Kavala gegen Krawalle - Polizei vorbereitet auf Hunderttausende Demonstranten / Streit um Gipfel-Camps

SVZ 15. März 2005

Rostock (Max-Stefan Koslik) • Am Wochenende platzte die Bombe: Wenn Polizei und Kommunen nicht endlich Campingplätze für die Gipfelgegner zur Verfügung stellen, werden die Gespräche abgebrochen, drohten die Camp-Organisatoren. Am Wochenanfang beklagte Lutz Schiefelbein von der Camp AG in Rostock, dass bei der Besichtigung eines Platzes eine Polizeistreife aufgetaucht sei, die die Personalien aller Anwesenden aufnahm und Verstärkung rief. „Beim nächsten Mal ist Feierabend“, sagte Schiefelbein. „Wir werden kriminalisiert“, klagt Camp-Planer Till Rosemann.

Der Ton zwischen Polizei und Protestlern wird härter. Mit einem Platz in Reddelich nur fünf Kilometer vom Tagungshotel „Kempinski“ in Heiligendamm entfernt sind die Gipfelgegner zwar inzwischen einverstanden. Aber: „Die Fläche von fünf oder sechs Hektar ist viel zu klein, um 15000bis 25000 Menschen zu beherbergen“, beklagte Schiefelbein. „Sie hat nur Platz für 2000 bis 3000 Menschen.“ Daher seien weitere Flächen nötig. Ein organisiertes Camp für 15000 Menschen in Bützow, 30 Kilometer von Rostock entfernt, ist den Anti-G8-Gruppen zu weit weg vom Ort des Geschehens.

Für Knut Abramowski, Polizeiführer der Sondereinheit Kavala – benannt nach einer nordgriechischen Stadt, die ebenso wie der Tagungsort Heiligendamm die „weiße Stadt am Meer“ genannt wird – ist die Aufregung unverständlich: „Wir werden die Gespräche nicht abbrechen“, sagte er, „es kann der Zeitpunkt kommen, an dem wir sagen, wir reden heute nicht weiter. Aber abbrechen, nein. Ich kann doch die Gipfelkritiker sogar verstehen, dass sie so nahe wie möglich an den Zaun heranwollen.“

Abramowski spricht nicht von Gegnern. Er spricht von Kritikern. Von den 35 Camps, die die Gegner benannten, habe die Polizei zu acht Zustimmung signalisiert. Doch die seien plötzlich nicht mehr akzeptiert worden.
Der Polizeiführer beklagt, dass er keine hierarisch organisierten Ansprechpartner habe. Zwar muss er selbst schmunzeln bei diesem Anspruch, aber oftmals widersprächen sich eben die einzelnen Gruppen. Mal wird von 30000 erwarteten Demonstranten gesprochen, mal von 50000, mal von 100000. Niemand weiß genau, was die Polizei erwartet. Deshalb bereitet man sich auf jede Größenordnung vor – bis 250000.

Die Gruppen, die die Gipfelgegner vertreten, haben klangvolle Namen, werden aber zumeist als gewaltfrei eingeschätzt: „Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive“, „Bündnis gegen Kapital und Nation“, „Dissent“, „G8-Koordinierungskreis“ „Antifaschistisches und Antiimperialistisches Aktionsbündnis“, „Militante Kampagne“. 74 Straftaten in der gesamten Bundesrepublik wurden seit 2005 im Zusammenhang mit dem Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm gezählt. Dazu gehört der Brandanschlag auf das Grundstück von Finanz-Staatssekretär Thomas Mirow (SPD) in Hamburg ebenso wie eine Farbbeutelattacke auf das bewachte Haus von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD).

Angekündigt wurden bislang eine Reihe von Großdemonstrationen vom 2. Juni bis zum 9. Juni in Rostock, in Bad Doberan, ein Konzert mit Herbert Grönemeyer auf dem IGA-Gelände in Rostock, eine NPD-Demo in Schwerin. Am 7. Juni, den ersten Tag des Gipfels vom 6. bis zum 8., soll ein Sternmarsch nach Heiligendamm führen. 30000 Gegner haben die Organisatoren für den Marsch angekündigt, der als das Hauptereignis der Proteste gilt. Abramowski fürchtet nicht den Sturm auf den Gipfel und den 13 Kilometer langen Zaun rund um Heiligendamm. Nein, das erklärte Ziel des Sternmarsches ist es, „den Gipfel von seiner Infrastruktur abzuschneiden“, so Globalisierungsgegner.

16000 Polizisten aus allen Bundesländern wollen genau dies verhindern. Vom 30. Mai bis 9. Juni wird Heiligendamm abgesperrt. Ken Bootsverkehr, kein Flugverkehr, Autokontrollen. Ausnahmezustand in der weißen Stadt am Meer.