G-8-Gipfel in Heiligendamm: Die Furcht vor heißen Straßenschlachten

Süddeutsche Zeitung 16. April 2007

Das politische Spektrum der Gipfel-Gegner ist breit, wie viele gewaltbereite Demonstranten darunter sein werden, kann die Polizei derzeit nur schwer einschätzen.

Am Sonntag nahmen etwa 250 Demonstranten auf Einladung einer Initiative namens “Block G 8″ an einem “Zaunspaziergang” nach Heiligendamm teil und blockierten dabei eine Zufahrtsstraße.

“Während der Staat den Zaun zum Sicherheitsfetisch hochstilisiert, ist er für uns die symbolische Fratze hemmungsloser Ausgrenzung derjenigen, die unter der Politik der G-8-Staaten am meisten zu leiden haben”, heißt es in dem Aufruf der Initiative.

Mit einem “öffentlichen Aktionstraining” warben die Blockierer für ihre Form des Protests. Sie wollen im Juni möglichst viele Menschen dazu bringen, sich auf die Straßen zu setzen, um die Infrastruktur des Gipfels lahmzulegen. “Wäre doch schön, wenn die Dolmetscher nicht zum Grandhotel durchkämen”, sagte Sprecherin Frauke Banse. An jedem der drei Gipfel-Tage werden sich 5000 Zuträger einen Weg nach Heiligendamm bahnen müssen.

Am vergangenen Wochenende haben etwa 300 Globalisierungskritiker und -gegner in einer aufgelassenen Rostocker Schule und in der Nikolaikirche darüber diskutiert, welche Inhalte sie Anfang Juni transportieren wollen - und welche Mittel sie dabei anwenden.

Das Gros der Gruppen, die an der “Aktionskonferenz” teilnahmen, neigt dem zivilen Ungehorsam zu. Kaum jemand rechnet damit, in der heißen Phase zum Zaun vordringen zu können. Die Polizei hat Zonen außerhalb des Zauns definiert, so genannte “erweiterte Maßnahmenräume”, in denen sie jede verdächtige Annäherung unterbindet.

Die Gipfel-Gegner decken das komplette Spektrum linker Politik ab. Es reicht von kirchlichen Bündnissen über die Linkspartei/PDS und das globalisierungskritische Netzwerk Attac bis zu extremistischen Splittergruppen, wie man sie vor allem in Berlin und Hamburg kennt.

Die Rostocker Aktionskonferenz leitete am Wochenende “den Endspurt der Mobilisierung” ein, wie es in einem Flugblatt hieß. Die Palette der Themen, die in Arbeitsgemeinschaften verhandelt wurden, reichte von Kultur über Migration, Sexismus und Militarismus bis zur “globalen Landwirtschaft”.

Niemand kann derzeit abschätzen, wie viele Menschen Anfang Juni zum G-8-Gipfel reisen. Knut Abramowski, Leiter der Polizei-Sondereinheit Kavala, hält es für “nicht unrealistisch”, dass 100 000 kommen. Die Unsicherheit erstreckt sich auch auf die Zahl der militanten Gipfelgegner. Schon seit zwei Jahren verweisen Bekennerschreiben zu Brandanschlägen und Farbbeutelattacken auf Heiligendamm.

Radikale G-8-Gegner spotten über Attac-Sprecher Wahl

Als Unbekannte das Auto des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie abfackelten, kündigten sie schriftlich “eine breite, auch militante Kampagne zum G-8-Gipfel” an. “Im Gegensatz zu globalisierungskritischen Organisationen geht es linksextremistischen Gruppen nicht um die Artikulierung von Kritik”, heißt es in einem Papier des Berliner Verfassungsschutzes. Ziel sei es, “den Gipfel zu delegitimieren oder wirksam zu stören”.

Die Verfassungsschützer warnen allerdings ausdrücklich vor Panikmache. “Vor dem Hintergrund der bisherigen Vorbereitungen” müsse man davon ausgehen, “dass das linksextremistische Protestpotential hinter den Erwartungen der Aktivisten zurückbleibt”.

Soll man den Gipfel auf der Straße bekämpfen? Oder ist es vernünftiger, auf die Politik der G-8-Staaten Einfluss zu nehmen? In diesem Zwiespalt steckte auch die Rostocker Aktionskonferenz. Radikale G-8-Gegner haben für jemanden wie Attac-Sprecher Peter Wahl nur Spott übrig.

Wahl hatte nach einem Treffen mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidenten Harald Ringstorff (SPD) gesagt, man wolle “heiße Debatten, aber keine heiße Straßenschlachten” entfachen. Wahl solle “ruhig weiter Händchen halten mit den Mächtigen”, hieß es in einer der Arbeitsgemeinschaften auf der Aktionskonferenz - vielleicht bringe er es ja sogar zum Staatssekretär.

(SZ vom 16.4.2007)

Von Arne Boecker