"Hätten sie das nicht woanders machen können?"

Stadtgespräche 20. April 2007

- Ein Zitat, das noch heute das Verhältnis der Menschen in Genua zu 'ihrem' G8-Gipfel im Jahr 2001 kennzeichnet. Es beschreibt sicherlich das Gefühl aller, die qua Wohnort von einem solchen politischen Großereignis betroffen sind, ohne je die Wahl gehabt zu haben, ob sie das eigentlich wollten. Auch Rostock und Umgebung hat es jetzt erwischt, mit allen erdenklichen Nebenwirkungen. So ist nicht nur der Gipfel als solches aus demokratischer Perspektive ausgesprochen fragwürdig (wer fragt eigentlich die Menschen im Süden, oder auch die im Norden, ob sie damit einverstanden sind, dass die acht mächtigsten Staatschefs allein entscheiden, was für sie gut ist?). Auch in Mecklenburg-Vorpommern gab es nicht wirklich eine Alternative dazu, aus dem klammen Landeshaushalt ordentlich dazu zu zahlen. Aber gut: Die Menschen im Wendland wollen den Atommüll auch nicht, und irgendwo muss er ja hin, nicht wahr? Oder?

Doch ganz im Gegensatz zu Nukleartransporten – die selbst von den Verantwortlichen als notwendiges Übel bezeichnet werden - verbinden die PolitikerInnen und UnternehmerInnen im Lande mit einem G8-Gipfel die Hoffnung auf alles nur erdenklich Gute, oder jedenfalls tun sie überzeugend so, als ob. Auch sie hatten nicht wirklich die Wahl, aber sie können sich ja auch nicht die Blöße geben, schon jetzt als Loser dazustehen; das wäre weder für Bilanzen noch für Wahlergebnisse sonderlich förderlich.

Hoffnung auf Imagegewinn
Die Hochglanz-Werbung, die zum Gipfel produziert wird, ist beeindruckend. „The Place to Be. Mecklenburg-Vorpommern. Best of Northern Germany [...] for many people Mecklenburg-Vorpommern represents a unique natural environment. Every year, visitors from all over the world come to sample the picturesque landscape, the fantastic recreational opportunities and the magnificent cultural heritage of our region.“ (aus der 'Image-Broschüre' der Landesregierung). Gewiss, keine Frage, nur: ob die Zielgruppe die Zeit haben wird, sich nebenbei um den nächsten Urlaub zu kümmern?

Andere reden von den grandiosen Möglichkeiten, hier ins Geschäft zu kommen. Die verschiedenen Handwerkskammern der Region haben das 'Informationsbüro der Wirtschaft zum G8-Gipfel' eingerichtet. Auf der Website werden wir mit folgenden Fragen begrüßt: „Haben Sie Fragen zum Wirtschaftsstandort Mecklenburg-Vorpommern? Möchten Sie Unternehmen aus der Region besuchen oder benötigen Sie aktuelles Bild- und Datenmaterial? Jede Ihrer Anfragen zur regionalen Wirtschaft wird beantwortet. Wir vermitteln Gesprächspartner aus Industrie, Handel, Handwerk und Wissenschaft sowie wichtige Hintergrundinformationen.“ Selbst wenn also einige G8-TeilnehmerInnen nichts Besseres zu tun haben, als sich nebenbei mit den Hintergründen spezifischer wirtschaftlicher Eigenheiten von Mecklenburg zu beschäftigen, weil sie schnell noch ein neues Start-Up-Unternehmen platzieren wollen – ob das den Aufwand tatsächlich wert ist, darf bezweifelt werden. Eine Telefonnummer der IHK hätte wahrscheinlich gereicht.

