Stichworte zum Verhältnis zwischen Rostocker Bündnis und dem dissent/campinski-Spektrum

Wie angekündigt, möchten wir einige Anmerkungen zum Verhältnis machen, das derzeit zwischen dem dissent/campinski-Spektrum und dem politisch sehr viel breiter angelegten Rostocker Anti-G8-Bündnis existiert (zuweilen ist bei Letzterem auch vom Hannoveraner G8-Koordinierungskreis die Rede, und zwar deshalb weil sich das Rostocker Bündnis immer in Hannover trifft). Hintergrund ist, dass gerade in jüngerer Zeit immer wieder zahlreiche Gerüchte über die Hannoveraner Zusammenkunft die Runde gemacht haben, nicht zuletzt auf dieser (mehr oder minder verschlafenen) Mailingliste. Die Rede ist von Kungelei', Führungsfiguren', Domestizierung des Anti-G8-Widerstands mit Grönemeyers Hilfe', in Kauf genommener Ausgrenzung des Anti-Castor-Widerstands' etc.etc.

Aus unserer Sicht ist es angesagt, diesen Gerüchten bzw. Stellungsnahmen (inklusive Schlussfolgerungen) klar und deutlich zu widersprechen:
Erstens weil sie die vorgebliche Macht einzelner Gruppen und Personen aus dem Rostocker Bündnis ins Grotesk-Mystifizierende überhöhen,
zweitens weil all das, was die reale Stärke von dissent/campinski ausmacht, auf geradezu tragische Weise unter den Scheffel gestellt wird,
drittens weil die Mit-Verantwortlichkeit geleugnet wird, die das dissent/campinski-Spektrum als Ganzes an einigen der kritisierten Abläufe bzw. Entscheidungen hat (z.B. was die zeitlich parallele Terminierung von Alternativgipfel und Blockade-Aktionen betrifft) und
viertens weil (als Schlussfolgerung aus all dem) der politischen Trennung zwischen dissent/campinski und dem Rostocker Bündnis mehr oder weniger offensiv das Wort geredet wird.

Es würde zu weit führen, auf sämtliche Aspekte einzugehen, die mensch in diesem Zusammenhang ansprechen könnte. Wir möchten stattdessen kurz skizzieren, wie sich das Rostocker Bündnis entwickelt hat und was diese Entwicklung mit (Nicht-)Positionierung bzw. (Nicht-)Partizipation seitens des dissent/campinski-Spektrums zu tun hat. Fixpunkt dieses Abrisses ist weniger die Vergangenheit. Denn anders, als es immer wieder den Anschein hat, sind unglaublich viele Dinge für nächstes Jahr noch überhaupt nicht ausdiskutiert geschweige denn geklärt, auch im Hinblick auf die so genannte Gesamtchoreografie des Widerstands. Unser Ziel ist deshalb, konkret die Punkte zu benennen, bezüglich derer sich die im dissent/campinski-Spektrum versammelten Gruppen und Einzelpersonen möglichst schnell einen Kopf machen sollten, auf dass die nächsten 9 Monate in Sachen Bündnispolitik anders verlaufen können als die vergangenen 10 Monate - vor allem, was die personelle und politische Beteiligung von dissent/campinski an den Planungen des Gesamt(!)Widerstands betrifft.

Das Rostocker Bündnis (und somit der so genannte Hannoveraner G8-Koordinierungskreis) trifft sich seit knapp 1 Jahr. Bis Anfang September 2006 sind bei den Treffen selten mehr als 20 Leute dabei gewesen. Kontinuierlich beteiligt waren zunächst attac, Gruppen aus dem Friedensspektrum, Interventionistische Linke (Libertad, avanti und fels), antirassistische Gruppen (NoLager Bremen, kein mensch ist illegal/Hanau) sowie VertreterInnen einzelner NGOs, Parteien, Gruppen etc. (u.a. WASG, Grüne Jugend, Erlassjahr, medico, X-tausend-VertreterInnen, six hills etc). Mit anderen Worten: Auch wenn das Rostocker Bündnis eigentlich auf große Breite angelegt ist, konnte das in den ersten 10 Monaten kaum realisiert werden, der Kreis ist stattdessen lange äußerst überschaubar geblieben und die, die faktisch dabei waren, standen eher für eine (auf den gesellschaftlichen Mainstream bezogen) reichlich linke Ausrichtung.
