Käfigzellen bei G8: “Das erinnert an Guantanamo”

sueddeutsche 10. Juni 2007

Anwälte der Demonstranten, die am Rande des G8-Gipfels in Käfige gesteckt wurden, haben Strafanzeigen gestellt. Eberhard Kempf, kürzlich Verteidiger von Josef Ackermann, hält die Käfige für skandalös.

Interview: Felix Berth

SZ: Ein Teil der Demonstranten, die die Polizei in Gewahrsam genommen hatte, war in Käfigen untergebracht. Hat Sie diese Nachricht verblüfft?

Kempf: Sie hat mich entsetzt. Natürlich muss die Polizei die Möglichkeit schaffen, Demonstranten in Gewahrsam zu nehmen. Doch dass sie dafür Käfige aufstellt, erinnert auf schreckliche Weise an die Haftbedin- gungen in Guantanamo.

SZ: Der Polizeichef sagte, dies entspreche gesetzlichen deutschen Standards.
Kempf: Es gibt keine deutschen Gesetze, die die Größe oder die Beschaffenheit von Zellen festlegen.

SZ: Die Polizei hat etwa 1000 Menschen in Gewahrsam genommen. Da musste es provisorische Zellen geben.

Kempf: Dass die bestehenden Zellen nicht ausreichen, war jedem klar. Doch hätte es Möglichkeiten gegeben, Hafträume in leeren Fabrikgebäuden oder in Schulen zu schaffen. Die Demonstranten hatten ja auch Räume gemietet.

SZ: Die Zellen waren in einer leeren Industriehalle.

Kempf: Doch warum musste man Käfige aufstellen? Ich bin sicher, dass man menschlichere Haftbedingungen hätte schaffen können.

SZ: Glauben Sie, dass die Polizei aus Achtlosigkeit so gehandelt hat?

Kempf: Ich fürchte, es war mehr als Achtlosigkeit. Diese Form des Gewahrsams sollte nicht nur Straftaten unterbinden - sie sollte auch denen, die man nicht in Gewahrsam nehmen konnte, etwas demonstrieren.

SZ: Nach Angaben von Demonstranten wurden die Käfige 24 Stunden am Tag beleuchtet und gefilmt.

Kempf: So etwas ist völlig unzulässig. Verzeihung, wenn ich an eine Episode aus der Geschichte der Tierhaltung erinnere: Im Frankfurter Zoo wurde in den sechziger Jahren ein neues Affenhaus gebaut. Die Affen wurden darin verrückt, weil sie keine Rückzugsräume hatten. Ähnlich geht es Menschen in solchen Zellen: Wenn sie keinen abgetrennten Raum haben, wenn die Zelle immer beleuchtet wird und jeder hineinschauen kann, macht das auch Menschen verrückt.

SZ: Die Polizei hat am Wochenende zugegeben, Polizisten in Verkleidung von Autonomen eingeschleust zu haben. Die Demonstranten behaupten sogar, einer dieser Polizisten habe Steine geworfen.

Kempf: Wenn das so wäre, wäre es eine ungeheuere Provokation. Damit hätte die Polizei versucht, das zu produzieren, was sie selbst vorhergesagt hat.

SZ: Eine strafbare Handlung?

Kempf: Ja. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion über den ,,Agent provocateur‘‘ hat man stets argumentiert, sein Einsatz im Drogenmilieu sei nicht strafbar, weil die strafbare Handlung, die er provoziert, nicht zum Ende kommt. Vorher würde ja die Polizei eingreifen. Wenn ein Polizist in Heiligendamm Steine geworfen hätte oder dazu angestiftet hätte, wäre das Delikt vollendet, also strafbar.

http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/876/117747/