Um's noch schmackhafter zu machen, gibt es auch noch die Website der Pressestelle des Tourismusverbandes TMV, die sich direkt an JournalistInnen wendet: „Mecklenburg-Vorpommern in 44 Ländern der Welt [...] und sogar auf dem Mond. www.Linking-Stories.com präsentiert Mecklenburg-Vorpommern kosmopolitisch - in außergewöhnlichen und komischen Geschichten, die das Bundesland mit vielen Nationen der Welt verbinden.“ Das ist schon besser, immerhin gibt es hier gleich fertige Texte, „kostenlos und ohne Zugangshürden, recherchierte Storys plus Fotomaterial“. Das Land, der Bäderverband, die Tourismusverbände, die Wirtschaftsorganisationen: Glaubt man ihren Websites, bricht jetzt das goldene Zeitalter an.

Wundersamerweise allerdings spiegelt sich dieser Optimismus so gar nicht bei denen wider, die den G8 gern hier haben wollten. Weder bei der Bundesregierung noch den G8 an sich findet sich der geringste Hinweis auf die regionalen GastgeberInnen. Die werden erst wieder erwähnt, wenn es um die Finanzierung des Ganzen geht.

Hohe Kosten durch Sicherheitskonzept
Hintergrund der regionalen guten Laune dürfte jedenfalls (neben der Verzweiflung, dann wenigstens das Beste draus machen zu müssen) die ebenso munter das Blaue vom Himmel herunter versprechende Bundesregierung sein, die die nicht einfache Aufgabe zu bewältigen hat, den Gipfel schmackhaft zu machen. Sie steht nicht allein da, das Problem ist nicht neu und tritt jedes Jahr wieder auf. Wie bringt man die Menschen dazu, diesen Wahnsinn zu akzeptieren? Dazu gehört die immer wiederkehrende Frage danach, wer das eigentlich alles bezahlen soll. 92 Millionen Euro sollen es sein, und davon soll Einiges vom Land bezahlt werden.

Der Gipfel in Schottland vor zwei Jahren, der dem in diesem Jahr in vieler Hinsicht am ähnlichsten ist, hat nach Angaben einer Studie im Auftrag der schottischen Regierung 90,9 Mio. Pfund gekostet, also etwa 135 Mio. Euro. 60,1 Mio. Pfund (90 Mio. Euro) wurden von Schottland bezahlt, 72 Mio. Pfund (107 Mio. Euro) kostete allein der Polizeieinsatz.

Der saure Apfel wurde alsbald durch die angenommenen Einnahmen versüßt. Wenn nämlich die fantastischen Berichte gerade auch in den internationalen Medien als Werbung hätten bezahlt werden müssen, hätte es 66,4 Mio. Pfund (99 Mio. Euro) gekostet! Nun, in Mecklenburg wird noch ein bisschen für schicke Image-Broschüren oben drauf gelegt, und wir können sicher sein, dass hinterher alles wieder rund gerechnet wird. Neben der Werbung, die Schottland ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit hat schießen lassen (Na, erinnern Sie sich noch, wie der Ort hieß?) gab es auch noch ein paar Einnahmen in anderen Bereichen, genannt wurden etwa zusätzliche Löhne und Gehälter. Und wer hat die bekommen? Genau, die Polizei. Dazu sagt Harald Ringstorff, ganz der souveräne Landesvater, dass es ja Zusagen gebe, immerhin 22,5 Mio. für den Zaun und alles andere, was ohne den Gipfel niemand gebraucht hätte, plus die Kosten des Bundes.

Wer aber definiert, was die Kosten des Bundes sind? Hier hält sich die Bundesregierung, wenig überraschend, sehr bedeckt. Weder zu den Kosten für das Sicherheitskonzept, die nämlich von Bund und Land geteilt werden (je nachdem, wessen Sicherheitskräfte gerade eingesetzt werden) noch zu den Gesamtkosten lässt sich eine konkrete Angabe finden. Allerdings soll das Land die Kosten der aus anderen Bundesländern angeforderten BeamtInnen übernehmen. Eine ähnliche Situation hat 2003 in Genf zu massiven Zerstörungen in der Innenstadt geführt, wo nämlich der Schaden noch nicht ganz von selbst entstehen wollte, der zum Einsatz der Schweizer Bundespolizei führte und damit zur Übernahme der Kosten dieses Polizeieinsatzes durch den Bund. Hier, wie bei jedem Gipfel der letzten Jahre, waren nachweislich jede Menge ziviler Beamter aktiv an den Auseinandersetzungen beteiligt, die uniformierten Einsatzkräfte hingegen tauchten erst auf, als es – jedenfalls was den Schutz von etwa Schaufenstern anging – schon zu spät war. Damit soll nicht behauptet werden, diese hätten selber alles kaputt gemacht. Aber: auch in Genua 2001 sprach die ganze Stadt davon, wie es wohl kommen konnte, dass einmal über Stunden inmitten der am besten mit Sicherheitskräften ausgestatteten Stadt überhaupt ein großer sogenannter Schwarzer Block seiner Phantasie freien Lauf lassen konnte.