Grundsätzlich können die bislang ca. 6 bis 8 wöchentlichen Treffen des Rostocker Bündnisses als stark ergebnisorientiert charakterisiert werden, was auch damit zu tun hat, dass sie immer nur 1/2-tägig von 11.00-16.30 Uhr stattfinden. Kritisch formuliert könnte mensch auch sagen, dass die Treffen einen immer wieder technokratischen Anstrich haben: Vieles wird nur andiskutiert, stattdessen wird immer wieder schnell auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und somit konkreten Output fokusiert (diese Tendenz macht sich vor allem in jünger Zeit zunehmend bemerkbar und wurde bereits von verschiedenen Leuten bemängelt - wir werden diesen Punkt innerhalb des Rostock-Bündnisses in den nächsten Tagen ebenfalls noch ausführlich ansprechen).
Die klare Ergebnisorientiertheit ist zweifelsohne der größte Unterschied zu dissent, wo ja Widersprüche mitunter viel Raum eingenommen haben - wir würden hinzufügen: bis hin zur Handlungsunfähigkeit wie etwa im Zuge des Leipziger Treffens.
Anfangs war die Ergebenisorientiertheit des Rostocker Bündnisses vor allem auf die erste Rostocker Aktionskonferenz gerichtet, seitdem hat sich die Aufmerksamkeit ganz klar auf nächstes Jahr verschoben, weshalb auch die nächste Aktionskonferenz vom 10. bis 12. November 100 Prozent der Gesamtchoreografie des Widerstands während des G8-Gipfels gewidmet sein wird.
Die starke Fokusierung auf Juni 2007 innerhalb des Rostocker Bündnisses ist der Grund gewesen, weshalb AktivistInnen von Libertad, fels, avanti, NoLager Bremen und glocal Hanau bereits auf dem dissent-Treffen während der BUKO in Berlin immer wieder darauf gedrängt haben, dass sich auch dissent stärker mit 2007 beschäftigen sollte, als das bis dato der Fall gewesen ist. Konkret hatten wir vorgeschlagen, insbesondere über die geplante Großdemo und die bereits damals beabsichtigte Parallelität von Alternativgipfel und Blockade-Tage zu diskutieren. Das Argument lautete: Wenn �wir' nicht bald aus dem Knick kommen, werden die �anderen' ohne uns entscheiden bzw. Pflöcke einschlagen.
Wer sich erinnern kann bzw. andere fragen möchte (es sind bei besagtem dissent-Plenum im Mai weit mehr als 100 Leute anwesend gewesen), wird noch wissen, dass dieses Gespräch eine vergleichsweise zähe Angelegenheit gewesen ist. Denn nur den wenigsten stand der Kopf wirklich danach, sich �bereits' damals mit Juni 2007 beschäftigen zu sollen, der allgemeine Tenor ging vielmehr in die Richtung, dass eine entsprechende Debatte noch nicht anstünde; außerdem wiesen zahlreiche Leute darauf hin, dass ihnen weder Großdemo noch Alternativgipfel politisch sonderlich wichtig seien. Immerhin verständigte sich das Plenum am Ende doch noch auf das einhellige Votum, dass der Alternativgipfel nicht während des G8-Gipfels stattfinden möge.
Einzig: Allen Überzeugunsversuchen zum Trotz, auch nach dem dissent-Treffen auf der BUKO wollte sich außer den bereits aktiven Gruppen weiterhin keine der dem dissent-Spektrum zugehörigen bzw. nahe stehenden Gruppen innerhalb des Rostocker Bündnisses einbringen, was natürlich auch konkrete Auswirkungen hatte - unter anderem, was den Zuschnitt des Alternativgipfels betrifft (siehe unten).
