Auf jeder Stufe

04.03.2007 German-Foreign-Policy.com

BERLIN/LÜBECK/WARSZAWA
(Eigener Bericht) - Am morgigen Montag beginnt die deutsche Bundespolizei im norddeutschen Lübeck mit der Ausbildung von Grenztrupps aus sämtlichen EU-Staaten. Die Maßnahme erfolgt in Kooperation mit dem Abwehrapparat Frontex und festigt den deutschen Einfluss auf die operative Flüchtlingsrepression der EU. In der Lübecker Polizeiakademie werden Beamte geschult, die künftig an den europäischen Außengrenzen Migranten abfangen sollen. Die Dislozierung erfolgt in "Soforteinsatzteams", denen Berlin ein "technisches Zentralregister" zur Verfügung stellen will. Entsprechende Pilotprojekte der Frontex-Behörde werden als erfolgreich bewertet. Über Möglichkeiten, die Grenzabschottung mit den Mitteln modernster Technik zu perfektionieren, haben Experten Mitte Februar auf einem Europäischen Polizeikongress in der deutschen Hauptstadt diskutiert. Beteiligt waren Vertreter mehrerer deutscher IT-Unternehmen, darunter eine Firma aus dem Geflecht des Bertelsmann-Konzerns. Wie bereits bisher lassen auch die künftigen Maßnahmen der europäischen Grenzabschottung eine starke deutsche Prägung erkennen - auf jeder Stufe der Handlungskette von der Warschauer Frontex-Zentrale bis zur technologischen Umsetzung vor Ort. Berlin kündigt für das Frühjahr eine Intensivierung der Polizeitätigkeit an den EU-Außengrenzen an.

Bundespolizeiakademie
Das Grenzschutz-Trainingsprogramm, das morgen in Lübeck gestartet wird, geht auf eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Bundespolizeiakademie und der EU-Grenzschutzagentur Frontex zurück. Die Akademie im Bundesland Schleswig-Holstein ist zentrale Ausbildungsstätte der Bundespolizei; dort werden deutsche Polizisten auf Auslandseinsätze vorbereitet, es finden Schulungsprojekte statt, in deren Rahmen ausländisches Sicherheitspersonal nach deutschen Standards trainiert wird.[1] Die Lübecker Einrichtung erwies sich bei der Abschottung der europäischen Außengrenzen bereits in der Vergangenheit als hilfreich. Unter anderem wurden seit 1999 mehrfach sogenannte polizeiliche Ausbildungshilfemaßnahmen für Repressionskräfte aus Marokko durchgeführt, denen Berlin eine besondere Rolle bei der Sperrung der Straße von Gibraltar und der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla für afrikanische Flüchtlinge beimisst.[2] Die marokkanische Polizei ist wegen ihres brutalen Umgangs mit Flüchtlingen bekannt. Vor wenigen Wochen haben die dortigen Behörden erneut begonnen, Migranten in der Wüste auszusetzen.[3] Von Protesten ihrer deutschen Kooperationspartner ist nichts bekannt. Das neue Trainingsprogramm der Bundespolizeiakademie richtet sich an polizeiliches Führungspersonal aus sämtlichen 27 Mitgliedstaaten der EU und stärkt die deutsche Rolle bei der operativen Flüchtlingsabwehr.

Toolbox
Operationsmöglichkeiten für das in Lübeck ausgebildete Personal eröffnet Berlin derzeit über sogenannte Soforteinsatzteams. Dabei handelt es sich um multinationale Grenzschutztrupps, die kurzfristig an jede Stelle der EU-Außengrenzen verlegt werden können; ihre Mitglieder sollen exekutive Befugnisse erhalten. Auf diese Weise bekommen deutsche Polizisten die Möglichkeit, an fremden Grenzen hoheitliche Handlungen auszuführen. Der deutsche Innenminister hat die Bildung der "Soforteinsatzteams" im Januar auf die Tagesordnung gesetzt und will die letzten Widerstände bis April aus dem Weg räumen. Ergänzend treibt er den Aufbau eines technischen Zentralregisters voran ("Frontex-Toolbox"); darin sollen Einsatzmittel verzeichnet werden, die in den Mitgliedstaaten auf Abruf bereitzustehen haben. Indem Deutschland vier Hubschrauber, ein Verfolgungs-Schiff, tragbare Wärmebildgeräte für das Aufspüren von Flüchtlingen sowie das entsprechende deutsche Personal in die "Toolbox" einbringt, setzt es sich an die Spitze nationaler Verfügungsgewalten über wesentliche Teile der Frontex-Behörde.

