"Die Proteste haben die politische Welt verändert"

Sueddeutsche Zeitung 2007 9./10. Juni 2007

Bilanz des Widerstands: Warum die Globalisierungskritiker ihre Aktionen als großen Erfolg sehen.

Von Arne Boecker

Die Gipfelgegner haben den Verlauf der Proteste als großen Erfolg gewertet. Die Aktionen und Kundgebungen gegen das G-8-Treffen hätten "die politische Welt verändert", resümierte Werner Rätz (Attac).

Den Globalisierungskritikern sei in Rostock und Heiligendamm der Nachweis gelungen, "dass sie Massen mobilisieren können" - obwohl sie weder über einen Apparat noch viel Geld verfügten. Rätz fügte an: "Man wird mit uns rechnen müssen."

Tausende hätten bei den Blockaden die Erfahrung gemacht, "dass Widerstand möglich und wirksam ist", sagte Lea Voigt (Block G 8). Von Mittwoch an sei es Blockierern gelungen, die Straßen nach Heiligendamm zu verstopfen. Deswegen habe der G-8-Gipfel nur über die Ostsee und aus der Luft versorgt werden können. Nicht viele hätten geglaubt, "dass wir den Zaun überhaupt mal zu sehen bekommen", sagte Voigt.

An dem Zaun, der die in Heiligendamm versammelten Regierungschefs gegen Demonstrationen abschirmte, hätten "festähnliche Zustände geherrscht", sagte Voigt und bilanzierte: ,,Wir sind mehr als zufrieden.‘‘

Über den "großen Erfolg jener Aktionen, die sich auf zivilen Ungehorsam berufen", freute sich auch Felix Kolb, Geschäftsführer der in Berlin ansässigen Bewegungs-Stiftung. Sie unterstützt linke Projekte und Initiativen, die gewaltfrei agieren. "Viele, viele Menschen haben gesehen, dass Blockaden friedlich funktionieren", sagte Kolb der Süddeutschen Zeitung.

Von diesem Erfolg würden jene profitieren, die auch planten, diese Aktionsform zu nutzen. Kolb verwies auf anstehende Proteste, unter anderem gegen die Nutzung des Militärgeländes "Bombodrom" im Norden Brandenburgs durch die Bundeswehr.

Polizei zufrieden

Einsatzleiter Knut Abramowski zeigte sich aus polizeilicher Sicht mit dem Verlauf der Gipfel-Tage zufrieden. "Die Einsatzziele sind erreicht worden", sagte er. Im Laufe der Woche seien 17.800 Polizisten eingesetzt worden. Der Gipfel sei ohne Störungen verlaufen, die Sicherheit der Politiker sei gewährleistet gewesen.

Die Deeskalation der Polizei habe funktioniert. Entscheidende Hinweise zu Straftaten von Schwerstkriminellen seien von Rostockern gekommen, sagte Abramowski. Einige Straftäter hatten die Stadt zum "Schauplatz ihrer gewalttätigen Triebe machen" wollen. Eigens zum Schutz des G-8-Gipfels war eine "Besondere Aufbauorganisation" namens Kavala gebildet worden.

"Moralische Verrohung"

Im Zusammenhang mit der Demonstration vom vergangenen Samstag sprach Abramowski von einem "Ausbruch der Gewalt, wie ihn selbst hartgesottene Polizeibeamte noch nicht erlebt haben". Jenen Demonstranten, denen es gelungen sei, "Polizisten in lebensbedrohliche Situationen zu bringen", warf er "moralische Verrohung" vor.

Nach Auskunft der Polizei sind im Laufe des einwöchigen Einsatzes 1057 Demonstranten in Gewahrsam genommen worden. Den Vorfall vom Mittwochabend, bei dem ein Zivilbeamter von Blockierern enttarnt worden war, bestätigte Abramowski. Es hätten sich auch weitere Beamte unter die Demonstranten gemischt.

Eine Zahl wollte er nicht nennen. Abramowski legte jedoch Wert auf die Festellung, dass diese Zivilbeamten keine Straftaten provoziert hätten. Wie die Hamburger Morgenpost am Freitag berichtete, erwägt die Staatsanwaltschaft Rostock, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Anstiftung zu einer Straftat einzuleiten.

Mit scharfer Kritik überzog Greenpeace- Sprecher Karsten Smid die Entscheidungen der G-8-Staats- und Regierungschefs zum Klimawandel. Er nannte sie "nichtssagend und beliebig". Außerdem stellen die Beschlüsse nach seinen Worten eine Anmaßung gegenüber jenen Menschen dar, die vom Klimawandel betroffen sind.

"Dieser G-8-Gipfel ist gescheitert", sagte Smid, der zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel "einen persönlichen Misserfolg" attestierte. Deren Strategie, US-Präsident Bush beim Klimaschutz einzubinden, sei fehlgeschlagen. Smid begründete seine Kritik damit, dass die Vereinbarungen viel zu unverbindlich ausgefallen seien.

"Hässliche Bilder"

"Das ist in etwa so, als wenn Brandstifter ernsthaft in Erwägung ziehen, das Feuer wieder zu löschen.‘‘ Smid forderte Bundeskanzlerin Merkel auf, die Reduzierung der Treibhausgas-Produktion in Deutschland um 40 Prozent bis 2020 durchzusetzen. Seine Einschätzung von der Auftaktkundgebung habe sich bestätigt, erklärte Attac-Sprecher Werner Rätz: "Von diesen G-8-Staaten ist nichts Gutes zu erwarten."

Man wolle "die hässlichen Bilder" von der Auftaktkundgebung am Samstag ,,keineswegs in den Hintergrund rücken‘‘, sagte Rätz, aber sie gehörten in einen Zusammenhang gestellt. Solche Bilder habe es bei jedem der jüngeren G-8-Gipfel gegeben. Organisatoren müssten künftig "noch genauer darauf achten, wer sich alles für Demos interessiert".

Rätz verwies darauf, dass "militante Aktionen ja nicht angekündigt werden". Am Samstag war es in Rostock zu schweren Ausschreitungen zwischen Gewalttätern und der Polizei gekommen. Aus dem linksex- tremistischen Lager kamen aber auch Stimmen, die ein Ende "der aufgesetzten Gewalt- debatte" forderten.

In diesem Sinn äußerte sich die Bundeskoordination Internationalismus (Buko) aus Hamburg, der 150 Gruppierungen angehören. "Schuldzuweisungen an den Schwarzen Block" verurteilte die Buko als "geradezu hysterisch". Auch Felix Kolb von der Bewegungs-Stiftung sagte, dass der Schwarze Block nicht so geschlossen sei, wie er in der Öffentlichkeit erscheine. "Nicht alle Linksautonomen sind Steinewerfer", sagte Kolb.

Nach Auskunft der Camp AG waren die Freiflächen in Reddelich, Wichmannsdorf und Rostock während des Gipfels mit 18.000 Menschen überfüllt. Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) hat recherchiert, dass es bislang zu zehn Schnellverfahren gegen Demonstranten gekommen sei, die Urteile seien jedoch nicht rechtskräftig.

Die Polizei habe Anwälte in den Gefangenen- Sammelstellen "wie den letzten Dreck behandelt", sagte Michael Hofmann (RAV). Manfred Stenner (Netzwerk Friedensko- operative) warnte davor, "weiter den Weg in den Polizeistaat zu gehen". Der Gipfel- Protest mündete am Freitag in eine Kundgebung am Rostocker Stadthafen, an der nach Auskunft der Veranstalter etwa 5000 Menschen teilnahmen.

(SZ vom9./10.6.2007)