Es folgte das campinski-Camp, wo das dissent/campinski-Spektrum in unseren Augen erstmalig zeigte, was wirklich in ihm steckt, sowohl politisch als auch personell (oder welches Spektrum hatte in Sachen G8 bis dahin derart viele Leute derart lange zu derart vielen und unterschiedlichen Veranstaltungen, Treffen, Aktionen, Vernetzungen etc.etc. zusammengebracht!?!). Diese politische Produktivität machte sich nicht zuletzt daran bemerkbar, dass das dissent/campinski-Spektrum im August erstmalig und über viele Tage hinweg konzentriert Fragen diskutierte, welche die nächstjährige G8-Choreografie berühren (vgl. Protokoll Abschlussplenum). Allein: Auch nach dem campinski-Camp ging es weiter wie gehabt: Einmal mehr sind auf den beiden September-Treffen des Rostocker Bündnisses kaum neue Leute aus dem dissent/campinski-Spektrum dazugestoßen, d.h. die während des campinski-Camps entstandene Energien (inklusive politisch-symbolischer Legitimitätsgewinne) wurden schlicht nicht in konkrete Beteiligung und handfesten Einfluss übersetzt; stattdessen ist dissent/campinski als politischer Gesamtzusammenhang (Achtung: wir sprechen nicht von den vielen dissent/campinski-AG's etc.!!!) wieder in sich zusammengefallen und somit im Rostocker Bündnis weiterhin unterrepräsentiert geblieben, ein Umstand, der ja auch an der Verwaistheit der diversen übergreifenden dissent/campisnki-Mailinglisten ablesbar ist). Das wiederum hat sich ungünstig mit der Tatsache überschnitten, dass das Rostocker Bündnis seit Anfang September erheblich an Schwung zugenommen hat. Konkret: Seit der Sommerpause hat sich die TeilnehmerInnen-Zahl verdoppelt, inzwischen sind auch eine ganze Reihe NGOs mit an Bord (wenn auch mit teilweise angezogener Handbremse).

Lässt mensch all dies Revue passieren, dürfte deutlich werden, wie absurd viele der gegen das Rostocker Bündnis erhobenen Vorwürfe sind: Mensch kann doch nicht die Teilnahme an einem Bündnis verweigern (ja dieses stillschweigend boykottieren - allen immer wieder auf dissent/campinksi-Treffen ausgesprochenen sowie via Mailingliste verschickten Einladungen bzw. Partizipationsaufforderungen zum Trotz), zugleich aber erwarten, dass die Beteiligten dieses Bündnisses im Kern Beschlüsse fällen, die auf der eigenen politischen Linie liegen; vor allem kann mensch dies nicht von Gruppen und Menschen erwarten, die mit bekanntlich �anderen' politischen Ausrichtungen, Schwerpunktsetzungen und Analysen unterwegs sind!!! Mit anderen Worten: Beschlüsse sind das Ergebnis von Kompromissen unter all jenen Beteiligten, die sich aktiv in den Prozess der Beschlussfassung miteinbringen - und dies sollte auch als das Recht der Beschließenden akzeptiert werden, zumindest dann, wenn es prinzipiell möglich gewesen ist, sich mit den eigenen Ideen und Interessen zu beteiligen (ein Kriterium, welches die G8 nicht erfüllen, das Rostocker Bündnis aber durchaus). Und wenn das so ist, kann es halt passieren, dass mensch es mit Beschlüssen zu tun hat, die einem/r nicht gefallen, die aber anders hätten ausfallen können, wäre mensch selber aktiv geworden. Was das konkret heißt, möchten wir anhand des Alternativgipfels skizzieren:
Gleich nach dem dissent-Treffen auf der BUKO hatten NoLager Bremen und kein mensch ist illegal/Hanau einen längeren Brief an das Rostocker Bündnis verfasst. Dort haben wir - nicht zuletzt unter Bezug auf das entsprechende dissent-Votum - all die Argumente aufgezählt, die in unseren Augen gegen eine unmittelbare Parallelität von Alternativgipfel und Straßenprotest sprechen. Wir haben das getan, weil wir bis heute das Interesse haben, während des G8-Gipfels mit eigenen Veranstaltungen rund um Flucht & Migration an die Öffentlichkeit zu treten (wer den Brief nachlesen möchte, wende sich bitte an uns). Allein: Mit diesem Brief haben wir einigermaßen Schiffbruch erlitten, denn alle anderen an der Vorbereitung des Alternativgipfels beteiligten Personen und Gruppen fanden unsere Argumente nur eingeschränkt überzeugend. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass wir von den ins Feld geführten Gegenargumenten nicht wirklich überzeugt waren, aber das nützte nichts, wir waren die einzigen, die das anders gesehen haben und hatten noch nicht einmal Zeit, auf das entscheidende Treffen zu fahren, wo speziell über den Alternativgipfel beratschlagt wurde. Nun stimmt es natürlich auch, dass die am Alternativgipfel interessierten Gruppen und Personen nicht sonderlich erbaut gewesen wären, hätte es ungleich mehr Leute gegeben, die sich in unserem Sinne aktiv am Diskussionsprozess beteiligt hätten - am besten auch durch physische Präsenz. Aber das sollte den Betreffenden nicht zum Vorwurf gemacht werden (was mensch immer darüber denken mag), denn letztlich haben natürlich alle das Recht, ihre eigenen Interessen offensiv zu vertreten. Stattdessen sollten sich all die, die jetzt so laut über die Terminierung des Alternativgipfels lamentieren, ernsthaft die Frage stellen, was sie denn während der entsprechenden Diskussionsprozesse gemacht haben (erinnert sei nur daran, dass sich auf der BUKO das Interesse an einem Alternativgipfel in starken Grenzen gehalten hat). Denn klar ist auch: Wären auf den Treffen, wo über den Alternativgipfel geredet wurde, zahlreiche Leute aus dem dissent/campinski-Spektrum dabei gewesen, dann hätte die Debatte einen anderen Verlauf genommen, dann hätte es auf jeden Fall eine anders ausgerichtete Lösung gegeben als jetzt, selbst wenn wir davon überzeugt sind, dass Teil des Kompromisses auf jeden Fall gewesen wäre, dass einige der NGOs auch während des Gipfels Gegenveranstaltungen anbieten hätten wollen (was sie ja jetzt auch tun); aber das wäre auch gar nicht schlimm gewesen: So wie jedeR das Recht hat, nicht zu den Protesten nach Heiligendamm zu fahren, so hat doch auch jedeR das Recht, für sich selbst zu bestimmen, wie sie bzw. er in Heiligendamm aktiv werden möchte. Dahinter sollte mensch nicht sofort das Interesse wittern, dass die Betreffenden Leute von der Straße ziehen wollten (500 aus mehreren Zehntausend - wo, bitte schön, ist das Problem?) oder dass beabsichtigt sei, das Bild zu bestimmen, welches von den Protesten in den Medien gezeichnet wird (wenn wir unsere �Aufgaben erfolgreich erledigen, wird auch über uns gesprochen werden, und dazu können durchaus auch eigene Veranstaltungen gehören, sei es ein oder zwei Tage vor Gipfelbeginn oder im weiteren zeitlichen Vorfeld). Vielmehr sollte mensch sich klar machen, dass viele NGOs schlicht und ergreifend eine andere politische Strategie verfolgen - und das schließt auch andere politische Vorgehensweisen mit ein. Die müssen überhaupt nicht gefallen, es wäre aber falsch, hieraus bereits die Schlussfolgerung zu ziehen, die Betreffenden stünden auf der anderen Seite des Ufers (was im übrigen nicht heißt, dass uns die jetzige Terminierung des Alternativgipfels egal wäre; nein, überhaupt nicht; wir hätten lieber eine andere Lösung gehabt; worum es uns geht, ist einzig, den Verschwörungstheorien unter vollständiger Ausblendung der eigenen Verantwortlichkeiten das Wasser abzugraben).