Herrin
Die Frontex-Zentrale ist in Warschau angesiedelt und scheint als multilaterale Körperschaft der EU-Mitglieder zu funktionieren. Tatsächlich steht sie unter dem bestimmenden Einfluss des materiell und technisch fähigsten Staates, der die kleineren Mitglieder zu seinen Erfüllungsgehilfen degradiert. Auf sämtlichen Frontex-Ebenen sind deutsche Spezialisten tätig, so im Frontex Operational Coordination Centre (F.O.C.C.). Im Februar startete die Behörde eine Maßnahme, in deren Rahmen Fluggäste auf acht europäischen Flughäfen [4] intensiven Kontrollen unterzogen wurden. Weit über 200 Fluggäste wurden wegen unzureichender Ausweisdokumente festgenommen. Ebenfalls im Februar begann Frontex mit seiner Operation "Hera III" (griechisch: oberste Göttin, wörtliche Bedeutung: Herrin). Die Operation schließt an die Vorgängerinnen "Hera I" und "Hera II" an [5] und soll die Migration aus Afrika auf die Kanarischen Inseln stoppen. Sie umfasst Schiffspatrouillen, aber auch Verhöre von Einwanderern, um die Routen auszuforschen, auf denen Flüchtlinge auf europäisches Territorium gelangen. Zu den Verhörspezialisten gehören ebenfalls Deutsche.

Technologie
Deutliche deutsche Spuren finden sich auch in der hochspezialisierten Grenztechnologie, mit der die EU-Außengrenzen gegen unerwünschte Einwanderer abgedichtet werden. Der deutsch-französische Rüstungskonzern EADS etwa hat bereits vor Jahren den Auftrag erhalten, die Außengrenzen Rumäniens mit moderner Kontrolltechnologie zu versehen - ein für Flüchtlinge fatales, für das Unternehmen aber hochprofitables Geschäft.[6] Ein EADS-Vertreter diskutierte Mitte Februar auf einem "Europäischen Polizeikongress" in Berlin mit Frontex-Mitarbeitern und anderen Polizisten über weitere Beiträge der sogenannten Sicherheitsindustrie zur Migrationsabwehr. Beteiligt waren auch mehrere Firmen der deutschen IT-Branche, die den Nutzen der Informationstechnologie für das Aufspüren unerwünschter Einwanderer darstellten.[7] Ein Mitglied des Vorstands der "empolis GmbH" widmete sich den Möglichkeiten, Flüchtlinge zu identifizieren: Er referierte vor Fachpublikum über das Thema "Identification of anything, anytime, anywhere".[8] "empolis" ist eine Tochtergesellschaft der "arvato AG", eines Unternehmensbereichs des Bertelsmann-Konzerns. Im Rahmen der Privatisierung des öffentlichen Lebens ist "arvato" mit der Verwaltung der britischen Kommune East Riding befasst.[9] Der Bertelsmann-Konzern übt über seine Stiftung großen Einfluss auf die Berliner Außenpolitik aus.[10]

Haft und Folter
Über das Schicksal von Flüchtlingen, denen trotz aller Grenzschutzmaßnahmen die Überwindung der EU-Außengrenzen in Richtung Deutschland gelingt, lässt das Berliner Innenministerium niemanden im Unklaren. Wie das Haus in einer ausführlichen Pressemitteilung kundtut, wurden am 15. Februar 28 Personen per Sammelabschiebung in ihre mutmaßlichen Herkunftsländer geflogen. "Unter der Federführung Deutschlands" hätten sich Italien, Luxemburg, Polen, Spanien und die Schweiz an der Maßnahme beteiligt, heißt es: "Hierbei handelte es sich um den dritten von der Bundespolizeidirektion koordinierten Flug innerhalb von 5 Monaten."[11] Bei den erwähnten Flügen sind mehrfach Flüchtlinge in Staaten deportiert worden, in denen ihnen nach Auskunft von Menschenrechtsorganisationen willkürliche Inhaftierung und Folter drohen. Das Bundesinnenministerium behält seine Abschiebepraxis bei und teilt mit: "Bis zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft soll noch mindestens eine weitere Sammelrückführung mit internationaler Beteiligung unter deutscher Federführung geplant und durchgeführt werden."