»Ich bin keine singende Mutter Teresa«

Die Zeit 12. April 2007

Der U2-Sänger Bono spricht über Afrika, Popstars im Kampf gegen die Armut und den G8-Gipfel in Heiligendamm. Ein Interview

Ein schnelles Lächeln, ein kräftiger Händedruck, schon sitzt er und legt sein Markenzeichen, die braun getönte Brille, ab. Roll on! Es kann losgehen, die Zeit ist knapp. Dieser Mann hat ständig Termine auf allen Kontinenten, bei Nelson Mandela und Bill Gates, bei George W. Bush und Angela Merkel. Und natürlich auch beim Papst. Bono, der Rockstar, der Kämpfer für eine gerechtere Welt.

Wir sind in Berlin, im Büro seiner Organisation Data, die sich für Schuldenerlass, freien Handel und die Bekämpfung von Aids in Afrika einsetzt. Es wurde erst Anfang des Jahres eingerichtet – extra für den G8-Gipfel, der im Juni im mecklenburgischen Heiligendamm stattfindet. Schon im Vorfeld soll Druck ausgeübt werden auf die reichen und mächtigen Nationen, damit sie ihre entwicklungspolitischen Versprechen einlösen. Soeben hat Bono mit den Koordinatoren von »Deine Stimme gegen die Armut« über alle möglichen Aktionen gesprochen. Der deutsche Ableger der weltweiten Kampagne wird von Herbert Grönemeyer, Claudia Schiffer und zahlreichen Prominenten unterstützt; man will erreichen, dass die Bundesregierung, der Gastgeber von Heiligendamm, mit gutem Beispiel im Kampf gegen die globale Armut voranschreitet.

DIE ZEIT: Vor zwei Jahren, beim G8-Gipfel im schottischen Gleneagles, haben die großen Wirtschaftsmächte beschlossen, ihre Entwicklungshilfe bis 2010 auf 50 Milliarden Dollar jährlich zu verdoppeln, die Hälfte davon für Afrika. Wenn man sich die Statistiken Ihrer Organisation Data anschaut, dann liegt Deutschland weit hinter seinen Zusagen zurück.

Bono: Es macht uns in der Tat große Sorgen, dass die Selbstverpflichtungen von Gleneagles nicht eingelöst werden. Wir dachten, wenn es ein Land gibt, das seine Versprechen hält, dann ist es Deutschland. Ich mag die Deutschen, aber selbst Leute, die das nicht tun, glauben das. Es wäre ein Desaster, wenn die deutsche Regierung nicht zu ihrem Wort stünde, auch weil es die anderen Regierungen nachmachen würden. Es wäre ein moralischer Bankrott, der im Süden viele Menschen das Leben kosten würde. Weil sie keine Medikamente gegen HIV/Aids haben. Oder weil es an Moskitonetzen fehlt, um sich vor Mückenstichen zu schützen. 3000 Kinder sterben jeden Tag an Malaria – und das im 21. Jahrhundert.

ZEIT: Alle Hoffnungen richten sich also auf den G8-Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm, auf unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Sie einmal eine »sehr weise Frau« genannt haben.

Bono: Ja, das ist sie. Weil sie die Unterstützung für Afrika nicht nur als moralischen Imperativ sieht, sondern auch als geopolitische Notwendigkeit. Denn da gibt es die Chinesen, die quasi den ganzen Kontinent kaufen – Öl, Gas, Bodenschätze aller Art – und in ressourcenreichen Ländern wie dem Sudan einen schlechten Einfluss ausüben. Im Ölstaat Nigeria schreitet die Islamisierung voran, dort entsteht ein Mini-Irak. Somalia ist ein lehrreiches Beispiel dafür, was passiert, wenn wir ein Land alleinlassen. Es wäre also ziemlich dumm, wenn wir die Entwicklungen auf unserem Nachbarkontinent nicht beachten würden. Unsere Hilfe ist ein sehr gutes Investment. Es rettet Menschenleben, es verhindert, dass Staaten kollabieren. Das weiß Frau Merkel, sie denkt strategisch.

ZEIT: Die Kanzlerin macht also nicht nur die üblichen Lippenbekenntnisse?

