Karawane 98 nach Genf

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Kurzbericht über die Karawane "Geld oder Leben ?"

Die letzte Woche vorm Start war stressig und enttäuschend. Mehrere der Leute, die mit uns starten wollten, sagten dann doch noch aus unterschiedlichen Gründen ab oder erschienen einfach nicht. So waren wir schließlich auf dem ersten Teil der Strecke nur 5 Leute, eine reine Männergruppe. Den ersten halben Tag begleitete uns auch noch ein 76- jähriger, so kamen wir auf ein Durchschnittsalter von ca 46 Jahren. Im Verlauf der Karawane wurde die Gruppe jedoch entschieden jünger und weiblicher.

In Lüchow wurden wir auf dem Marktplatz von der BI verabschiedet und bekamen noch eine Stelltafel zu Gorleben mit. Dann gings endlich los über Salzwedel nach Wittingen und am nächsten Tag zum Hämeler Wald bei Peine. Hier übernachteten wir spontan und unangemeldet an Nebenwegen und Parkplätzen. Als geübten Radfahrern bereiteten uns die Fahrtstrecken keine Schwierigkeiten, so daß wir abends und morgens noch Zeit hatten, all das in Ordnung zu bringen, was in der Hektik des Aufbruchs zu kurz kam, ua die vielen kleinen Macken des LKW zu reparieren.

Bild:Wittingen01.jpg

In Hildesheim kamen wir erstmals in den Genuß einer örtlicher Vorbereitungsgruppe. Wir wurden am Stadtrand begrüßt und durch die Stadt gelotst. Am Trillke-Gut, einem schloßähnlichen großräumigen Haus, das von Studenten bewohnt wird, wurde schon ein leckeres Abendessen gekocht, als wir ankamen. Doch erstmal waren nach 3 Tagen unzivilisierter Reise die Duschen sehr begehrt. Dann gab es in einem neu eingerichteten Gemeinschaftsraum Essen, einen Vortrag und Diskussion zum MAI und anschließend Fete. Mit ca 70 Leuten war der Raum gut gefüllt.

Am nächsten Tag gabs Dauernieselregen und viele Berge, trotzdem war die Stimmung recht gut. Es stellte sich auch heraus, daß der LKW mehr Schwierigkeiten (kochendes Kühlwasser) mit den Bergen hatte als die Radfahrer (auch wassergekühlt ). Wir kamen bis kurz vor Northeim, wo wir auf einem gewöhnlichen Landstraßenparkplatz übernachteten. Hier war die geringe Teilnehmerzahl von Vorteil, wir kamen alle im Wagen unter.

Die Strecke nach Göttingen war kein Problem mehr, allerdings kamen wir Radfahrer getrennt vom LKW dort an, wir hatten uns aus den Augen verloren. Treffpunkt und Übernachtungsort war der Bauwagenplatz. Um 4 fuhren wir mit Infostand und Ausstellungstafeln in die Innenstadt zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz. Bereichert wurde das Geschehen von Straßentheater- und Musikgruppen der "Rotzfrechen Asphaltkultur", die zur selben Zeit in Göttingen ein Treffen hatten. Anschießend gabs für alle interessierten ein Abendessen der Volksküche im nahegelegenen JUZI.

Am nächsten Tag löste sich die wendländische Teilkarawane nahezu auf. Unser ältester Mitfahrer (66) ließ sich nicht weiter überreden und machte sich frühmorgens auf den Weg nach Hause. Einer der beiden verbliebenen Radfahrer kippte nach ca 10 Km vom Rad und mußte ins Krankenhaus zur Untersuchung, der andere begleitete ihn. Also fuhren die beiden im LKW allein weiter nach Gunkelrode, wo dann aber auch die Dresdener Karawane dazukam. Da waren sie wieder 12 und dann mit beiden anderen 14. Gunkelrode ist ein kleiner idyllischer Gutshof in den Bergen bei Bebra, das Wetter war wieder gut und es wurde ein gemütlicher Abend. Es kam viel Besuch aus der Umgebung, auch viele Kinder waren dabei.

