Fortschritte erwartet: Wirtschaft macht vor G8-Gipfel Druck

Handelsblatt 26. April 2007

Mit deutlichen Worten haben die Industrieverbände der sieben führenden Industrieländer und Russlands Forderungen an den G8-Gipfel in Heiligendamm formuliert. In einer gemeinsamen Erklärung verständigten sich die Präsidenten der G8-Wirtschaftsverbände auf Lösungsvorschläge für die drängenden Probleme der Weltwirtschaft.

BERLIN. „Die Wirtschaft kann und will wesentliche Antworten auf die globalen Herausforderungen geben“, sagte BDI-Präsident Jürgen Thumann. Die Erklärung der G8-Wirtschaftsverbände wurde gestern Abend Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) überreicht.

Fortschritte erwarten die Industrieverbände vom anstehenden Weltwirtschaftsgipfel bei sechs Themen: Abbau von Handelshemmnissen in der Welt, Schutz des geistigen Eigentums, Kampf gegen protektionistische Tendenzen bei grenzüberschreitenden Investitionen, funktionierende Kapitalmärkte, Klimaschutz und Energieeffizienz sowie Bekämpfung der Unterentwicklung in Afrika. Diese Punkte sind auch Teil des offiziellen G8-Programms der Staats- und Regierungschefs.

Die Bundesregierung begrüßt die Initiative der Wirtschaftsverbände. Nach Ansicht von Wirtschaftsstaatssekretär Bernd Pfaffenbach, der als Kanzlerinnen-Sherpa das Treffen vorbereitet, sorgen die Verbände dafür, dass „die wirtschaftspolitischen Beschlüsse des Gipfels von den Unternehmen der G8-Staaten mitgetragen werden“. Die Bundesregierung wolle das G8-Treffen ohnehin wieder stärker auf ökonomische Themen konzentrieren.

BDI-Präsident Thumann betonte, dass für die weltweit größte Exportnation Deutschland ein freierer Welthandel ein besonders dringliches Thema sei. Die G8-Industriepräsidenten drängten deshalb darauf, die ins Stocken geratenen Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO über einen Abbau von Handelsschranken zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Dieses Thema habe für die Wirtschaftsverbände oberste Priorität. Die Bundesregierung will das Thema auf jeden Fall auf die Tagesordnung nehmen, falls bis dahin kein Durchbruch in der so genannten Doha-Runde erreicht ist.

Zum Schutz des geistigen Eigentums forderten die Wirtschaftsverbände ein koordiniertes Vorgehen der G8-Länder. Zugleich müsse ein Dialog mit den Schwellen-und Entwicklungsländern über dieses Thema geführt werden. Entschieden verlangten die Verbände, alle Tendenzen zu Protektionismus und Ungleichbehandlungen bei grenzüberschreitenden Investitionen zu bekämpfen. Dieses Problem müsse auf höchster Ebene angegangen werden. Laurence Parisot, die Präsidentin des französischen Wirtschaftsverbands Medef, sagte, dass das Risiko protektionistischer Tendenzen sehr hoch sei, auch in Frankreich.

Die Bundesregierung ihrerseits will vor allem den zunehmenden Investitionsprotektionismus ansprechen, bei dem Regierungen ausländische Kapitalbeteiligungen an Firmen in ihren Ländern aktiv abwehren.

BDI-Präsident Thumann bezeichnete das erste Treffen der G8-Wirtschaftsverbände in der mehr als 30-jährigen Gesichte der Weltwirtschaftsgipfel als historisch. Unter japanischer G8-Präsidentschaft ist im kommenden Jahr ein weiteres Treffen geplant.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Sieben Fragen an: Alexander Schochin, Vorsitzender des russischen Industrieverbandes.

Handelsblatt: Wie bewerten Sie das erste Treffen der Industrieverbände der G8-Staaten?

Alexander Schochin: Sehr positiv. Allerdings sollten wir in Zukunft andere Länder wie China einbeziehen. Auch müsste das Thema Energie viel intensiver auch zwischen uns diskutiert werden. Das ist ein Schicksals-Thema für die G8.

Sollte China Mitglied werden?

Aus russischer Sicht eher nicht. Denn das wäre die Verwässerung des russischen Anteils an der G8. Russland konkurriert mit China und anderen Schwellenländern um Investitionen, Innovationen und Märkte.

Aber Russland wird doch selbst zum Investor in der Welt. Finanzminister Kudrin will für 24 Mrd. Dollar weltweit Aktien kaufen, russische Unternehmen übernehmen westliche Wettbewerber . . .

. . . was ein normaler Prozess ist. Russland sieht sich als Standort verarbeitender Industrien, nicht nur als Rohstofflieferant. Dafür brauchen wir Freiheit im Handel und bei Investitionen.

Fühlen sich russische Unternehmen im Westen willkommen?

Nicht immer. Oft herrscht Angst. Unsere Regierung hat auch selbst einen Anteil am schlechten Image Russlands, etwa wegen des Vorgehens gegen den Ölkonzern Yukos. Aber unsere Unternehmen ändern sich rasant, werden transparenter, offener für Investoren und sozial verantwortlicher.

Ist Russland selbst offen genug für Auslandsinvestoren?

Wir brauchen das Prinzip der Gegenseitigkeit: Russische Firmen müssen im Westen Firmen kaufen dürfen und umgekehrt. Ich wünsche mir, dass gegenseitig mehr investiert werden kann, ohne politische Einmischung. Eines ist klar: Russische Investitionen im Ausland sind heute keine Kapitalflucht mehr, sondern Teil unserer Diversifikationsstrategie.

Ist der von Finanzminister Kudrin geplante Kauf von Aktien westlicher Unternehmen dabei richtig?

Natürlich müssen wir einen größeren Teil unseres Stabilisierungsfonds investieren. Aber das kann die Regierung nicht allein, dafür braucht sie Fondsmanager. Und sie sollte nicht nur im Ausland investieren, sondern auch zu Hause. Russlands Märkte brauchen ein Zeichen des Vertrauens.

Haben westliche Finanzmärkte Vertrauen zu Russland?

Sie brauchen keine Angst zu haben. Zusätzliche 24 Mrd. Dollar aus Russland heben die globalen Märkte nicht aus den Angeln.

Die Fragen stellte Mathias Brüggmann.

Von Sven Afhüppe und Andreas Rinke

HANDELSBLATT, Donnerstag, 26. April 2007, 12:22 Uhr