Bono: Keineswegs. Aber die Frage ist, wie wandeln wir ihre guten Absichten in hartes Geld um? Denn die Entscheidung, seinen Nachbarn zu helfen, ist sehr unpopulär. Hey, heißt es gleich, wir haben doch selber jede Menge Probleme. Die Politiker müssen also sehr viel Mut haben, und sie brauchen kräftigen Rückenwind. Der kommt in Deutschland von einer wachsenden Bewegung, vor allem von der Kampagne »Deine Stimme gegen Armut«, die von Hilfsorganisationen und Herbert Grönemeyer getragen wird.

ZEIT: Sie sprachen einmal vom Merkel-Ballack-Effekt. Werden wir ihn in Heiligendamm spüren?

Bono: Das liegt auch an uns. Wir müssen raus auf die Straße, wir müssen Lichterketten organisieren, wir müssen allen Politikern beibringen, dass dieser Gipfel von höchster Wichtigkeit ist. Wir müssen die Jugendkultur erreichen, ich selber komme mir manchmal wie ein Langweiler vor, wenn ich mitten unter den Fans von Tokio Hotel bin, wie neulich bei der Echo-Verleihung hier in Berlin. Aber diese Teenager sind begeistert, wenn ich ihnen erzähle, dass durch den Schuldenerlass für die ärmsten Länder, den Deutschland vor acht Jahren angestoßen hat, in Afrika 20 Millionen Kinder mehr in die Schule gehen können. Sie spüren, dass es etwas bringt, wenn man sich engagiert. Am Ende kamen die Musiker von Tokio Hotel auf mich zu und sagten, sie wollen auch was tun. Das ist ermutigend. Da zeigen sich neue Deutsche, die nicht mehr die Lasten der Vergangenheit mit sich herumschleppen. Sie sind stolz auf ihr Land. Bei der Fußball-WM haben sie wie die Brasilianer getanzt.

ZEIT: Vorhin war die Rede von moralischen und strategischen Motiven. Was treibt Sie eigentlich an?

Bono: Darüber habe ich aufgehört nachzudenken. Denn ich bin an einen Ort gegangen, an dem ich eigentlich gar nicht sein will. Ich habe jetzt die schrecklichste Rolle, die man sich denken kann: Ich bin ein vernünftiger Mann geworden. Aber unter der Oberfläche ist viel Zorn, und am allermeisten regt mich die Dummheit auf. Doch ich habe mir gute Manieren zugelegt. Ich denke strategisch und weiß, um eine Fußballanalogie zu gebrauchen, wie man aus dem Mittelfeld eine Abwehr überwindet und den Ball ins Tor schießt. Mir begegnen viele kluge und begabte Leute, aber sie tun einfach nichts. Ich versuche, die Dinge aus ihrer Sicht zu betrachten, um unsere Sache voranzubringen. Da geht es mir nicht nur darum, aus potenziellen Feinden Freunde zu machen. Ich fühle mich dabei einfach mitten im richtigen Leben.

ZEIT: Wie eine singende Mutter Teresa im Elend der Welt?

Bono: Oh, das tut weh! Sie hatte eine gute Stimme, aber wir haben nicht die gleiche Stimmlage. Ich bin ein Punkrocker und kein Hippie, der Händchen hält und vom Wunschdenken geleitet wird. Ich mache Deals, ich will, dass etwas vorangeht. Ich habe viel mehr vom Sänger von The Clash, Joe Strummer, als von Mutter Teresa.

ZEIT: Sieht nicht so aus.

Bono: Ich trage die Arbeitskluft meiner Gegner. (Bono zeigt auf sein schwarzes Jackett und auf das anthrazitfarbene Hemd darunter.) Ich kleide mich wie ein Banker… Kennen Sie das Buch We have met the enemy, and they are partly right (»Wir trafen unsere Gegner. Und sie haben teilweise recht«) von Anthony Campolo? Es hat mir geholfen, die Widerstände in unserem Kampf zu verstehen.

ZEIT: Ein Beispiel?

Bono: Nehmen wir die Korruption, eines der größten Hindernisse der Entwicklungshilfe. Die Leute glauben einfach nicht mehr, dass ihr Geld für vernünftige Zwecke ausgegeben wird. Sie denken, es fülle nur die Taschen von Präsidenten.

ZEIT: Oder von Tyrannen wie Bokassa, der in goldenen Betten schlief.

Bono: Genau. Aber diese Beispiele stammen alle aus dem Kalten Krieg, als wir, der Westen, ganz bewusst Despoten und Diebe finanzierten. Weil sie keine Kommunisten waren. Aber ich sage es noch mal: Korruption ist das größte Problem in Afrika, noch vor der Aids-Pandemie.

