Polizei verabredet Reisesperren in Flurgesprächen

Gipfelsoli Infogruppe 4. April 2007

G8-Sicherheitskonzept:
“Kavala” bagatellisiert Schüsse in Göteborg und Genua
Innenministerium will für „positives Sicherheitsgefühl“ werben

Polizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz bewerben die Sicherheitsvorkehrungen zum G8-Gipfel als “größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik”. Von Seiten der Demonstranten wird es zwar nicht der größte Massenprotest in Deutschland, aber ein internationaler, breiter und ambitionierter Angriff auf die Ausformungen des Kapitalismus.

Bewohner der Region Mecklenburg-Vorpommern beklagen nun eine “bürgerkriegsähnliche Stimmung”, die von der Polizei gegen den Gipfelprotest verbreitet wird. Dies erfuhr die Gipfelsoli Infogruppe in Veranstaltungen vor Ort.

Von allen Akteuren der “Sicherheitsarchitektur” werden “islamistischer Terror” und “linksextremistische Anschläge” in einem Atemzug genannt. Damit wird ein Klima von Angst und Verunsicherung produziert. Neben U-Booten, Kriegsschiffen, der Einbettung in ein NATO-Manöver, Tornado- und Phantom-Abfangjägern bietet auch die Polizei ihr ganzes Arsenal auf. Der Sonderstab “Besondere Aufbauorganisation Kavala” hat sich am 1. April auf 367 Kräfte verdoppelt.

Vor 2 Wochen wurde die Broschüre “Kavala-Report” für bundesdeutsche Bereitschaftspolizisten herausgegeben, die am G8-Einsatz beteiligt sind. Dort wird Gipfelprotest als “Antiglobalisierung” diffamiert und behauptet, die Schüsse auf Demonstranten in Göteborg und Genua seien Folge von “Plünderungen, Sprengstoffanschlägen, Ausschreitungen” gewesen. Dabei ist sowohl in Schweden als auch Italien gerichtsfest, dass die Polizei in Untersuchungen und Gerichtsverhandlungen dazu Beweismittel manipulierte.

Der “Einsatzabschnitt Einsatzbegleitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit”, der die Broschüre verantwortet, erhält ebenfalls Verstärkung. Ziel ist laut Innenministerium die “Vermittlung eines positiven Sicherheitsgefühls in der Öffentlichkeit”.

“Mit noch mehr Kavala-Propaganda gegen Gipfelprotest und Kapitalismuskritik ist zu rechnen”, schätzt Marcus Steinhagen von der Gipfelsoli Infogruppe.

Seit mindestens einem Jahr finden nichtöffentliche internationale Konferenzen, Geheimverhandlungen und “zahlreiche bilaterale Gespräche am Rande von Veranstaltungen” statt (so der Leiter der Abteilung Polizei im Innenministerium MV, Frank Niehörster). Flurgespräche seien „in der Vorbereitung des Gipfeltreffens 2007 jetzt von besonderem Wert”, erklärte Niehörster kürzlich auf einer internationalen Polizeikonferenz.

“Diese Geheimdiplomatie soll den Protest behindern und entblößt die tendenziöse Haltung von BKA und Polizei zur Kapitalismuskritik”, kritisiert Steinhagen.

Angegliedert an das Bundespolizeipräsidium Nord ist eine zweite “Besondere Aufbauorganisation” gegründet worden. Sie soll die Luft- und Bahnsicherheit gewährleisten und kümmert sich um Reisesperren. Kurz vor dem Gipfel wird ein Teil des Schengen-Abkommens suspendiert, um “verdächtige Personen” an deutschen Grenzen zu kontrollieren und an der Einreise zu hindern.

BKA und Bundespolizei verfügen dank informeller Kanäle nun über Daten von politischen Aktivisten aus vielen Ländern der Welt. Bei früheren Gipfeln reichte eine Verurteilung wegen Ladendiebstahl, um in die entsprechende Datei sortiert zu werden.

Die massiven Polizeivorbereitungen, insbesondere die öffentliche Kampagne des “Einsatzabschnitt Einsatzbegleitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit” gegen den Gipfelprotest erinnern an den G8 in Genua 2001. Dort wurden Gerüchte lanciert, Demonstranten wollten Polizisten als “menschliche Schutzschilde” benutzen, die Polizei hätte bereits 200 Leichensäcke bestellt. Dies trug dazu bei, Polizeiangriffe gegen genehmigte Groß-Demonstrationen einzufädeln.

Ehrhart Körting, Berliner Innensenator (SPD), half der Genueser Polizei, indem er Kapitalismuskritikern die Abreise verboten hatte. Körting damals: “Es gibt in Deutschland kein Grundrecht auf Ausreise”. Allein mindestens 16 Berliner mussten sich täglich bei der Polizei melden.

Ein Ausreiseverbot aus europäischen Ländern verstößt allerdings gegen Art. 18 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). Der Passus regelt die Bewegungsfreiheit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. Die Praxis bricht auch mit deutschem Recht auf Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit und Allgemeine Handlungsfreiheit.

Körting ist seit Januar Vorsitzender der Innenministerkonferenz und damit verantwortlich für den Polizeieinsatz von 16.000 Länderpolizisten beim G8-Gipfel.

[Gipfelsoli Infogruppe]

Pressemitteilung Gipfelsoli Infogruppe
4. April 2007

Hintergrund:

‘10. Europäischer Polizeikongreß’
‘Kavala-Report’
Heiner Busch zu Körtings’ und Schilys’ Ausreise-Verbot nach Genua 2001
Sehr ausführlich zur ‘Sicherheitsarchitektur’ von Länder- und Bundespolizei, BKA, Bundeswehr und Strategien dagegen

http://gipfelsoli.org/Presse/1180.html