Bild:Gunkelrode01.jpg

Dann folgte die längste und schwerste Strecke der Karawane nach Saasen bei Gießen mit über 100 km. Sie begann mit schönstem Sonnenschein und anfangs auch noch bergab. Endlich stellte sich auch das richtige Karawanengefühl ein, mit 14 Leuten ist es schon etwas anderes als zu fünft. Nachmittags gabs eine Zwangspause wegen Gewitter. Vor der Weiterfahrt wollten wir noch bei Mc Donalds unsere Trinkwasserkanister füllen. Erst wurde es uns verweigert, aber nach einem gemeinsamen Auftritt gings dann doch. Gegen 8 Uhr kamen wir schließlich in Saasen an. Das war der letzte Abend, an dem es keine Fete gab. Wir waren alle müde und mußten am nächsten Tag früh raus, um gegen 14 Uhr in Frankfurt zu sein.

Wir habens dann auch so in etwa geschafft. Polizeibegleitung hatten wir schon etwas früher, nachdem wir vor Bad Vilbel aus Versehen und wegen schlechter Beschilderung auf einer Autostrasse gelandet waren. Am Stadtrand gabs eine stürmische Begrüßung von etwa 50 Leuten aus Frankfurt und Umgebung und dann zogen wir zusammen als Demo durch die Stadt. Mit dabei war eine Theatergruppe mit einem recht merkwürdigen insektenartigen Fahrzeug, das mit viel Schall und Rauch für Aufsehen sorgte. Es gab Musik und mitreißende Reden von einen kleinen Bühnenwagen, den wir auch für den Rest der Tour mitnehmen durften. Die Zahl der Teilnehmer stieg noch auf etwa 150, aber das ist eigentlich unwesentlich, es war einfach eine wunderbare Stimmung auf der Demo. Ein bischen Pech gabs aber auch, der LKW mit dem Küchenwagen blieb wegen kaputter Bremsanlage liegen und mußte in die Werkstatt geschleppt werden, war aber abends wieder einsatzbereit. Die Demo ging durch die Innenstadt und dann nach Bockenheim. Dort gab es dann im Cafe Exzess Abendessen der Volksküche und später ein Konzert. Viele von uns fuhren aber wegen Müdigkeit schon bald zum Übernachten zu einem besetzten Haus in Rödelheim.

Bild:K98Frankfurt.jpg

Am nächsten (Sonntag-)Morgen durften wir endlich mal ausschlafen, da wir noch einen Tag in Frankfurt bleiben wollten. Gegen Mittag gabs Frühstück im Exzeß und dann mußten wir auch schon wieder los (mit der Bahn) zum Sonntagspaziergang an die Startbahn (der Frankfurter Flughafen soll nämlich schon wieder erweitert werden). Am Treffpunkt gab es eine Polizeisperre und sie wollten uns nicht ohne Personenkontrolle in den Wald lassen. Nach langen Verhandlungen, bei denen wir auch von Einheimischen unterstützt wurden, durften wir dann doch rein. An einem Platz dicht am Zaun gabs einen Stand der BI mit Infos, Kaffee und Kuchen. Wir erzählten was über die Karawane, die BI von ihren Problemen mit dem Flughafen und daraus ergaben sich eine Menge Gespräche, zb über die zentrale Bedeutung des Flugverkehrs für die globalisierte Ausbeutung. Auch eine Menge Spenden haben wir bekommen.