Es steht der größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik bevor– herzlichen Glückwunsch. War dafür die Mauer... aber gut. Ein wesentliches Problem ist bisher immer gewesen, dass es innerhalb der Sicherheitskräfte zu einem enormen Kompetenzgerangel kam. Verschiedene Landespolizeien, Bundespolizei, BKA, diverse VertreterInnen der Sicherheitskräfte der anderen am G8 beteiligten Länder, die auch mitreden wollen – dass die Befehlsketten einmal klar und von allen akzeptiert sein werden, glaubt wohl niemand. Sehr anschaulich ist dieses Phänomen beschrieben im Film ‚Recht auf Notwehr’ aus Italien, der sich aus Filmaufnahmen und Mitschnitten des Polizeifunks zusammensetzt. Sie belegen, dass bestimmte Einheiten der Carabinieri wissentlich entgegen ihren Anweisungen handelten und eine große genehmigte Demonstration von vorn attackierten und in die Enge trieben. Am Ende dieses Tages wurde Carlo Giuliani erschossen.

Nach einem Bericht von AP sagte der amerikanische Botschafter in Deutschland kürzlich, dass amerikanische Vorstellungen laufend in das Sicherheitskonzept einfließen würden. Und dass „der Besuch von US-Präsident George W. Bush im Vorjahr eine gelungene Probe in Sachen Sicherheit gewesen sei“. Na denn... Es ist bekannt, dass bei G8-Gipfeln VertreterInnen der Sicherheitsbehörden der G8-Staaten anwesend und aktiv beteiligt sind, was die Koordination sicher nicht einfacher macht. Wie diese Zusammenarbeit genau aussieht, wird leider nicht öffentlich gemacht. Jedenfalls ist damit zu rechnen, dass auch dieses Mal das Durcheinander die Kosten steigern und auch Auswirkungen auf den Ablauf der Demonstrationen haben wird. Nicht zuletzt werden auch die Polizeien ihre hohen Ausgaben im Vorfeld für zusätzliche Ausrüstung irgendwie rechtfertigen müssen, und da sind ereignislos verlaufende Einsätze nicht hilfreich.

Ebenfalls üblich ist bei den Gipfeln der 'jüngeren Zeitrechnung', also denen, die mit dem Phänomen der sog. Globalisierungskritik konfrontiert waren (etwa seit 1999), dass in den Medien zunehmend über die drohende Gefahr für Leib, Leben und Eigentum (oder andersrum, je nachdem) der lokalen Bevölkerung berichtet wird. Ein 'Schwarzer Block' werde die Stadt, wahlweise Region, in Schutt und Asche legen. Natürlich wird es gewalttätige Auseinandersetzungen geben – jede andere Vorstellung wäre naiv. In Genua reichte die Phantasie vor dem Gipfel von mit HIV infiziertem Blut über Katapulte bis hin zu brennenden Reifen, die von den Bergen rings um die Stadt herunter gerollt werden sollen. Selbstverständlich machen solche Schilderungen Angst, oder zumindest Sorgen darüber, was denn nun tatsächlich geschehen wird.

