Die Behörden inszenieren eine Gewaltdebatte

junge welt 3. April 2007

Beim G-8-Gipfel will das Komitee für Grundrechte und Demokratie der Polizei auf die Finger schauen. Ein Gespräch mit Martin Singe

Martin Singe vom Sekretariat des Komitees für Grundrechte und Demokratie in Köln hat sich an vielen Demonstrationsbeobachtungen beteiligt

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie will die Proteste gegen den im Juni in Heiligendamm stattfindenden G-8-Gipfel beobachten. Bei früheren Tagungen dieser Art kam es immer wieder zu brutalen Polizeiübergriffen auf Demonstranten. Befürchten Sie Ähnliches?

Schon lange vor dem Gipfel reden Staat und Polizei wieder von der Gewaltbereitschaft der Demonstranten. Das hat abschreckende Wirkung und soll dazu dienen, die Demonstrierenden in »Gute« und »Böse« zu spalten. Zugleich werden dadurch spätere brutale Polizeieinsätze gerechtfertigt.

Das Vorgehen von Polizei und Behörden ist aber schon jetzt schikanös. Überall in der Umgebung von Heiligendamm und Bad Doberan finden Personenkontrollen statt. Die Einrichtung von Campingplätzen für die Demonstranten wird erschwert, teilweise verhindert. Ein Netz polizeilicher Überwachung überzieht alle Personen, die sich in der Vorbereitung von Aktionen engagieren. Weiträumig erteilte Betretungsverbote verhindern konstruktive Demonstrationsvorbereitungen. All das trägt zu einem Klima bei, das sich eher negativ auswirken kann.

Also ist das Recht auf freie Meinungsäußerung schon jetzt weitgehend auf Eis gelegt?

Die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, die ja zusammengenommen das Demonstrationsrecht ausmachen, wurden im Kern schon dadurch außer Kraft gesetzt, daß in und um Heiligendamm eine demokratiefreie Zone geschaffen wird. Damit werden die hohen Anforderungen unterlaufen, die das Bundesverfassungsgericht in Sachen Demonstrationsrecht an den Staat gestellt hat. Im Brokdorf-Beschluß z. B. hatte das Gericht festgestellt, daß das Demonstrationsrecht gerade in einer repräsentativen Demokratie extensiv auszulegen sei, um »den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren«. Das heißt konkret, daß die Demonstrierenden den Ort und die Art ihres Protestes weitgehend selbst bestimmen dürfen. Demokratiefreie Zonen verhindern genau das; der Protest kann von den abgeschotteten Politikern gar nicht direkt wahrgenommen werden. Außerdem liegt auf der Hand, daß allgemein verfügte Demonstrationsverbote im weiteren Umfeld, Vorkontrollen, Aufenthalts- und Einreiseverbote sowie andere restriktive Maßnahmen das Demonstrationsrecht unterlaufen und aushebeln.

Inwiefern nützt den Demonstranten die Beobachtung polizeilicher Übergriffe?

Wir haben vor allem bei den Castortransporten im Wendland und in Ahaus gute Erfahrungen gemacht. Zum einen stellen wir bei Einsätzen oft noch vor Eintreffen der Presse durch unsere Anwesenheit Öffentlichkeit her. Das kann dazu führen, daß sich die Polizei zurückhält.

Normalerweise geht die Polizei mit unabhängigen Beobachtern nicht weniger zimperlich um als mit den Demonstranten selbst …

Ungehindert werden wir unseren selbstgesetzten Aufgaben nicht nachgehen können; wir haben keinen Journalistenstatus. Allerdings werden die beteiligten politischen und polizeilichen Behörden über unsere Demonstrationsbeobachtungen informiert. Es liegt meist an den polizeilichen Einsatzleitern vor Ort, ob wir ungehindert unsere Arbeit machen können und z.B. auch bei Absperrungen durchgelassen werden. Direkte Gewalt gegen uns hat es nur selten gegeben.

uinfo: grundrechtekomitee.de