Jagdrekorde

German-Foreign-Policy. com 19. März 2007

BERLIN/MADRID/BAGDAD
(Eigener Bericht) - Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft vermeldet neue Rekorde bei der Verfolgung von Flüchtlingen und steigert die Festnahmen an den EU-Außengrenzen. In der vergangenen Woche hat die deutsche Bundespolizei ihre bislang größte Inlandsaktion gegen unerwünschte Einwanderer durchgeführt; das Auswärtige Amt und mehrere Geheimdienste waren beteiligt. Mit deutschen Beamten geht auch die Migrationsabwehrbehörde Frontex verstärkt gegen Flüchtlinge vor und setzte mehrere tausend Personen auf europäischen Flughäfen fest oder zwang sie zur Ausreise. Ins Frontex-Visier geraten auch die Staaten Südosteuropas, obwohl sie nicht der EU angehören. Über ihr Gebiet laufen Fluchtwege aus den mittelöstlichen Kriegsschauplätzen, die von der EU geschlossen werden sollen. Die Frontex-Maßnahmen hindern unter anderem irakische Kriegsflüchtlinge an der Einreise. Diese Asylsuchenden müssten "in der Region" unterkommen, anstatt in die reichen EU-Zentren zu fliehen, verlangt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier. Damit begegnet das deutsche Ministerium Warnungen der Vereinten Nationen, die eine Flüchtlingskatastophe im Mittleren Osten befürchten, wenn sich das Kriegsgeschehen weiter zuspitzt.

GASIM
Die deutsche Bundespolizei hat in der vergangenen Woche gemeinsam mit den Länderpolizeien ihre bislang größte und breit abgestimmte Inlandsaktion zur Bekämpfung unerwünschter Einwanderung durchgeführt. Innerhalb von drei Tagen wurden hunderte Immigranten aufgegriffen, darunter zahlreiche Flüchtlinge aus dem von Krieg bedrohten Iran.[1] Grundlage des Einsatzes war ein "Lagebild" des im Mai 2006 eingerichteten "Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrums illegale Migration" (GASIM).[2] In dem Zentrum kooperiert die deutsche Bundespolizei mit mehreren Geheimdiensten und dem Auswärtigen Amt. Die behördenübergreifende Maßnahme, die der deutsche Innenminister als "sehr erfolgreich" lobt [3], erprobte die Wirksamkeit des polizeilichen Rückgriffs auf Erkenntnisse von Diplomatie und Spionage. Sie hat Modellcharakter für die künftige Verfolgung unerwünschter Migranten in der Bundesrepublik.

Amazon II
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft treibt die Flüchtlingsabwehr auch an den Außengrenzen entschieden voran. Am 9. März schloss Frontex [4] eine 17 Tage währende Operation "Amazon II" ab. Das Manöver fand in acht EU-Flughäfen statt, darunter in Frankfurt am Main.[5] Insgesamt 2.161 Reisende aus Südamerika wurden festgenommen und zum Rückflug gezwungen, weil die Grenzbehörden ihre Papiere als unzureichend oder ihre Finanzmittel als zu armselig einstuften.[6] Unter den Arrestierten befanden sich mehrere Parlamentarier, darunter der Stadtratspräsident der bolivianischen Metropole La Paz. Mit "Amazon II" steigerte Frontex erneut die Zugriffseffizienz. Die Zahl der festgenommenen Personen übertraf den Vergleichswert der im November 2006 durchgeführten Operation "Amazon I": Damals hinderte die Behörde 1.992 Menschen an der Einreise in die EU.

