junge Welt 16. uni 2007
Gespräch mit Geronimo. Über Autonome und Volxküchen, Anti-G-8-Proteste und Polizeigewalt, Militanz und Sozialdemokratie
Christof Meueler
Geronimo verfaßte eine sehr lesenswerte Trilogie zur Geschichte der Autonomen: »Feuer & Flamme« (1990), »Feuer & Flamme II« (1992) und »Glut & Asche« (1997). Geronimo lebt in Norddeutschland in unmittelbarer Nähe einer der vielbefahrensten Straßen Europas. Gemeinsam mit Tausenden Mitläufern überrannte er in Rostock auf dem unangemeldeten Weg in die Rote Zone eine Kette der bayrischen Polizei – temporär stellvertretend für Milliarden Überflüssiger auf der Welt.
Nach den Protesten gegen den G-8-Gipfel liest und hört man überall: Die Autonomen sind zurück! Ist das nur ein Schreckgespenst oder Realität?
Die Autonomen waren doch immer da: in den antirassistischen Grenzcamps, in der Antifa, auf Kongressen, in Mittenwald gegen die Gebirgsjäger. Aus den 80er Jahren verbleiben kollektive Projekte und sympathische Aktivisten. Intellektuelle, die den Anspruch haben, nicht blöd zu werden und die eigentlich auch kaum eine Karriere gemacht haben. Andererseits kann man aber sagen, die Rostocker Randalebühne ist von der bürgerlichen Presse verstanden worden.
junge Welt 16. Juni 2007
Grundlage des Erfolges der Linken im Rahmen der G-8-Aktionen: Die Aktivisten ließen sich nicht spalten
Von Dietmar Koschmieder
Wenn so einer einen Stein wirft, was ist er dann? Ein Verbrecher, wie der CSU-Politiker Günther Beckstein im Fernsehen sagt? Ein Chaot, der womöglich Tote will, wie die Bild-Zeitung auf ihrer Titelseite fragt? Führt er die Ziele der Gipfelgegner ad absurdum, wie Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einem Positionspapier behauptet? Oder ist er ein nützlicher Idiot der Geheimdienstleute – wenn nicht gar selbst einer von denen, wie jW-Autor Jürgen Elsässer einschätzt? Einig sind sich die genannten jedenfalls darin, daß sich die anderen Demonstranten von solchen Leuten sofort zu distanzieren, eine »klare Trennlinie« zu ziehen hätten.
Die junge Welt hat sich diesen Standpunkt nicht zu eigen gemacht, trotz der Macht der ersten Bilder, die auch Mitarbeitende von Verlag und Redaktion in den ersten Stunden der sogenannten Krawalle von Rostock verunsicherten. Es war schnell klar, daß wie üblich Medien und Politiker zunächst mehr behaupteten (und später weniger sagten), als sie wußten: Die Zahl der Demonstranten wurde gewaltig untertrieben, das Ausmaß an Zerstörung und Gewalt aus dem sogenannten Schwarzen Block dramatisch übertrieben, die Gewalt der Hochgerüsteten ignoriert. Die gemeldete Zahl der schwerverletzten Polizisten war schlicht gelogen, die Zahl der schwerverletzten Demonstranten ist bis heute unbekannt. Wie alle anderen wußten wir nicht: Wer hat warum Steine geschmissen? Waren es einzelne oder tatsächlich eine große Gruppe, die als Handlungskonzept gezielt und planmäßig Steine rührten? Oder hatten sich Demonstranten gegen Übergriffe gewehrt? Waren Hools und Randaleheinis dabei, die das aus Spaß machten? Oder steckten Provokateure mit Staatsauftrag dahinter? Solange wir aber nicht wissen konnten, was da geschah: Warum sollten wir uns und von wem distanzieren?
junge Welt 16. Jubi 2007
Gegenwehr geht nicht von Agenten aus, sondern von Leuten, die die Nase voll haben. Die Diskussion über Provokateure soll nur die Ablehnung von Militanz bewirken
Von Dr. Seltsam
Ich glaube nicht an Zahlenmystik, aber jedes Jahr mit einer Sieben am Ende zeigt die herrschenden Verhältnisse mit besonderer Schärfe an: 1907 die grausamen Kriege in Afrika, wo die Deutschen das Völkermorden lernten und die SPD bei den »Hottentottenwahlen« rassistisch halbiert wurde. 1917 russische Revolutionen. 1927 ist der Kapitalismus stabil und die KPD endlich Massenpartei. 1937 nach dem Nazischock ergreift jeder anständige Linke die verzweifelte Chance, in Spanien endlich mit der Waffe in der Hand Faschisten zu killen. 1947 leise Hoffnung auf eine einige Arbeiterklasse in einem antifaschistischen Staat. 1957 sind alle großen Dichter tot, Stalin »entlarvt« und die KP im Untergrund, alles verloren. ’67 plötzlich der Ausbruch der Jugendrevolte, die erst zehn Jahre später 1977 in den Zellen von Stammheim endgültig erledigt wird. 1987 ist Kreuzberg No-go-area für Polizei, und Hausbesetzer sind Staatsfeinde. 1997 ist die DDR widerstandslos liquidiert, die Linke liegt am Boden, und das DDR-Volk kriegt die Quittung. 2007 erscheint der Kapitalismus stark wie nie, alle seine Pläne gelingen, aber da taucht das Gespenst des Kommunismus wieder auf, diesmal im Hinterhof der USA, die ihre Schulden nicht bezahlen, aber ihre Prosperität mit Kriegen bewahren. Wenn alle Menschen wüßten, was da auf sie zukommt, würden sie in Panik geraten. Eigentlich eine gute Situation für die Revolution, die laut Lenin dann kommt, wenn die Herrschenden nicht mehr so weitermachen können wie bisher und die Ausgebeuteten sich ernsthaft zu wehren beginnen.
