Rote Flora®

Gebrauchsinformationen

Zusammensetzung

Die Rote Flora ist als Projekt 1989 aus der Bewegung gegen Umstrukturierung ent-standen. Sie steht bis heute für die Verhinderung des Großprojekts "Phantom der Oper", das im Schanzenviertel an der Stelle, wo heute noch die Flora steht, gebaut werden sollte. Nachdem das „Phantom der Oper“ aufgrund von massivem Wider-stand im Schanzenviertel in die Holstenstraße verlegt wurde, existierte die Rote Flora zeitlich begrenzt vom 23.9.1989 bis zum 31.10.1989 als legales selbstverwal-tetes politisch-kulturelles Zentrum. Am 1.11.1989 erklärten die Nutzer_innen das Gebäude für besetzt. Im Herbst 2000 bot der damalige Bezirksamtsleiter von Altona, Uwe Hornauer, dem Flora-Plenum Vertragsverhandlungen zum Zweck einer Legalisierung des Projekts an. Daraufhin entschied nach monatelangen Diskussionen im Projekt eine Vollver-sammlung von über 200 Menschen mit großer Mehrheit, dass jede Art von Vertrag und Vertragsverhandlungen klar abzulehnen ist – selbst wenn dies den Versuch, die Flora zu räumen, bedeuten könnte. Das Hauptargument für diese Entscheidung bestand darin, dass der besetzte Status der Flora als absolut wesentlich für die po-litische Selbstbestimmung des Projekts angesehen wurde. Seitdem hat es von Sei-ten der Stadt keine weiteren Legalisierungs-Versuche gegeben, und so ist die Flora bis heute ein besetztes Zentrum. Daran hat auch die Tatsache, dass das Gebäude der Flora 2001 von der Stadt an eine Privatperson verkauft wurde, nichts geändert.

Wirkstoff

Das bedeutet nicht, dass die Rote Flora ein „rechtsfreier Raum“ wäre, wenn darun-ter ein Raum verstanden wird, der vollkommen außerhalb des Zugriffsbereichs staatlicher Institutionen liegt: Die Flora ist kein „Schutzraum“ - sie kann keinen wirk-samen Schutz vor staatlicher Repression leisten. Die Rote Flora ist auch kein „Frei-raum“, wenn damit ein Raum gemeint ist, in dem die herrschenden gesellschaftli-chen Zwänge aufgehoben sind – auch wenn der Versuch, diese Zwänge so weit wie möglich zurückzudrängen, seit Beginn wesentlicher Teil des Selbstverständnis-ses der Flora war. Als besetzter Raum bietet die Rote Flora allerdings soziale und politische Hand-lungsspielräume, die sonst schon aufgrund von sog. „Sachzwängen“ ausgeschlos-sen sind. So bietet die Flora beständig die Chance, dass immer wieder die herr-schenden politischen Spielregeln übertreten und damit Brüche in der herrschenden Ordnung produziert werden, was potentiell auch über die Flora hinaus Wirkungen haben kann: Allein schon dass die Flora seit 1989 als illegales Zentrum funktioniert, stellt einen solchen Bruch dar. Diese Chance bildet das Wesentliche des Projekts Rote Flora als autonomem Zentrum, und genau dieser Aspekt sollte abgetrennt werden, als 2000/2001 die Flora durch ein Vertrags-Angebot „befriedet“ werden sollte.

Anwendungsgebiete

In der konkreten Umsetzung dieses politischen Selbstverständnisses haben sich im Laufe der Jahre einige Grundsätze entwickelt, von denen manche irgendwann auf-gegeben wurden, manche neu hinzugekommen sind, so dass hier lediglich der ak-tuelle Stand wiedergegeben werden kann.

1. Ökonomie Seit Beginn stand die Flora für den Versuch, Gegenkonzepte zur kom-merziellen Verwertung des öffentli-chen und kulturellen Raums praktisch umzusetzen. Ziel war und ist, die Nut-zung und Bestimmung des Raums Rote Flora so weit wie möglich von ökonomischen Kosten-Nutzen-Erwägungen abzukoppeln: Keine und Keiner, die oder der die Flora nutzt, muss dafür Geld zu bezahlen. Gleich-zeitig kann auch Keine und Keiner mit ihren Aktivitäten in der Flora Geld ver-dienen: alle Arbeit im Projekt – auch bei Veranstaltungen - ist unentgeltlich. Abgesehen davon erhält die Flora kei-ne städtischen oder staatlichen Gelder und ist somit finanziell unabhängig von städtischen oder staatlichen Insti-tutionen. Anfallende Kosten für Strom, Heizung, Wasser, Müllabfuhr, Bauma-terialien usw. werden durch Spenden gedeckt. Dabei ist es dem Projekt Ro-te Flora immer wieder möglich, zu-sätzlich zur Deckung der eigenen Kos-ten verschiedenste politische Initiati-ven und Projekte finanziell zu unter-stützen.

