16.04.07
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Thema "Globalisierung“: Interview mit Juliane Nagel vom „Leipziger Bündnis gegen G8“
(Johannes Sibbor) Anfang Juni treffen sich die G8, die Regierungen der sieben wichtigsten Industrieländer (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, USA) sowie Russlands, zum Gipfel in Ostseebad Heiligendamm, um ihre Außenpolitiken zu koordinieren. Wie inzwischen üblich, wird auch dieser G8-Gipfel von einer bunten Protestbewegung begleitet, die die gegenwärtige Form der Globalisierung kritisch beurteilt.
Unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ rufen die Globalisierungskritiker zur Demonstration in Heiligendamm auf. In Leipzig haben sich zur Vorbereitung der Proteste gegen den G8-Gipfel verschiedene Personen und Gruppen zum „Leipziger Bündnis gegen G8“ zusammengeschlossen. Juliane Nagel ist Mitarbeiterin im linxxnet von Abgeordneten der Linkspartei und im „Leipziger Bündnis gegen G8“ aktiv.
Sind die G8 die „Vorreiter einer auf Krieg gestützten Weltordnung“, wie der Aufruf zur Demonstration in Heiligendamm behauptet?
Die Formulierung ist Ausdruck der ganzen G8-Mobilisierung, die natürlich auf Zuspitzungen basiert. Ganz Konkret: Vor zwei Jahren gab es den G8-Gipfel in Gleneagles, wo der Irakkrieg und die Austarierung der Interessen der G8-Staaten ein wichtiger Punkt war. Dort wurden die Strategien abgestimmt. Aber gerade der Irakkrieg hat ja bewiesen, dass wichtige Akteure nicht an dem Krieg beteiligt waren. Es gibt also durchaus widerstrebende Interessen unter den G8-Staaten. Aber ganz pauschal kann man natürlich sagen, dass die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln zum Standard der G8-Staaten gehört.
Wenn die G8 prinzipiell militärische Mittel in ihrem Repetoire haben, ist dann nicht Widerstand legitim, beziehungsweise notwendig?
Natürlich ist diese Kriegsfrage ein wichtiger Punkt der Mobilisierung gegen den Gipfel. Es gibt ein großes Anti-Militarisierungsbündnis innerhalb der Bewegung, was natürlich auf nationale Probleme abstellt: Leipzig-Halle zum Beispiel ist ja ein Flughafen, wo Nato-Flugzeuge auf dem Weg in den Irak zwischenlanden und Material aufnehmen; es gibt auch eine Widerstandsbewegung aus Brandenburg, wo ein ehemals von der Roten Armee genutzter Flughafen und Übungsplatz, das so genannte „Bombodrom“, jetzt wieder durch die Bundeswehr genutzt werden soll.
Nochmal: Der Widerstand gegen die militärische Nutzung des Flughafen Leipzig-Halle und gegen das „Bombodrom“ in Brandenburg, wie weit sollte dieser Widerstand gehen? Letztendlich: Muß man Krieg führenden Staaten nicht mit Gegengewalt begegnen?
Die Protestbewegung will dagegen vorgehen, dass Krieg ein Mittel der Politik ist. Aber es ist ja vollkommen unrealistisch anzunehmen, dass selbst Hunderttausend Leute in auf einer Demonstration in Heiligendamm irgendwie verhindern können, dass Krieg geführt wird. Da ist ja wieder der Irakkrieg ein gutes Beispiel: die polnische Bevölkerung war entschieden gegen den Krieg, aber die Regierung ist trotzdem in ein Bündnis mit den USA eingestiegen. Es ist eigentlich eine Frage der Demokratie: wie lässt sich eine Regierung von der Bevölkerungsmeinung beeinflussen und wo werden Entscheidungen getroffen.
Ein anderes Thema: Für welche Alternative zur Politik der G8 steht das „Leipziger Bündnis gegen G8“?