Drei Leute mußten uns in Frankfurt verlassen, doch mehr kamen dazu und so waren wir über 20 auf dem Weg nach Darmstadt. Anlaufstelle war der Wagenplatz Klabauta, von da ging es zu einer Demo in die Innenstadt, wo dann ein Bohrturm in der Fußgängerzone aufgebaut wurde. Mit einem Theaterstück wurden anhand dieser Ölbohrung die Konsequenzen des MAI- Abkommens verdeutlicht. Dann gings wieder zum Wagenplatz, dort kam unser Volksküchenwagen zum Einsatz und auch das Zelt wurde zum ersten und einzigen mal aufgebaut, um darin Videofilme über Gorleben und Chiapas zu zeigen.

Auf dem Weg nach Heidelberg wurden wir erstmalig von der Polizei länger aufgehalten, allerdings nur um den Stau aufzulösen, der sich hinter uns gebildet hatte. In der Stadt, kurz vor dem Kundgebungsplatz ging es steil bergab, da fuhr der Trecker mit dem Bühnenwagen auf den Wagen davor auf, wobei der Trecker stark beschädigt wurde. Zum Glück war das autonome Zentrum, wo wir übernachteten, auch mit Werkzeug gut ausgerüstet und so konnte der Trecker während der Nacht und am nächsten Morgen wieder fahrtüchtig gemacht werden.

Ab Heidelberg kam ein weiterer Trecker und Wagen mit und auch noch einige Leute mit Rädern. Es regnete noch ein letztes Mal, von da an hatten wir nur noch warmes und trockenes Wetter. In Karlsruhe gab es ein Fest in der Innenstadt auf einem Platz, von dem zuvor oft Obdachlose und Punker vertrieben wurden. Beim Fest waren sie wieder mit dabei, aber auch Leute aus ganz anderen Schichten und Gruppen. "Innere Sicherheit" und Vertreibung waren auch das Thema von Videos, die gezeigt wurden. Um 11 war Schluß und es war erstaunlich, wie schnell alles wieder zusammengepackt und der Platz wieder sauber war. Dann gings zum Übernachten in eine ehemalige Ami-Kaserne.

Am nächsten Morgen versuchten wir, die Auflaufbremse des Bühnenwagens, die den Auffahrunfall verursachte, zu reparieren. Es gelang uns auch dank der Hilfe eines Handwerkers aus dem Nachbarhaus und seinem Schweißbrenner. Auch hier wuchs die Karawane nochmal etwas an. Abends wurden wir auf einem Segelflugplatz bei Kehl mit einem Ständchen und einer großen Essenstafel begrüßt. Im naheliegenden Dorf gab es eine gutbesuchte Veranstaltung zum MAI, auf der dann auch noch lange diskutiert wurde.

Am nächsten Tag fuhren wir zum größten Teil mit Polizeibegleitung. Etwas unglücklich war, daß sie uns auf einem anderen Weg um Lahr herumleiteten, als von unserem örtlichen Organisator geplant war. Er hatte nämlich am Militärflughafen eine Pressekonferenz angekündigt. Dafür war ein dem heißen Wetter angemessener Baggersee an der Strecke. Dort machten wir Pause und auch der Reporter wurde dorthin umgeleitet.

In Freiburg war in der Innenstadt schon den ganzen Tag ein Fest im Gange mit Infos zu den Themen Biovalley (Konzentration von Gentechnik und Pharmazie im Raum Straßburg - Freiburg - Basel) und Leben im Bauwagen. Auch hier war die Ankunft großartig. Auf dem Weg zum Park, wo es abends ein Konzert gab, wurde an zentraler Stelle die Straße gesperrt und ein Wohnzimmer aufgebaut, um darauf hinzuweisen, daß bei der Räumung eines Wagenplatzes Leute auf die Straße gesetzt werden. Auch am nächsten Tag war gabs wieder Infos und Musik in der Innenstadt, auch das Frühstück sollte es dort geben. Da der Park schon im Süden lag, fuhren wir nur mit Fahrrädern hin, um Zeit zu sparen. Zwei weitere Wägen schlossen sich uns an und so rollten wir mit 6 Wägen und etwa 35 Leuten in Richtung Schweiz.

