Die Generalprobe

Frankfurter Rundschau 16. April 2007

Beim G 8-Treffen in Heiligendamm wollen die Gipfel-Kritiker nichts dem Zufall überlassen, deshalb haben sie jetzt schon einmal geübt.

Später haben sie dann noch Sitzen geübt. Sitzen bleiben, besser gesagt. Auch im Angesicht einer übermächtigen Staatsgewalt. Es war ein seltsames Gefühl, von den eigenen Leuten weggehievt zu werden. Sowohl für die Getragenen. Als auch für die Träger. Aber was tut man nicht alles - wenn es der Sache dient.

Die Sache ist die: Anfang Juni treffen sich im luxuriösen Ostseebad Heiligendamm die Oberhirten der sieben führenden Industrienationen und Russland, um ganz ungezwungen über globale Politik zu plaudern. Für die Kritiker - und das sind nicht wenige - sind diese jährlichen G 8-Treffen der Gipfel einer selbsternannten antisozialen und militaristischen Weltregierung. Seit etlichen Monaten mobilisieren daher Hunderte vornehmliche linke Gruppen weltweit ihre Anhänger. Sie wollen diesen G 8-Gipfel, wenn sie ihn schon nicht stoppen können, wenigstens so gut es geht sabotieren. Die 3. Internationale Aktionskonferenz am Wochenende in Rostock war nun so etwas wie die Generalprobe.

Mehrere hundert Menschen pilgerten dafür in die Ehm-Welk-Schule, einen baufälligen Plattenklotz ganz weit draußen, den die Stadt Rostock erst nach ewigem Hickhack zur Verfügung gestellt hatte. Dort debattierten sie zwei Tage lang noch einmal jede Einzelheit der Aktionswoche, die am 2. Juni mit einer Großdemo beginnen und am 7. Juni mit einem Konzert von Herbert Grönemeyer wohl noch nicht enden wird. Jede Blockade, jede Gegenveranstaltung, jeder Nadelstich gegen die G8 wurde erneut minutiös durchgespielt. Man will in diesen sozialen Großkampftagen nichts dem Zufall überlassen. Man hat aus der Vergangenheit gelernt. “So etwas wie Gleneagles”, sagt Werner Rätz, eine der ergrauten Eminenzen von attac, “darf uns nicht noch einmal passieren.”

Damals, 2005, in der schottischen Provinz hatten die G8-Regierungschefs die Bewegung mit dem vermeintlich “größten Schuldenerlass der Geschichte” überrumpelt. 40 Milliarden Dollar, so sprach seinerzeit huldvoll Britanniens Premier Tony Blair, werde man den Ländern des Südens schenken. Da war der Jubel groß. Bis auf der Gegenseite jemand nachgerechnet hatte, dass 40 Milliarden allein angesichts einer jährlichen Zinslast von mehr als 200 Milliarden Dollar so viel auch wieder nicht sind, war es zu spät: Die G8 wurden gefeiert und die Protestbewegung kam nicht mehr recht auf die Beine. Was auch daran lag, dass die unzähligen Gegen-Initiativen von Anfang an nicht an einem Strang gezogen hatten.

Ein Slogan für viele Gruppen

Zwei Jahre später, auf deutschem Boden, glaubt man nun, weiter zu sein. Trotz teils erheblicher kultureller Unterschiede haben sich unzählige der kirchlichen, sozialen, friedens-, frauen- und migrationspolitischen, linken, linksradikalen und linksautonomen Gruppen vernetzt. Auf ein großes Anti-Thema haben sie sich zwar nicht einigen können. Dafür lässt der Slogan “Eine andere Welt ist möglich” allen ihren jeweiligen Interpretationsspielraum. “Eine derart erfolgreiche Kooperation gab es noch nie”, sagt Werner Rätz. Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken glaubt gar: “Das wird das prägende Ereignis für die Bewegung in Europa - mindestens.”

Nicht, dass es keine Probleme mehr gäbe. Immer mal wieder zeigte sich zuletzt, wie fragil das Anti-G8-Netzwerk tatsächlich ist. Die kleinen, eher losen Gruppen befürchten regelmäßig, von Großorganisationen wie Attac oder neuerdings auch der Linkspartei bevormundet zu werden. Zu Diskussionen schickten die einen ihre Repräsentanten, die anderen ganz basisdemokratisch die ganze Gruppe - Einigungen wurden dadurch nicht eben erleichtert. Zudem schwebt dauerhaft über Allem die heikle Gewaltfrage. Als kürzlich eine Attac-Sprecherin öffentlich vor “ein paar Irrationalen” warnte, die den ganzen Protest zerstören könnten, “haben sich die Irrationalen ziemlich aufgeregt”, sagt Christoph Kleine. In seinem Netzwerk geht man mit dem Gewaltthema etwas großzügiger um: Da Regierung und Polizei längst “eine Art Bürgerkriegsszenario” heraufbeschworen hätten, könne man “niemandem sein Recht auf Gegenwehr nehmen”. Was immer das im einzelnen Blockadefall heißen wird.

Zu den hausgemachten gesellen sich noch weitere Probleme: 16 000 Polizisten und ein zwölf Kilometer langer Zaun werden Heiligendamm schützen - das macht den Protest vor Ort nicht einfacher. Und ob wirklich 100 000 Menschen zur Demo schreiten werden, ist nicht ausgemacht: In Köln findet fast zeitgleich der Kirchentag statt, und mit Mecklenburg wurde für den Gipfel eine Region ausgewählt, die nicht gerade üppig besiedelt ist.

Wie schwer es bislang noch fällt, die eher scheuen Nordostdeutschen für die Sache zu gewinnen, wurde am Freitagabend in der Nikolaikirche deutlich. Dort wollten sich die Gipfelgegner eigentlich den Rostockern erklären, von denen kamen aber gerade mal zwei Hände voll. Es wird wohl noch dauern, bis auch sie massenhaft glauben, dass eine andere Welt möglich ist.

VON JÖRG SCHINDLER (ROSTOCK)