Warum Polizisten Bullen bewachen

Ostsee Zeitung 16. Mai 2007

Der Countdown läuft. Am 2. Juni ist die Großdemo in Rostock, vom 6. bis 8. Juni der G8-Gipfel. Beides produziert Ängste und Fragen bei den Menschen der Region. Gerüchte kursieren.

Reddelich/Rethwisch (OZ) „Vor dem Gipfel kommt Gülle auf die Weide. Dann können die gern da campen.“ Ein Bauer aus Rethwisch zeigt mecklenburgische Gelassenheit beim Schutz seiner Weiden vor Gipfelgegnern. Andere Landwirte im Kreis Bad Doberan haben mehr Angst um ihre Ländereien. Im Dörfchen Rabenhorst machen Gerüchte die Runde. Von wilden Camps der Gipfelgegner. Die Wiesen dort eignen sich halt prächtig zum Zelten.

Hans-Jürgen Winetzka (59) aus Rabenhorst fürchtet um sein Kaminholz im Garten: „Das wird wohl für Lagerfeuer drauf gehen“, glaubt er. „Na, gibt Schlimmeres.“ Bauern hätten erzählt, dass sie befürchten, Rinder könnten von den Weiden getrieben und gegen die Polizei eingesetzt werden. Also hat die Polizei Landwirte zur Info-Veranstaltung eingeladen. Georg Mair vom Mühlenhof Agrar Rethwisch mit 2500 Rindern ist nun beruhigt: „Wir sollen unsere Rinder in eine Niederung am Conventer See treiben. Die Polizei passt auf die Tiere auf.“ Polizisten bewachen also Rinder. Die autonome Szene würde das gewiss anders ausdrücken: Bullen bewachen Bullen. Oder so.
Tygrena Weber aus Rethwisch lässt fast alles auf sich zukommen. Fast! „Wir werden vorher groß einkaufen, so dass wir versorgt sind. Dann müssen wir nicht raus.“ Die Straßen seien doch alle zu. Dass in ihrem Dorf was passiert, befürchtet sie nicht. „Wir sind sechs Kilometer weg. Das berührt uns nicht.“

Anders in Reddelich. Im Gewerbegebiet der 690-Seelen-Gemeinde wird am Gipfel-Camp gebaut. Junge Leute in Zimmermannskluft schleppen Holz heran. Reden wollen sie nicht. Fotografiert werden auch nicht. 5000 Gipfelgegner sollen hier unterkommen. Metzger Axel Hackendahl (40) reicht es: „Ich hab’ die Schnauze voll!“ Das Camp grenzt an sein Firmengelände und seine Lebensbaumhecke am Einfamilienhaus. Gefragt hat ihn niemand. „Wenn 5000 Leute tagelang gegen meine Hecke pinkeln, ist die hin.“ Hackendahl hat mit dem „Vorauskommando“, wie er sagt, geredet: „Die Kumpels da von den Demonstranten haben mir empfohlen, ich soll mal meine Werbeschilder abmontieren. Sonst gibt das Ärger.“ 80 Prozent der Leute im Camp seien Veganer und Vegetarier. Auf seiner Werbung läuft eine Sau durchs Bild. Messer und Gabel im Rücken. „Die haben mir gesagt, auf Typen wie mich seien die nicht so gut zu sprechen. Jetzt habe ich Angst um unsere Existenz.“

Michael Joppeck (37) hat vorgesorgt. 2,40 Meter ist der Zaun hoch, der seine Firma umschließt. Messerscharfer Nato-Draht oben drauf. Das gleiche Modell, das Heiligendamm umgibt. Joppecks Sicherheitsdienst und Kommunalservice grenzt ebenfalls ans Camp. Die Demonstranten seien auch auf ihn „ein bisschen sauer“, da er den Zaun nach Heiligendamm transportiert hat. Joppeck will Kameras mit Nachtsichtgeräten installieren. Die Firma sei rundum besetzt. Seine Diensthunde laufen hinter dem Zaun. „Das wollten die uns verbieten. Muss man sich mal vorstellen! Die kommen hierher und wollen den Leuten ihren Willen aufdiktieren. Die sind Gäste hier!“
Erhard Rünger (60) sieht alles entspannt. Der parteilose Bürgermeister von Reddelich wurde nicht gefragt, als der Landkreis seiner Gemeinde ein Demonstranten-Camp aufdrückte. „Na gut, wir werden jetzt beschimpft, dass wir das genehmigt haben. Aber irgendwo müssen die doch hin. Sonst wären die illegal gekommen.“ Jetzt steht er mit Leuten des globalisierungkritischen Netzwerks Attac in Kontakt. Die seien sehr kooperativ. „Wir haben das vertraglich geregelt. Die hinterlegen 5000 Euro Kaution und schließen eine Versicherung ab oder die Kaution erhöht sich auf 10 000 Euro.“ Bleibt alles heil und der Müll ist weg, gibt es das Geld zurück. Sonst werden daraus Schäden beglichen. Sei doch ein guter Deal.

Auch in Rostock wird diskutiert. G8 beherrscht die Köpfe. Kitas raten Eltern – etwas verblümt – ihre Kinder zu Hause zu lassen. In einem Info-Blatt der „Kinderwelt“ heißt es: „Natürlich sind wir an diesen Tagen besonders wachsam, auf die Sicherheit der Kinder bedacht und planen keine Ausflüge. Wer dennoch im Zweifel ist, sollte für sich selber Sorge tragen und die Kinder abmelden.“ Andere Einrichtungen sprechen von „Notgruppen“ zum Gipfel und raten Eltern, ihre Sprösslinge zu den Großeltern zu bringen (OZ berichtete). Erzieher und Eltern seien verunsichert, heißt es.

Die Stadt reagierte prompt: „Panikmache ist fehl am Platze. Die Stadt sieht keinen Grund, an der Sicherheit in Kitas zu zweifeln.“ Sprecher Ulrich Kunze weist nur auf die enorme Belastung der Verkehrswege hin, nennt aber keinen Grund, warum die Kitas sicher seien.
Unternehmen in Rostock sind auf Probleme zur Demo und zum Gipfel eingestellt. Bei der Rostocker Wohnungsgesellschaft Wiro geht man davon aus, dass Pendler normal zur Arbeit kommen. Sprecherin Britt Serwatka: „Wenn Mitarbeiter durch G8 nicht herankommen, sehen wir das als höhere Gewalt an.“
MICHAEL MEYER