Fundamentale Fragen

junge welt 19. Mai 2007

Warum brennt der Polizeiwagen? Die Plakatserie »Holydamnit« mobilisiert gegen den G-8-Gipfel
Von Gerhard Klas

Drei Köpfe, drei Aussagen: Bewegen – Move; Blockieren – Block; Bleiben – Remain, darüber steht: Get rid of the G8-Shit, United! Das Plakat der slowenischen Künstlerin Marina Grzinic ist eines der offensivsten aus der Plakatserie »Holydamnit«. Frei übersetzt heißt das: Verdammt sei Heiligendamm. Es hängt im Zentrum der Globalisierungskritiker in Rostock, die sich in einem abrißreifen Schulgebäude in der Plattenbausiedlung Evershagen auf die Proteste gegen den G-8-Gipfel vorbereiten. Zeitgleich ist die Plakat-Ausstellung an vielen anderen, öffentlich zugänglichen Orten in der Bundesrepublik, Osteuropa, der Schweiz und Österreich zu sehen, in Galerien, aber vor allem in linken Zentren und alternativen Projekten.

»Was ich an diesem Projekt wichtig finde: daß der Raum der Galerie, der Raum des Museums verlassen wird«, sagt der Hamburger Künstler Markus Dorfmüller. Zusammen mit der Münchner Künstlerin und Kuratorin Petra Gerschner hat er die Plakatserie »Holydamnit« initiiert. 5000mal ist jedes der zehn A2-Plakate gedruckt worden und sie sind umsonst. Petra Gerschner beschäftigt sich in ihren Ausstellungen und Kunstwerken seit vielen Jahren damit, wie Politik in den Medien inszeniert wird und die Wahrnehmung der Zuschauer formt. Für ihr internationales Projekt konnten Dorfmüller und Gerschner zehn Künstler und Künstlerinnen aus Slowenien, Senegal, Indien, Israel, Palästina, Österreich und den USA gewinnen, u.a. den Dokumenta-Künstler Allan Sekula, der als Fotograf, Autor und Filmemacher in Los Angeles lebt. Sekula, der sich seit den 80er Jahren mit der Klassenfrage in der globalisierten Wirtschaft auseinandersetzt, hat – wie alle anderen Künstler auch – ohne Bezahlung für die Protestinitiative gearbeitet. Unterstützt wurde das Projekt unter anderem von der Neuen Gesellschaft für Bildende Künste in Berlin.

»Die Plakate greifen die Diskurse der politischen linken Bewegungen zu Globalisierung und den Herrschaftsverhältnissen auf«, so Gerschner, »beispielsweise auch zu patriarchalen Strukturen.« Allan Sekula hat ein Plakat gestaltet, das einen Schweißer bei der Arbeit in Mexiko abbildet. Darauf steht: »Alle Menschen werden Schwestern«. »Das ist nicht nur aus Beethovens 9. Symphonie, sondern auch eine ganz deutlich antipatriarchale Position«, kommentiert Petra Gerschner. Ihr eigenes Plakat zeigt ein gutbürgerliches Wohnzimmer, in dem hinter dem Sofa ein in Gold gerahmtes Foto hängt. Darauf ist ein brennender italienischer Polizeiwagen abgebildet, aufgenommen bei den G-8-Protesten 2001 in Genua. Ihr Plakat bildet ab, was bei der medialen Darstellung von Protesten in den Köpfen des Bürgertums hängen bleibt: Die Randale, brennende Barrikaden und Polizeiwagen. Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Protestwirklichkeit. Die inhaltliche Kritik der herrschenden Verhältnisse wird bei diesen medialen Darstellungen ausgeblendet. Die Unterzeile ihres Plakats mahnt deshalb: »History is a work in process – Geschichte ist ein fortlaufender Prozeß«.

»Wir haben nicht direkt dazu aufgerufen, Propaganda zu machen, sondern die Künstler sollten Motive entwickeln, die ihr Verhältnis zu G8 und Weltwirtschaft darstellen«, erklärt Markus Dorfmüller. Er selbst konfrontiert auf seinem Plakat die Schönheit der Werke eines Henri Matisse und den idealisierenden Blick vieler europäischer Künstler des 20.Jahrhunderts auf die sogenannten »Wilden« mit der Realität des Südens.

»Als Hintergrund habe ich Teile aus Matisse-Bildern genommen, diese zusammenmontiert, als Hintergrundfläche, wie eine Tapete benutzt«, so Dorfmüller. Darüber ist eine Maschinenpistole von Heckler und Koch abgebildet, ganz oben findet sich ein Gedicht des Schriftstellers Lakdasa Wikkramasinha aus Sri Lanka, das auch das Exponat von Markus Dorfmüller inspiriert hat:

Erzähl mir nichts von Matisse…/
dem europäischen Stil von 1900, der Tradition des Ateliers/
in dem die nackte Frau für immer auf einem Tuch aus Blut liegt./
Erzähl mir von der Kultur allge mein –/
wie die Mörder unterstützt wurden/
von der Schönheit, den Wilden geraubt: in unsere abgelegenen Dörfer /
kamen die Maler, und unsere weißgetünchten /
Lehmhütten wurden von Gewehrfeuer durchlöchert.

»Die Plakate bieten keine Lösungen an, aber sie stellen fundamentale Fragen«, meint Petra Gerschner. Das Plakat der indischen Künstlergruppe open circle aus Bombay ist eine offene Anklage. Es zeigt einen Galgen, dessen acht Schlaufen in den Nationalfarben der G-8-Staaten abgebildet sind. Ganz vorne die der USA, dann, immer kleiner werdend, der Rest. »G8 want to civilize you – Die G8 wollen euch zivilisieren«, steht unter dem Galgen.

holy-damn-it.org

19.05.2007 / Feuilleton / Seite 12

http://www.jungewelt.de/2007/05-19/021.php