Radikale Antworten für Heiligendamm

Die globalisierungskritische Bewegung muß die »diskursive Strategie« der Gegenseite kontern. Gastbeitrag von Pedram Shahyar

Der anstehende G-8-Gipfel im Juni stellt die globalisierungskritische Bewegung vor eine gewaltige Herausforderung. Alles deutet darauf hin, daß die Mobilisierung die vorherigen Gipfelproteste in Köln 1999 und in München 1992 weit in den Schatten stellen wird. Unzählige Veranstaltungen quer über die Republik sind bisher organisiert, unzählige lokale Bündnisse im ganzen Land geschmiedet. Erstmals seit langem arbeiten linke Aktivisten unterschiedlicher Couleur wieder zusammen an einem gemeinsamen Projekt – und das über einer längeren Zeitraum. Keine Frage: Die Mobilisierung gegen das Treffen der acht Staats- und Regierungschefs der USA, Kanadas, Japans und Rußlands sowie Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands in Heiligendamm ist ein Projekt von großen Teilen der außerparlamentarischen Linken, und daran wird diese auch gemessen werden.

Gipfelmobilisierungen waren seit je her ein spezifischer Ort der globalisierungskritischen Bewegung, an dem diese nicht nur weithin sichtbar wurde. Hier wurden auch die spezifischen Merkmale der neuen Bewegung geformt: Pluralität und Globalität sowie das Zusammenbringen von Masse, Ideen und Entschlossenheit. Für weltweites Aufsehen sorgte diese neue Bewegung mit ihren Protesten gegen die Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle Ende 1999. Unter dem Motto »Teamster & Turtles Unite« demonstrierten US-amerikanische Lastwagenfahrer, die um ihre Jobs fürchteten, neben jungen Aktivisten, die als Schildkröten verkleidet gegen die Freigabe kanadischer Gewässer für das Fischen protestierten. Beide Gruppen hätten früher nie daran gedacht, nebeneinander für ein gemeinsames Ziel auf die Straße gehen. 2007 in Heiligendamm ist es eine Selbstverständlichkeit, daß Menschen aus dem kirchlichen Spektrum mit der Antifa und ATTAC demonstrieren.

Die Mobilisierungen gegen den G-8-Gipfel in Genua 2001 waren in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt für die neue Bewegung. 300000 Menschen zogen damals durch die Straßen der italienischen Mittelmeerstadt. Zehntausende Aktivisten stürmten gegen die hermetisch abgeriegelte »rote Zone«, in der die Großen und Mächtigen tagten, an. War es der neuen Bewegung mit ihren entschlossenen Aktionsformen gelungen, in Seattle und in Prag die Tagungen der WTO und des Internationalen Währungsfonds zum Abbruch zu bringen, zeigte die italienische Polizei brutal die Grenzen ungehorsamer Proteste – der Staat stellte ein paar Panzerfahrzeuge mehr in den Weg, seine Uniformierten waren bereit, auf Demonstranten zu schießen. Am Ende lag der 23jährige Carlos Giuliani tot auf der Straße.

Doch auch die Gegenseite reagierte nicht nur militärisch. Trotz der ungeheuren Repression in Genua und der Militarisierung im Inneren nach den Anschlägen in den USA am 11. September 2001 konnte die globalisierungskritische Bewegung nicht gebrochen werden. Ganz im Gegenteil: Der Neoliberalismus verlor in den vergangenen Jahren immer stärker seine Hegemonie, Globalisierungskritik ist teilweise Mainstream geworden.

Das wird nicht zuletzt daran deutlich, wie sich die globale Elite auf den G-8-Gipfeln präsentiert. Schon in Genua hatten einzelne Staatschefs den Eindruck zu vermitteln versucht, sie verfolgten letztlich die Ziele der Demonstranten vor der »roten Zone«. Höhepunkt der Heuchelei war der Gipfel in Gleneagels vor zwei Jahren. Die britische Regierung bezog einige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in die Gipfelplanung ein. Premier Anthony Blair gerierte sich unter dem Motto »Chance für Afrika« als Helfer für die Armen der Welt. Stolz präsentierte er als Gipfelergebnis die Streichung von Schulden in Höhe von etwa 800 Millionen Dollar. Bei rund 300 Milliarden Dollar jährlicher Zinsleistungen der Entwicklungsländer waren es gerade einmal 0,3 Prozent, die Afrika an »Schulden« erlassen wurden. Ein Witz!

In ähnlicher Weise versucht sich nun die Bundesregierung zu profilieren. Neben weiterer Hilfe für Afrika macht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel den Klimaschutz zu eigen, der hierzulande mittlerweile in aller Munde ist. Sie versucht, Deutschland und die EU als Vorreiter für den CO2-Abbau zu profilieren und der G 8 hier eine Legitimität zur Rettung der Welt zu verleihen.

In der Protestvorbereitung gegen Heiligendamm ist es bisher nicht ausreichend gelungen, auf diese »diskursive Strategie« der Gegenseite zu reagieren. Der G-8-Gipfel wirkt wegen der Agenda der Bundesregierung kaum negativ. Mit unserer Mobilisierung strahlen wir noch nicht über die eigenen, aktivistischen Millieus hinaus aus. Unsere Gegenoffensive müßte dazu erstens an der offiziellen Agenda ansetzen und diese in ihrer Hohlheit entlarven. Während Merkel die »Afrika-Hilfe« im Munde führt und diesbezüglich im Juni wahrscheinlich wieder kosmetische Änderungen mit großem PR-Effekt verkaufen kann, arbeitet die EU an einem Freihandelsabkommen mit den AKP-Staaten (Afrika, Karibik und Pazifik). Letzteres wird zu massiven Verschlechterungen im sozialen Bereich führen zugunsten rosiger Investitions- und Handelsbedingungen für große Konzerne.

Auch in Sachen Klimaschutz gilt es, seitens der Linken entsprechende Meßlatten zu legen. Die Halbherzigkeit der »Lösungsvorschläge« von Kanzlerin Merkel bietet die Möglichkeit, mit der eigenen, radikalen Kritik in weiteren Kreisen gehört zu werden. Notwendige klimaschutzpolitische Maßnahmen vertragen sich nicht mir einer auf Wachstum verpflichteten Wirtschaft. Es ist die kapitalistische Produktionsweise, die einen permanenten Wachstumszwang erzeugt, unter dem ökologische Nachhaltigkeit und eine nötige Wende nicht zu machen sind.

Letztlich gilt es aber auch, die versteckte Gipfelagenda offenzulegen. In Heiligendamm wollen sich die »Acht« über die Verbesserung globaler Investitionsbedingungen und den Schutz des geistigen Eigentums verständigen. Aus Papieren des Bundeswirtschaftsministeriums wird deutlich, worum es hierbei wirklich geht: um einen Angriff auf China! Die G 8 als imperiale Institution des Westens will Pekings Aufstieg nicht akzeptieren. Insbesondere die Politik Chinas, Investitionen aus dem Ausland an Technologietransfer zu binden, ist dem Westen ein Dorn im Auge. Der ökonomische Angriff auf den »roten Drachen« wird ideologisch begleitet mit einer Propagandaoffensive gegen die ach so unsoziale und ökologisch so unverantwortliche Politik Chinas. Bislang hat die globalisierungskritische Bewegung dem wenig entgegenzusetzen. Es gibt mithin noch viel zu tun. Nutzen wir die Chance.

* Der Autor ist Mitglied des Koordinierungskreises von ATTAC

14.04.2007 / Schwerpunkt / Seite 3