen über 400 Polizisten....

Natürlich passierte am 2. Juni in Rostock Dinge, die weder ich noch andere friedliche Menschen zustimmen würden. Aber dutzende Medienorgane hatten dort, ihre Reporter und diese haben doch die Ereignisse mitverfolgt. Was ist dann passiert? Einige Medienorgane haben nicht auf Ihre eigene Leute sondern der Polizei vertraut und deren manipulierte Angaben in ihren Berichten verwendet. Und einige Medienorgane hatten Leute Vorort, die es wahrscheinlich bequemer haben wollten und haben diese Manipulationen an ihren Auftragsgeber weitergeleitet.

„So was außergewöhnliches, mit so vielen Verletzten und Bürgerkriegsähnlichen Bildern ist ja bares Geld“ müssen sich diese gedacht haben. Naaa Gut! Beispielsweise hat die dpa sich nachhinein für die falschen Meldungen entschuldigt. Aber wem hilft das? Die Lüge um die Mehrheitsmeinung ist schon verbreitet. In einem Rechtsstaat wie Deutschland, müsste sich die Polizei entschuldigen und zwar sehr laut.

Mittlerweile spricht ja auch sogar Focus, die bekanntlich nicht als linksradikal eingestuft werden kann, von den Manipulationen der Polizei. Aber Sie! Sie benutzen diese Lügen immer noch, ohne Richtigstellung oder ähnliches. Das ist doch eine Schande.

Sie verbreiten auf Ihrer Internetseite nach Wochen immer noch gezielte Manipulationen der Polizei. Und diese „journalistische Arbeit“ finanzieren Sie mit den Geldern, die Ihnen von der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt worden sind. In Rostock wurden wir, die Reporter, von einigen Demonstranten und Polizisten geschubst, getreten, beschimpft.

Für die Polizisten waren wir, Augenzeugen Ihrer Rechtswidrigkeiten und somit unerwünscht (Habe sogar Filmaufnahmen, auf denen man sieht, wie ein gehbehinderte Demonstrant, der auf dem Boden liegt, von mehreren Beamten mit Füssen getreten wird). Und für die einigen G8-Gegner waren wir „Zivis“ und Lügenverbreiter und somit unerwünscht.

Zum Schluss muss ich sagen, lieber NDR; auch Sie, sind daran schuld. Denn wie viele andere Presseorgane haben auch Sie über die G8 Demonstrationen einseitig und falsch berichtet. Und das tun Sie nach Wochen immer noch. Sie müssen doch die Angaben, mit denen Sie schreiben nachprüfen, ggf. korrigieren, richtig stellen usw...

Im Konjunktiv schreiben gibt Ihnen definitiv nicht das Recht, in Ihren Berichten, längst überholte Lügen zu verwenden. Und wenn Sie weiter so machen, werden die Reporter auf solchen Veranstaltungen weiterhin von beiden Seiten als Feind eingestuft und dementsprechend behandelt. Was das bedeutet, habe ich eine Woche lang in Rostock und Umgebung am eigenen Leib erleben müssen. Auch wegen Ihnen, lieber NDR!

Mit freundlichen Grüßen

M. Mustafa Sahin
Freier Journalist

PS: Eine Kopie dieses Schreibens ergeht auch an den Presserat, an die Taz und an de.indymedia.org.