Selbstblockade

junge welt 29.März 2007

Debatte um Gewalt als Protestmittel gegen G-8-Gipfel in Heiligendamm hat die globalisierungskritische Bewegung erreicht. Streit ist allerdings eher ein Kompetenzgerangel

Keine Lust auf langweilige Latschdemos bei den G-8-Protesten?« fragen die Attacies »Tina & Malte aus Göttingen« und rufen zum »G-8-Song- und Slogancontest« auf. »Vielleicht werden dann schon bald 100000 DemonstrantInnen den von Dir kreierten Ohrwurm singen«, heißt es weiter auf der ATTAC-Sonderseite zum G-8-Gipfel, der im Juni im Ostseebad Heiligendamm stattfinden wird. Einen Hinweis zu einer Diskussion, die Gipfelgegner zur Zeit in Aufregung versetzt, gibt es nicht.

Die sogenannte Gewaltdebatte ist wieder aufgeflammt. Was unter diesem Stichwort momentan in zahlreichen Papieren, unter anderem von der Antifaschistischen Linken Berlin (siehe unten) gehandelt wird, dreht sich allerdings eher um die Frage, ob Latschdemos, Blockaden oder Zauneinreißen geeignete Mittel sind, um den Gipfel der Herrschenden zu stören. Zumindest bei dem, was öffentlich diskutiert wird, gibt es nur eine Gruppe, die sich zur Gewalt bekennt. Das ist die Polizei.

Die Gipfelgegner waren bislang bemüht, miteinander auszukommen. Auf Vorbereitungstreffen trafen sich Linksradikale, Autonome und Antifas mit Sprechern der Friedensbewegung und von ATTAC, Gewerkschaftern, Kommunisten und Kirchenleuten. Es bestand Konsens, daß die unterschiedlichen Aktionsformen ihren Platz haben und es keinen Grund für Distanzierungen gibt. Gerangel gab es vor allem um die vorderen Plätze im Protest-Contest, wobei ATTAC schnell in der Kritik stand, den Vorbereitungsprozeß dominieren zu wollen. Auf der anderen Seite taten Polizei und bürgerliche Presse von Anfang an ihren Job und versuchten, den Laden in Gute und Böse zu spalten.

Gutwillig könnte man sagen, ATTAC-Vertreter sind gleich mehrfach in diese Falle getappt. Zum Beispiel Pedram Shahyar, der für das globalisierungskritische Netzwerk in der zentralen Vorbereitungsgruppe für die Massenblockaden sitzt, und der taz am 17.März so schöne Sätze sagte wie: »Ein gewisser rebellischer Gestus ist ein Konstitutionsmoment der globalisierungskritischen Bewegung.« Ohne Not fügte er hinzu: »ATTAC hat immer klar gesagt, daß von unseren Aktionen keine Gewalt ausgehen wird. Das heißt: Bei allen Bündnissen, an denen wir uns beteiligen, wird dies auch sichergestellt. Insofern wird es in Heiligendamm keine Gewaltwelle geben.« Oder Sabine Leidig, Geschäftsführerin von ATTAC, die bereits im Februar gegenüber der Leipziger Volkszeitung von »Irrationalen« sprach, die vielleicht nicht davon abzubringen seien, mit Farbbeuteln oder mal mit einem Pflasterstein zu werfen.

Bei Peter Wahl, Mitglied des Koordinierungsrates von ATTAC, verläßt einen jedoch die Gutwilligkeit. Mitglieder seiner Organisation aus Potsdam hatte er als »stockdumm« und Sektierer beschimpft, weil sie sich in Vorbereitung der Proteste gegen das Gipfeltreffen der EU-Umweltminster nicht mit Minister Sigmar Gabriel treffen wollten. Seinerseits sondierte Wahl ausgiebig mit dem Rostocker Oberbürgermeister Roland Methling und dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff. »Das Gespräch kam auf unseren Wunsch zustande«, informierte Wahl am Dienstag in einer Rundmail. Methling habe deutlich gemacht, daß auch Proteste willkommen seien, »solange sie nicht gewalttätig sind«. Sehr wichtig sei es dem Bürgermeister, »klare und verbindliche Kommunikationsstrukturen und verantwortliche AnsprechpartnerInnen« zu haben. »Ich habe das zugesagt«, schreibt Wahl. Zum Treffen mit Ringstorff schickt er vorweg: Ursprünglich hätte eine Delegation, die die ganze Breite der Proteste abbildet, teilnehmen sollen. Die Staatskanzlei habe aber signalisiert, daß wohl nur ein Gespräch in kleinerem Kreise zustande kommen würde. So einigten sich Wahl und je ein Vertreter des Eine-Welt-Netzwerkes Mecklenburg-Vorpommern und der evangelischen Kirche mit Ringstorff unter anderem darauf, »daß wir so etwas wie in Genua, auf keinen Fall haben möchten«. Dazu selbstkritisch Wahl: »Es ist klar, daß in diesem Verfahren auch eine Spaltungstendenz angelegt ist.« Aber eine Gesprächsverweigerung »hätte es erleichtert, uns politisch zu isolieren«. Die dritte Aktionskonferenz zur Vorbereitung der G-8-Proteste findet vom 13. bis 15. April in Rostock statt. »Aus aktuellem Anlaß« diskutieren Sabine Leidig und Pedram Shahyar dort mit Kritikern über »Aktionsformen, Medien und Bündnisarbeit«.

Von Wera Richter
29.03.2007 / Schwerpunkt / Seite 3