Die lokale Bevölkerung und die DemonstrantInnen
Ein G8-Gipfel kommt einer Naturkatastrophe gleich; es ist unmöglich, ihm auszuweichen. Die Frage ist nur, wie eine angemessene Umgangsform aussehen könnte. Eine Möglichkeit ist, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass es möglichst schnell und spurlos vorbei geht. Die Strategie der Stadt Rostock, bis jetzt davon auszugehen, es sei möglich, auch während des Gipfels Business as usual zu betreiben und etwa Schul- und Universitätsbetrieb normal weiterlaufen lassen zu können, wirkt waghalsig. Sinnvoller scheint, sich weder auf die Versprechen der einen noch auf die Horrorszenarien der anderen zu verlassen und sich selbst ein Bild zu machen.

Natürlich ist das Verhältnis zwischen der Bevölkerung von Rostock oder Bad Doberan einerseits und den DemonstrantInnen andererseits kein unkompliziertes. Beide Seiten können aber nur gewinnen, wenn sie sich aufeinander einlassen. Aus dem Bericht einer schottischen Gipfel-Kritikerin aus Stirling, dem Ort, an dem das Camp in Schottland angesiedelt war: „Im Verlauf der G8-Woche fabrizierten die Medien Märchen von grundloser Gewalt und die Polizei schwärmte mit Blaulicht und Sirenen durch Stirling, was absichtlich den falschen Eindruck hinterließ, dass ständig und überall Verbrechen geschähen. ... Wir organisierten ein Treffen (...), bei dem sich Camp-TeilnehmerInnen und lokale AktivistInnen zum ersten Mal begegneten. Die Diskussion war positiv und von gegenseitiger Unterstützung geprägt. Es ging nicht darum, dass die DemonstrantInnen sich dafür entschuldigten, dass der Burger King zerstört worden war, oder sich erklärten. Es ging darum, zusammen zu kommen, in Solidarität, um sich gegen die Schläge zu stellen, die der Staat in dieser Woche ausgeteilt hatte.“

In Genua 2001 war dieses Verhältnis mit davon geprägt, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Gipfel mit Berlusconi verband und in verschiedener Hinsicht als Zumutung empfand. Die rote Zone samt Zaun mitten in der wunderschönen Altstadt, künstliche Zitronenbäume vor den alten Palästen – schrecklich. Der Bürgermeister selbst wehrte sich dagegen, dass den GenueserInnen untersagt werden sollte, während des Gipfels ihre Wäsche nicht mehr, wie sonst üblich, zum Trocknen aus dem Fenster zu hängen. Diese 'innenpolitische' Auseinandersetzung hat vor allem bei den internationalen DemonstrantInnen einige Verwunderung und später viel Freude ausgelöst: vor allem ItalienerInnen trugen bei den Demonstrationen zwischen zwei Fahnenstangen nicht Transparente, sondern Wäscheleinen, an denen bevorzugt Unterwäsche hing. Und die Folgen? Laura Tartarini, Anwältin aus Genua, die noch immer mit den Prozessen nach dem Gipfel beschäftigt ist: „Es gab keine Zuwächse für den Tourismus und bekannt ist die Stadt jetzt wegen des Mordes an Carlo [Giuliani, d. Autorin], der Polizeigewalt und der Zerstörungen. Es gab nicht wirklich einen wirtschaftlichen Schaden für die Stadt (mit wenigen Ausnahmen ist alles ersetzt worden), aber es gibt die verbreitete Wahrnehmung einer tiefen Wunde in Körper und Seele der Stadt, die alle fühlen. Die Gelder, die Genua für Wiederaufbau und öffentliche Arbeiten erhalten hat, waren beachtlich und spielten in den folgenden Jahren eine Rolle bei der Transformation von einer industriell geprägten Stadt zu einer Stadt des Tourismus. Es muss aber auch gesehen werden, dass die finanziellen Angebote der Regierung nicht voll ausgenutzt wurden, weil das als 'Ausverkauf' der Würde von Genua begriffen wurde, als ob das Geld die Entschädigung bedeute für die Vergewaltigung der Stadt durch einen Gipfel, der nichts mit der Seele der Stadt und ihrer BewohnerInnen zu tun hatte.“ ¬