Mit dem Stichwort des anderen Ufers sind wir endgültig bei dem aus unserer Sicht entscheidenden politischen Punkt angelangt: Wir halten das Rostocker Bündnis für genauso wichtig, wie den Umstand, dass sich die einzelnen Spektren (dissent/campinski, Revolutionäres Bündnis, attac, NGOs, Inteventionistische Linke etc.) separat treffen. Denn so wenig die zahlreichen Differenzen geleugnet werden sollten (weshalb sich auch separat getroffen werden sollte), so sehr dürfte auch klar sein, dass die Linke gesamtgesellschaftlich nur dann eine Chance hat, wieder zum �treibenden' Akteur zu werden, wenn sie sich gezielt aufeinander bezieht. Keine gesellschaftliche Gruppe kann für sich in Anspruch nehmen, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse im Alleingang zu verschieben. Die radikale Linke ist auf Gruppen, Personen und Milieus angewiesen, die als Echoraum und Transformationsriemen fungieren (erinnert sei nur an das Verschwinden des in den letzten 10-15 Jahren oft zitierten linksliberalen Bürgertums). Umgekehrt brauchen auch NGOs & Co. eine radikale Linke, die Druck von links macht und auf diese Weise den Punkt des Kompromisses stetig nach links verschiebt. Wir möchten und können das an dieser Stelle nicht näher ausführen, aber die Argumente sollten ja eigentlich bekannt sein; verwiesen sei nur auf eine Vielzahl entsprechender Texte auf der www.gipfelsoli.org-website, auf die G8-extra-Zeitungen der interventionistischen Linken und das Abschlussprotokoll vom campinski-Plenum.
Konkret heißt das: Das dissent/campinski-Spektrum sollte endlich damit aufhören, immer neue self-fullfilling-prophecy-Runden zu drehen: Solange es keine starke Beteiligung von �unserer' Seite am Rostocker Bündnis gibt (es möge sich dazurechnen, wer immer möchte), solange wird das Rostocker Bündnis auch Ergebnisse produzieren, die �uns' nur zum Teil schmecken und die folglich geeignet sind, all jenen Vorurteilen zur Realität zu verhelfen, die ohnehin schon zirkulieren. Mit anderen Worten: Wir glauben, dass das dissent/campinski-Spektrum politisch zu mehr berufen ist, als sich identitär in die Schmollecke zu verkriechen und die vermeintliche Macht und Strippenzieherei der anderen zu beklagen. Denn keiner der bislang am G8-Protest beteiligten Zusammenhänge ist derart gut aufgestellt wie dissent/campinski - was auch kein Wunder ist, schließlich hat sich niemand der anderen derart oft mit derart vielen Menschen getroffen wie �wir', wozu im übrigen auch ein ungleich höheres Maß an politischer Debatte gehört, die bislang im dissent/campinski-Rahmen geführt wurde. All dies gilt es als politische Ressourcen zu nutzen, sowohl für die Debatte innerhalb der radikalen Linken als auch im Hinblick auf eine offensive Beteiligung am Rostocker Bündnisprozess. Wer demgegenüber jetzt zum politischen Rückzug bläst, der riskiert, dissent/campinski in die politische bzw. subkulturelle Isolation zu treiben und somit der Gefahr Vorschub zu leisten, dass deutlich weniger von dem rüberkommt, was rüberkommen könnte, würden wir uns selbstbewusst den Platz innerhalb des Gesamtbündnis nehmen, der uns gebührt (einmal abgesehen davon, dass eine derartige Selbstisolation das Vertun all der Chancen darstellen würde, die sich mit dem G8-Gipfel für die Linke hierzulande aufgetan haben).

