Gipfelpolitiker verhaftet!

taz 23. Mai 2007

Rechtzeitig vor dem G-8-Gipfel wurden einige Erzschurken aus dem Verkehr gezogen

Es war ein goldener Tag für den Rechtsstaat und ein starker Meilenstein für die Demokratie: In einer bundesweiten Blitzaktion waren gestern beim ersten Grauen der Morgensonne mehrere einschlägig bekannte Ministerien, Polizeibehörden und Ämter für Verfassungsschutz bis auf die Haut durchsucht worden. Einige Politiker, die ihre fünf Buchstaben seit Jahrzehnten in Sicherheit gewiegt hatten, seien so baff gewesen, dass ihnen der Schreck in die Hose gefahren sei, heißt es.

“Es bestand die Möglichkeit, dass vielleicht Gefahr im Verzug sein könnte”, begründete Volker Gicks als verantwortlicher Sprecher die konzertierte Maßnahme und verwies auf den von Tag zu Tag ernster werdenden G-8-Gipfel in Heiligendamm Anfang Juni: “Wir mussten damit rechnen, dass gewisse hohe Kreise das Gewaltmonopol des Staates vor ihren finsteren Karren spannen wollten!” Innenminister Wolfgang Schäuble, Justizministerin Brigitte Zypries und Generalbundesanwältin Monika Harms wurden sichergestellt und befinden sich mit weiteren Verdächtigten aus Politik, Polizei und Verfassungsschutz hinter festem Schloss und hartem Riegel.

Der sogenannte Unterbindungsgewahrsam erlaubt es bekanntlich - so der nackte Wortlaut von Verfassung und Polizeigesetz -, potenzielle Erzbösewichte und Weltschurken schon bei einem dünnen Verdacht auf kleine Vorbereitungen für kurze Gesetzesübertretungen für klare vierzehn Tage hinter schwedische Gardinen zu stopfen, um die Menschheit zu retten und die bestehende Ordnung in Sicherheit zu bringen. “Nach den vierzehn Tagen sehen wir dann weiter”, war von Volker Gicks zu hören. “Die Ermittlungen nach Paragraf 129 a schwitzen bereits auf Hochtouren. Und die gerade jetzt neu zusammengenagelten Bestimmungen 129 c und d, die auf dunkel veranlagte Eigenbrötler gemünzt sind und alles mit Wasser und Brot bedrohen, was irgendwo mit irgendwas in einem irgendwie gestrickten bösen Zusammenhang stehen könnte, wollen jetzt selbstverständlich an lebenden Versuchspersonen ausprobiert werden.” Einen Eimer voll Hoffnung schöpft man außerdem aus der reanimierten Kronzeugenregelung: “Vielleicht verpetzt die Zypries den schlimmen Schäuble, um ihre eigene Nase zu retten!”

Wie immer die Gerechtigkeit am Ende tickt: Die gewaltbereiten Töne aus Politik-, Justiz- und Polizeiapparat waren jedenfalls zu bedrohlich geworden, als dass man sie weiterhin unter den Teppich hätte schieben können. Immer wieder wurden Unkenrufe gestreut, die Kritiker des Gipfeltreffens planten in Heiligendamm nach RAF-Vorbild sämtliche G-8-Politiker unter Ausnutzung der Junisonne mit riesigen Lupen zu einem lächerlichen Häuflein Asche zu verbrennen, wollten die 2.000 in- und ausländischen Delegationsmitglieder zu buntem Hundekuchen verarbeiten und hätten zudem vor, in einer gigantischen Großdemonstration alle Atemluft vor Ort böswillig zu verbrauchen.

Militante Regierungsstellen hatten daher mit großem Mund angekündigt, bewaffnete Störer schon bei der Anreise zu entbeinen, mutmaßliche Demonstranten, die dennoch nach Heiligendamm gelangen, an Ort und Stelle einzubetonieren und zusätzlich alle Kühe im Umkreis von 30 Kilometern mit Zement aufzufüllen, damit sich auch auf diesem Wege keine Protestierer als Großvieh verkleidet unter die Gipfelteilnehmer mischen; außerdem war vorgesehen, Heiligendamm einfach mit einer Panzerglaskuppel gegen Luftangriffe abzudichten und die Ostsee komplett abzusaugen, um Terrorattacken von der Meerseite zu verhindern. Um für eine entspannte Gipfelkulisse zu sorgen, sollten nur ausgesiebte Jubeldeutsche auf persönliche Einladung den Gästen zuwinken, doch hatte man sicherheitshalber vor, mit Harpunen in die Menge zu schießen.

“Die Geschichte vergangener Gipfeltreffen lehrt, dass es zu breiten Rechtsbrüchen kommt und schwere Gewalttäter auf den Plan treten”, hatte Wolfgang Schäubles Deckmantel gelautet. “Genau”, pflichtet Traute Gacks, die Leiterin der Großaktion, ihm bei: “Wir erinnern nur an München 1938.” Man könne deshalb nicht warten, bis die Regierung die Bevölkerung um Kopf und Kragen regiere. Bedenken, dass die deutschlandweite Razzia rechtlich gesehen auf falschen Füßen steht, teilt sie nicht: “Klare Freiheit und köstliche Demokratie sind vollere Werte als Sicherheit und Ordnung. Wir leben schließlich in einem kerzengeraden Staat offener Bürger! Wäre es umgekehrt, wäre es ja ein platter, plumper und plöder Polizeistaat”, ruft Traute Gacks und schmunzelt vom linken Ohr bis zum rechten, also geradezu demonstrativ parteiübergreifend.

“Leider gibt es Politiker, denen hängt die Demokratie zum Hals raus”, fährt sie fort. “Auch darum mussten wir einschreiten: Die von notorischen Machthabern geplanten Ausschreitungen könnten schließlich den internationalen Ruf der Bundesrepublik als eines prima demokratischen Rechtsstaates erheblich verbeulen. Deshalb rufen wir schnurgerade auch alle konservativ tickenden Mitbürger auf: Null Toleranz für militante und gewaltbereite Politiker!” PETER KÖHLER

taz vom 23.5.2007, S. 20, 171 Z. (Kommentar), PETER KÖHLER