Schon lange machten wir uns Sorgen, ob wir überhaupt über die Grenze gelassen werden, und wenn, mit wieviel Kontrolle wir zu rechnen hatten. Wir dachten uns, daß viel Öffentlichkeit und Anwesenheit von Medien günstig für uns wäre und unsere Baseler Freunde dachten das auch. Sie gründeten die professionell aufgemachte Medienagentur "synergo media", die unter anderem die Meldung verbreitete, Subcommandante Marcos sei gerade in der Schweiz und wolle auch zum Grenzübergang kommen, um die Karawane zu begrüßen. Presse und Fernsehen kamen und wir durften alle rein in die Schweiz, ein wenig Fahrzeugkontrolle war alles. Der Jubel auf beiden Seiten war groß und auch die Medien waren zufrieden, obwohl sie erst etwas beleidigt waren, daß der erschienene Sup nicht der war, den sie erwartet hatten.

Auf dem Weg durch die Stadt stiegen einige Baseler dem Konzern Novartis aufs Dach, um dort einen Sketch gegen Gentechnik aufzuführen. Dann ging es zum Johannes-Park am Rheinufer, der auch historische Bedeutung hat, dort stand früher ein besetztes Haus, das dann geräumt und abgerissen wurde. Momente des Glücks: Die Sorgen hinter uns, einen freien Tag vor uns und viele sympathische Leute um uns, die die nächste Woche mit uns fahren oder uns zumindest unterstützen wollten. Aus Zürich, Wintherthur und der ganzen Schweiz waren sie gekommen, auch noch einige aus Deutschland, so von der Videogruppe AK-Kraak. Ein großes Treffen zum kennenlernen, erzählen, diskutieren, feiern und ausruhen. Am Sonntag gab es nachmittags eine entsprechend gutgelaunte Stadtrundfahrt/ Demo mit einem Wagen und ca 80 Fahrrädern.

Als die Karawane am Montag nach Aarau weiterzog, war sie mit ca 60 Leuten und 7 Wägen fast doppelt so groß wie in Süddeutschland. Durch die Größe sank aber erstmal auch die durchschnittliche Geschwindigkeit, da viel Zeit fürs aufeinander Warten gebraucht wurde. Ärger gabs mit einem ungeduldigen Autofahrer, der einen von uns bei langsamem Tempo angefahren hatte, woraufhin sein Auto einen Handschlag abbekam. Nun hetzte er uns wegen einer angeblichen Beule die Polizei auf den Hals, um den Täter ausfindig zu machen. Es ergab eine lange Diskussion und dann konnten wir schließlich doch unbehelligt weiterfahren. Die 15 km vor Aarau waren die einzige Strecke in der Schweiz, wo es wirklich steil bergauf und dann wieder bergab ging, sonst haben wir uns in Tälern und auf Hochebenen bewegt.

Auf einer Brücke zum Stadtkern von Aarau wurden wir nochmal von der Polizei gestoppt. Sie wollten uns nicht zu der angestrebten Grünanlage in der Innenstadt lassen, behaupteten sie wäre zu klein und wollten uns in einem Park am Stadtrand unterbringen. Wieder lange Verhandlungen (die Strasse war solange blockiert) und dann gings doch, ohne daß es irgend jemandem zu eng wurde. Abends gabs noch ein Lagerfeuer und Videos zum Widerstand im Wendland und über ein französisches Dorf, das Widerstand gegen einen Steinbruch eines Schweizer Konzerns leistet.

Der Sitz dieses Konzerns in Offtringen lag fast auf der Strecke nach Solothurn, ebenso das Atomkraftwerk Gössgen, so daß wir beiden einen Besuch abstatten wollten. In Gössgen wollten wir eigentlich das AKW abschalten, aber wir kamen nicht ran an den Schalter und so hinterließen wir nur ein paar Straßenmalereien sowie eine zusätzliche Kette mit Schloß am Tor, um die Sicherheit zu erhöhen. In Offtringen waren die Eingänge des Prunkpalastes schon dicht mit Polizei und Werksschutz besetzt, da entdeckten wir im seitlichen Ziergarten einen Springbrunnen.