ZEIT: Und was können wir dagegen tun?

Bono: Wir sollten aufhören, die Entwicklungshilfe in Form von Blankoschecks zu geben. Das ist hinausgeworfenes Geld. Und es ist blauäugig. Wir von Data unterstützen hingegen ganz gezielte Hilfe. Sie soll Länder belohnen, die sich durch gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und Transparenz auszeichnen. Wir wollen ganz genau sehen, wohin das Geld fließt.

ZEIT: Geht das überhaupt?

Bono: Nehmen wir den Global Fund to Fight Aids, TB and Malaria und seine Arbeit in Uganda. Kritiker haben gesagt, schaut doch, das funktioniert nicht, da werden Mittel veruntreut. Gerade dieses Exempel zeigt, dass man gelernt hat. Als nämlich der Global Fund nicht mehr nachvollziehen konnte, wo wie viel ausgegeben wurde, hat er sich erst einmal zurückgezogen: Kein Geld mehr für Uganda. So muss es sein. Hilfe sollte von Fall zu Fall als Zuckerbrot oder als Peitsche eingesetzt werden.

ZEIT: Das dürfte Präsident Mugabe, der gerade Simbabwe ruiniert, ziemlich egal sein. Wie gehen wir mit Diktatoren seines Schlages um?

Bono: Ich habe Mugabe vor Jahren getroffen. Er hat übrigens einen unglaublichen Gang. (Bono steht auf und äfft die Gangart des simbabwischen Präsidenten nach.) Heute könnte ich den Mann nicht mehr treffen, es würde mir körperliches Unbehagen bereiten. Ich muss mich in dieser Frage manchmal sehr zurückhalten. Einmal war ich auf einer Tagung der Staatschefs aus dem südlichen Afrika. Sie verloren kein Wort über die Vorgänge in Simbabwe. Der Präsident von Malawi sagte mir: »Täusch dich nicht, wir haben die ganze Nacht darüber gestritten, was wir tun können. Aber wenn es dann zum Schwur kommt, ist keine Kritik mehr zu hören.«

ZEIT: Die Nachbarländer bevorzugen weiche Diplomatie.

Bono: Aber die funktioniert nicht. Wir sind nicht mehr bereit, diese Strategie zu akzeptieren, es sterben zu viele Leute. Das weiß unterdessen auch der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki, er muss jetzt endlich handeln, er hat den größten Einfluss. Aber dann sitzen sie wieder beisammen, die afrikanischen Männer, und sie sind wie irische Männer, sie lassen sich nichts vorschreiben. So konnte es geschehen, dass Mugabe die Nepad-Initiative (das ehrgeizige kontinentale Selbsterneuerungsprogramm Afrikas, Anm. d. Red.) ganz alleine zerstört hat.

ZEIT: Trotzdem fordern Sie einen Marshallplan für Afrika. Aber sind nicht all unsere schönen Entwicklungsmodelle in den letzten fünfzig Jahren jämmerlich gescheitert?

Bono: Wir sollten die Hilfe während des Kalten Krieges ausklammern und über die letzten zehn bis fünfzehn Jahre reden. In dieser Zeit gab es einen bemerkenswerten Wandel der Entwicklungsstrategien, viele Projekte sind seither gelungen, die Effizienz hat sich erhöht. Mein Lieblingsbeispiel ist der Brunnen, den eine Hilfsorganisation gebaut hat, damit die Frauen nicht mehr meilenweit zum Wasserholen gehen müssen. »Wir haben die Lösung«, sagten die Experten und setzten einen Brunnen mitten ins Dorf. Schon bald stellten sie erstaunt fest, dass ihn niemand benutzte. »Was ist los? Sind sie dumm?«, fragten sich die Helfer. Das Problem war, dass die Frauen den langen Weg zum Brunnen gehen wollten, denn das war die einzige Zeit, in der sie unter sich waren, weg von ihren Männern. Also verlegten die Helfer den Brunnen an eine Stelle außerhalb des Dorfes. Was lehrt uns das? Wir müssen den Menschen einfach mehr zuhören. Auch der Schuldenerlass für die ärmsten Länder beweist, dass Entwicklungshilfe funktioniert. Da wurden Mittel frei, um Schulen zu bauen. Die Schulen kann man besichtigen. Das ist der einzige Weg, um die Leute von einer Erhöhung der Hilfe zu überzeugen: wenn sie sehen, dass sie nicht versickert. Auch im Bereich HIV/Aids gab es Fortschritte. Vor fünf Jahren hieß es auf dem G8-Gipfel noch, antiretrovirale Medikamente seien in Afrika nutzlos, weil die Afrikaner sie nicht regelmäßig einnähmen. Ein Spitzenmann von USAID aus Washington sagte mir: Die haben doch nicht mal Armbanduhren, was sollen sie denn mit dieser Medizin anfangen? Heute wissen wir, dass die Therapietreue von Afrikanern oft besser ist als von Europäern oder Amerikanern. Ich sagte damals zu dem Offiziellen von USAID: Man kann in der hintersten Ecke Afrikas eine kalte Cola oder ein Guinness kriegen, es sollte also möglich sein, die Medikamente dorthin zu liefern. Dieses Argument hat die konservative Regierung in Washington überzeugt.

