Puppen nach Heiligendamm

Neues Deutschland 19. Mai 2007
Marc Amann über kreativen Straßenprotest, politische Performance und die Gipfel-Proteste

Marc Amann ist Herausgeber des Buches »go.stop.act! – Die Kunst des kreativen Straßenprotests.« und bietet zusammen mit seinen Co-Autoren in den nächsten Wochen Workshops zu Aktionstheater an. Sein Ziel ist es, die G 8-Proteste in Heiligendamm bunter und kreativer zu machen. Mit ihm sprach Susanne Götze.

ND: Sie trainieren Aktivisten in »kreativem Straßenprotest«. Was lernen die Leute bei Ihnen?
Amann: Ja, wir werden in Verden einen Workshop für die Vorbereitung auf die G 8-Proteste machen. Dort wird es schwerpunktmäßig um politisches Aktionstheater gehen. Das ist eine Form des politischen Straßentheaters. Zum anderen werden wir uns mit politischem Großpuppentheater beschäftigen – sprich die Verwendung von Puppen und Figuren in politischen Aktionen. Wir versuchen in der Aktionswerkstatt, diese beiden Aktionsformen zusammenzubringen. Ziel ist es, mehrere Performances für die Großdemonstration am 2. Juni in Rostock, aber auch für die weiteren Aktionstage vorzubereiten.

Üben Sie das gleich vor Ort?
Wir werden die Großpuppen mit den Teilnehmern dort bauen und entwerfen. Dazu müssen wir uns überlegen, was die Formen und Inhalte sind, die wir transportieren wollen. Dann werden wir natürlich auch lernen, mit den Großpuppen zu spielen, und abschließend machen wir dann eine gemeinsame Inszenierung.

Woher kommt die Idee?
Diese Aktionsformen, die in unserem Buch »go.stop.act! – Die Kunst des kreativen Straßenprotests.« beschrieben werden, haben ihre Ursprünge teilweise in den sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte. Die Wurzeln sind aber auch im Karneval zu finden. Schon im Mittelalter gab es soziale Unruhen, in denen Verkleidungen und große Puppen verwendet worden sind, um der Unzufriedenheit der armen Bevölkerung Ausdruck zu verleihen. Wieder belebt wurde die Tradition mit dem Entstehen der neuen Protestbewegung in den 50er Jahren in der BRD und natürlich mit der 68er Bewegung. Aber mit dem Aufkommen der globalisierungskritischen Bewegung, speziell den Gipfelprotesten, wurden viele Formen wieder aufgegriffen und neue Ideen entwickelt.

Hinter vielen Aktionsformen steckt ja eine regelrechte Philosophie. Wie verändern solche Aktionsformen die eher lauen deutschen Demo-Züge und vielleicht auch die Teilnehmer selbst?
Oftmals sind diese kreativeren Aktionsformen erst mal ein Ausdruck von den Menschen, die nicht mehr diese so genannten Latschdemos erleben wollen, sondern mit ihrem politischen Aktivismus auch Lebensfreude und Lust ausdrücken wollen. Kritisch ist allerdings, wenn dabei wirklich nur der Spaß an oberster Stelle steht. Denn es geht beim politischen Aktivismus nicht in erster Linie um den Spaß, sondern um politische Ziele.

Welchen Erfahrungen haben sie gemacht: Wie reagieren Unbeteiligte auf die Clownsarmy oder Sambatänzer?
Gerade die Clownsarmy ist sehr interessant: Da werden bestehende kulturelle Bilder – der Clown, der Spaß, Freude symbolisiert und Sympathieträger ist – verwendet und politisch aufgeladen. Das ist ein ganz toller Trick! Gerade bei den Clownsaktionen merkt man, wie interessiert und offen Unbeteiligte reagieren. Gleichzeitig kann versucht werden, eine Grenze zu verschieben, zivilen Ungehorsam zu praktizieren, durch Polizeiketten durchzugehen oder Besetzungen zu machen.

Stellt sich hier das Kreative bewusst gegen die Gewaltfrage?
Nein, wenn ich über Gewalt rede, dann meine ich zuerst einmal die Gewalt, die vom Staat und von der Polizei ausgeht. Die kreativen Formen richten sich insofern gegen Gewalt, als dass die Polizei mit den kreativeren Formen meistens nicht so gut und wenn dann weniger gewalttätig umgeht – das ist aber keine Garantie. Auch wenn ich in einer großen Puppe stecke, kann mich durchaus das Tränengas treffen oder ich kann misshandelt werden. Und diese kreativen Formen sind auf keinen Fall eine Absage an zivilen Ungehorsam klassischer Form.

www.go-stop-act.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel.asp?AID=109817&IDC=41