Lüsewitz: Genfeld-Besetzung knapp verhindert

indy media 15. April 2007

In der Nacht zum Donnerstag (12. April) konstruierten etwa 30 AktivistInnen auf einem der teuersten Genfelder der BRD das Gestell für einen etwa 17 Meter hohen Turm. Die Polizei hatte durch Denunziation einer AnwohnerIn Verdacht geschöpft und entdeckte in mehreren in einem Nachbarort abgestellten Wagen Infrastruktur und weitere Hinweise auf die Aktion. Trotz der deutlichen Informationen und mehrfacher Kontrollen des betreffenden Ackers bemerkten die PolzistInnen die noch auf dem Boden liegende mehr als 30 Meter lange Holzkonstruktion und die dort befindlichen AktivistInnen nicht und zogen unverrichteter Dinge ab. Erst ein blöder Zufall sollte zur Entdeckung führen...
In Groß Lüsewitz hat das "AgroBioTechnikum" ein Zusammenschluss gentechnik-freundlicher Unternehmen und Forschungseinrichtungen seinen Sitz und eine Vielzahl von Freisetzungsflächen. Bereits im letzten Jahr machte ein Versuch dort von sich reden: genetisch veränderte Kartoffeln, die u.a. ein Cholera-Protein produzieren sollen. Nach der Aussaat waren die Gentech-Felder des "Innovations-Zentrums" mit teuren Sicherungsmaßnahmen bewacht. Abgesehen von dem hohen Einsatz von Polizeikräften gab es auf den Feldern extra Container für Wachleute, die das Feld - mit Unterstützung von Scheinwerfern und Videokameras - beschützten. In zeitlichem Zusammenhang mit dem G8-Vorbereitungscamp "Camp Inski" gab es mehrere Aktionen gegen diesen Versuch. Doch es war schwer, an die von bereits auf G8-Proteste scharfgemachten PolizistInnen bewachten Felder heranzukommen. In einem Fall zog ein Feldwächter gegen Gentech-KritikerInnen die Schusswaffe, wohl signalisierend, dass er die Genpflanzen um jeden Preis schützen würde.

Eine bunte Mischung von AktivistInnen aus verschiedenen Zusammenhängen und Organisationen hatten sich entschlossen, das Gentech-Kartoffel-Feld in diesem Jahr schon vor der Aussaat zu besetzen. Ein Widerstandsdorf mit Türmen, Bauwagen und verschiedensten Lock-ons sollte entstehen. Die BewohnerInnen der umliegenden Dörfer sollten eingeladen werden, sich am Widerstand gegen die gentechnischen Freisetzungsversuche zu beteiligen oder auch in Diskussion mit den AktivistInnen auf dem Acker zu kommen.

Mit Türmen, Bauwagen und Lock-ons gegen Gentech-Kartoffeln

Trotz der gewiss intensiven Überwachung der Region um Rostock durch die G8-Schutzpolizei konnten die AktivistInnen ungestört drei fast 18 Meter lange massive Baumstämme auf das Feld transportieren, diese in die richtigen Positionen bringen und aneinander befestigen. Selbst die Drahtseile, mit denen die Konstruktion aufgerichtet werden sollte, waren bereits gelegt, Sicherungen an dem entstehenden "Tripod" (dreibeiniger Turm, sieht im Gerüst aus wie ein unfertiges Tipi) angebracht und Vorbereitungen für weitere Blockadetechniken getroffen. Es fehlten noch etwa 15 Minuten, dann hätte der Turm gestanden, AktivistInnen hätten sich daran festgemacht und eine nur schwer zu räumende Blockade hätte die Aussaat der Gentech-Kartoffeln, die nun in ihrem zweiten Versuchsjahr ausgebracht werden sollten verhindert.