ZEIT: Und seither mögen Sie Präsident George Bush mehr, als Sie es sich je hätten vorstellen können…

Bono: Mittlerweile sind die Amerikaner im Kampf gegen Aids weltweit führend. Das ist eines der wenigen guten Dinge, für die Bush Applaus verdient. Ich sagte ihm: Mr. President, malen Sie die Pillen rot, weiß und blau an, wenn es sein muss. Aber sie sind die beste Werbung, die Sie für Ihr Land machen können. Vor vier Jahren waren 50000 Afrikaner in antiretroviraler Behandlung, heute sind es über eine Million.

ZEIT: Die Ausgaben für die Pillen sind im Vergleich zu den Milliarden, die im Irak verpulvert werden, nur Peanuts.

Bono: Dazu muss ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Eines Sonntags rief mich ein amerikanischer Vier-Sterne-General privat an. Er wollte wissen, was wir so tun. Und dann sprach er vom Einsatz der Marine vor der libanesischen Küste, von Hightechwaffen wie Cruise-Missiles, die Milliarden kosten. Und dann sagte er: Aber wir verlieren den Krieg, weil Hamas Schulen baut. Seine Formel lautet: Stabilität gleich Sicherheit plus Entwicklung. Wenn ein US-Militär, ein Vier-Sterne-General, so etwas sagt, weiß man, dass sich die Welt bewegt. Bleiben wir beim Thema Erziehung. Ich war gemeinsam mit dem britischen Schatzkanzler Gordon Brown in Abuja in Nigeria. Wir besichtigten eine Schule, die Kinder sangen und tanzten, das Übliche. Im Sozialkunde-Unterricht fragte Gordon die 15-jährigen Schüler, was sie unter Demokratie verstünden. Die Antworten hörten sich unglaublich aufgeklärt an. Und Gordon sagte zum mir: »Siehst du, Bono Education! Education! Education!« (»Bildung! Bildung! Bildung!). Und ich warf ein: »Aber was ist mit den Kindern oben in Nordnigeria, denen Extremisten eintrichtern, uns zu hassen?« Man kann Kindern nicht beibringen, westliche Werte zu schätzen. Aber wir können sie lehren, frei zu denken.

ZEIT: Einverstanden. Dennoch gibt es den »Fluch der guten Tat«. Man hat immer wieder festgestellt, dass zu viel Hilfe die eigenen Anstrengungen der Empfänger eher drosselt.

Bono: Was halten Sie von Ausbildungsbeihilfen für kluge Kinder aus armen Stadtvierteln? Sind sie abhängig von der Hilfe? Ja, das sind sie. Aber hören wir deswegen auf, diese Kinder zu fördern? Das Gleiche gilt für Länder, die sich vielversprechend entwickeln und eigene Strategien der Armutsbekämpfung umsetzen. 100 Millionen Kinder auf der Welt wollen in die Schule gehen und können es nicht. Die britische Regierung ließ ausrechnen, dass ihre Einschulung ungefähr zehn Milliarden Dollar pro Jahr kosten würde. Diese Zahl muss man sich vor Augen halten: zehn Milliarden Dollar, um die Welt zu ändern.

ZEIT: Der amerikanische Entwicklungsökonom William Easterly fordert: Gebt weniger Hilfe eine Chance, weniger und besserer Hilfe.

