Pressekonferenz zu den Hausdurchsuchungen in Berlin

de.indymedia.org 9. Mai 2007

Etwa 50 MedienvertreterInnen, darunter etwa 10 Fernsehteams, waren um 14 Uhr bei einer Pressekonferenz der Campinski und Gipfelsoli-pressegruppen in das Bethanien in Berlin-Kreuzberg anwesend. Zunächst berichteten einzelne Projekte vom Verlauf der Durchsuchungen und den in den Durchsuchungsbeschlüssen enthaltenen Vorwürfen, dann auch ein Anwalt. Insgesamt gab es laut Erklärung der Bundesanwaltschaft (BAW) 40 Durchsuchungen in sechs Bundesländern (Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Berlin, Niedersachsen) davon wahrscheinlich 18 in Berlin.

Die rechtliche Basis dafür bildeten zwei Durchsuchungsbeschlüsse mit dem Vorwurf der Gründung einer terroristischen Vereinigung (§129a). Zum einen geht es darum, dass der Ablauf des G8-Gipfels in Heiligendamm mit Brandanschlägen gestört werden solle – hier geht es um 17 (Durchsuchungsbeschluss) bzw. 18 Betroffene (PM der BAW) -, zum anderen zur Verfolgung der “Militanten Gruppe (MG)”, die bereits Verantwortung für verschiedenen Anschläge übernommen hatte (ebenfalls $129a). Diese Durchsuchungen bezogen sich auf ein bereits seit 2001 laufendes Verfahren gegen drei Personen, die zur Gruppe Libertad gehören und eine unbekannte Person. In diesem Verfahren konnten bisher keine gerichtsrelevanten Indizien ermittelt werden.

Gründe für die Verfahren sind

- die angeblich im 2004 erschienenen, (bisher) völlig legalen Buch ‘Autonome in Bewegung’ eingestandene Beteiligung an der Durchführung von Brandanschlägen 1988 im Rahmen der Kampagne gegen den IWF in Berlin.

- Teilnahme an öffentlichen und angeblich konspirativen Treffen in Berlin und Hamburg, konkret benannt sind der Buko im Mai 2005 in Hamburg und ein großes G8-Vorbereitungstreffen im Januar 2006 in Berlin. Hier geht es nicht um die Planung von Anschlägen.

- 12 militante Anschläge, die von unterschiedlichen Organisationen begangen wurden: Zwei in Berlin, gegen das Kulturkaufhaus Dussmann und die Vertretung des Auswärtigen Amtes “VillaBorsig”, ein Anschlag auf die Firma Märka in Eberswalde sowie 9 Anschläge in Hamburg.

Heute morgen gegen 8 Uhr wurden bei etwa 40 Personen bzw. Orte Durchsuchungen durchgeführt. Durchsucht wurden in Berlin u.a. die Antirassistische Initiative – Dokumentationsstelle im Bethanien, Libertad, der Verlag Assoziation A mit Buchladen Schwarze Risse, das Internet-Projekt so36.net, der ALB-Laden Fusion in Berlin, das Umbruch Bildarchiv sowie das daneben liegende Autofocus Videoarchiv und die Forschungsstelle Flucht und Migration und Privatwohnungen. Einige davon waren nicht im Beschluss erwähnt, sondern betroffen, weil sie in oder neben den Räumlichkeiten der anderen liegen. Außerdem gab es Durchsuchungen in Hamburg (Rote Flora, ein Büro im Schauspielhaus, Hausprojekte und WGs in der Ludwigsstr., Talstr., Julius-Leber-Str. und der Seilerstr.) zbd Bremen (Hausprojekt Allahopp).

Ziel der Durchsuchungen sei auch, Kommunikationsdaten sowie Erkenntnisse über die Finanzierung einer militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel zu gewinnen.

Es hat keine Haftbefehle und Verhaftungen gegeben.

Bei so36.net wurde der Mailserver gespiegelt, also kopiert, dabei ging es konkret um zwei Mailinglisten, Webinhalte und 10 Mailboxen. Hier waren außerdem sämtliche Arbeitsplätze der Büroggemeinschaft betroffen, die mit so36.net eine Fabriketage teilen, zum Zeitpunkt der PK waren diese Arbeitsplätze noch immer nicht benutzbar. so36.net wird versuchen, den normalen Alltag so schnell wie möglich wieder herzustellen, also mit den nicht betroffenen Inhalten wieder online zu gehen. Es wurde auch eine Wohnung eines Vorstandsmitgiedes sehr brutal durchsucht, dem betroffenen Menschen wurde Kontakt zu einer Anwältin, das Telefonieren an sich und auch der Toilettenbesuch verweigert.

Ermittlungen des Verfassungsschutzes (VS) gibt es seit Anfang 2005. Nach Angaben des Anwalts Kliesing bei der Pressekonferenz hat der VS bereits im Januar 06 Informationen an die BAW gegeben mit dem Ziel, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte. Dabei ging es nicht um umfassende, sondern gezielte Informationen über bestimmte Personen. Dass Ziel in solchen Fällen sei, neben verdeckten Informationen auch strafprozessuale Methoden nutzen zu können. Ziele der Verfahren seien u.a., Informationen über Finanzierung und Strukturen bestimmter Organisationen zu bekommen, aber auch Bekennerschreiben bzw. Entwürfe von Bekennerschreiben zu finden sowie Nachweise über verschlüsselte Kommunikation. Ziel sei aber genauso, die G8-Proteste zu schwächen einerseits durch ein Klima der Angst und auch ganz praktisch, da die heute beschlagnahmten Computer sicher vor dem Gipfel nicht mehr zurückgegeben würden.

Ein Verfahren aus 12 unterschiedlichen Anschlägen zu konstruieren, die nichts erkennbar miteinander zu tun hätten, sei ’sicher strafrechtlich zum Scheitern verurteilt’ und nicht seriös. Mehrere Betroffene würden explizit wegen ihres fortgeschrittenen Alters von der Annahme der aktiven Beteiligung ausgeschlossen.

Interessant sei auf jeden Fall die Benennung eines bislang unbekannten Staatsziels der BRD, deren Interesse, ihr Ansehen als Teil des Verbundes der acht führenden Wirtschaftsnationen nicht beschädigt zu sehen, gewahrt werden müsse. So die Bundesanwaltschaft.

Sven Lindemann, selbst Anwalt eines der Beschuldigten im zweiten Verfahren (gegen die MG), ist ebenfalls Beschuldigter und bemerkte ironisch, dass er nun wohl befürchten müsse, das Mandat entzogen zu bekommen, da er ja nun der Gründung einer Konkurrenzorganisation verdächtigt werde.

Seiner Meinung nach nimmt die BAW ihr eigenes Verfahren nicht wirklich ernst, da bei zwei Beschuldigten überhaupt nicht durchsucht wurde.

Alle RednerInnen waren sich einig, dass das Ziel der Durchsuchungen, die Protestvorbereitungen und die Mobilisierung zu stören, nicht erreicht werde, da im Gegenteil die gegenwärtige Repression den Zusammenhalt stärke und stattdessen zur Mobilisierung beitrage.

http://de.indymedia.org/2007/05/176121.shtml