Bild:Offtringen01.jpg

Das war bei dem heißen Wetter genau das richtige Objekt für uns zum Besetzen. Wir badeten recht ausgelassen und irgendwann artete es zu einer Schlammschlacht aus, bei der auch die großen Fenster nicht unbeteiligt blieben. Schließlich verteilten wir noch ein paar Flugblätter über den Steinbruch auf dem Brunnen und an den Fenstern, um klarzumachen weshalb wir eigentlich gekommen waren. In Solothurn gab es keine örtliche Vorbereitungsgruppe, der Platz wurde von Bern aus organisiert. So hatten wir mal einen Abend nur für uns, ohne Demo oder öffentliche Veranstaltung, aber mit Videos von AK-Kraak.

Auch auf dem Weg nach Bern gab es ein besuchenswertes Objekt, einen Frauenknast in Hindelbank. Wir wollten den zum großen Teil ausländischen Frauen dort solidarische Grüße übermitteln und entwarfen einen Text in mehreren Sprachen. Vor dem Knast spielten wir über eine mobile Lautsprecheranlage Musik und verlasen dann die Texte. Um die Grüße noch ein bischen zu bekräftigen, wurde am Zaun gerüttelt, was sich als verhängnisvoll erwies. Der Zaun war nämlich hochsensibel, es rissen Drähte und der obere Teil kippte weg. Von diesem unerwarteten Erfolg angespornt, wurde auf dem Rückweg zu den Fahrzeugen noch an anderen Stellen mit ähnlichen Ergebnissen am Zaun gerüttelt. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Wir mußten einen Bogen fahren, um wieder auf die Straße nach Bern zu kommen, während einige Polizeiwannen einen direkteren Weg von der Rückseite des Knastes nutzen konnten. Sie versperrten uns den Weg und wollten unsere Personalien feststellen. Da wir sie aber verweigerten und sie nicht die nötige Übermacht hatten, ließen sie uns erstmal wieder weiterziehn.

Bild:Kara98Pan.jpg

In Bern gings erstmal zur Reitschule, die jetzt aber nichts mehr mit Reiten zu tun hat, sondern ein großes autonomes Zentrum ist mit Kneipe, Konzertraum, Theater, Kino, Infoladen, Druckerei, Werkstätten und einer großen (Reit-)Halle. Hier gab es eine Pause und was zu trinken, dann gings weiter zur angekündigten Velodemo (Velo =Fahrrad) in die Innenstadt, die ihren Abschluß am Bärenplatz fand. Dort gabs dann ein Fest bis in die Nacht mit Musik und Volksküche. Übernachtet wurde dann in einem Park weiter außerhalb.

Der folgende Tag war einzige, der uns nicht so gut gefiel, obwohl er auch ein paar lustige Szenen bot. Wir waren auf dem Weg nach Fribourg kurz hinter Oberwangen, als vor uns jede Menge Polizeiwannen auftauchten und anhielten. Hinter uns dasselbe. Dann stiegen sie aus, hochgerüstet mit Schildern und Gewehren für Tränengasgranaten oder Gummigeschosse und kamen auf uns zu. Bild:Oberwangen01.jpg

Angesichts dieser Armee war unsere Verhandlungsposition nicht so gut wie sonst und wir mußten uns dem fügen, was sie mit uns vorhatten. Die Fahrräder mußten wir abstellen, wir wurden eingedost und zu einem Zivilschutzzentrum gebracht, das sie für uns schon vorbereitet hatten. Die Trecker und LKW-Fahrer mußten mit Begleitung zu einer Sandkuhle fahren, wo die Wägen abgestellt wurden.