Bono: Wir brauchen mehr und bessere Hilfe. Ich kann den Querdenker Easterly gut verstehen; was die Vergangenheit betrifft, sind seine Analysen ja nicht falsch. Aber mit den neueren Entwicklungen halten sie nicht mehr Schritt. Wir sollten nicht vergessen, dass heute 5.000 Afrikaner an Aids sterben und morgen wieder 5.000 und übermorgen wieder. Denen muss Easterly erklären, dass weniger Hilfe besser für sie ist. Ich habe ja nichts gegen Polemiker, aber wir brauchen weniger von ihnen und bessere.

ZEIT: Dafür werden die Prominenten, die den Planeten retten wollen, immer mehr. Wole Soyinka, der nigerianische Literaturnobelpreisträger, sagte mal zur ZEIT, er könne diese »neuen Missionare« nicht ausstehen. Sie würden nur helfen, um sich selbst zu helfen.

Bono: Ich hoffe, er denkt das nicht über mich.

ZEIT: Es fielen die Namen Bob Geldof, Angelina Jolie, Brad Pitt, Madonna…

Bono: Ich denke, manche dieser Leute machen unglaubliche Dinge, damit sie die Welt, in die sie hineingeboren wurden, als besseren Platz verlassen. Mir ist es völlig egal, ob ihre Motive echt oder unecht sind. Selbst wenn sie noch so egomanisch auftreten, juckt mich das nicht. Was spielen die Beweggründe für eine Rolle, wenn die Ideen gut sind? Würden wir im Ernst einen Torjäger fragen, ob seine Tore von Herzen kommen? Ich kann den Einwand von Soyinka wirklich gut verstehen, und ich kenne das Unbehagen meiner afrikanischen Freunde. Sie sehen, wie ihr Kontinent, ihr Land, als Tragödie zur Schau gestellt wird. Es ärgert sie, denn die Afrikaner sind großmütige, stolze, unternehmungslustige und sehr begabte Leute. Natürlich regt es mich auf, dass ich manchmal selber über diese Tragödie rede. Aber man muss die Not dramatisch darstellen, sonst hört keiner zu. Darüber vergessen wir allerdings oft die Erfolgsgeschichten. Wir sollten anfangen, Afrika mehr als Chance zu sehen und weniger als Bürde. Auch deshalb kann ich nachvollziehen, warum sich Afrikaner über verwöhnte, verdorbene, reiche Rockstars ärgern. Vor allem wenn sie auf Pressebildern neben den armen Menschen posieren.

ZEIT: Bevorzugt mit ausgehungerten Kindern auf dem Arm.

Bono: Ja, ich fühle mich dabei auch ziemlich unwohl. Ich weiß, dass diese Fotos unfair und heuchlerisch sind. Trotzdem: Ich bin eben auch der, der darauf abgebildet ist. Ein unerträglicher Gutmensch wäre ich erst dann, wenn ich mein ganzes Geld im Glauben, die Welt retten zu können, verschenken würde. Dann wäre das Mutter-Teresa-Syndrom total außer Kontrolle geraten. Ich hoffe, in meiner Haltung aufrichtig zu bleiben. Ich engagiere mich für benachteiligte Menschen, dann komme ich nach Hause und lebe wieder in üppigen Verhältnissen. Das bin ich. Also: Shoot me! (»Erschieß mich!«)

ZEIT: Spornt Sie dieser Widerspruch an?

Bono: Über meine Motivation haben wir schon gesprochen. Ich will sie noch mal an einem Beispiel verdeutlichen. 1985, während der großen Hungersnot in Äthiopien, arbeitete ich zusammen mit meiner Frau in einem Waisenheim im Norden des Landes. Eines Tages bot mir ein Vater seinen Sohn an. Er sagte: »Nimm ihn bitte mit, dann wird er ein gutes Leben haben. Wenn er hierbleibt, wird er sterben.« Dieser Sohn war sein Ein und Alles, er wollte ihn mir übergeben.

ZEIT: Haben Sie überlegt, das Kind mitzunehmen?

Bono: Ja, selbstverständlich. Deswegen verurteile ich es auch nicht, wenn Angelina Jolie oder Madonna Kinder adoptieren, das ist fantastisch. Aber ich versuche, eine Welt zu gestalten, in der dieser äthiopische Vater seinen Sohn nicht abgeben muss, in der Kinder nicht an Hunger sterben müssen.

ZEIT: Sie sammeln Millionen von Milliardären – ist das eine Art Ablass, den die Superreichen zahlen?

