Berlin bereitet sich auf den 1. Mai vor - mit Briefen, Verboten und Polizeistrategien

Berliner Zeitung 27. April 2007

Lehrer sollen über Randale reden

Wenige Tage vor dem 1. Mai versuchen die Behörden alles, um die alljährliche Randale in Kreuzberg zu verhindern. So appellierte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) jetzt an alle Lehrer, mit den Schülern über den Tag der Arbeit und mögliche Krawalle zu reden. Zeit dafür bleibt allerdings kaum noch. Am Mittwoch ging der Rundbrief in den Schulen ein, heute ist der letzte Schultag vor dem 1. Mai. Viele Jugendliche unterschätzten die Folgen von Straftaten wie Steinwürfen, wenn sie durch solche Gewalttaten zu imponieren suchten, schreibt der Senator. Diesen Fehleinschätzungen gelte es entgegenzutreten. Laut Zöllner haben “die Maidemonstrationen zunehmend ihren politischen Charakter eingebüßt” und dienen nur noch zum Vorwand für einen “Krawalltag mit Eventcharakter”.

Der Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Peter Sinram, bezweifelt, dass Zöllners Forderung umgesetzt wird: “Jeden Tag überschüttet uns die Bildungsverwaltung mit Rundschreiben - zu Gedenktagen, Schacholympiaden oder musikalischen Wettbewerben.” Das Papier lande in der Umlaufmappe. “Ein normaler Kollege hat Wichtigeres zu tun, als da reinzugucken.”

Mehrere Demos linker Gruppen wurden inzwischen für den Tag angemeldet: Um 13 Uhr beginnt eine Demo, an der Gruppen wie Maoisten oder die MLPD teilnehmen. Um 16 Uhr startet die Mayday-Parade gegen prekäre Arbeitsverhältnisse. Auf der Route durch Kreuzberg und Neukölln werden über zehn Wagen fahren, auf denen DJs Musik auflegen und Reden gehalten werden. Thematisiert werden Bildungspolitik und Hartz-IV-Reformen. Um 18 Uhr beginnt am Lausitzer Platz die “Revolutionäre 1. Mai-Demonstration” gegen G8-Gipfel und Sozialabbau.

Erstmals besteht die Möglichkeit, dass die Route über einen Teil des Myfestes im Kiez SO 36 führen wird. Der Bezirk organisiert dort wieder eine Veranstaltung, um Ausschreitungen zu verhindern. “Wir haben nichts gegen die Demo”, sagte Organisatorin Silke Fischer gestern. Die letzte Entscheidung darüber trifft aber die Polizei. “Wir gehen davon aus, dass alle Demos friedlich verlaufen und auch das Myfest friedlich bleibt”, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) der Berliner Zeitung. Ob es jedoch zu mehr Randale kommt als im Vorjahr, vermag niemand sicher zu prognostizieren. Einerseits wirken inzwischen die Präventionsbemühungen der Polizei an den Schulen. Gezielt suchten Beamte in den vergangenen Wochen Schulen in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln auf, um mit Jugendlichen über die Konsequenzen von Steinwürfen zu reden. Außerdem ist der Ton zwischen Demonstrationsanmeldern und Polizei in diesem Jahr besser als in den Vorjahren, was deeskalierend wirkt.

Andererseits könnte dieser Tag genutzt werden, um schon mal zu zeigen, wie gegen den G8-Gipfel im Juni protestiert werden soll. Außerdem waren in den vergangenen Wochen immer wieder Autos angezündet worden und es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und Polizei. In diesen Tagen wurde auch bekannt, dass das linke Wohnprojekt “Köpi” in Mitte an Investoren versteigert werden soll - was die Szene geradezu elektrisiert hat.

Probleme könnten sich auch ergeben, weil die Veranstalter der “Revolutionären 1.-Mai-Demonstration” die Teilnehmer aufgefordert haben, vermeintliche Zivilpolizisten mit Fotohandys abzulichten. Die Bilder sollen an eine zentrale Nummer gesendet und Juristen zur Verfügung gestellt werden. Mit Hinweisschildern soll zudem auf diese Polizisten aufmerksam gemacht werden.

Die Polizei bereitet ebenfalls ihre Strategie für die Maifeierlichkeiten vor. “Wie in den vergangenen Jahren gilt das Konzept der Deeskalation und des konsequenten Einschreitens gegen Gewalt”, sagte Polizeisprecher Uwe Kozelnik. Die Behörde hat auch schon erste Verbote ausgesprochen. In der Walpurgisnacht gelten im Bereich des Mauerparks in Prenzlauer Berg und am Boxhagener Platz in Friedrichshain Glasflaschenverbote. Besucher werden dann dort von Polizisten angehalten, den Inhalt an der Kontrollstelle in ein ungefährliches Behältnis umzufüllen - oder auszutrinken. Die Polizei hat jetzt auch wieder Parkverbote in SO 36 erlassen und darum gebeten, dass Müllcontainer weggeräumt werden - damit Randalierer kein Material für den Barrikadenbau haben.

Berliner Zeitung, 27.04.2007

Andreas Kopietz

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