Zur Beantwortung dieser Frage muss man erstmal unsere Kritik formulieren. Die Kritik bezieht sich nicht nur auf die Militarisierung alleine, sondern auch auf die G8 als Vorreiter einer neoliberal-kapitalistischen Politik. Einer Politik, die auch für ökologischen Raubbau steht. Die Politik der letzten Jahre stand im Zeichen einer Wirtschaftsweise, die überhaupt nicht mehr gezügelt wird und einfach expandiert. Das ist auch die Ursache für die ökologische Krise, die wir jetzt auf dem Tisch haben. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Ausschluss von Migranten und Flüchtlingen durch die westlichen Wohlstandsgesellschaften. Diese Problematik ist ja auch oft durch die Politik der Industriestaaten verursacht, wie viele Krisen in afrikanischen Ländern zeigen. Das sind unsere Hauptkritikpunkte.
Alternativen kann man natürlich nicht einfach so als „keywords“ proklamieren. Wir haben lange über unsere Headline „Wir sind für eine soziale, solidarische Globalisierung“ diskutiert. Wir stellen uns eine Globalisierung vor, die nicht nur durch die Verknüpfung der Finanzmärkte als Weltwirtschaftsmarkt gekennzeichnet ist. Wir wollen eine Globalisierung, die positiv belegt ist als Interaktion und Kommunikation von Menschen weltweit, nicht unbedingt an Nationalstaaten gekoppelt. Das ist unser Ausgangspunkt.
Ist die Forderung nach der Einführung der so genannten „Tobin-Tax“ auf kurzfristige Spekulationsgewinne noch aktuell? Gibt es ähnliche Vorschläge, die von heute auf morgen umsetzbar wären?
Die Tobin-Tax ist meines Erachtens nicht mehr wirklich in der Debatte. Konkrete Forderungen unsererseits zu formulieren ist schwierig. Die G8 sind ja kein formales Gremium sondern ein illegitimes Netzwerk, was sich abspricht um dann in den wirklichen Institutionen wie beispielsweise IWF oder WTO gemeinsam vorzugehen. Und es ist natürlich schwierig, wenn man als lokale Initiative sagt, wir wollen weltpolitische Vorschläge machen. Darum stellen wir eigentlich ab auf lokale oder nationale Missstände. Dort möchten wir ansetzen. Beispielsweise bei der Tendenz zur Privatisierung von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge aufgrund leerer staatlicher Haushalte. In Leipzig ist das mit den Stadtwerken noch nicht vollzogen. Wir sehen auch Probleme beim Umbau von Hochschulen: nicht nur durch die Einführung von Studiengebühren, sondern auch durch die Kappung der demokratischen Mitbestimmung. Wir haben eine unter der rot-grünen Bundesregierung begonnene Sozialgesetzgebung, die alte sozialstaatliche Modelle kappt, wie man bei HartzIV und der Rente mit 67 sieht.
Anknüpfungspunkt für uns ist bei alledem, die Menschen darauf hinzuweisen, dass diese Probleme nicht nationale, sondern globale Probleme sind. Natürlich gibt es in Lateinamerika andere Probleme als in Westeuropa, aber eine gemeinsame Tendenz, Sicherungssysteme abzubauen und kapitalistischen Interessen den Raum zu lassen.
Der Info-Flyer des „Leipziger Bündnis gegen G8“ macht die „Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge“ für eine „Verschlechterung der Infrastruktur“, „höhere Preise“ und „prekäre Arbeitsverhältnisse“ verantwortlich. Gibt es nicht positive Beispiele von gelungenen Privatisierungen?