Bono: Für mich sind das Helden. Ohne die Unterstützung von Leuten wie Bill Gates könnten wir nicht das tun, was wir tun. Ich mag an ihm, dass er im philanthropischen Sektor genauso strikt handelt wie im ökonomischen. Er ist ein harter Hund, er gibt uns viel Geld und will genau wissen, wo jeder einzelne Penny hingeht. Ich wiederhole mich: Die Motive von Gebern interessieren mich nicht. Wir wollen unseren Job erledigen, es geht nicht um einen Wettbewerb der goldenen Herzen.

ZEIT: Noch einmal zum Charitainment, also zur Verbindung von Wohltätigkeit und Unterhaltungsindustrie…

Bono: Sie sind hartnäckig! Roll on, weiter so!

ZEIT: Es ist ja nicht neu, dass Prominente wohltätig wirken. Aber oft ist das eben nur Teil einer ausgebufften PR-Strategie.

Bono: Noch mal: Wenn Leute versuchen, Aufmerksamkeit für die Nöte anderer Menschen zu erwecken, dann spende ich Beifall. Es ist so ähnlich wie beim Sex. Woody Allen hat einmal gesagt: So etwas wie schlechten Sex gibt es nicht. Die Motive der Stars scheren mich nicht. Und die schlechten Witze, die über sie gemacht werden, auch nicht.

ZEIT: Zum Beispiel von Sinéad O’Connor. Sie hat Ihnen einmal vorgeworfen…

Bono: …geboren worden zu sein!

ZEIT: …mit Politikern ins Bett zu gehen.

Bono: Ich mache Politiker an, aber ich habe keinen Sex mit ihnen.

ZEIT: Aber es kann doch gefährlich sein, wenn man mächtige Männer allzu oft umarmt, oder?

Bono: Nur für mein Image, nicht für mich. Es mag ja ziemlich uncool und nicht besonders hip sein, wenn ein Rockstar in eine solche Umklammerung geht, und ich weiß, dass meine Band U2 so denkt. Es gibt auch Leute, die mich regelrecht angebettelt haben, mich nicht auf Fotos mit Politikern zu zeigen. Aber ich habe immer gesagt, dass ich mich mit Luzifer zum Lunch treffe, wenn es unserer Sache dient.

ZEIT: Dient es auch der Sache, wenn, wie im letzten Jahr geschehen, U2 ihren Steuersitz von Irland in die Niederlande verlegen? Ein irischer Kommentator schrieb: Die wollen einen Freibrief.

Bono: Das ist einfach nicht wahr. Wir haben eine Menge Steuern gezahlt. Und ich kenne kein einziges Unternehmen, das mehr Steuern zahlt, als es zahlen muss. Nebenbei bemerkt: Einer der Gründe für Irlands großen Wohlstand ist die Steuerreform. Die Regierung ermutigte uns alle, in Steuerfragen innovativ zu sein. Es geht hier also nicht um Scheinheiligkeit. Abgesehen davon, zahlen wir als Band immer noch eine Menge Steuern. Die Leute verstehen nicht, dass wir das meiste Geld außerhalb Irlands verdienen und dass wir überall auf der Welt zahlen. Muss man denn ein Idiot sein, wenn man Musiker ist? Muss man mit einer Kanüle im Arm herumrennen, nur um den romantischen Todeskult zu bedienen? Wenn es ums Image geht, dann bin ich lieber ein harter Geschäftsmann als Mutter Teresa.

ZEIT: Besten Dank für das Gespräch.

Bono: Es war großartig. Wie bei der spanischen Inquisition.

Das Gespräch führten Bartholomäus Grill und Ulrich Post

Bono
Eigentlich heißt er Paul David Hewson und wurde 1960 in Dublin geboren. Er ist der Sohn einer protestantischen Mutter und eines katholischen Vaters. Bereits in der Schule spielte er Gitarre und gründete eine Theatergruppe. Seine Freunde gaben ihm den Spitznamen »Bono Vox« (lat. »gute Stimme«). Daraus wurde dann sein Künstlername Bono.

Mit dem Album »The Joshua Tree« (1986), das sich innerhalb von zwei Jahren 13 Millionen Mal verkaufte, wurde seine Band U2 weltweit bekannt. Zuletzt erschien »How to Dismantle an Atomic Bomb«.
Der Sänger engagiert sich seit mehr als zwanzig Jahren für die Armutsbekämpfung. Zum Fototermin in Berlin hatte er eine große Uhr mitgebracht, auf der es bereits zwei vor zwölf ist.

© DIE ZEIT, 12.04.2007 Nr. 16