Eine Revolution, zu der ich nicht tanzen kann, ...

Emma Goldman

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Immer wieder hat die linke Politik versucht die widerständige Kunst zu lieben. Und die widerständige Kunst die linke Politik. Immer wieder hat die emanzipatorische Politik die subversive Kunst nicht verstanden. Und die subversive Kunst nicht die emanzipatorische Politik. Die Politik war groß, hager, ernst und plante die Revolution.
Die Kunst war klein, flink, lachte gerne und tanzte die Revolution.
Sie beide wollten das Gleiche und fanden doch nie wirklich zueinander. Für einige Tage wilder Tänze, eine Handvoll leidenschaftlicher Diskussionen und ein paar Augenblicke des Widerstandes sah mensch sie zusammen auf der Bühne einer anderen Welt.
Temporäre Lieben, kurze Leidenschaften und große Ziele. Ein paar Begeisterte, viele Beobachter_innen und noch mehr Skeptiker_innen. Und immer wieder die Trennung nach kurzem glänzendem gemeinsamem Auftritt.
Spaßguerilla, Pink&Silver, Adbusting, Rebel Clown Army, Unsichtbares Theater.
Künstlerischer Ausdruck politischer Analysen. Rotzfreche Asphaltkultur, Agitprop, Graffiti, Radioballett. Zu Politik gewordene Kunst. Die Grenzen sind fließend, die Möglichkeiten unbegrenzt.
Doch nur allzu oft und den größten Teil der Zeit neben den Auftritten ist die Kunst das Schattenkind einer sich als emanzipatorisch und undogmatisch wähnenden Politik. Als zahnloses und unmündiges Beiwerk zum eigenen politischen Alltag, geschaffen zum privaten Genuss oder als Schmuckwerk politischer Veranstaltungen ohne eigene Möglichkeiten der Artikulation, fristet sie ihr Dasein in den Dunkelheiten der Nacht.
Dann, wenn die Lichter ausgehen.
2007 werden die Lichter wieder angehen. So die Hoffnung großer Teile der deutschen Linken. Mit der Mobilisierung zum Treffen der Großen Acht im sommerlichen Heiligendamm verknüpfen sich tausende von Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche, Träume. Hoffnungen auf eine neue Vernetzung verschiedenster linker Spektren und mit ihr einhergehend eine neue Handlungsfähigkeit - auch über den Gipfel hinaus. Wünsche nach neuen Aktionsformen und einem anderen Miteinander. Träume von einem gemeinsamen Widerstand, nach einem Hand in Hand gehen eines schillernden Spektrums all derer, die Nein sagen zu jeder Form von Unterdrückung und gesellschaftlicher Marginalisierung. Die Ideen sind vielfältig und die Aktionen zahlreich.
Und natürlich darf dabei auch die Kunst nicht fehlen.
Doch Kunst ist nicht gleich Kunst. Kunst kann widerständig, politisch, systemerhaltend, funktional und noch vieles mehr sein. Die Kunst, die uns interessiert, ist nicht die Kunst der Weißen Eliten, der Akademiker_innen und Yuppies, ist nicht die Kunst der Pop und Kulturindustrie. Auch diese wird mit Konzerten und Armbändchen die herrschende Politik weiter begleiten und sich dabei jeglichen subversiven Charakters entledigen. Die Kunst, die wir meinen, ist die Kunst der unerwarteten Orte, die Kunst des Augenblicks, die Kunst des Widerstands. Es ist die Kunst als Akt und Ausdruck des Widerstands gegen immer stärker kontrollierte, reglementierte und normierte Gesellschaften. Sie ist es, die unserer Meinung nach neues, noch lange nicht zur Genüge erschlossenes Potenzial des Widerstandes bietet. Sie ist es, die schnell und direkt Botschaften vermitteln kann. Sie ist es, die Blickgewohnheiten brechen und Handlungsmuster verwirren kann. Sie ist es, die ungewohnte Denkebenen verknüpfen und den Menschen in Konflikte mit sich selbst bringen kann. Sie ist es, die durch ihre Unkonkretheit vermag, Spielräume jenseits von sprachlich Fassbarem zu erschließen und damit die verschiedensten Menschen und Gruppen erreichen kann.
Natürlich ist uns bewusst, dass auch widerständige Kunst nicht den Heilsweg weist, dass auch sie Ausschlüsse produziert, durch ihre Entstehungsgeschichte, ihre Umgebung, ihre Ausdrucksformen. Uns ist bewusst, dass Kunst, auch wenn sie auf der Straße passiert, nicht jedem und jeder zugänglich und verständlich ist, nicht von jedem und jeder produziert werden kann, dass auch sie Vorkenntnisse und Anschlussstellen verlangt. Doch unser Plädoyer gilt auch nicht der Kunst als DER neuen widerständigen politischen Praxis, sondern dem Ernstnehmen künstlerischer Werke als gleichwertigem politischem Ausdrucksmittel neben klassischen Politikformen wie der Podiumsdiskussion, der Demonstration oder der Barrikade.