Ja. Ich persönlich bin keine radikale Verfechterin von Nicht-Privatisierung. Das ist eher eine Demokratisierungsfrage. In bestimmten Bereichen gibt es tatsächlich positive Beispiele. Zum Beispiel im Bildungswesen, wenn sich Elterninitiativen entscheiden, eine Schule aufzumachen, ist das ja auch eine Art von Privatisierung. Es gibt dann freie Schulen, wo der Staat trotzdem noch hilft, indem er Kinder subventioniert, damit sie auf diese Schule gehen können. Was aber bestimmte Schlüsselbereiche betrifft wie Energie-, Wohnungs- oder Wasserversorgung kenne ich keine Fälle, in denen eine Privatisierung nicht zu Verschlechterungen geführt hätte.
Im März präsentierte das „Leipziger Bündnis gegen G8“ im UT Connewitz kritische Kurzfilme zur G8 und organisierte eine Podiumsdiskussion. Was ist weiter in Leipzig im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm geplant?
In Vorbereitung auf den Gipfel in Heiligendamm selbst organisieren wir die Anfahrt und sind kräftig am mobilisieren. Wir empfehlen die Anreise mit dem ÖPNV und die Fahrradmitnahme, werden aber auch am 2. Juni die Anfahrt zur Auftaktdemo in Rostock per Bus ermöglichen.
Am 1. Mai veranstalten wir gemeinsam mit der IG Metall die traditionelle 1.Mai- Demonstration, bei der es auch um das Thema G8 gehen wird. Das alles mit einem lokalen Bezug, d.h. es wird um die Privatisierung der Stadtwerke Leipzig gehen.
Am 3. Mai gibt es eine Veranstaltung in der Nato zu staatlichen Strategien gegen Proteste und den Möglichkeiten, wie man sich individuell dagegen schützen kann. Medial wird ja gerade versucht, die Situation so aufzuladen, als seien in Heiligendamm Gewalttäter am Werke. Aber so wird das nicht werden. Sondern es werden auch Familien und junge Leute hinfahren. Da ist es schon wichtig, ein wenig knowhow zu haben.
Zu Pfingsten treffen sich in Leipzig die EU-Minister zum Themenfeld Stadtentwicklung. Zusammen mit Attac, die zeitgleich eine Konferenz zu dem Thema veranstalten, werden wir eine Aktion machen.
Letzter Punkt: Auch Nazis mobilisieren gegen G8. Am 26. April gibt es im Conne Island eine Veranstaltung zur Differenzierung von linker und rechter Globalisierungskritik. Mit dem Konzept des Ethno-Pluralismus der Nazis – jedem Volk seine Scholle- haben wir nichts zu tun.
In welcher Form können sich Interessierte am Leipziger Bündnis gegen G8 beteiligen?
Alle zwei Wochen findet montags in Connewitz in der Frau Krause Bündnistreffen statt, wo nicht nur die 15 beteiligten Organisationen, sondern auch Einzelpersonen mit am Tisch sitzen. Gerade die Teilnahme von Nicht-Organisationsgebundenen ist spannend, weil sie immer ganz andere Perspektiven einbringen. Bei den Bündnistreffen werden alle Veranstaltungen und Aktionen vorbereitet.
Zum Abschluss noch einige Schlagworte. Bitte beschreibe mit einem Satz, was Dir dazu einfällt: George W. Bush.
Ein Satz? Er führt die wichtigste Wirtschaftsnation, seine persönliche Verantwortung wird aber in der globalisierungskritischen Bewegung bisweilen überschätzt.
SPD.
Die SPD muss sich in Acht nehmen vor der globalisierungskritischen Bewegung und linken Parteien, die ihr das Wasser abgraben.
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.”
Ja, aber es gibt die Möglichkeit, das Leben ein wenig besser zu gestalten, auch wenn das Große und Ganze falsch bleibt.
Leipzig.
Leipzig erweist sich im Zuge der Anti-G8-Mobilisierung als sehr gutes Pflaster, wo viele Akteure sensibilisiert sind für weltpolitische Missstände.
Vielen Dank.
Info: Mit freundlicher Genehmigung von
www.powimag.de
Informationen zu G8-Initivitven in Leipzig:
www.dissentnetzwerk.org/wiki/Leipziger_G8_Bündnis