Razzien gegen G-8-Protest: Vorbeugung oder Kriminalisierung?

FAZ 15. Mai 2007

Von Reinhard Müller
War die großangelegte Razzia in der vergangenen Woche ein Warnschuss für den Protest gegen das G-8-Gipfeltreffen oder ein übliches Ermittlungsverfahren? Wenn 900 Polizisten 40 Wohn- und Geschäftsräume in sechs Bundesländern durchsuchen, wird damit legitime Kritik an der Globalisierung kriminalisiert? Die Bundesanwaltschaft ermittelt in zwei Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Das sind Gruppen, die darauf gerichtet sind, schwere Straftaten zu begehen. Dazu zählen nicht nur Mord und Totschlag, sondern auch gemeingefährliche Delikte wie Brandstiftung.
Eines der Verfahren richtet sich gegen die „militante Kampagne“ gegen den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm. 18 namentlich bekannte und weitere unbekannte Personen aus dem militanten linksextremistischen Umfeld sollen sich zusammengeschlossen haben, um mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den G-8-Gipfel zu stören.

„M.A.M.I.“ steckt Autos an

Die Bundesanwaltschaft rechnet der Gruppe eine lange Reihe von Anschlägen zu, die jeweils bewusst unter anderen Namen begangen worden seien - gerade um einer Strafverfolgung zu entgehen: Die Gruppen nannten sich etwa „August 2005“, „AG Herz-infarkt“, „Militante Antimilitaristische Initiative (M.A.M.I.)“ oder „fight 4 revolution crews“. Sie steckten vor allem Fahrzeuge von Wirtschaftsführern im norddeutschen Raum in Brand, aber auch zum Beispiel den Wagen des Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium Thomas Mirow (SPD).

Eine andere mutmaßlich terroristische Gruppe, gegen die in dem zweiten Verfahren ermittelt wird, legt dagegen besonderen Wert auf ihren Namen: „militante gruppe (mg)“. Sie bewertet offenbar den Wiedererkennungswert höher als die Furcht vor Strafverfolgung. Dieser Gruppe werden im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel zumindest zwei Brandanschläge vorgeworfen, im Mai 2006 auf das Sozialgericht Berlin-Moabit und im vergangenen November auf ein Wirtschaftsforschungsinstitut in Berlin.

Eine Verbindung zum G-8-Protest wird nicht ausgeschlossen
„mg“ hat sich seit 2001 zu insgesamt 25 Anschlägen bekannt. Sie richteten sich durchweg gegen öffentliche Einrichtungen, etwa gegen Finanz-, Arbeits- und Sozialämter sowie Polizei- und Justizstellen im Raum Berlin. Die Gruppe will nach Ansicht der Ermittler, durch militante Aktionen „die gegenwärtigen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zugunsten einer kommunistischen Weltordnung beseitigen“.

Kein dringender Tatverdacht

Wurde durch die Durchsuchungsaktion mit Kanonen auf Spatzen geschossen? Sollte etwa nur ein Zeichen gesetzt werden - schließlich gab es keine einzige Festnahme. Doch war das auch nicht erwartet worden: Die Ermittler hatten gar keine Haftbefehle dabei. Zwar sind 18 Beschuldigte mit Namen bekannt. Es ist aber keine Seltenheit in Ermittlungsverfahren, dass ein Anfangsverdacht, aber eben kein dringender Tatverdacht besteht, der für einen Haftbefehl erforderlich ist.

Daran ändern auch die Beschlagnahmen nichts: Es sind vor allem Computer und Schriftstücke, die nun ausgewertet werden. Mit schnellen Ergebnissen ist nicht zu rechnen. Ob es ausreichende Anhaltspunkte für die einschneidenden Maßnahmen gab, hatten letztlich nicht Bundesanwaltschaft oder Polizei zu entscheiden, sondern der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs: Er ordnete die Maßnahmen an, folgte also dem Antrag von Generalbundesanwältin Harms.

Bundesanwaltschaft setzt auf Prävention

Es handelt sich zunächst einmal um Strafverfolgung. Die Bundesanwaltschaft will mehr über die Struktur der Gruppen erfahren. Dabei spielen aber durchaus - wie auch in Verfahren gegen islamistische terroristische Gruppen - präventive Aspekte eine Rolle. Klar ist, dass sich die Bundesanwaltschaft die Reihe der bisherigen Anschläge nicht länger ansehen wollte.

Die Anklagebehörde will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, sie habe die Sache kurz vor dem Gipfeltreffen „laufengelassen“. Das wird sicher in der Bundesregierung auch so gesehen; doch gab es jedenfalls vom für die Bundesanwaltschaft zuständigen Justizministerium - wie üblich - keinerlei Weisungen nach Karlsruhe. Ministerin Zypries (SPD) hält sich wohlbedacht aus dem operativen Geschäft heraus.

Farbanschlag auf ein Luxushotel

Verwundert ist man in der Anklagebehörde über die Reaktionen auf die Durchsuchungen. Es gebe ein „vitales Interesse“ daran, die Strukturen solcher gewaltbereiter Gruppen aufzudecken. Mancher fragt sich, wie die Öffentlichkeit reagiert hätte, wenn es sich um rechtsradikale Gruppen handeln würde, denen solche Anschlagsserien vorgeworfen würden. Es könne auch keine Rede davon sein, dass durch die Polizeiaktion der gesamte Protest gegen den G-8-Gipfel kriminalisiert werde. Schließlich habe es zahlreiche Delikte im Zusammenhang mit dem Treffen gegeben; die Strafverfahren dazu würden in den Ländern geführt — soweit es eben keine Anhaltspunkte für einen terroristischen Hintergrund gibt.

So ist in Hamburg in der Nacht zum Montag ein Farbanschlag auf ein Luxushotel verübt worden. Dabei wurden auch Fenster eingeschlagen. Ein Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel schließt die Polizei nicht aus; deshalb wurde der Staatsschutz des Landes eingeschaltet. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Durchsuchungen wie die der vergangenen Woche den gewaltsamen Protest weiter anheizen. Die Frage ist, inwieweit das die Pflicht zur Strafverfolgung beeinflussen darf.

Text: F.A.Z.