Polizei: Trotz umfangreicher Ressourcen und Mittel ohne Durchblick

Fahrzeuge mit Hängern und Blockadematerial waren in näherer Entfernung zum Feld abgestellt worden. Mit einigen AnwohnerInnen war bereits geredet worden und abgesprochen, dass die Fahrzeuge bis zum nächsten Tag dort stehen bleiben könnten. Nur eine BewohnerIn beschwerte sich über die ihr suspekten (tatsächlich sehr auffälligen) Gefährte und drohte mit der Polizei, wenn diese das "Privatgelände" nicht verlassen würden. Die Fahrzeuge wurden sofort weggefahren, aber die Polizei bekam offensichtlich trotzdem einen Hinweis. Kurz nach diesem Vorfall tauchte ein Zivi-Wagen auf, der immer wieder Kontrollfahrten vornahm. Spät in der Nacht kam es dann zu einer polizeilichen Durchsuchung der Bauwagen. Dabei stießen die BeamtInnen auf Lock-on-Vorrichtungen, Karten und vorbereitetes Aktionsmaterial und beschlagnahmten einen Großteil davon. Ein dritter Polizeitransporter musste angefordert werden, um das polizeiliche Diebesgut abzutransportieren.

Durch die Durchsuchung der Wagen hatte die Polizei ein klar umrissenes Bild, was wo warum geplant war. Allerdings blickte sie bei den vielen Genfeldern vor Ort wohl auch nicht so recht durch und bestreifte nun die verschiedenen Standorte. Dabei wurde das Feld, auf dem sich nahezu 30 AktivistInnen mit dem Aufbau des ersten Tripods beschäftigten, mindestens zwei Mal mit Scheinwerfern beleuchtet, bevor die BeamtInnen wieder unverrichteter Dinge abzogen. Weder die gigantische Holzkonstruktion noch die AktivistInnen wurden durch die PolizistInnen entdeckt.

Zufälliger Treffer: Auch ein blindes... (Polizisti) findet mal ein Korn...

Doch dann verhalf eine für die Gentech-GegnerInnen unglückliche Verkettung von Zufällen der Polizei zum Erfolg. Die Informationen sind nicht komplett gesichert. Eine Polizeieinheit sollte eineR in der Nacht bereits mehrfach kontrollierten fahrradfahrenden AktivistIn den Personalausweis zurückgeben. An dem Feld mit den AktivistInnen stoppte das Fahrzeug und ein Polizist ging raus zum Pinkeln. Dabei fiel ihm ein Spaten auf, der am Feldrand stand. Der stand da nicht zufällig, sondern markierte eine für die Errichtung des Turms wichtige Stelle, und war erst kurz zuvor dort hingestellt worden, da der letzte Akt bevorstand. Aufgeregt wurde nun mit der Taschenlampe geleuchtet und ein Drahtseil entdeckt. Dieses führte hundert Meter in das Feld hinein und endete an der Holzkonstruktion.

Auch jetzt noch entdeckte die Polizei die große Zahl der AktivistInnen nicht, der sie sich immer mehr annäherte. Lediglich zwei Personen, die unmittelbar am Straßenrand gelegen hatten, als wieder Polizeifahrzeuge unverhofft aus dem plötzlich entstandenen Nebel auftauchten, wurden gefunden und sofort festgenommen. Bald begannen die nun doch erfolgreichen Staatsdiener in grün etwa 35 Fahrzeuge in der kleinen Region herumdüsen zu lassen, um der entkommenen Aktivistis habhaft zu werden. Scheinbar hatten die BeamtInnen mal wieder die rechtlichen Dimensionen für ihr Handeln nicht klar: ein Einsatz, der vielleicht gerechtfertigt erscheinen könnte, wenn schwere Straftaten verfolgt werden, dient dem Aufstöbern von AktivistInnen, die auf einem unbestellten Feld gewesen sind und ein bisschen Material dort vergessen haben... *gg* - Es gibt keinen Strafrechtsparagraphen, der es verbietet, in der Nacht auf einem Feld ein paar Stämme aufzubauen. Damit gesteht die Einsatzleitung ein, was ohnehin klar war: die Vorgänge in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag hatten politische Brisanz, bewegten sich aber in einer rechtlichen Grauzone.