Konkret: Es stimmt zwar, dass mittlerweile einige Eckpunkte in Sachen Gesamtchoreografie bereits mehr oder weniger festgezurrt sind. Hierzu gehört (vorbehaltlich dessen, dass nicht nochmal alles umgestoßen wird - was wir nicht glauben), dass es am Samstag, den 2. Juni, eine Großdemo in Rostock geben wird. Am 3. Juni soll es Aktionen beim Bombodrom geben (und vielleicht auch zu globaler Landwirtschaft). Am Montag, den 4. Juni rufen antirassistische Gruppen zu Aktionen auf, und ab Dienstag geht es mit den Blockaden los (u.a. in Rostock Laage). Am Dienstag-Abend beginnt auch der Alternativgipfel. Mittwoch dürfte klar sein - dort wird es unterschiedliche Formen von Blockaden geben. Am Donnerstag dürfte es auf jeden Fall mit Blockaden weitergehen, und auch ist am Donnerstag eine Demo zur Roten Zone (and more...) angedacht, gleichzeitig will am Donnerstag-Abend an einem noch unbekannten Ort Grönemeyer auftreten.
Das mag auf den ersten Blick so klingen, als ob alles bereits geplant wäre (und einige Beiträge versuchen ja auch immer wieder, in kritischer Absicht den Eindruck zu erwecken, dass dem tatsächlich so wäre). Allein: Wir glauben, dass das so nicht stimmt. Das wird spätestens deutlich, wenn mensch sich anguckt, was bislang alles nicht geplant ist: a) Welches Blockade-Konzept favorisieren wir und welches Camp/Info-Punkt-Konzept resultiert daraus? Hierzu gibt es auf der allgemeinen Ebene, d.h. außerhalb der Campgruppe, bislang vor allem den Diskussionsstand vom campinski-Camp und außerdem zwei aus unserer Sicht sehr schöne, erst jüngst verschickte Papiere von PAULA. Innerhalb des Rostock-Bündnis ist hierzu so gut wie nichts diskutiert worden, mit Ausnahme des Plans einer Massenblockade für Jedermensch. Dies sich klar zu machen, ist wichtig, vor allem, was das Camp/Info-Punkt-Konzept betrifft!!! b) Was passiert am Donnerstag, vor allem: wo soll am Donnerstag im Zusammenspiel mit den Blockaden welche Demo laufen? Auch hier ist im Rostock-Bündnis noch nichts besprochen worden. Der Donnerstag hat beim letzten Treffen vor allem hinsichtlich des Grönemeyer-Konzerts eine Rolle gespielt und Grönemeyers Presseerklärung, dass er nicht mit Widerstandsgruppen zusammenarbeiten wolle (was im übrigen alle Anwesenden erzürnt hat). Allein: Wir sollten das Grönemeyer-Konzert nicht all zu wichtig nehmen, es wird ein Faktor unter vielen sein. Ob es uns in unserem Bestrebungen nutzt oder nicht, können wir sehen, sobald klar ist, wo und um wieviel Uhr Grönemeyer spielt. c) Noch völlig unbesprochen ist der Freitag, wo ja der gesamte G8-Tross die Rote Zone wieder verlassen muss!!! d) Des weiteren gibt es keine Aussage darüber, ob und wie wir uns an der Großdemo beteiligen wollen, und auch müssten wir uns überlegen, ob und wann wir in einem gemeinsamen Camp zu zentralen thematischen Veranstaltungen einladen wollen - jenseits des Alternativgipfels (aus der antirassistischen Ecke haben wir uns diesbezüglich bereits einiges überlegt).
Spätestens jetzt dürfte klar werden, weshalb wir die Schreckensmeldungen für schlicht falsch halten, wonach das ach so ominöse Rostocker Bündnis bereits alles eingetütet habe. Die in Hannover sich treffenden Gruppen und Einzelpersonen kochen auch nur mit Wasser, was nicht nur grundsätzlich so ist, sondern auch damit zu tun hat, dass sie nicht sonderlich viele sind!!! Wir sollten das bei unseren Diskussionen in Osnabrück berücksichtigen...

