G-8-KRITIK: Geißlers neue Freunde

Spiegel-Online 31. Mai 2007
Von Severin Weiland
Heiner Geißler ist seit kurzem Mitglied bei den Globalisierungsgegnern von Attac. Heute trat der frühere CDU-Generalsekretär erstmals an der Seite seiner neuen Weggefährten auf einer Pressekonferenz auf - kämpferisch wie eh und je.

Berlin - Der kleine Raum in der Bundespressekonferenz ist voll gepackt mit Journalisten und Kameras. Heiner Geißler hat gerade über eine gerechtere Welt, über eine “Weltinnenpolitik”, über die Börsenumsatz-Steuer, über einen “Welt-Marshall-Plan”, über eine weltweite “öko-soziale Marktwirtschaft” geredet. Es ist ein Programm, das einem seiner Nachfolger im Amte des CDU-Generalsekretärs wohl nicht über die Lippen käme.

Dann, fast am Schluss der Fragerunde, sagt Geißler plötzlich: Was Attac vertrete, sei “im Prinzip kompatibel mit dem Grundsatzprogramm der CDU”. Geißlers Augen blitzen auf in seinem faltigen, tief gebräunten Gesicht. Er macht eine kleine Pause. “Das wird nur noch nicht erkannt, weder von Ihnen”, wendet er sich an die Journalisten und fügt listig hinzu, “noch von wesentlichen Personen in der CDU.”

Der Attac-Vertreter Pedram Shahyar lächelt gequält. Von der CDU vereinnahmt zu werden, ist wohl das letzte, was der Sprecher des deutschen Netzwerks erwartet hat. Geißler fasst seinen Arm, beugt sich zu ihm hinüber und sagt, er brauche sich jetzt nicht “beschwert fühlen”.

Doch Shahyar ist kaum weniger Medienprofi als der frühere CDU-Generalsekretär. Diplomatisch sagt er: Auf “ethischer Grundlage” unterschieden sich die Ansichten von Attac “nicht von vielen Menschen in der CDU”. Etwas anderes sei aber die “konkrete Politik” der Partei, die kritisiere man eben.

Da schweigt Geißler, der in den vergangenen Jahren so oft mit seiner Partei gehadert hat - gerade in den konkreten Dingen wie etwa dem Beschluss auf dem Leipziger Parteitag 2003, die Kopfpauschale einzuführen. Mittlerweile spricht seine Partei nicht mehr so gern über Leipzig und das freut Geißler natürlich. Sein Entschluss, Attac beizutreten, hat viele nicht überrascht, ohne Wirkung ist sein Schritt aber nicht geblieben. Der CDU-Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Christian Baldauf, hat seinem Mitglied Heiner Geißler kürzlich empfohlen, den Schritt noch einmal zu “überdenken”. Attac sei schließlich ein Netzwerk, “das sich in vielen Punkten gegen die Politik der CDU stellt”. Geißler aber hat ihm einen Brief gesandt. Er solle “im eigenen Interesse seine Forderung nicht wiederholen”.

Andere in der CDU haben ihr Entsetzen ausgedrückt: Attac, das stehe ja für “Attacke”, in was für Kreise er sich da denn begeben habe, erzählt Geißler. Die wüssten wohl nicht, dass Attac eine französische Abkürzung ist, die übersetzt für “Verein für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger” steht. “Politische Ignoranten” nennt er solche Kommentatoren. Wer ihn da so beschimpft hat, verrät er, ganz der erfahrene Politiker, natürlich nicht. Aber soviel sagt er dann doch: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und dessen Frau hätten Verständnis für seine Entscheidung gehabt, Attac beizutreten. Ingeborg Schäuble, sagt er, wisse ja Bescheid über die Dinge als Präsidentin der Welthungerhilfe.

Geißler war einmal Generalsekretär der CDU, ein Reformer in den siebziger und achtziger Jahren. Er hat seine Partei für neue Felder geöffnet: Menschenrechts-, Familien-, Gesellschafts- und Umweltpolitik. Geißler war und ist immer noch ein mediengewandter Kommunikator. Einer, der zum richtigen Zeitpunkt Botschaften zu setzen weiß. Als er Mitte Mai Attac beitrat, wurde das zur Hauptnachrichtenzeit im Fernsehen gemeldet. Sein Auftritt in Berlin, rund eine Woche vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm, ist so gut besucht wie kaum eine Attac-Pressekonferenz zuvor. Geißler ist ein Mann der griffigen Botschaften, er kennt das Geschäft, als er noch die eigene Partei gegen SPD und Grüne positionierte. Jetzt geht es um die Welt. 12,5 Prozent der Menschen weltweit lebten mit einem Einkommen, das über der Hälfte des Durchschnittseinkommens liege, referiert er. Das sei “globale Sozialapartheid in der schlimmsten Form”.

Die Pressekonferenz wird zur Abrechnung mit den Neoliberalen. “Wir brauchen keine Entfesselung der Märkte, das ist absolute Ideologie. Wir brauchen eine Welt-Innenpolitk”, mahnt Geißler. Er preist das Modell der Sozialen Marktwirtschaft, jener Mischung aus “Ordo-Liberalismus” - “nicht Neo-Liberalismus”, wie er spitz für die unkundigen Journalisten hinzufügt - und der “katholischen Soziallehre und evangelischen Sozialethik”. Heute aber habe sich die Ökonomie von den nationalen Ordnungen emanzipiert, in denen solche Werte eingebunden gewesen seien. Heute sei die Dividende “verabsolutiert worden”.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sagt er: Er sei nicht per se gegen die Globalisierung, das sei ja “Unsinn”. Aber humaner gestaltet werden müsse sie, da sei er sich mit Attac einig.

Geißler redet sich in Fahrt, je länger die Pressekonferenz dauert. Der 77-Jährige wirkt munterer als mancher, der im Politikbetrieb matt und müde, nach allen Seiten sich absichernd, anzutreffen ist. Geißler ist nur noch Geißler - ganz frei. Der Kommunismus habe das Kapital liquidiert und die Eigentümer eliminiert, das Kapital heutzutage liquidiere die Arbeit und eliminiere die Arbeitnehmer. “Der Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus”, sagt Geißler. Die Journalisten schreiben ihre Blöcke voll. Schöne Zitate zuhauf.

Am Ende wird er gefragt, ob er in Heiligendamm mit demonstrieren werde. Geißler ist passionierter Bergsteiger und Kletterer. Er sei da schon “viele Risiken” eingegangen, aber die “nächsten will ich selbst beherrschen”. Er wolle keine TV-Bilder, wo die Polizei ihn möglicherweise durchs Gelände schleife oder er bei einer Begegnung mit den Ordnungshütern nicht “ganz korrekt” antworte. Denn, sagt er, “ich kenn mich ja, ich würde mir das nicht gefallen lassen”. Er wolle sich einfach nicht “im Gemenge von Rostocker Polizeiführern und Autonomen wiederfinden”. “Ich möchte mir meine Autorität bewahren”, sagt Geißler. Am Abend ist er dann bei Maybrit llner im ZDF. Als Heiner Geißler, Ex-CDU-General, Neumitglied von Attac.

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