Ärgerlich war neben der Unterbindung des Aufrichtens des Turms die damit verbundene Beschlagnahme von Technik und Material im Wert von mehreren Tausend EUR. Sicherlich wird die Polizei dieses irgendwann wieder herausrücken müssen, aber bis dahin fehlt es den Personen und Gruppen, von denen es entliehen wurde.

Wenn nicht das Feld, dann das Gentech-Zentrum...

Die Platzverweise waren ganz frech für einen Umkreis von 20 Kilometern und für eine Dauer von 2 bis 3 Tagen ausgesprochen worden. Bei Missachtung würden Ingewahrsamnahmen folgen. Faktisch konnte sich die Polizei damit jedoch nicht durchsetzen. Am Tag nach der gescheiterten Feld-Besetzung wurden die Versuchsverantwortlichen selbst Ziel von Aktionen. Ein Funkturm auf dem Gelände des AgroBioTechnikums wurde von Kletterern besetzt, Transparente in schwindelerregender Höhe machten auf die Ablehnung der Gentech-Versuche weitsichtbar aufmerksam.

Hier konnte die Polizei mit aggressivem Durchgreifen nichts erreichen. Lediglich in den ersten Sekunden traten die schwarzuniformierten Spezialkräfte bedrohlich auf. Ziemlich schnell schienen sie erkannt zu haben, dass sie an die Leute auf dem Turm nicht ohne weiteres herankommen würden. Auch gegen die Leute am Boden konnten sie nicht wirksam vorgehen. Die hatten unter subversiver Ausnutzung des an sich eher kritisch zu sehenden, da Protest und seine Formen kanalisierenden, Versammlungsrechts eine Eildemonstration angemeldet und damit die bestehenden Platzverweise ausgehebelt. Das ging natürlich nicht ganz reibungslos vonstatten, aber es dauerte nicht lange, bis die Polizeiführung einsehen musste, dass sie mit juristischen Bluffs nicht weiterkommen würde. Die Demoanmeldung wurde akzeptiert und die anwesenden Polizeikräfte - zeitweise bis zu zwölf Einsatzwagen - beschränkten sich darauf, das Gelände des Gentechnik-Förderzentrums zu bewachen.

Diese Aktion sollte noch einmal das mediale Interesse auf die gescheiterte Feldbesetzung und auf den dort geplanten Gentechnik-Versuch richten. Die regionalen Medien waren im Vorfeld informiert worden und erhielten laufend Updates. Auch vor Ort war mindestens ein Dutzend PressevertreterInnen anwesend. Ein unabhängiges Medienteam war auch dabei und hat ein Kurzvideo zur Aktion zusammengestellt. Fast alle Nachrichtenagenturen berichteten und viele Zeitungen druckten entweder eigene Berichte oder die Agenturmeldungen ab. Was gar nicht so deutlich zu erwarten war, ist damit gelungen: nicht das Zustandekommen der Aktion war entscheidend für die öffentliche Wahrnehmung, sondern der ernsthafte Versuch das Feld mit umfangreicher Infrastruktur zu besetzen genügte dafür. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass es nicht zwangsläufig einer Fixierung auf die Realisierung einer einzelnen Aktion zu geben braucht, sondern dass es darauf ankommt, das Thema offensiv und vielfältig in die Öffentlichkeit zu tragen.