junge Welt 16. Juni 2007
Unter den Militanten bewegen sich die Geheimdienstleute wie Fische im Wasser. Die Linke darf nicht in die Gewaltfalle laufen
Von Jürgen Elsässer
Am 8. Juni meldete die Deutsche Presseagentur (dpa): »US-Sicherheitskräfte haben die Kontrollen um den G-8-Gipfel in Heiligendamm nach dpa-Informationen mit dem Transport einer geringen Menge Sprengstoff getestet. Der in einem Koffer versteckte Plastiksprengstoff sei von den deutschen Beamten an einer Kontrollstelle in einem Auto entdeckt worden, erfuhr die dpa. Obwohl es sich um eine ›sehr kleine Menge‹ gehandelt habe, schlug demnach die Durchleuchtungstechnik Alarm. Daraufhin hätten sich die zivil gekleideten Insassen als US-Sicherheitskräfte zu erkennen gegeben.«
Die Fragen, die sich daraus ergeben, hat als erstes der Investigativjournalist Mathias Bröckers formuliert: Was hätten die »US-Sicherheitskräfte« gemacht, wenn das Material bei der Kontrolle unentdeckt geblieben wäre? Hätte die »sehr kleine Menge« ausgereicht, um Wolfgang Schäuble und der Bild-Zeitung (»Chaoten, wollt ihr Tote ?«) Genüge zu tun? Reicht es, nach der Entdeckung einer Straftat einen CIA-Ausweis zu zücken und »Sorry, war nur ein kleiner Test« zu nuscheln, um fröhlich seiner Wege zu ziehen? Gilt in Deutschland statt Grundgesetz und Strafgesetzbuch der Patriot Act, weil Präsident Bush im Lande weilt?
Spiegel-Online 16. Juni 2007
16. Juni 2007
Von Matthias Gebauer
Der G-8-Gipfel ist Geschichte, der Streit um den Tornado-Einsatz über Heiligendamm noch lange nicht: Die SPD will von Verteidigungsminister Jung einen detaillierten Bericht. Der CDU-Politiker lässt derzeit intern prüfen, warum die Tornados im Tiefflug fotografierten.
Berlin - So schnell wie möglich wollen die Abgeordneten der SPD von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) einen ausführlichen Bericht mit allen Details über den umstrittenen Einsatz von zwei Tornado-Flugzeugen der Bundeswehr im Vorfeld des G-8-Gipfels. “Wir brauchen alle Koordinaten und auch die geschossenen Aufnahmen, um zu entscheiden, ob die Aufklärungsflüge wirklich korrekt waren”, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold SPIEGEL ONLINE.
Innerhalb der Fraktion herrscht Unmut über den Einsatz der beiden mit Kameras ausgestatteten Jets vor dem Heiligendamm-Gipfel. Die Erklärung, es habe sich um eine juristisch korrekte Amtshilfe der Bundeswehr gehandelt, reicht vielen aus der SPD-Fraktion nicht. Die Abgeordneten erwarten von Minister Jung schon Anfang der kommenden Woche ein umfangreiches Dossier, auch mit den über der Ortschaft Reddelich in Mecklenburg-Vorpommern gemachten Aufnahmen.
OZ 9. Juni 2007
Kühlungsborn Zu mehreren kleineren Demonstrationen von einigen hundert G8-Gegnern – darunter Clowns – kam es gestern, am letzten Gipfel-Tag, in Kühlungsborn. Gegen 16 Uhr begann eine Blockade auf der Kreuzung vor dem Kaufhaus Stolz, die längere Zeit andauerte. Die Polizei zog starke Kräfte zusammen und leitete den Verkehr um. Es kam zu Rangeleien. Die Demonstranten hatten sich zuvor in der Parkanlage am Karpfenteich gesammelt.
Gegen 17 Uhr hatte sich der Demonstrationszug den Weg durch die Strandstraße gebahnt, erreichte den Seebrückenvorplatz. Eine Sprecherin vom Demo-Bündnis Block G8 zog dort auf der NDR-Bühne eine Bilanz der Gipfel-Tage aus der Sicht der Gegner.
MVregio 9. Juni 2007
Auch in Rostock Verdacht von Einschleusung sogenannter Zivilbeamten - Im Streit um den Einsatz von Zivilbeamten bei den G8-Protesten hat sich ein Zeuge zu Wort gemeldet.
