G-8-Gipfel: Zaun ersetzt 36000 Polizisten

Berliner Morgenpost 1. Juni 2007

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Caffier und Polizeichef Abramowski über die Sicherheitslage in Heiligendamm

Berliner Morgenpost: Altkanzler Helmut Schmidt hat Heiligendamm einen ungeeigneten Gipfelort genannt. Man sollte sich besser auf einer einsamen Insel treffen, schlug er vor. Stimmen Sie ihm zu?

Lorenz Caffier: Wir hatten zuletzt wirklich keine Zeit, die Welt zu bereisen und eine solche Insel zu finden. Ich sehe auch nicht ein, dass ein Treffen von Staatschefs nur noch auf Inseln oder Schiffen möglich sein soll. Die Diskussion ist müßig: Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat den Auftrag, Heiligendamm zu schützen. Darauf sind wir gut vorbereitet.

Knut Abramowski: Wir haben 18 Monate alles Menschenmögliche getan, um die Staats- und Regierungschefs schützen zu können. Und wir werden auch das Demonstrationsrecht dort gewährleisten, wo man es verantworten kann. Wir sind überzeugt: Es wird ein schöner Gipfel und ein buntes Fest.

Die Ausschreitungen zuletzt in Hamburg sprechen dagegen.

Abramowski: Die große Demonstration am Samstag in Rostock etwa, zu der 100 000 Menschen erwartet werden, sehen wir zum jetzigen Zeitpunkt ganz entspannt. Wir können zwar nicht ausschließen, dass sich Gewaltbereite in diese Kundgebung einschleichen. Aber wir stehen mit Anmeldern und Veranstaltern in Kontakt und haben gemeinsam den Eindruck, dass die Demonstration friedlich wird. Sollte es aber am Rande zu Ausschreitungen kommen, ist die Polizei gewappnet.

Zeitgleich hat die NPD eine Kundgebung in Schwerin angemeldet. Die Stadt hat das aufgrund eines “polizeilichen Notstands” verboten. Sind Sie überfordert?

Caffier: Die NPD hat die Demonstration zur bundesweiten Pflichtveranstaltung für ihre Anhänger ausgerufen, es werden bis zu 2500 Teilnehmer erwartet. Wenn die NPD derart massiv auftritt, zieht das andere Gruppierungen an. Das ist also ein zusätzliches Großereignis, mit dem wir in der Tat an Grenzen stoßen. Wir muten den Kollegen aus Bund und Ländern in den zehn Tagen des Gipfels eine wirklich herbe Belastung zu. Mecklenburg-Vorpommern hat 41 Prozent seines Polizeipersonals rund um Heiligendamm im Einsatz, der Rest muss die normale Arbeit weitermachen. Das ist absolut grenzwertig und nur mit persönlichen Belastungen zu stemmen. Dies ist übrigens auch ein Grund dafür, dass wir auf ein Sperrwerk zurückgreifen müssen.

Sie meinen den Zaun rund um den G-8-Tagungsort. An dem entzündet sich die Kritik der Gipfelgegner.

Abramowski: Hätten wir die technische Sperre nicht, müssten wir Meter für Meter einen Polizeibeamten aufstellen. Das wären insgesamt 36 000 Mann im Schichtdienst. So viele geschlossene Einheiten gibt es in ganz Europa nicht, geschweige denn in Deutschland. Unsere Polizisten sind nicht beliebig vermehrbar, deshalb baut man so ein kräfteökonomisches Ausgleichselement.

Fürchten Sie nicht, dass das Zaun-Symbol missverstanden wird? Ostdeutsche Mitbürger fühlen sich an die Mauer erinnert.

Abramowski: Ich verstehe Befindlichkeiten, aber die sind nicht mein Thema. Der Zaun ist unerlässlicher Bestandteil unseres Gesamtkonzepts. Und er ist ein defensives Element. Es passt in unser Konzept, von Anfang zu deeskalieren.

Caffier: Der Zaun hat natürlich eine gewisse Symbolkraft, die sich nicht wegdiskutieren lässt. Ich bin selbst Ostdeutscher und kann dies sehr gut verstehen. Nur: In der DDR hätten Sie niemals vor der Mauer demonstrieren dürfen.

Allein der Zaun kostet eine Million Euro pro Kilometer. Viele Bürger können das nicht nachvollziehen.

Caffier: Den Bürgern zu vermitteln, dass sie für drei Tage Sicherheit 92 Millionen Euro zahlen müssen, fällt nicht leicht. In den Schulen, die dringend eine Grundsanierung bräuchten, lassen sich solche Kosten schwer vertreten. Für Mecklenburg-Vorpommern ist das eine Gratwanderung, weil die Haushaltsmittel knapp sind. Wir müssen einen Ausgleich an andere Länderpolizeien zahlen, weil wir zum Schutz von Heiligendamm bis zu 16 000 Polizisten benötigen, selbst aber nur 5400 haben. Aber das angekündigte Demonstrationsszenario und die Erfahrungen mit gewaltorientierten Gruppen erfordern entsprechende Maßnahmen.

Polizei und Gipfelgegner streiten gerichtlich darum, wo demonstriert werden darf. Ziehen Sie vor das Bundesverfassungsgericht?

Caffier: Wir müssen die Tagungsteilnehmer schützen, den friedlichen Ablauf der Demonstrationen und die gesamte Logistik gewährleisten. Dafür werden wir alles Erforderliche tun.

Warum ist die Einschränkung der Versammlungsfreiheit überhaupt nötig?

Abramowski: Weil das Straßennetz äußerst spärlich ist, es gibt nur zwei Zufahrtswege nach Heiligendamm. Die Gefahr ist einfach zu groß, auf den engen Straßen Polizisten, Demonstranten, Delegierte und Journalisten laufen zu lassen. Wir müssen die Versorgungswege auch für Feuerwehr und Rettungsfahrzeuge frei halten. Wenn man dann die immer zahlreicheren Aufrufe zur Bildung von Blockaden und der Erstürmung des Sperrwerks sieht, sage ich: In dem Bereich können keine Demonstrationen geduldet werden.

Caffier: Der G-8-Block hat beispielsweise erklärt, dass außer der Versorgung aus der Luft nichts geht auf den Straßen. Ich muss schon feststellen, dass die Aggressivität einzelner Menschen gegenüber den Beamten in der letzten Zeit wächst, die Polizei gerät immer mehr zum Abarbeitungsobjekt irgendwelcher Frustrationen. In gewissen Kreisen gibt es ein regelrechtes Feindbild, ich selbst werde als Bullenminister bezeichnet. Wir gehen auf Demonstranten zu, aber der militante Teil will keine Argumente hören, sondern sich an der Polizei abarbeiten.

Das Gespräch führten Martin Lutz und Thorsten Jungholt
Aus der Berliner Morgenpost vom 1. Juni 2007

http://www.morgenpost.de/content/2007/06/01/politik/902942.html