»Ausschreitungen kommen eher von der Polizei«

junge Welt 25. Mai 2007

Zu den Protestdemonstrationen am Wochenende wurde international mobilisiert. Ein Gespräch mit René Held

René Held ist Referent für Hochschulpolitik im ReferentInnenrat der Humboldt-Universität Berlin und Mitglied der Vorbereitungsgruppe zu den bundesweiten Demonstrationen gegen die Bildungspolitik der G-8-Staaten in Berlin und Hamburg

Hört man das Wort G8, denkt man zuerst an die Liberalisierung des Waren- und Kapitalverkehrs, die Ausbeutung des Trikonts und den »Krieg gegen den Terror«. Wie weit oben auf der G-8-Agenda stehen Fragen der Bildungspolitik?

Beim Gipfel in Heiligendamm steht die Bildungspolitik offiziell nicht auf der Tagesordnung. Das tut aber nichts zur Sache, weil die entsprechenden Entscheidungen und daraus folgenden Programme, wie die Bologna-Erklärung und das Dienstleistungsabkommen GATS, bereits zum Alltag gehören und die Grundlagen für einen ökonomisierten Bildungsmarkt somit eben schon bestehen. All diese Entwicklungen werden aber sehr wohl im Sinne und mit Unterstützung der G8 vorangetrieben.

In welchem Maße ist Deutschland dabei Antreiber oder Getriebener?

Die deutsche Politik stellt sich in bezug auf die Ökonomisierung und Privatisierung von Bildung gerne als von Sachzwängen getrieben dar. Allerdings hat sie diese angeblichen Sachzwänge im wesentlichen selbst verursacht. So ist beispielsweise die Initiative zum Bologna-Prozeß maßgeblich von der BRD ausgegangen. Außerdem betonen die politisch Verantwortlichen selbst immer wieder den elitären Anspruch, Deutschland im Bildungsbereich an die Weltspitze zu führen.

Wenn der Angriff gegen nationale Bildungssysteme von überstaatlichen Institutionen vorgetragen wird, muß das gleiche dann nicht auch für deren Abwehr gelten?

Ja, auf jeden Fall. Gerade deshalb rufen wir nicht nur bundesweit zu den Demos am Samstag in Berlin und Hamburg auf, sondern mobilisieren international. Darüber hinaus wird es, neben einer sich stetig verbreiternden »Gegen Uni- Bewegung« als schon bestehendem Ansatz internationaler Gegenwehr ein multinationales Vernetzungstreffen am 27. Mai in Hamburg geben.

Angedacht ist dem Vernehmen nach so etwas wie ein europaweiter Streik. Für wie aussichtsreich halten Sie die Idee?

Da es ja schon in verschiedenen Staaten zu bildungspolitischen Protesten und Streiks gekommen ist, oder wie in Griechenland gerade wieder kommt, halte ich das Konzept auf jeden Fall für umsetzbar. Zumal der Gedanke zu einem solchen Streik seit den Protesten in Frankreich die Runde macht. Wir sind fest entschlossen, erste Planungen bei dem Treffen in Hamburg anlaufen zu lassen.

Auch Demonstrationen in Berlin und Hamburg droht, weitgehenden Einschränkungen und Repressionen unterworfen zu werden. Wie stehen die Chancen, die Auflagen noch abzuwenden?

Da die Polizei schon in der Übermittlung der Auflagen versucht hat, einen Rechtsweg zu unterbinden, ist der Ausgang im Moment noch offen. Dennoch haben wir nach Rücksprache mit Anwälten Eilverfahren eingeleitet und sind willens, diese gegebenenfalls bis zum bitteren Ende, in Feststellungsverfahren, zu führen. Aussichtslos erscheint uns die Sache auf keinen Fall. Erst vor kurzem hat das Landgericht Berlin geurteilt, daß das Stahlkappentragen auf Demonstrationen nicht verboten werden darf. Es kann nicht sein, daß Menschen wegen ihrer Fußbekleidung in Gewahrsam genommen werden dürfen, zumal Stahlkappen nicht nur in Mode sind, sondern auch beruflich getragen werden.

Erwarten Sie gewalttätige Ausschreitungen am Wochenende?

Soweit ich für die Organisatoren und Organisatorinnen in Hamburg und Berlin sprechen kann, ist damit nicht zu rechnen. Zumal dies auch etwas ganz Neues und Ungewöhnliches wäre für einen Protestzug, zu dem Studierende, Schülerinnen und Schüler, Lehrer und Gewerkschafter gemeinsam aufrufen. Ausschreitungen befürchten wir dagegen eher im Falle übermäßiger Präsenz und Repressalien seitens der Polizei.

Interview: Ralf Wurzbacher, 25.05. 2007

http://www.jungewelt.de/2007/05-25/055.php