In dem Zivilschutzzentrum wurden wir Frauen und Männer getrennt untergebracht und es hat ewig lange gebraucht, bis sie endlich fertig waren mit Personalien aufnehmen und fotografieren. Zwischendurch kam ein Untersuchungsrichter vorbei und klärte uns darüber auf, was wir für Verbrecher waren, Landfriedensbruch und "qualifizierte Sachbeschädigung". Angeblich soll die Schadenshöhe mehrere zehntausend Franken betragen. Wir wollten gern mehr wissen, was das qualifizierte daran sei und was an dem Draht so teuer sein soll, aber er ging auf keine unserer Fragen ein. Auch die Polizisten ignorierten unsere Anfragen und Bitten, so nach einem Arzt wegen einer Verletzung am Finger, nach Medikamenten, die jemand regelmäßig einnehmen mußte, genauso wie die nach Essen oder nach Decken, weil es kalt im Raum war und wir als Radfahrer draußen in der Sonne nur leicht bekleidet waren. Dann wurden wir nacheinander wieder in Wannen verfrachtet, dabei sortiert nach Schweizern und Nichtschweizern, was schon auf eine Abschiebung hindeutete. Dabei haben sich einige Schweizer netterweise als Deutsche ausgegeben, so daß wir alle erneut sortiert werden mußten, als sie das nach einiger Zeit merkten.

Dann wurden wir in die Sandkuhle zu den Wägen gebracht, um unsere Sachen zu packen und unsere Fahrräder zu benennen. Dabei zeigte sich, daß in der Zwischenzeit alles durchwühlt worden war, so daß einige recht lange brauchten, um ihre Sachen wieder zusammenzusuchen. Einige Sachen waren auch ganz verschwunden, so zB eine Tasche mit einem tragbaren Computer. Es gab weder Quittungen noch eine Liste, was alles beschlagnahmt wurde. Auch die anwesenden Polizisten hatten keine Ahnung davon. Dann wurden wir zum Grenzübergang Basel/Weil gefahren und in einem anderen Wagen unsere Fahrräder und das Gepäck. Da uns die Polizisten nicht sagen konnten oder wollten, ob mit der Abschiebung ein Einreiseverbot verbunden war, probierten zwei Leute es einfach aus. Ihnen wurde von den Grenzbeamten gesagt, daß sie 2 Jahre Einreiseverbot hätten und daß Verstöße dagegen mit bis zu 2 Jahren Knast bestraft werden könnten. Es war 10 Uhr abends und es stellten sich die Fragen "Was nun?" und "Wohin?". Zum Glück kamen bald ein paar Leute aus Basel und aus Lörrach, wobei uns die Lörracher ihren Infoladen als Exil-Unterkunft anboten und uns auch dorthin brachten.

Der Abend und der nächste Tag in Lörrach war etwas chaotisch. Viele Leute auf engem Raum, Informationen besorgen, Presseerklärungen schreiben, Adressen und Faxnummern erkunden, überlegen was wir weiter machen wollen. Das Telefon lief heiß und schon bald war klar, daß wir wohl die nächste Telefonrechnung des Infoladens zahlen müßten. Wir einigten uns darauf, dafür das Schweizer Münzgeld aus den Spendendosen in Lörrach zu lassen. Gegen Mittag kamen auch unsere Fahrer und Fahrerinnen an, die die Nacht noch in Schweizer Knästen verbringen mußten. Von ihnen erfuhren wir, daß unsere Festnahme sogar im Schweizer Fernsehen gezeigt wurde. Die Karawane wurde von den Mitfahrern aus der Schweiz weitergeführt, die öffentlichen Wägen (Küchen-,Bühnen- und Gepäckwagen ) wurden mitgenommen nach Genf, die anderen nach Basel gebracht. Wir beschlossen, durch Frankreich an die Genfer Grenze zu fahren, uns dort am Sonntagabend mit der Restkarawane wiederzuvereinigen und die Wägen abzuholen.