Herzliche Grüße,

NoLager Bremen

P.S. Wir möchten abschließend noch zu zwei Dingen kurz Stellung beziehen, die in jüngerer Zeit immer wieder starkes Misstrauen in Richtung Rostocker Bündnis gesät haben:

a) Terminliche Überschneidung von Aktionskonferenz und Castor-Transport: Ursprünglich sollte die Aktionskonferenz bereits am 7. Oktober stattfinden. Hier hatten jedoch antirassistische Gruppen im Hinblick auf den europäisch-afrikanischen Aktionstag zu Flucht und Migration, der ja am 7. Oktober stattgefunden hat, Einspruch erhoben. Daraufhin sind wir jedes Wochenende im Oktober und November durchgegangen und mussten feststellen, dass jedes Wochenende politisch besetzt ist. Dass es sich beim 10.-12.11. um ein Castor-Wochenende handeln könnte, war uns sehr wohl bekannt. Unsere Überlegung ist indessen gewesen, dass ja der �Hauptgig' in Sachen Castor meist erst ab Sonntag-Abend losgeht (dass sich die ganze Sache dieses Mal nach vorne verschieben könnte, war schlicht nicht absehbar), und dass dies konkret heißen würde (weil ja ohnehin nie alle Zusammenhänge, Gruppen und Netzwerke in Komplettbesetzung bei einer Konferenz auflaufen), dass die interessierten Gruppen aus der Anti-Atom-Szene für 36 Stunden mindestens einige Delegierte nach Rostock schicken müssten. Uns erschien das ein vertretbarer Kompromiss zu sein, zumal es ja auch noch viele andere Unpässlichkeiten gegeben hat. Doch eines sei auch hier betont: An der Entscheidung waren durchaus einige Leute beteiligt, die in Sachen Castor eigene Aktien haben. Die Betreffenden haben aber keinen Einspruch erhoben; hätte es Leute gegeben, die den 10.-12.11. klar �blockiert' hätten, dann hätte an diesem Wochenende keine Aktionskonferenz stattgefunden, das ist sicher! Denn während der Terminsuche hat natürlich nicht zuletzt eine Rolle gespielt, wie stark die anwesenden (!) Gruppen bzw. Netzwerke ihre Interessen vertreten haben. Hier wäre mit anderen Worten durchaus Spielraum gewesen, womit wir den Ball einmal mehr an all die zurückgespielt hätten, die bislang an den Rostocker Bündnis-Treffen nicht teilgenommen haben, sich aber wünschen, dass ihre eigenen Interessen dort mehr zu Wort kommen.

b) Protokolle: Mehrmals wurden in jüngerer Zeit Protokoll-Ausschnitte versandt und als quasi letztinstanzliche Beweise gegen das Rostocker Bündnis angeführt. Ein derartiges Verfahren ist in unseren Augen komplett weltfremd: Natürlich spiegelt die Wahl der Worte immer auch das wider, was tatsächlich gesagt wurde und was die bzw. der jeweilige ProtokollantIn von all dem festgehalten hat. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass sämtliche der Anwesenden (oder auch nur eine substantielle Mehrheit der Anwesenden) den betreffenden Aussagen im Protokoll zustimmen würde, ist schlicht Quatsch. Wer, bitte schön, hat Zeit und Lust, Protokolle immer auf die Frage abzuklopfen, ob sie alles richtig widergeben, vor allem in Abschnitten, wo es um Tendenz-Aussagen geht?!? Wir jedenfalls gehören nicht dazu, und wir haben auch nicht den Eindruck, dass dies eine in dissent-Kreisen sonderlich übliche Praxis wäre - weshalb sie auch nicht als Kriterium zugrunde gelegt werden sollte. Mit anderen Worten: Die meisten der (pseudo-)skandalisierten Protokoll-Aussagen haben uns auch nicht gefallen, wir haben aber nicht darauf bestanden, dass dies korrigiert wird. Das haben wir im Rahmen des Rostocker Bündnis immer nur dann getan, wenn wir den Eindruck hatten, dass dies für den weiteren Prozess wirklich von Belang ist.