Interview: “Von Terror zu reden ist völlig überzogen”

Frankfurter Rundschau10. Mai 2007

Wenn die Polizei nicht provoziere, werde der G8-Protest friedlich bleiben, sagt Christoph Kleine, Sprecher der Interventionistischen Linken. Der Zusammenschluss von linken, radikalen und antifaschistischen Gruppen hält den G8-Gipfel für illegitim und plant deshalb “unterschiedliche Aktions- und Widerstandsformen”.

Frankfurter Rundschau: Herr Kleine, geht vom G8-Protest Terrorgefahr aus?

Christoph Kleine: Nein, natürlich nicht. Das ist eine völlig überzogene Darstellung durch Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt. Die versuchen jetzt, den Protesten einen Stempel aufzudrücken, um ihn zu diskreditieren und zu spalten.

Der Vorwurf ist ja erheblich: Es sollen sich namentlich bekannte Personen zu einer terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben, um den G8-Gipfel zu sabotieren.

Wie widersinnig das ist, zeigt sich schon daran, dass eine Liste von Namen präsentiert wurde mit Leuten, die angeblich Terroranschläge verübt haben - und es dann zu keiner einzigen Festnahme kommt. Da ist den Ermittlern offenbar selber klar, wie dünn ihre Beschuldigungen sind.

Aber es hat doch in den vergangenen beiden Jahren Anschläge gegeben.

Das ist allgemein bekannt. Aber dass die nun ausgerechnet in Hamburg in der “Roten Flora” oder in Berlin im Mehringhof geplant werden, ist nun wirklich so absurd, dass eigentlich selbst das Bundeskriminalamt daran nicht glauben kann.

Wo werden die Anschläge denn geplant?

Das weiß ich doch nicht.

Ist denn gewaltsamer Protest gegen den G8-Gipfel legitim?

Zunächst mal: Wenn wir über Gewalt sprechen, reden wir über die Verhältnisse in der Welt, so wie die G8 sie uns hinterlassen haben. Da sehen wir: Wir haben eine Welt von Kriegen und von Ausgrenzungen und von ganz massiver tödlicher Gewalt, die jeden Tag Tausende von Opfern kostet. Das ist die eine Form von Gewalt. Die zweite Form ist die Polizeigewalt, wie sie sich auch jetzt wieder gezeigt hat. Demgegenüber erscheint es völlig unverhältnismäßig, schweres Geschütz aufzufahren und von Terror zu reden, nur weil es vielleicht zu vereinzelten Sachbeschädigungen gekommen ist und weil es Leuten auch mal reicht und sie sich in einer bestimmten Situation wehren.

Bleibt es nach den Razzien vom Mittwoch dabei, dass weder bei der Großdemonstration noch bei den Blockadeaktionen die Eskalation gesucht werden soll?

Es gibt immer eine große Unbekannte in dieser Rechnung. Und das ist das Verhalten der Polizei.

Gibt es nicht noch eine zweite große Unbekannte? Jene gewaltbereiten Gruppen, die sich auch im eigenen Lager an keine Vereinbarung gebunden fühlen?

Das halte ich für ein Zerrbild. Meine Erfahrung bisher ist, dass alle Beteiligten an konstruktiven und solidarischen Absprachen interessiert sind. Es gibt keinen Anlass für Panikmache.

Werden sich alle an diese Absprachen halten?

Ich glaube nicht, dass es zu Auseinandersetzungen kommt, wenn sie die Polizei nicht provoziert.

Ist das, was am Mittwochvormittag passiert ist, eine Provokation?

Ja, das ist eine Provokation. Und natürlich wirft es einen gewissen Schatten auf die Proteste. Aber die Rechnung der Behörden wird nicht aufgehen: Der Effekt von Mittwoch ist eine Solidarisierung und keine Spaltung. Das hat sich ja noch am selben Tag gezeigt.

Ist nicht zu befürchten, dass der unbescholtene Bürger von nebenan, der in Heiligendamm womöglich gerne mitdemonstriert hätte, jetzt lieber die Finger davon lässt?

Ich glaube, das war genau die Absicht dieser Aktion. Das wird aber ins Leere laufen, weil viele Menschen erkennen, dass das, was da vor sich geht, unverhältnismäßig ist. Das war eben auch ein Menetekel für den Sicherheits- und Überwachungsstaat, wie ihn sich beispielsweise Bundesinnenminister Schäuble vorstellt.

Interview: Jörg Schindler

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