Unsere bisherigen Aktivitäten und die damit einhergehenden Erfahrungen mit den Verschränkungen von Kunst und Politik innerhalb der Linken haben uns dazu gebracht, diesen Aufruf zu schreiben und dieses Projekt zu starten. Unser politisches Betätigungsfeld sehen wir in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO), die
2007 parallel zu den Gipfelprotesten ihren dreißigsten Geburtstag feiern wird. 30 Jahre internationalistischer Politik in der BRD stehen hinter diesem Netzwerk, das sich insbesondere in den letzten fünf Jahren mit seinen jährlichen Kongressen zu einem wichtigen Diskussionsforum innerhalb der emanzipatorischen Linken entwickelt hat.
Die G8 Mobilisierung als derzeit größter Fokus innerhalb linker Politik ist daher auch Thema bei der BUKO. Wir selbst fühlen uns als Teile sowohl des G8 Widerstandes als auch der BUKO und wollen darin mit einer Buch-CD (einer Musik-CD plus einem ca. 80 Seiten umfassenden Booklet mit Texten) zu den Schnittstellen von Kunst und Politik einen Beitrag zur Mobilisierung der Proteste leisten und gleichzeitig in die bisherige politische Praxis intervenieren.
Das Medium der Buch-CD sehen wir dabei als eine mögliche Form unter vielen, wie Theoretiker_innen, Künstler_innen und Aktivist_innen gemeinsam am Thema politischer Kunst/künstlerischer Politik arbeiten können. Dabei sind uns der Bezug zu einer eigenen politischen und/oder künstlerischen Praxis, der Fokus auf Handlungsperspektiven – also wie können Kunst und Politik so zusammengedacht werden, dass sie neue Handlungsperspektiven eröffnen – und der Abbau von Hindernissen wie zum Beispiel verständliche, sprich nicht-akademische und mehrsprachige Texte besonders wichtig.
Wir wollen unseren Blick jedoch nicht nur auf europäischem Terrain ruhen lassen, sondern über dessen und unseren Tellerrand hinaus eine internationalistische Perspektive auf das Thema von Kunst und Politik innerhalb der G8 Mobilisierung eröffnen. Diese soll zum einen durch die Auswahl der beteiligten Musiker_innen wie auch durch die Auswahl der Autor_innen – Menschen aus nicht-mainstream Regionen der Musik- und Theorieproduktion, Ethnisierte Deutsche und Weißdeutsche – zum
anderen durch ein mehrsprachiges Booklet mit jeweiligen Übersetzungen auf der Homepage gewährleistet werden.
Auch in den Texten sollen sich die Verschränkungen von Kunst und Politik wiederfinden, indem sowohl Künstler_innen als auch Theoretiker_innen Beiträge zum Thema G8 verfassen. Dazu wollen wir einen Fragebogen erstellen, der allen Projektbeteiligten zukommen und der eine gleichwertige Behandlung ermöglichen soll, ohne die sonst so übliche Arbeitsteilung der künstlerischen Gestaltung als unterhaltsamem Nebeneffekt und der schwerverdaulichen Theorie als dem nächsten Schritt zur Revolution oder der Dichotomien eines Hier und Dort, eines Nord und Süd. Genauso wie die Texte unter dem Stern der Grenzüberschreitungen stehen sollen, sollen auch die Musikstücke den Grenzüberschreitungen gewidmet sein.
Mögliche Themen eines solchen Projektes könnten der kritische Rückblick zum Beispiel im Hinblick auf Gender und Migration auf die bisherige Geschichte der gemeinsamen Bühnenauftritte von Kunst und Politik in Deutschland sein. Wie praktikabel sind zum Beispiel künstlerische Aktionsformen wie Pink&Silver für Migrant_innen? Ein anderer Fokus könnte auf einer Analyse des momentanen Umgangs mit der Kunst als politischer Ausdrucksform innerhalb der Linken liegen. Die internationalistische Perspektive könnte versuchen, die Beziehung von Kunst und Politik in anderen Ländern als Deutschland zu untersuchen und mit anderen Ansätzen eventuell auch neue Denkanstöße bieten. Denn letzten Endes soll das Ziel des Projekts die Entwicklung neuer Handlungsperspektiven sein. Unsere Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass sich viele alte Aktionsformen der Linken bereits überholt haben und die Lust am Widerstand ersticken.
Damit wollen wir nicht alles, was bisher geschehen ist, über Bord werfen, sondern wollen versuchen alte Erfahrungen mit neuen Ideen zu verknüpfen. Wir wollen versuchen in Anbetracht sich verändernder Verhältnisse und den damit einhergehenden veränderten Anforderungen an die Linke, neue und adäquate Reaktionen und Widerstandsformen auf herrschende Verhältnisse zu suchen. In der Kunst sehen wir – trotz vieler, immer wieder wie Sternschnuppen am dunklen Himmel eines anderen Ganzen auftauchender Versuche der Verknüpfung der beiden – einen bisher ungenutzten schier unendlichen Pool der Möglichkeiten.
Wer Lust hat, mit uns aus den verschiedenen Sternschnuppen Milchstraßen zu bauen, als Organisator_in, Autor_in, Künstler_in oder Diskussionspartner_in, kann sich melden unter crosslinks@frap-pb.de oder unter der Telefonnummer der BUKO Gechäftsstelle 040 – 39 35 00.
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