2. Selbstverwaltung Die Flora steht auch seit Beginn für den Versuch, strukturelle und infor-melle Hierarchien, die innerhalb solch großer Projekte wie der Flora – oft un-gewollt - immer wieder auftauchen, beständig zurückzudrängen. Bezahlte Stellen wurden deshalb in der Flora immer klar abgelehnt. Vor allem aber werden aus demselben Grund in der Flora alle grundlegenden Entschei-dungen von allen Nutzer_innen ge-meinsam auf der Vollversammlung im Konsens getroffen. Prinzipiell haben hier alle das gleiche Mitspracherecht - es gibt also keine strukturellen Hierarchien - und das Konsensprinzip soll gewährleisten, dass Minderheitenpositionen nicht ein-fach übergangen werden können. Das Konsensprinzip wurde lediglich zwei-mal bewusst außer Kraft gesetzt: 1993, als gegen den Willen einer Min-derheit das allgemeine Alkohol-Verbot in der Flora gekippt wurde, und 2001, als nach monatelangen Diskussionen im Konsens das Konsensprinzip ein-malig aufgeweicht und mit einer etwa 80%igen Mehrheit beschlossen wur-de, keine Vertragsverhandlungen mit der Stadt zu führen.

3. Vollversammlung Die Vollversammlung ist das oberste Gremium des Projekts Rote Flora. Der Rhythmus, in dem Vollversammlungen stattfinden, hängt immer davon ab, wie viele grundlegende Entscheidun-gen gerade anliegen. Momentan sol-len Vollversammlungen in unregelmä-ßigen Abständen mindesten alle drei Monate stattfinden. Prinzipiell kann jede Nutzerin und jeder Nutzer der Flora eine Vollversammlung einberu-fen. Genauso sind zu Vollversamm-lungen alle Menschen, die die Flora in irgendeiner Weise nutzen, eingeladen. Die Unterscheidung zwischen denen, die bestimmte Räume „aktiv“ nutzen und denen, die „nur passiv“ zu Voküs, Cafés, Partys und Konzerten oder zu politischen Veranstaltungen kommen, halten wir hier für politisch falsch: Das Projekt Rote Flora ist mehr als die Summe ihrer „aktiven“ Nutzer_innen.

4. Plenum Da aber neben den grundlegenden Entscheidungen auch im laufenden Betrieb ständig Entscheidungen ge-troffen, Aufgaben übernommen oder Dinge organisiert werden müssen, gibt es neben den Vollversammlungen ein wöchentliches Flora-Plenum, das sich immer mittwochs in der Flora trifft. Dieses Plenum ist von der Idee her ein Delegierten-Plenum: Idealerweise treffen sich hier wöchentlich Delegier-te aller Gruppen, die die Flora „aktiv“ nutzen, d.h. Delegierte von allen Vo-küs, Cafes, Politgruppen, Sportgrup-pen, Bands, von Motorrad- und Fahr-radwerkstatt, Archiv, Druckgruppe, FoodCoop usw. Damit diese Selbstverwaltungs-Struktur der Flora funktioniert, ist es wichtig, dass sie von möglichst allen Gruppen, die die Flora nutzen, aktiv genutzt wird.

5. Ordnung und Sauberkeit Zur Selbstverwaltungs-Konzept gehört auch, dass es in der Flora keinen Hausmeister und auch keine Putzkräf-te gibt. Aufräumen, Putzen, Müllent-sorgung usw. werden von allen, die die Flora nutzen, selbstverantwortlich übernommen. Reparaturen und Bau-arbeiten am Haus werden gemeinsam an Bauwochenenden durchgeführt. Damit die Flora als Projekt auch orga-nisatorisch funktioniert und ein Ort bleibt bzw. wird, an dem mensch sich wohl fühlt, ist es wichtig, dass sich alle Nutzer_innen an diesen anfallenden Arbeiten beteiligen.

Gegenanzeigen und Nebenwirkungen Neben den sehr grundlegenden Regeln, die die Selbstverwaltungs-Strukturen im Projekt bestimmen, haben sich im Laufe der Zeit auch einige Regeln bezüglich dessen entwickelt, was in der Flora unerwünscht ist.