Öffentlichkeit erreicht, Auseinandersetzungen gehen weiter

Auch wenn das ursprüngliche Vorhaben - ein Widerstandsdorf auf dem dem Genacker zu errichten - gescheitert ist, wurde bereits ein nicht unerhebliches öffentliches Interesse geweckt. Alle möglichen Zeitungen und Sender berichteten, auch in den Tagen nach der Besetzung war ein großes Medienecho zu registrieren. Zeitweise klingelte das Pressehandy permanent, nur unterbrochen von den Telefonaten mit den JournalistInnen. Auch viele Menschen in Groß Lüsewitz wurden bereits persönlich angesprochen und erneut für die Gentechnik-Problematik sensibilisiert. In den nächsten Tagen soll es weiter mit dieser Öffentlichkeitsarbeit gehen.

Geplant ist eine Bastelaktion am Sonntag vor dem AgroBioTechnikum in Groß Lüsewitz, zu der die Menschen aus dem Ort eingeladen sind. Dabei sollen Schilder für die Vorgärten im Dorf entstehen, mit denen die BewohnerInnen ihren Protest gegen die Gentechnik zum Ausdruck bringen können. Am Montag folgt ein weiterer spektakulärer Höhepunkt: ein Fußballspiel auf dem zur Aussaat vorbereiteten Gen-Kartoffel-Feld, das bereits für eine Nacht besetzt war. Ab diesem Tag ist mit einer Aussaat zu rechnen und wir wollen noch einmal frech und deutlich zeigen, dass Gentech für uns inakzeptabel ist. Auch Versuchsleiterin Broer ist dazu eingeladen, behauptet sie doch gerne, ihre KritikerInnen wären nicht bereit, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Ob sie kommen wird oder sich ihr Gerede von Gesprächsbereitschaft als reine Rhetorik entpuppt, wird sich zeigen. Für Dienstag Morgen ist dann in Sanitz, einem größeren Ort bei Groß Lüsewitz, eine Flugblattverteilung vor dem Edeka-Markt an der Bundesstraße mit einer Überraschungsaktion angekündigt. Dienstag ist gleichzeitig der globale Aktionstag "Via Campesina", wo an vielen Orten Aktionen mit Landwirtschafts-, Anti-Gentech- und Landbesitzbezug stattfinden werden.

Noch mehr Infos? Na dann...

Um es vorweg zu nehmen: Am liebsten ist uns, wenn ganz viele Leute den Aufmerksamkeits-Korridor, den unsere Aktionen geschaffen haben, nutzen würden, um mit eigenen Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit einzusteigen und eigene Positionen und Visionen einer anderen Gesellschaft zu transportieren. Wir freuen uns auch, wenn sich viele Menschen überlegen, mit "uns" (was auch keine feste Gruppe ist) weitere Aktivitäten entwickeln und in den nächsten Tagen wirkungsvoll gegen die Gentech-Lobby und die hinter ihr stehenden Machtstrukturen vorgehen zu wollen.

Wer sich das nicht vorstellen kann, aber trotzdem aus der Ferne helfen möchte, kann auch das tun: mit Pressearbeit, Vermittlung von Material-, Lebensmittel- und Sachspenden oder auch finanzielle Unterstützung auf das Aktionskonto (InhaberIn: M. Twenhoeven, Konto 292579508, BLZ: 37010050, Postbank Köln). Ihr könntet auch Infostände in eurer Stadt machen, gentechnikkritische Veranstaltungen organisieren oder andere Menschen nach Groß Lüsewitz mobilisieren.

Der Kontakt zu uns ist recht einfach - telefonisch unter 0173-1791262 oder persönlich bei einer der vielen Aktionen. Diese findet ihr z.B. im Internet unter www.gentech-weg.de.vu. Mailen an kontakt ÄTT gentech-weg.de.vu ist auch möglich, aber wir sind aktionsbedingt nicht sehr häufig am Mails lesen.
Links

  • CampInski: Anti-Gentechnik Demo in G.Lüsewitz
  • Video:Anti-G8-CampInski: Gentechnik-Demo,Tl.1
  • Anti-G8/Gentec-Aktionen in M.-V.
  • Feierabendspaziergang nach Groß Lüsewitz

Fotos