“Scherbendemo” und friedlicher Protest - Zehntausende Demonstranten bei G8

n-tv 21. Mai 2007

Es wird einer der größten Proteste in der Geschichte Deutschlands werden: Zum G8-Gipfel Anfang Juni im mecklenburgischen Ostseebad Heiligendamm stehen voraussichtlich 50.000 bis 100.000 Demonstranten mehr als 16.000 Polizisten gegenüber. Wird es friedlich bleiben?

Viele der beteiligten Organisationen -von der religiösen Entwicklungshilfegruppe ADRA bis zu den Naturschützern vom WWF - stehen für gewaltfreie Proteste. Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac, das zentrale Protestveranstaltungen maßgeblich mitorganisiert hat, versucht die Demonstranten darauf festzulegen. “Von uns wird keine Gewalt ausgehen… Wir werden uns nicht provozieren lassen”, verkündete Attac-Sprecher Pedram Shahyar. Und der Attac-Vertreter in der Koordinierungsgruppe für die Proteste, Peter Wahl, sagte, alle beteiligten Akteure hätten “klipp und klar erklärt: Von ihnen wird keine Gewalt ausgehen”.

Doch das Spektrum der G8-Kritiker und - Gegner ist breit - und ein Teil nimmt solche Versprechen keineswegs widerspruchslos hin. Die Äußerungen seien “nicht akzeptabel”, erklärte im Internet etwa das linksradikale Netzwerk Dissent. “Wir lehnen ein Unterteilen von Widerstand in gewaltfrei und gewalttätig ab… Unterschiedliche Formen von Widerstand und Gegenmacht haben ihre Berechtigung.” Die Bremer Gruppe No Lager kritisierte einen “Distanzierungswettlauf in Sachen Gewalt”. Die Antifaschistische Linke Berlin warf Attac vor, “zu glauben, durch die Beschwörung der eigenen Harmlosigkeit sich “politikfähig” machen zu können, und so um ein Plätzchen am runden Tisch der Mächtigen zu betteln”.

Die radikalen Gruppen gehen dabei von einem anderen Gewaltbegriff aus. Aus ihrer Sicht üben in erster Linie “das kapitalistische System” und der Staat Gewalt aus: durch den Zwang zu Lohnarbeit, durch Abschiebungen von Ausländern, durch Militäreinsätze. Daraus leiten sie das Recht ab, selbst Gewalt anzuwenden. Der Experte für soziale Bewegungen am Wissenschaftszentrum Berlin, Simon Teune, spricht vom “alten Streit, der die Linken seit den Tagen der Studentenbewegung beschäftigt: Wie weit darf Protest gehen?”

Viele Gipfelgegner sehen etwa die Errichtung des Zauns um das Tagungshotel in Heiligendamm als Eingriff in ihr Demonstrationsrecht - den es wortwörtlich zu überwinden gilt. Auch eine Aktion “Block G8″ ist geplant, an der sich nach Initiatoren-Angaben 53 Organisationen beteiligen wollen. Sie gehen davon aus, dass es nicht gelingen wird, die Anreise der Staats-und Regierungschefs zu behindern - deshalb wollen sie den Gipfel dadurch behindern, dass sie den Tross der Mitarbeiter und Helfer sowie die Versorger nicht durchlassen. Dafür hoffen sie auf die Beteiligung von 10.000 Gipfelgegnern. Solange es dabei bei friedlichen Sitzblockaden bleibt, wäre das rechtlich auch nur eine Ordnungswidrigkeit.

Wie groß das Potenzial möglicher Gewalttäter sein wird, ist allerdings ungewiss. Sicherheitsexperten schätzen es auf drei bis fünf Prozent der Demonstranten - das wären 1.500 bis 5.000 potenzielle Randalierer. Einige verbrämen ihre Absicht auch gar nicht erst mit Theoriediskussionen. Die extremistische Gruppe Paula etwa kündigte im Internet eine “Scherbendemo in einer der umliegenden Städte” an und träumt davon, das Tagungshotel im wörtlichen Sinne dem Erdboden gleich zu machen.

Die Polizei fährt deshalb eine Doppelstrategie. In internen Schulungen werden die Beamten ausdrücklich dafür sensibilisiert, dass die Masse der Demonstranten ein berechtigtes Anliegen hat. In brenzligen Situationen sollen gut 30 Zwei-Mann-Deeskalationsteams zur Beruhigung der Gemüter beitragen, wie es intern heißt. Blockaden will die Einsatzführung aber nicht hinnehmen: “Dagegen wird die Polizei energisch einschreiten”, sagt ihr Sprecher Axel Falkenberg. Was das heißt, lässt er offen: Die Wahl der Mittel werde der Situation angepasst.

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