1. Hausverbote Leider ist es in einem Projekt wie der Flora immer wieder nötig, Menschen von der Nutzung auszuschließen. Dass Bullen und z.B. Regierungspoli-tiker_innen draußen belieben müssen, ist selbstverständlich. Manchmal ist es aber auch notwendig, Menschen auf-grund ihres konkreten Verhaltens aus-zuschließen: Wir halten es aus politischen Gründen für richtig, dass die Vielfalt der Mei-nungen, die in der Flora geäußert und vertreten werden können, bestimmten Grenzen unterliegt: Wer sich eindeutig sexistisch, homophob, rassistisch oder antisemitisch äußert oder verhält, hat in der Flora nichts verloren und wird vor die Tür gesetzt. Wenn solche Menschen ihr Verhalten auch im Nachhinein verteidigen, ist über einen einmaligen Rauswurf hinaus manch-mal ein Hausverbot angebracht. Glei-ches gilt für Menschen, die sich kör-perlich oder verbal gewalttätig verhal-ten. Dabei gehört es zum politischen Selbstverständnis der Flora, dass Rauswürfe und Hausverbote nicht mit Hilfe der Polizei durchgesetzt werden. Genauso gehört zu diesem Selbstver-ständnis, dass es in der Flora keine lebenslangen Hausverbote gibt: Hausverbote gelten meistens für eini-ge Monate; dann wird entschieden, ob ihre Begründung weiterhin gegeben ist, oder ob sie aufgehoben werden können.

2. Alkohol Bei der Besetzung der Flora 1989 wurde beschlossen, angesichts der Gefahr eines Räumungseinsatzes ein allgemeines Alkoholverbot im Haus zu verhängen. Um bei Partys und Kon-zerten den Alkoholkonsum zu ermög-lichen, wurde 1993 in einer Mehr-heitsentscheidung das allgemeine Al-koholverbot gekippt. Da aggressives Verhalten von (meist männlichen) Besucher_innen auf Par-tys und Konzerten in der Vergangen-heit sehr oft mit starkem Alkoholkon-sum in Zusammenhang stand, gilt als Einschränkung allerdings weiterhin ein totales Verbot von Hart-Alk in der Flo-ra. Des weiteren soll zumindest die Vokü ein Raum bleiben, an dem mensch sicher sein kann, nicht durch alkoholisiertes Verhalten belästigt zu werden, weswegen in der Vokü wei-terhin ein totales Alkohol-Verbot gilt.

3. Fleisch Da die Flora immer schon auch von vielen Menschen genutzt wurde, die entweder kein Fleisch oder keine Tierprodukte im Allgemeinen essen, kochen die Voküs meistens vegan. Aus dem gleichen Grund gilt seit vie-len Jahren der Beschluss, dass in der Vokü kein Fleisch konsumiert werden soll.

4. Fotos, Videos, Interviews Als illegales besetztes Zentrum war die Flora immer wieder der Hetze ver-schiedener Medien – vor allem der Springer-Presse – ausgesetzt. Dies macht einen sehr bewussten und ü-berlegten Umgang mit öffentlichen Medien notwendig. Aus diesem Grund dürfen im gesamten Innenraum der Flora Fotos und Videos prinzipiell nur nach Absprache mit dem Plenum oder mit der Vollversammlung aufgenom-men werden. Genauso werden Inter-views oder Gespräche über das Pro-jekt Rote Flora mit Verteter_innen öf-fentlicher Medien nur nach Absprache mit dem Plenum oder der Vollver-sammlung geführt. Da speziell Redakteure der Springer-Presse in der Vergangenheit mehr-mals inkognito versucht haben, in der Flora Fotos zu machen und Gesprä-che zu führen, ist es sinnvoll dies im Kopf zu haben, wenn mensch in auf-fälliger Weise in der Flora ausgefragt wird. Allerdings ohne dabei in Para-noia zu verfallen und gleich jedem, den mensch nicht kennt, das Ge-spräch zu verweigern!

Wechselwirkungen

Die Bestimmung dessen, was die Flora ist und wie sie funktioniert, liegt bei der Ge-samtheit aller Nutzer_innen. Das Projekt Flora wird sich nur weiterentwickeln, wenn es von seinen Nutzer_innen engagiert kritisiert und konstruktiv mitgestaltet wird.

Plenum der Roten Flora März 2005

mehr Infos unter: www.rote-flora.de

für weitere lokale Infos zu Hamburg, siehe: www.bewegungsmelder.org

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