Die “Hamburger Morgenpost” (Samstagausgabe) berichtete vorab, nach der Aussage eines 25-Jährigen aus der Nähe von Hamburg habe einer von vier schwarz gekleideten Männern bei den Protesten einen Stein in Richtung des Sicherheitszauns geworfen und gebrüllt: “So, jetzt drauf auf die Bullen”.
Die Männer seien wegen ihrer auffälligen Kleidung von Demonstranten enttarnt worden, schrieb das Blatt. Der Zeuge sagte, ihm seien vier Männer aufgefallen, weil sie ganz schwarz gekleidet waren. “Ich dachte sofort: Die wirken wie Leute, die unbedingt aussehen wollen, als seien sie Autonome”, sagte der Zeuge, der dem Blatt zufolge bereit ist, seine Aussagen vor Gericht zu wiederholen.
Wie die “Hamburger Morgenpost” am Freitag berichtete, erwägt die Staatsanwaltschaft Rostock, gegen die Beamten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Anstiftung zu einer Straftat einzuleiten. Oberstaatsanwalt Peter Lückemann sagte: “Wir werden den Sachverhalt strafrechtlich prüfen.”
May 28, 2007
FOR IMMEDIATE RELEASE
Police repression in Germany continues to escalate before G8 Summit.
Hamburg, Germany -- Days before G8 Summit, massive police presence at demonstration in Hamburg as European and Asian Finance Ministers meet at AESM Conference. Aggressive police use Pepper spray, kicks and punches.
Resistance is large and resolute.
Despite escalating police violence, 6,000 ? 8,000 people were in good spirits as they demonstrated against the ASEM conference in Hamburg. The demonstration was part of the beginning of the G8 protests.
Police repeatedly and arbitrarily used pepper spray, also attacking with kicks and punches against the then peaceful crowd. A correspondent of the free radio station ?Kombinat Hamburg? was punched in the face. One affected demonstrator was attacked and later told that it was because he
took a photo of a police officer. Later, an arrested woman was hospitalized after being hit in the stomach by a police officer.
The police were clearly nervous after delaying and surrounding the beginning of the demonstration. Aggression was provoked by individual police troops, while Snatch squads and other units tried to penetrate
Berliner Zeitung 28. Mai 2007
Am Sonntagmorgen sind in Berlin erneut zwei Autos angezündet worden. Die Polizei geht von politischen Motiven der Brandstifter aus und schließt einen Zusammenhang zum G8-Gipfel nicht aus. Gegen 1.25 Uhr brannte ein Mercedes Benz in der Adalbertstraße in Kreuzberg. Er soll zum Fuhrpark der aserbaidschanischen Botschaft gehören. Eine halbe Stunde später ging in der Köpenicker Straße in Mitte ein Toyota in Flammen auf. Durch die Hitze wurde auch ein daneben geparkter Ford beschädigt. Anders als bei den Autobränden zuvor, nahm die Polizei in der Nähe der Köpenicker Straße acht Verdächtige fest, darunter eine Frau. Sie sind zwischen 21 und 38 Jahre alt. Doch die Freude der Beamten währte nicht lange. Genügend Beweise, dass die Festgenommenen den Brand gelegt haben, hat die Polizei nämlich nicht. Deshalb wurden die Frau und die Männer am Sonntag wieder freigelassen. Seit Jahresbeginn sind in Berlin 54 Autos angezündet worden. (ls.)
Berliner Zeitung, 29.05.2007
sueddeutsche 29. Mai 2007
Wasserwerfer im Einsatz: Die Polizei bewertet die Hamburger Kundgebung als Generalprobe für kommende Demonstrationen in Heiligendamm.
Von Ralf Wiegand
Mehrere tausend Menschen haben am Montag anlässlich des Treffens von 46 europäischen und asiatischen Außenministern in Hamburg gegen den bevorstehenden G-8-Gipfel demonstriert. Bis auf einige Rangeleien mit der Polizei verlief der Demonstrationszug zunächst friedlicher, als von der Polizei befürchtet worden war. Der Hamburger Polizeipräsident Werner Jantosch hatte in den Tagen zuvor von einem “sehr schweren Einsatz” gesprochen, der “alles in den Schatten stellt, was wir in der Vergangenheit hatten”. Das Minister-Treffen begann am Abend mit einem gemeinsamen Essen im Hotel “Atlantic”.
Das Bundesverfassungsgericht hatte den Veranstaltern am Sonntagabend untersagt, näher als 500 Meter ans Hamburger Rathaus heran zu kommen, wo am Dienstag die Arbeitssitzung der Außenminister stattfinden wird. Andreas Blechschmidt, Sprecher des autonomen Kulturzentrums Rote Flora, kritisierte die Entscheidung als “absolut versammlungsfeindlich´”. Nach Polizeiangaben nahmen bis zum Nachmittag etwa 4000 Demonstranten an dem Protestzug teil, der im Stadtteil St. Pauli begann und in die Innenstadt führen sollte. Die Veranstalter erwarteten 6000 Teilnehmer.
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