Siemens
Unter der deutschen Ratspräsidentschaft wird Frontex, eine EU-Behörde, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegt, auch jenseits der EU-Grenzen tätig. Vertreter der Agentur nahmen Ende Februar an einer Konferenz der Innenminister von fünf Nachfolgestaaten Jugoslawiens (Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien) und Albanien teil. Die Zusammenkunft sollte die Abschottung der Region voranbringen - mit der Technik des Siemens-Konzerns. Siemens ist bereits in Kroatien aktiv und bereitet den grenzabdichtenden Aufbau biometrischer Anlagen vor. Die Auftragsvergabe leistet Brüsseler Vorgaben Genüge: Siemens-Systeme entsprechen den Standards, die das Schengener Abkommen vorschreibt. Die geographische Dehnung und technische Perfektionierung des EU-Grenzsystems bringen dem Münchener Siemens-Konzern Milliardenaufträge ein.[7]

All diese Leute
Die Ausweitung der Frontex-Aktivitäten auf Südosteuropa sperrt weitere Fluchtwege für Menschen aus den mittelöstlichen Kriegsgebieten. Davon sind vor allem Irak-Flüchtlinge betroffen. Die westlichen Besatzungsmaßnahmen und die anhaltenden Gewaltexzesse haben Fluchtbewegungen ausgelöst, die bislang rund zwei Millionen Menschen aus dem Land trieben. Die Vereinten Nationen rechnen mit einem Anschwellen der Fluchtströme. Zwar wurde die Mehrzahl der Iraker in den angrenzenden Staaten aufgenommen (allein 1,2 Millionen in Syrien); jedoch fürchten viele der Schutzsuchenden ein Übergreifen der Kämpfe auf die gesamte arabische Halbinsel und wollen sich aus der Region retten. Ihre Weiterreise in die EU verhindern die europäischen Grenzbehörden. Nur aufgrund von Protesten des UN-Flüchtlingskommissariats konnte Griechenland in der vergangenen Woche veranlasst werden, 16 irakische Flüchtlinge, darunter fünf Minderjährige, aus einem Schiffscontainer an Land zu lassen. Die griechische Küstenwache hatte über mehrere Tage darauf bestanden, den Irakern das Asyl ohne gerichtliche Überprüfung zu verweigern und sie in die Türkei abzuschieben. Die griechischen Behörden entsprachen damit Vorgaben der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die irakische "Flüchtlingskrise" solle "in der betroffenen Region" gelöst werden, "anstatt all diese Leute nach Europa einzuladen", erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier, kürzlich.[8]

Abschiebung
Während Millionen in den Krisengebieten des Nahen und Mittleren Ostens untergekommen sind, hat die Bundesrepublik begonnen, irakischen Flüchtlingen den einheimischen Asylstatus zu entziehen. Rund 18.000 Personen, ein Drittel der in Deutschland lebenden Asylberechtigten aus dem Irak, mussten ihren sicheren Aufenthaltstitel inzwischen gegen eine minderwertige "Duldung" tauschen. Sobald die deutschen Behörden zu der Auffassung gelangen, die Kriegsgeschädigten könnten im Irak ohne Gefahr für Leib und Leben unterkommen, steht ihnen die Abschiebung bevor.
Zukunft erkaufen
Wie die Innenminister der deutschen Bundesländer jetzt entschieden haben, werden auch in Zukunft nur wenige Flüchtlinge der "Duldungs"-Kategorie ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland erhalten. Menschenrechtsorganisationen protestieren seit Jahren gegen die unzumutbaren Bedingungen, unter denen die rund 180.000 "geduldeten" Flüchtlinge in der Bundesrepublik leben.[9] "Wir schätzen, dass aufgrund der vielen Ausschlusskriterien im Kleingedruckten des Gesetzes nur ein kleiner Teil der Betroffenen die Chance auf ein Bleiberecht hat", sagt der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, über den sogenannten "Bleiberechtskompromiss" vom vergangenen Dienstag.[10] Den Charakter des deutschen Umgangs mit Flüchtlingen verdeutlicht eine Regelung, der zufolge Minderjährige ein Bleiberecht bekommen können, wenn sie sich in die deutsche Mehrheitsgesellschaft einfügen. Voraussetzung dafür ist, dass "ihre Eltern bereit sind, das Land zu verlassen", berichtet Burkhardt: Das deutsche Gesetz "stellt Eltern vor die Entscheidung, die Zukunft ihrer Kinder in Deutschland durch die eigene Ausreise erkaufen zu müssen".
Bitte lesen Sie auch unser EXTRA-Dossier Festung Europa.