Ein bischen Theater wollten wir auch noch machen an der Grenze, irgendetwas Aufsehen erregendes. Erst war da die Idee eines strippenden Männerballets, sie wurde dann weiterentwickelt und politisiert zu einem Strip-Monopoly Spiel (statt Miete mußten die Habenichtse Kleidungsstücke an die Straßenbesitzer abgeben). Durch den Inhalt der Ereigniskarten und die Erweiterung des Spiels um Polizisten konnten wir noch einige unserer Erlebnisse mit einbauen. Am Samstag war auch noch Flohmarkt in Lörrach, also schöne Sachen zum an- und ausziehen in großer Auswahl.

Wir mieteten zwei Kleinbusse und fuhren los, erstmal zu einem Bauernhof in der französischen Jura, der uns von Genf als Übernachtungsmöglichkeit vermittelt wurde. Er überraschte uns mit jugendherbergsähnlichen Schlafsälen und einem revolutionären internationalistischen Anspruch. Wir wurden mit einem reichhaltigen Abendessen begrüßt und bekamen am nächsten Tag auch noch Frühstück und Mittagessen. Es wurde nichts dafür verlangt, sondern nur um Spenden gebeten, wie wir es auch von den Volksküchen her kennen. Vor dem Mittagessen bereiteten wir unser Spiel weiter vor, leider blieb uns keine Zeit mehr, den Bauernhof zu besichtigen.

In Annemasse an der Grenze nach Genf wartete die restliche Karawane schon auf uns. Wir hatten uns schon recht liebgewonnen in den Tagen gemeinsamer Fahrt und Aktion, so war die Wiedersehensfreude riesig. Das Stripopoly auf einem Streifen im "Niemandsland" war eine Mordsgaudi, schade daß nicht noch mehr Zuschauer da waren. Danach saßen wir noch lange auf dem nahen Parkplatz und hatten uns viel zu erzählen. Die Karawane doch noch bis Genf weiterzuführen war ziemlich strapaziös. Nach der Freilassung kamen unsere Freunde und Freundinnen wieder in Bern zusammen und mußten sehr früh morgens los, um an einem Tag bis Lausanne zu kommen. Am nächsten Morgen wieder früh raus, um rechtzeitig (14 Uhr) zur Global Street Party in Genf zu sein. Trotzdem soll es sehr schön gewesen sein. Auch in der Nacht zum Sonntag war es nichts mit Ruhe, da der Platz nach Randale in der Stadt zum Brennpunkt einer schweren Auseinandersetzung mit Tränengas und Pflastersteinen wurde.

Allmählich wurde es Zeit, Abschied zu nehmen. Wir wollten noch ein paar km raus aufs Land einen Platz suchen, wo die Wägen über Nacht bleiben konnten. Ein paar Schweizer kamen noch mit dorthin, die anderen gingen zurück nach Genf. Klar war, daß wir uns alle bald mal wiedersehen wollten, zB auf der EZBankDemo in Frankfurt (27.6) oder im September auf der Fete des Dresdener Hüttendorfs. Als wir einen Platz gefunden hatten, gabs noch Lagerfeuer, Rotwein, Suppe und viele Gespräche, dann hieß es auch hier Abschied nehmen, denn die Mietbusse mußten morgens um 9 wieder in Lörrach sein.

Die Karawane und ihre Vorbereitung war anstrengend, stressig, chaotisch und kostete viel Zeit, Mühe und Geld. Dennoch können wir sagen: Wir bereuen nichts. Und soweit wir das überblicken können, sehen das die meisten Beteiligten ähnlich, ob jetzt Mitfahrer oder örtliche Unterstützer. Es ist nicht leicht, das begeisternde der Karawane rüberzubringen, wie auch die Inhaltsangabe eines Films oder Theaters oft das wesentliche nicht treffen kann. Es war ein Erlebnis: von Solidarität und Selbstorganisation, von Einheit und Vielfalt, von Hoffnung und Stärke...Und es war ein Kontrastprogramm zum herrschenden System.

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